Liechtenstein erklärt sich bereit, der Schweiz alle Kosten für die Unterstützung von Liechtensteinern im Ausland rückzuerstatten


Note der Regierung, gez. Regierungschefstellvertreter Ferdinand Nigg, an Prinz Heinrich, liechtensteinischer Geschäftsträger in Bern [1]

9.9.1947

Euere Durchlaucht,

Der Gesandtschaft des Fürstentums Liechtenstein beehrt sich die Fürstliche Regierung, den Empfang der Note vom 17. April 1947 zu bestätigen, womit ihr eine Note des Eidgenössischen Politischen Departements vom 15. April 1947, betreffend die Frage der Lebensmittelversorgung der Liechtensteinischen Staatsangehörigen im Auslande und die Bezahlung der Aufwendungen der Schweiz hiefür übermittelt wurde. [2] Die Fürstliche Regierung beehrt sich, der Gesandtschaft des Fürstentums Liechtenstein zu Handen des Eidgenössischen Politischen Departements folgendes zu antworten:

Die Fürstliche Regierung erklärt sich auf Grund des Landtagsbeschlusses vom 30.6.1947 [3] bereit, für sämtliche bisher und künftig aus der Betreuung der Liechtensteiner im Auslande für die Schweiz und die schweizerischen Vertretungen im Ausland erstehenden Kosten bezüglich der Versorgung mit Lebensmitteln und Textilien aus der Schweiz in vollem Umfange der Schweiz Rückersatz zu leisten. Das Fürstentum Liechtenstein ist bereit und wiederholt damit den bereits schon früher mitgeteilten Standpunkt, dass diese Garantie der Höhe nach nicht beschränkt ist, solange sich die Hilfeleistung im gleichen Rahmen wie für die Auslandschweizer bewegt und solange der Landtag seinen Beschluss vom 30.6.47 nicht widerruft, was den Eidg. Behörden rechtzeitig notifiziert würde. Die Fürstliche Regierung anerkennt die Verpflichtung zur Bezahlung ihr unterbreiteter Rechnungen über Warensendungen an Auslandliechtensteiner in vollem Umfange, auch wenn ihr vorher keine Mitteilungen über die Höhe der zur Versendung kommenden Waren gemacht wurden. Sie verzichtet zur Erleichterung der Hilfeleistung ausdrücklich auf solche Meldungen.

Die Zusicherung des Fürstentums Liechtenstein bezieht sich auf die Hilfeleistung an die Liechtensteiner im Auslande, wo schweiz. Hilfsaktionen laufen. Die fürstliche Regierung stimmt daher gerne dem in der Note des Eidg. Politischen Departements vom 15. April 1947 gemachten Vorschlage der Neuregelung ab 1. Mai 1947 zu und erklärt sich bereit, die schweizerischerseits ausgelegten Beträge für Hilfeleistungen an Liechtensteiner im Auslande gegen Rechnungstellung rückzuvergüten. In der Art der Betreuung der Liechtensteiner in Österreich wünscht die Fürstliche Regierung keine nennenswerten Änderungen. Sie schlägt daher vor, die Verteilung der Waren und den Einzug der Schillinggebühren in der gleichen Weise wie bisher vorzunehmen.

