Schreiben von Walter Wohlwend an Heinrich Feger (durch die Polizei erstellte Abschrift) [1]
29.11.1938, Nendeln
Lieber Heinrich!
Lange gehts, bis etwas von mir zu hören ist, Du wirst im Geheimen schon manchen Fluch über mein Haupt geschüttet haben, genützt hats aber nichts. Aber jetzt ist's mir ernst dabei.
Zuerst das Geschäftliche.
Franz W. hat mir dieser Tage 16.80 Fr. gegeben, die ich Dir mit etwas von mir zusenden werde. Franz sagt aber, er wäre Dir nur 22.-- Fr., nicht 32.-- Fr. schuldig. Berichte mir, was stimmt. Die Kleider hat meine Frau gerichtet, ob es alles ist, weiss ich nicht. Siehst es dann ja selbst.
Wie geht es in der Schule? Lernt, was ihr in Euch aufzunehmen vermögt, aber dieses gut. Wir haben solches Wissen hier bitter nötig. [2]
Hier in Liechtenstein spitzt sich die Lage immer mehr zu. Die beiden alten Parteien machen auf die kommenden Wahlen (Jänner-Febr.) hin schon die grössten Anstrengungen, für sich so viel wie möglich, mit allen guten und schlechten Mitteln, heraus zu holen. Dass natürlich die schlechten Mittel die bessern sind, folglich auch mehr zu Hilfe gezogen werden, wissen wir von früher her, nur ob sie diesmal, ich meine die Parteibonzen, nicht doch eine Fehlrechnung machen, bleibt abzuwarten. Es scheint nähmlich, als ob sich das Gesunde vom Kranken scheiden möchte.
Allerdings die Sammlung dieser Ausgeschiedenen unter einer n.sz. Fahne geht schwerer, als sich die meisten vorstellen. Könnten wir als das, was wir sind, Deutsche, an die Öffentlichkeit, wäre für uns viel gewonnen, aber da sind einige Akademiker, die eine Tarnung als das einzig Richtige angeben, aber unter keinen Umständen den Anfang etwa dort machen würden.
Diese Feiglinge, am Ende, nach der Schlacht, ja dann, dann sind sie schon längst dabei gewesen. Solche Helden wird es geben müssen, sonst wären sie nicht hier. Aber Respekt vor einem solchen Herr Doktor kann ein geschlagener Hund haben, aber nicht wir.
Skrupellosigkeit auf der einen, Feigheit auf der andern Seite, das sind ihre Kennzeichen. Genug davon.
Dem Juden ist der Schreck in die Plattfüsse gefahren. Es hat in Eschen beim Kleiderjuden, [3] in Schaan beim Oberrabbiner [Moses] Strauss und bei [Leopold] Goldstaub gekracht, [4] und natürlich dem Glaser Arbeit gemacht, somit unfreiwillig der Juden Wohnung gelüftet. Selbstverständlich hats noch mehr gekracht und wird, was ja möglich ist, weiter so sein. (? Wir könnens, und die Polizei auch nicht abstellen) Das wäre vorläufig alles, später mehr. Grüsse mir die beiden andern Kameraden. Haltet Euch wies eines Deutschen geziemt.
Heil Hitler
Auf einem separaten Zettel steht geschrieben:
Bitte beim nächsten Brief den Absender nicht mehr auf den Brief schreiben. Am Abend bevor Ihr abgereist seid, hat es beim Pfarrhof in Eschen 17 Fensterscheiben eingeschlagen. [5] Man hatte es auf Euch. Denkt daran, wo Ihr jener Abend Euch aufgehalten habt, damit es bei Eurem Eintreffen hier nichts gibt.
Krachen tuts schön, ich höre es jedes Mal bis ins Bett.
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[1] LI LA V 005/1938/1431 (a). Das Schreiben wurde bei einer Hausdurchsuchung am 1.12.1938 beschlagnahmt.
[2] Heinrich Feger war am 1.11.1938 nach Deutschland abgereist, um dort zusammen mit zwei weiteren Liechtensteinern eine Schule zu besuchen.
[3] In Eschen wurden im November 1938 zwei Bölleranschläge gegen die Rheintalische Kleiderfabrik verübt sowie ein Bölleranschlag gegen das Wohnhaus von Hans Schiftan, der zusammen mit Richard Graetz die Rheintalische Kleiderfabrik leitete (LI LA J 007/S 071/301, LI LA V 005/1938/1431, LI LA RF 184/240, LI LA J 007/S 071/323, LI LA RF 184/369).
[4] Zum Bölleranschlag gegen das Haus der Familie Goldstaub vgl. LI LA J 007/S 071/327 (a), Bericht des Sicherheitskorps an das Landgericht, 2.12.1938.
[5] Am 31.10.1938 explodierte in Eschen zwischen dem Gasthaus "Kreuz", wo ein Jude wohnte, und dem Pfarrhaus von Pfarrer Johann Büchel ein Böller (LI LA J 007/S 071/280).