Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]
18.7.1944
Gegen die Judenverfolgung in Ungarn
Die Kommission für katholische Flüchtlingshilfe des Schweizer. Caritasverbandes [2] nahm auf Grund ausführlicher Berichte mit Entsetzen Kenntnis von der unmenschlichen Behandlung der Juden in Ungarn. Sie schliesst sich dem leider nur zu berechtigten Protest derer an, die im Namen der Menschlichkeit und des Christentums diese furchtbaren und beispiellosen Schandtaten verurteilen. Ihrerseits wird sie alle Anstrengungen unternehmen, um, soweit es in ihren Kräften steht, diesen unglücklichen Menschen zu helfen. Inständig bittet sie alle Gläubigen, diese Anstrengungen und insbesonders die Interventionendes Hl. Vaters Pius XII. durch ihr Gebet zu unterstützen, damit dieser furchtbaren Verfolgung Einhalt geboten werde.
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Tiefe Bewegung, ja Erschütterung hat sich des ganzen Schweizervolkes bemächtigt, seitdem Meldungen, an deren Richtigkeit leider kein Zweifel erlaubt ist, uns Einblick geben in das grauenvolle Geschick, das über die Juden Ungarns hereingebrochen ist. Unsere Generation ist durch das furchtbare Geschehen eines seit bald fünf Jahren tobenden Weltkrieges und der ihm vorausgegangenen kriegerischen Auseinandersetzungen im Ostasien, Abessinien und Spanien abgestumpft worden. Die Schrecken der Luftbombardemente, die unterschiedlos Militär- und Zivilpersonen, Männer, Frauen und Kinder, Fabriken und Kathedralen heimsuchen, gehören zum Alltäglichen des Kriegsgeschehens. Selbst die Grausamkeiten des Kampfes zwischen Besetzungstruppen und Partisanen hinter der Front lassen sich noch bis zu einem gewissen Grade durch das harte Gesetz des Krieges erklären.
Aber es gibt Dinge, die selbst den abgestumpftesten Zuschauer dieses Dramas aus seiner bequemen Ruhe aufstören und ihn zwingen, als Mensch gegen die Unmenschlichkeit Stellung zu nehmen. Wenn wir vernehmen, dass eine Bevölkerung von nahezu einer Million Seelen innerhalb weniger Monate ihres ganzen Besitzes beraubt, aus ihren Wohnstätten vertrieben, wie eine Viehherde in Ghettos zusammengepfercht, zu siebzig in einem Güterwagen abtransportiert und auf technisch raffinierte Weise dem Tod überliefert wird, und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sich dies in unseren Tagen, im Herzen Europas, auf dessen Kultur wir uns soviel zu gute tun, und in einem Lande abspielt, das auf seine Christlichkeit und Ritterlichkeit - nicht mit Unrecht, wie uns bislang schien - besonders stolz war, so sind wir nicht länger imstande, die Zurückhaltung des Neutralen zu üben, der sich kein Urteil über Zulässigkeit und Zweckmässigkeit der Kriegshandlungen anmasst.
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[1] L.Vo., Nr. 81, 18.7.1944, S. 3.
[2] Vgl. etwa auch den Abdruck des Spendenaufrufes der st.gallisch-appenzellischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 31.10.1942 (L.Vo., 1942.10.31a).