Lediglich für die liechtensteinische Bevölkerung in Vorarlberg möchte die Fürstliche Regierung eine Ausnahmebehandlung in der Weise anstreben, dass die Beteilung dieser Liechtensteiner in Vorarlberg durch die Fürstliche Regierung von Vaduz aus erfolgen könnte. Dadurch wäre die Möglichkeit geboten, liechtensteinische Geschäftsleute teilweise zu berücksichtigen und die Zusammenstellung der Liebesgabenpakete so anzuordnen, wie es den besonderen Bedürfnissen der Liechtensteiner in Vorarlberg besser zusagen würde. Es ist selbstverständlich, dass die Fürstliche Regierung für die Durchführung dieser Sonderaktion, sofern sie dem Eidg. Politischen Departement genehm wäre, die erforderlichen Verhandlungen über Ausfuhrbewilligungen usw. mit der schweizerischen Zentralstelle für Auslandschweizerfragen führen würde. Ausdrücklich sei betont, dass sich diese Sonderaktion im Rahmen der 2 kg Pakete halten würde und dass keine Waren in diese Pakete verpackt würden, wofür nicht schweizerischerseits die Ausfuhrbewilligung erwirkt worden wäre. Mehl z. B. würde für die Liechtensteiner in Vorarlberg von Importeuren angekauft werden, die solches Mehl bereits in Österreich lagernd haben. Nicht unterlassen möchte die Fürstliche Regierung zu betonen, dass sich diese Ausnahmebehandlung nur auf die Liechtensteiner in Vorarlberg beziehen soll und dass die Liechtensteiner im übrigen Österreich, in Deutschland usw. von den Schweizer Konsulaten bedient werden sollten. Die Fü. [Fürstliche] Reg. möchte hiebei ausdrücklich betonen, dass dieser Sondervorschlag für Vorarlberg keinerlei Spitze gegen das hochgeschätzte Schweizerkonsulat in Bregenz und insbesondere nicht gegen dessen hochverdienten Chef Herrn Konsul [Carl] Bitz, bedeuten soll.

Die Note des Eidg. Politischen Departements weist darauf hin, dass die Fürstliche Regierung wiederholt an die schweizerischen Vertretungen in Österreich Schillingbeträge für die an liechtensteinische Staatsangehörige verteilte Ware überwiesen habe. Hierzu möchte die Fürstliche Regierung erläuternd folgendes mitteilen:

Zu Beginn des Jahres 1946 wohnten in Vorarlberg 467 liechtensteinische Staatsangehörige. Die meisten der in Vorarlberg ansässigen Liechtensteiner sind nicht reich, leben als einfache Arbeiter oder Bauersleute dort. Die Verteilung der Liebesgaben erfolgte durch das Schweizerische Konsulat in Bregenz über den Betreuer R. [Rudolf] Öhri in Feldkirch. Herr R. Öhri besorgte für das Schweizerische Konsulat in Bregenz nicht nur die Verteilung der eingegangenen Lebensmittel und andern Hilfsgaben, sondern auch den Einzug der durch das Schweizerische Konsulat angesetzten Entschädigungsbeträge.

Wiederholt ist die Fürstliche Regierung von in Österreich ansässigen Liechtensteinern um Beihilfe und Unterstützung angegangen worden. Zahlreichen kinderreichen Familien, ärmeren Arbeitern und kleineren Bauern wurde es schwer, sich in Vorarlberg weiter aufzuhalten und dort ihr notdürftiges Auskommen zu finden. Mehrere Familien sind einfach nach Liechtenstein zurückgekehrt und beanspruchen hier die öffentlichen Unterstützungen. Das Fürstentum Liechtenstein wollte aber nicht den Eindruck erwecken, die Auslandliechtensteiner in der Notlage nicht zu unterstützen. Mit der Rückführung der Auslandliechtensteiner aus Österreich nach Liechtenstein ist weder jenen noch dem Lande geholfen. Liechtenstein fühlte sich daher verpflichtet, den Auslandliechtensteinern in jeder möglichen Art und Weise entgegenzukommen. Dies geschah auf verschiedene Weise.

In Fällen, in denen Liechtensteiner in Österreich Geld zur Bezahlung von Verpflichtungen im Gastlande benötigten, hat die Regierung denselben auf Ansuchen hin ab dem bei der Sparkasse der Stadt Feldkirch erliegenden Guthaben des Landes Liechtenstein in ö.S. [österreichischen Schilling] jeweils Beträge angewiesen. Das Land Liechtenstein hat seit jeher dort ein Sparkassakonto unterhalten. Der Verkehr über dieses Konto war in früheren Jahren nicht gross.

