Die schweizerische Kommission für Nationalisierungsentschädigungen weist das Gesuch von Nora Sekerka-Bajbus wegen Enteignung durch Polen ab


Entscheidung der schweizerischen Kommission für Nationalisierungsentschädigungen in der Sache der Gräfin Nora Sekerka-Bajbus, gez. Präsident Max Troendle (Abschrift) [1]

27.6.1952, Bern

Entscheid 

betreffend das Entschädigungsgesuch der Gräfin Nora Sekerka-Bajbus   

In der Angelegenheit der Gräfin Nora Sekerka-Baibus, Vaduz, Liechtenstein, um Ausrichtung einer Entschädigung im Rahmen des schweizerisch-polnischen Abkommens vom 25. Juni 1949 [2]

hat sich ergeben:

A. Nachdem die Schweizerische Verrechungsstelle dem Politischen Departement mit Schreiben vom 15. September 1947 Kenntnis von diesem Entschädigungsfall gegeben hat, sind die Akten im Jahre 1948 an die KNE [3] überwiesen worden.

Am 7. Februar 1951 bezifferte die Ansprecherin ihren Entschädigungsanspruch mit insgesamt Fr. 785’000.- und zwar Sfr. 750'000.- für ihren Anteil an einem Grossgrundbesitz in Schlesien und Sfr. 35'000.- für eine zu ihren Gunsten eingetragene Hypothekarforderung.

B. Gräfin Sekerka ist am 9. Juni 1891 als viertes Kind des deutschen Staatsangehörigen Freiherrn Wolf von Puttkammer geboren. Im Jahre 1914 heiratete sie einen Ungarn namens Zoltan Hollo und verlor dadurch ihre deutsche Staatsangehörigkeit. Das durch diese Heirat erworbene ungarische Bürgerrecht tauschte Gräfin Sekerka im Jahre 1929 mit dem liechtensteinischen Bürgerrecht, als sie sich nach ihrer Scheidung von Hollo mit dem Liechtensteinischer Graf Sekerka-Bajbus verheiratete.

C. Auf Grund der der KNE unterbreiteten Akten ergibt sich im vorliegenden Entschädigungsfall folgender Tatbestand:

1.) Der Grossgrundbesitz, auf den Gräfin Sekerka Ansprüche erhebt, setzte sich zusammen aus den schlesischen Gütern Schickerwitz, Rotherinne, Schwundnig, Tschertwitz, und Schön-Steine. Die 5 Güter bildeten zusammen das „Familiengut Schickerwitz", das rechtlich ein „Familienfideikommiss" darstellte. Nach dem deutschen Recht vor 1918 war ein „Familienfideikommiss" ein Sondervermögen, das dem Zwecke diente, einer Familie dauernd erhalten zu bleiben. Es muss sich dabei auf Grund der Akten gleichzeitig um ein sogenanntes „Majoratsgut" gehandelt haben, d.h. um ein Gut, das auf Grund eines für die Dauer berechneten Erbstatuts stetsfort auf den erstgeborenen männlichen Erben überzugehen hat. Am Ende des ersten Weltkrieges war Freiherr Wolf von Puttkammer, der Vater von Gräfin Sekerka-Bajbus, Fideikommissär der Domäne Schickerwitz.

2.) Gemäss Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 wurde die Auflösung der Fideikommisse verfügt. In Preussen war schon im März desselben Jahres eine Verordnung erschienen, derzufolge die Fideikommisse aufzulösen waren. Die Auflösung konnte entweder freiwillig und innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen oder sie wurde, bei unbenütztem Fristablauf, zwangsweise durchgeführt. Im Falle des „Familiengutes Schickerwitz" ist auf Grund der Aktenlage zu schliessen, dass eine freiwillige Auflösung dieses Fideikommisses nicht stattgefunden hatte.

3.) Zwar wurden in den Jahren 1921 und 1922 zwischen Freiherr Wolf von Puttkammer und seinem Erstgeborenen, Eberhard von Puttkammer, mehrere Verträge abgeschlossen, in denen der letztere seine Zustimmung dazu erteilte, dass sein Vater bei Auflösung des „Familiengutes Schickerwitz" dessen freier Eigentümer werde und dass er, Eberhard, auf sein Erbe verzichte, sofern ihm eine Abfindungssumme von 600'000.- Papiermark ausbezahlt würde.

