"Eingesandt" aus dem Kreis des Liechtensteiner Vereins St. Gallenin den "Oberrheinischen Nachrichten" [1]
9.2.1918
Liechtensteiner im Auslande
Leider müssen wir konstatieren, dass in sämtlichen Landtagssessionen a. p. [2] kein Wort über das Schicksal unserer vielen Landsleute im Auslande gesprochen wurde. - Wir wollen zwar hoffen, dass sich unsere Regierung diesbezüglich doch tüchtig ins Werk gelegt hat, um die Interessen unserer Mitbürger im Auslande zu wahren. Ein erfolgreiches Einschreiten scheint jedoch bis dato nicht der Fall zu sein, wenn wir z.B. vernehmen müssen, dass die englische Regierung Ordre erteilt haben soll, die Liechtensteiner Staatsbürger ebenso zu behandeln wie die Österreicher und Deutschen. - Nicht besser soll es auch unsern Landsleuten in den Vereinigten Staaten Amerikas ergehen. Allgemein wird befürchtet, dass schon viele zur Militärpflicht herangezogen und auf den europäischen Kriegsschauplätzen Verwendung finden werden. Wir wünschen nun zu erfahren, was in Sachen eigentlich getan wurde und welchen Schutz unsere Landsleute im Auslande geniessen. Bekanntlich haben die Schweizer Behörden durch einen Protest erzielt, dass die Schweizerbürger in den Vereinigten Staaten, selbst wenn sie das amerikanische Bürgerrecht besitzen, von der Militärdienstpflicht befreit wurden. Gleiches können auch wir mit vollem Rechte verlangen. - Ich frage nun, wer vertritt denn unsere Interessen im Auslande? Vor dem Kriege wandte man sich gewöhnlich an die österreichischen Gesandtschaften und Konsulate. [3] An wen sollen sich aber unsere Landsleute in österreich-feindlichen Ländern heute wenden? [4] Hilflos ohne jeden Schutz und Rat stehen unsere Mitbürger im fremden Lande und niemand will sich ihrer annehmen. Sollen wir hiezu ohne weiteres schweigen? - Die benachbarte, gut befreundete Schweiz steht musterhaft für die Interessen mehrerer Staaten ein und hätte gewiss auch die unserigen übernommen, wenn darum nachgesucht worden wäre. Auch für nach dem Kriege wäre es für unsere Ausgewanderten nur zum Vorteil, von der neutral gebliebenen Schweiz vertreten und beschützt zu sein, wodurch manche böse Gefahren, in die unsere Landsleute laufen könnten, beseitigt würden. Viele Fälle, wogegen sich unsere Regierung heute machtlos erklärt, könnten durch die schweizerische Vertretung unserer Interessen ohne Zweifel erfolgreich erledigt werden. Denken wir ferner an die vielen Compatrioten, die schon über 3 Jahre auf überseeischen Gebieten sehnsuchtsvoll auf das Kriegsende warten, um wieder in die traute Heimat zurückkehren zu können, ihnen könnte durch Verabreichung der nötigen Papiere die Heimreise ermöglicht werden. Es ist endlich Zeit, dass wir unsere Mitbürger in weiter Ferne in Schutz zu nehmen suchen und hoffen wir, dass unsere Regierung raschmöglichst die nötigen Schritte unternehmen wird, um unseren Landsleuten im Auslande Schutz und Freiheit angedeihen zu lassen. [5]
______________
[1] O.N., Nr. 6, 9.2.1918, S. 1. Vgl. auch O.N., Nr. 8, 23.2.1918, S. 3 ("Unsere Interessen-Vertretung im Auslande"). Beide Artikel stammen vermutlich aus der Feder von Gustav Matt.
[2] Anno passato: im vergangenen Jahr.
[3] Liechtenstein hatte bis 1919 keine eigenen diplomatischen Vertretungen; die liechtensteinischen Interessen im Ausland wurden seit 1880 von Österreich-Ungarn wahrgenommen.
[4] Die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und den USA wurden am 8.4.1917 abgebrochen. Daraufhin übernahm Schweden die österreichische und damit auch die liechtensteinische Interessenvertretung in den USA und in Grossbritannien. In Russland übernahm Dänemark und in Frankreich die Schweiz die Interessenvertretung.
[5] Landesverweser Leopold von Imhof fragte am 28.2.1918 bei der fürstlichen Hofkanzlei in Wien an, welche ausländischen Vertretungen die Vertretung der im feindlichen Ausland lebenden Liechtensteiner nach Abbruch der österreichischen diplomatischen Beziehungen übernommen hätten. Imhof sprach sich ferner gegen die dauernde diplomatische Vertretung Liechtensteins durch die Schweiz aus (LI LA V 003/0044 (Aktenzeichen der Regierung: 923)).