Im Jahre 1945 übernahm das Land Liechtenstein von früheren Grenzgängern nicht mehr ausbezahlte Lohnguthaben in Vorarlberg im Betrage von ca. 54'000.- RM [Reichsmark] bezw. ö.S. Diese Lohnguthaben waren den Arbeitern im Clearing nicht mehr ausbezahlt worden. Die meisten der Grenzgänger hatten Guthaben bei den Arbeitgebern in Vorarlberg, die für sie auf längere Zeit nicht greifbar bezw. nicht mehr verwertbar erschienen. In dieser Not, denn für den einfachen Hilfsarbeiter und Bauarbeiter bedeutet schon der Lohnverlust von 300 Franken eine empfindliche Einbusse, beschloss der Landtag des Fürstentums Liechtenstein die Bevorschussung dieser Lohnguthaben in Vorarlberg. [4] Die Übernahme des Lohnguthabens seitens des Landes geschah nach Bereinigung der Lohnlisten auf der Relation 1:1 (1 RM = 1 ö.S. = 1 sfrs.). Das Land bevorschusste auf Grund dieser Relation im Jahre 1945 sfrs. 27'066.20, wofür die Arbeitergeber in Vorarlberg die Lohnguthaben in ö.S. oder noch in RM auf das Konto des Landes Liechtenstein bei der Sparkasse der Stadt Feldkirch einbezahlten. Von diesen Lohnguthaben konnten noch 28'097.38 ö.S. (bezw. RM) einbringlich gemacht werden.

Mit Schreiben der Österreichischen Nationalbank (Prüfungsstelle für den Zahlungsverkehr mit dem Auslande) vom 26. März 1946 wurde die Verwendung dieser Gelder im Inlande (das heisst in Österreich) zu folgenden Zwecken freigegeben:

"1. zu unentgeltlichen Unterstützungen an in Not geratene liechtensteinische Staatsangehörige in Österreich bis zum Höchstbetrage von S. 150.- pro Familie und Monat.

2. Auszahlung von Löhnen an das Personal der vom Lande Liechtenstein in Vorarlberg unterhaltenen Almwirtschaften. Nur für den Inlandsverbrauch bestimmt.

3. Kosten der Reparaturen und Wiedererstellung der Anlagen obiger Almwirtschaften und deren Instandhaltung. Neuinvestitionen können zu Lasten dieses Kontos nicht bestritten werden. Diesbezügliche Zahlungen können nur auf Grund von Rechnungen inländischer Firmen erfolgen. Die betreffenden Fakturen sind von Ihnen durch Stampiglienaufdruck und Datum zu entwerten." [5]

Auf Grund dieser Bewilligung der Nationalbank hat die Fürstliche Regierung die Anweisungen ab dem Konto bei der Sparkasse der Stadt Feldkirch getätigt. In zahlreichen Fällen wurden private Unterstützungen gewährt, Kosten an Spital– und Arztbehandlungen, Beihilfen für den Ankauf von Haushaltsgegenständen und dergleichen gewährt. Die Betreuungsstelle der Liechtensteiner in Vorarlberg, Herr Öhri in Feldkirch, teilte der Regierung mit, dass es für ihn sehr schwer sei, die Gelder für die erhaltenen Hilfeleistungspakete zusammenzubringen und beträchtliche Beträge, soweit sie nicht von Koloniemitgliedern privat aufgebracht würden für die ärmeren Bürger, einfach als nicht einbringlich dem Schweizerischen Konsulate gemeldet werden müssten. Daraufhin entschloss sich die Fürstliche Regierung, sofort helfend einzuspringen und dafür zu sorgen, dass der Betreuer der Liechtensteiner die fakturierten Beträge auch wirklich an das Schweizerische Konsulat in Bregenz abliefern könne. Die Fürstliche Regierung hätte nun auf Grund der Bewilligung der Österreichischen Nationalbank vom 26.3.1946 einfach an die einzelnen Parteien, die nicht in der Lage waren zu zahlen, die entsprechenden Beihilfen einzeln anweisen lassen können. Dieser Weg wäre sehr zeitraubend und unzweckmässig gewesen.