Diese Vereinbarungen, die eine freiwillige Auflösung des Fideikommisses nach sich gezogen hätten, scheinen jedoch im Juni 1922 von Eberhard von Puttkammer mit Erfolg angefochten und für nichtig erklärt worden zu sein. Freiherr Wolf von Puttkammer ist jedenfalls nie Eigentümer des „Familiengutes Schickerwitz" geworden und ist als solcher auch nicht im Grundbuch eingetragen. In den der KNE vorliegenden Grundbuchauszügen figurierte vielmehr der Sohn Eberhard als Eigentümer, welche Eigenschaft er zufolge der Zwangsauflösung des Fideikommisses nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1929 (Beschluss des Auflösungsamtes Breslau vom 3. Mai 1929) erworben hatte.

4.) Unmittelbar nach der Anfechtung des Erbverzichtsvertrages durch Eberhard von Puttkammer wurde zwischen den vier Geschwistern am 8. Juni 1922 ein Vertrag abgeschlossen und am 18. September 1928 bestätigte, wonach jedem einzelnen derselben ein Miteigentum an der Ritterguts-Anwartschaft zu ideellen Teilen von je ¼ eingeräumt wurde.

Im Jahre 1932 wurden die Rittergüter unter „Zwangsverwaltung" gestellt. Immerhin scheint Eberhard von Puttkammer deren Eigentümer geblieben zu sein.

5.) Allem Anschein nach suchte sich dieser nach dem Tode seines Vaters den ihm durch die Verträge von 1922 und 1928 auferlegten Verpflichtungen zu entziehen. Während sich seine Brüder damit abzufinden schienen, bemühte sich die Schwester, Gräfin Sekerka-Bajbus – allerdings aus unabgeklärten Gründen erst im Jahre 1937 – die von ihr behaupteten Rechte geltend zu machen.

Das Landesgericht Oels, welches sich zunächst über diese Rechte auszusprechen hatte, ermächtigte Gräfin Sekerka-Bajbus durch einstweilige Verfügung vom 22. Juni 1937 zu folgenden Eintragungen im Grundbuch der 5 Rittergüter:

a) „Vormerkung zur Sicherung des künftigen Anspruches auf Einräumung des Miteigentums zu einem Viertel für die Gräfin Nora Sekerka-Bajbus in Hamburg unter Bezugnahme auf die einstweilige Verfügung des Landgerichtes in Oels vom 22. Juni 1937, eingetragen am 23. Juni 1937."

Auf dieses Viertel bezieht sich der von der Gesuchstellerin angemeldete Betrag von Fr. 750'000.-.

b) „Zehntausend Reichsmark Sicherungshypothek zum Höchstbetrage von zehntausend Reichsmark für die Gräfin Nora Sekerka-Bajbus, geb. von Puttkammer, in Hamburg, Harvestehuderweg 69. Auf Grund des Arrestbefehls des Landgerichts in Oels vom 7. August 1937, hier in Höhe von 10'000.- zehntausend Reichsmark und auf Schön-Steine Band II Blatt 40 in Höhe von 25'000.- fünfundzwanzigtausend Reichsmark, eingetragen am 16. August 1937."

Hierauf nimmt der von der Gesuchstellerin angemeldete Betrag von Fr. 35'000.- Bezug.

6.) Mit Verfügung vom 20. Januar 1938 stellte der Regierungspräsident von Breslau, gestützt auf die §§ 84 ff. der Grundbuchordnung vom 5. August 1936, die Gegenstandslosigkeit der unter a) zitierten Vormerkung bezüglich der Rittergüter Schickerwitz, Schwundnig, Tschertwitz und Rotherinne fest (Schön-Steine befand sich einem anderen Bezirk und wird separatim die gleiche Behandlung erfahren haben wie die übrigen Güter) und versagte der Gräfin Sekerka-Bajbus, gestützt auf die „Bekanntmachung über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken" vom 15. März 1918, die Genehmigung zur Auflassung von ¼ Miteigentum der besagen Grundstücke, mit der Begründung, dass „ein erhebliches öffentliches Interesse entgegenstehe". Dementsprechend wurde die Löschung der Vormerkung in Grundbuch verfügt. Diese wurde im Jahre 1939 definitiv vorgenommen.