Die Sparkasse der Stadt Feldkirch wurde daher angewiesen, sofort dem Schweizerischen Konsulat für die erste ergangene Lebensmittelzuteilung eine Pauschalsumme von ö.S. 15'000.- zu überweisen, vorbehaltlich der nachträglichen Abrechnung. Damit ist Herrn Öhri und dem Schweizerischen Konsulate die fristgerechte und ordnungsgemässe Abrechnung mindestens erleichtert worden. Dafür konnte dann die Fürstliche Regierung den Betreuer der Liechtensteiner in Vorarlberg auch ermächtigen, bei Gewährung von Gratisbezug von Lebensmittelpaketen grosszügig vorzugehen und den ärmeren Liechtensteinern wirklich entgegenzukommen, anderseits aber die Verrechnung und den Verkehr mit dem Schweizerischen Konsulate schneller und zeitsparender zu gestalten. Auch später erfolgte die nochmalige Überweisung eines Betrages von ö.S. 4000.- auf Anraten des zuständigen Finanzreferenten in Vorarlberg unter einem als Depot für Gratisabgabe von Lebensmittelpaketen an Liechtensteiner in Vorarlberg.

Die Fürstliche Regierung bedauert, aus der Note des Eidg. Politischen Departements vom 15. April 1947 entnehmen zu müssen, dass durch diese Zahlungen der Schweiz Unannehmlichkeiten erstehen. Die Fürstliche Regierung beabsichtigte keineswegs, solche zu schaffen, sondern hat die Unterstützung der Liechtensteiner in Vorarlberg in dieser Form in der Auffassung von gutem Treu und Glauben getätigt, damit die ganze Angelegenheit zu erleichtern und den Liechtensteinern zu helfen. Sie hat die Überweisungen in dieser Form aus der weiteren Erwägung gemacht, die Unterstützungsgelder wirklich ihrem Zwecke zuzuführen.

Die Fürstliche Regierung hofft gerne, mit vorstehenden Ausführungen zur Abklärung der Angelegenheit beigetragen zu haben. Sie bittet die Gesandtschaft um beförderliche Weiterleitung dieser Note an die Abteilung für Auswärtiges in Bern, um in der Beteilung der notleidenden Liechtensteiner keinen Unterbruch eintreten zu lassen.

Die Fürstliche Regierung benützt gerne diesen Anlass, Euere Durchlaucht ihrer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

______________

[1] LI LA V 143/2523 (c). Aktenzeichen: 232/309/b/Me. Eingangsstempel der Gesandtschaft: 17.IX., 24.IX., No 1262/47. Handschriftliche Betreffangabe der Gesandtschaft: Lebensmittel. Prinz Heinrich leitete das Schreiben am 24.9. an das Eidgenössische Politische Departement weiter (LI LA V 143/2523, Note der Gesandtschaft an das Eidgenössische Politische Departement, 24.9.1947). Weitere Exemplare und Entwürfe der Note in LI LA RF 232/309c, LI LA RF 235/236.
[2] LI LA V 143/2523 (b), Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die Gesandtschaft in Bern, 15.4.1947.
[3] LI LA LTP 1947/250.
[4] LI LA LTP 1945/103. Der Landtag beschloss, den Grenzgängern die Hälfte der Summe auf der Basis 1 Reichsmark = 1 Schweizer Franken vorläufig als Vorschuss auszubezahlen. Die Arbeiter hatten sämtliche Lohnguthaben dem Land abzutreten und eine diesbezügliche Abtretungsurkunde zu unterschreiben.
[5] LI LA RF 232/309c, Österreichische Nationalbank an die Sparkasse der Stadt Feldkirch, 26.3.1946.