7) Gegen die Verfügung des Regierungspräsidenten von Breslau erhob die Gräfin Sekerka-Bajbus Beschwerde, wurde aber von der letzten Instanz gleichfalls abgewiesen. Der diesbezügliche Entscheid liegt der KNE nicht vor, soll aber gemäss den Erklärungen der damaligen Beschwerdeführerin und ihres Anwaltes damit begründet worden sein, dass Gräfin Sekerka-Bajbus Ausländerin und mit einem Juden verheiratet war.

D. Nach dem zweiten Weltkrieg kam das Gebiet Schlesiens, auf welchem die in Frage stehenden 5 Rittergütern liegen, unter polnische Verwaltung.

Die bei den polnischen Behörden im Jahre 1947 eingezogenen Erkundigungen führten zu folgender Darstellung der Eigentumsverhältnisse auf den 5 Rittergütern seitens des Woiwodschaftsamtes Breslau.

Die früheren deutschen Grundbücher seien während der Kriegshandlungen verloren gegangen. Nach Aussagen von in Schickerwitz bereits vor dem Kriege ansässigen Polen habe das Gut Schickerwitz bis 1937 Eberhard von Puttkammer gehört, sei dann aber noch unter deutscher Verwaltung in Parzellen aufgeteilt worden. Dasselbe gelte für das Gut Schön-Steine. Hinsichtlich Tschertwitz, Schwundnig und Rotherinne berichtete das Woiwodschaftsamt, dass diese „angeblichen Güter" überhaupt nicht mehr beständen und keine Unterlagen, die irgendwelche Feststellungen ermöglicht hätten, vorhanden seien.

Die Kommission zieht in Erwägung:   

1.) Durch ihre Heirat mit dem liechtensteinischen Staatsangehörigen Graf Sekerka-Bajbus im Jahre 1929 erwarb die Ansprecherin das liechtensteinische Bürgerrecht. Nichts weist darauf hin, dass sie ausser diesem noch dasjenige eines anderen Landes besessen hätte. Die Gesuchstellerin war daher sowohl im Zeitpunkt des von ihr behaupteten schädigenden Ereignisses, dem 6. September 1946, als auch im Zeitpunkt des Inkrafttretens des schweizerisch-polnischen Entschädigungsabkommens vom 25. Juni 1949, d.h. am 17. Mai 1950, Liechtensteinerin. Da sich das zitierte Abkommen gemäss seinem Artikel 14 auch auf das Fürstentum Liechtenstein erstreckt, ist die Ansprecherin somit in vorliegender Entschädigungsangelegenheit zur Person legitimiert.

2.) Gemäss Artikel 1, Abs. 1 des Entschädigungsabkommens fallen unter die Globalentschädigung „alle schweizerischen Vermögenswerte, Rechte und Interessen, die durch die polnische Gesetzgebung und die hieraus folgenden Massnahmen sowie durch jede andere Massnahme des polnischen Staates oder seiner Organe in Mitleidenschaft gezogen sind".

Für die Beurteilung der sachlichen Legitimation der Ansprecherin ist daher zunächst festzustellen, ob die letztere zur Zeit der Einbeziehung der ehemals deutschen Gebiete in die polnische Verwaltung überhaupt Vermögensrechte, d.h. Eigentums- oder andere dingliche Rechte an den 5 Rittergütern besessen hat.

Wenn man auf die Darstellung der polnischen Behörden abstellen wollte, so würde man zu dem Schlusse gelangen, dass die 5 Rittergüter bereits vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges noch von den deutschen Behörden konfisziert wurden und dass demzufolge im Zeitpunkt der Unterstellung jener Gebiete unter die polnische Verwaltung überhaupt kein Privateigentum der Puttkammer’schen Erben an den fraglichen Gütern mehr bestanden hätte.

Da es sich indessen beim Bericht des Woidwodschaftsamtes Breslau um bewiesene Behauptungen handelt, kann auf dieselben im vorliegenden Entscheid nicht eingetreten werden und es ist daher anhand der übrigen Akten festzustellen, ob die Gräfin Sekerka-Bajbus zur Zeit des schädigenden Ereignisses Eigentum an den 5 Gütern besessen hat.

Nach diesen hat nun aber der Regierungspräsident in Breslau mit Bescheid vom 23. Dezember 1937 der Gräfin Sekerka-Bajbus die Genehmigung zur Auflassung von ¼ Miteigentum an den 5 Rittergütern versagt. Dieser Beschluss wurde von der letzten Instanz bestätigt, worauf die Grundbuchvormerkungen zugunsten der Ansprecherin im Jahre 1939 definitiv gelöscht worden sind. Die Gräfin Sekerka-Bajbus hatte somit schon vor Kriegsausbruch kein dingliches Recht mehr an den fraglichen Gütern, so dass auch nach Kriegsende, anlässlich der polnischen Nationalisierung, kein solches mehr bestand.

Es ist hier nicht zu untersuchen, ob die Gräfin Sekerka-Bajbus auf Grund der Verträge von 1922 und 1928 oder gestützt auf die Vormerkungen im Grundbuch überhaupt je dingliche Rechte an den 5 Rittergütern erworben habe, was übrigens auch zu einer negativen Beantwortung führen müsste, sondern es ist einzig und allein die Frage zu beantworten: bestanden im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, d.h. zur Zeit der polnischen Nationalisierung irgendwelche dingliche Rechte der Ansprecherin an Schickerwitz? Diese Frage ist zu verneinen.

3.) Die weitere Frage, ob Rechte und Interessen der Petentin durch die polnische Gesetzgebung und die hieraus folgenden Massnahmen verletzt worden seien, erledigt sich auf Grund der vorstehenden Ausführungen von selbst. Denn das Argument der Ansprecherin, es habe sich bei den oben erwähnten deutschen Entscheiden und Massnahmen um völkerrechtswidrige, antisemitische Verfügung gehandelt, die rückgängig gemacht werden müssten, kann nicht gehört werden. Selbst dann nämlich, wenn diese Behauptung zuträfe, was indessen keineswegs erwiesen ist, und Deutschland für die betreffenden Entscheide auf internationaler Ebene verantwortlich gemacht werden könnte, würde sich hieraus keine völkerrechtliche Verpflichtung Polens als Nachfolgestaat Deutschlands bezüglich des Gebietes, auf welchem die Rittergüter liegen, zur Übernahme einer etwaigen deutschen Entschädigungspflicht ableiten lassen. Eine Rückgängigmachung deutscher Verfügungen läge höchstens im Bereich der Möglichkeit, wenn sich die Rittergüter schon 1939 auf polnischem Gebiet befunden hätten.

4.) Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass zwischen dem von der Ansprecherin angemeldeten Schaden und den Verstaatlichungsmassnahmen Polens kein Kausalzusammenhang besteht. Die Gräfin Sekerka-Bajbus hat zur Zeit des „schädigenden" Ereignisses gar kein dingliches Recht an der Domäne Schickerwitz besessen und Polen hat daher diese Güter als rein deutsches Eigentum übernommen. Der Ansprecherin ist kein Schaden aus irgendwelchen polnischen Massnahmen erwachsen. Sie kann daher bei der Verteilung der polnischen Entschädigungssumme nicht berücksichtigt werden.

Aus diesen Gründen beschliesst die Kommission:

1.) Das Gesuch der Gräfin Nora Sekerka-Bajbus, Vaduz, Liechtenstein, um Zuerkennung der Entschädigungsberechtigung, gestützt auf das schweizerisch-polnische Abkommen vom 25. Juni 1949, wird abgewiesen.

2.) Gegen diesen Entscheid kann gemäss Art. 4 des BRB vom 21. Dezember 1950 über die Bestellung einer Kommission und einer Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen innert 30 Tagen vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung dieses Entscheides an bei der Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen Beschwerde erhoben werden. [4]

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[1] LI LA RF 246/079/005/045. Geschäftszeichen: s.KNE.Pol.II.A.8.-BE.
[2] Siehe hiezu im einzelnen die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 7. Oktober 1949 zu den zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Polen abgeschlossenen Abkommen betreffend den Warenaustausch und den Zahlungsverkehr sowie die Entschädigung der schweizerischen Interessen in Polen, BBl. 1949, Bd. II, S. 617 ff. Vgl. ferner den diesebezüglichen Bundesbeschluss, BBl. 1949, Bd. II, S. 631.
[3] KNE: Kommission für Nationalisierungsentschädigungen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 5. September 1950 zu einem Bundesbeschluss über die Bestellung einer Kommission und einer Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen, BBl. 1950. Bd. II, S. 781 ff.
[4] Siehe FN 3.