Schreiben von Rosa Creazzo-Lampl an den Fürsten von Liechtenstein [1]
24.6.1938, Bologna
Durchlauchtigster Fürst!
Wenn ich es wage, Euerer Hoheit mit meinem Anliegen zu kommen, so ist es nicht, weil ich mich Ihrer persönlichen Bekanntschaft rühmen dürfte oder besondere Empfehlung hätte, sondern weil Eurer Hoheit Person und Namen mir seit Kindertagen vertraut sind. Mein verstorbener Vater Hermann Lampl entstammte einer Eisgruber Familie und ich verbrachte als Kind oft die Ferien im schönen Südmähren, in Feldsberg, Lundenburg, Eisgrub oder in Auerschitz, wo mein Grossvater Leopold Weinberger den in der Nähe begüterten weiland Erzherzog Friedrich persönlich kannte. Unsere gesamte Familie waren gute Österreicher und ehrliche Leute und alles wäre auch für die im neuen Österreich verbliebenen Mitglieder gut gegangen, wenn sie nicht einen für die heutigen Strömungen schrecklichen Fehler hätte – sie ist nämlich nichtarisch.
Ich selbst bin Katholikin, mit einem Italiener verheiratet, meine Schwester in Wien mit einem aus dem ehem. Kronland Galizien stammenden Juden verheiratet.
Anbei erlaube ich mir ein Gedicht beizuschliessen, das mein verstorbener Vater hinterlassen hat - er hat sein Österreich glühend geliebt und auch in Kriegszeiten viele patriotische Lieder und Gedichte geschaffen, er hat aber weder Dichterruhm noch Sold dafür erstrebt und alle diese Werke hat er dem Kaiser Wilhelm gewidmet und geschenkt, den er als sichtbaren Exponenten des reinen Deutschtums betrachtete, nichtahnend in welch böser Münze spätere Exponenten zahlen würden.
Welch eine Hölle jetzt die „Nichtarier" in den deutschen Landen durchleben, brauche ich wohl nicht in allen Details zu schildern. Meine Schwester hat einen fünfjährigen Knaben und wenn sie ihn irgendwo hinführen will, wo er unbehelligt Luft schnappen kann, so muss sie mit ihm auf den - Friedhof fahren, der, wie es scheint, der einzige Platz ist, der den „Nichtariern" überhaupt noch vergönnt ist. Auch mein Vetter, der Wiener Advokat Dr. Otto Herschmann, der vom letzten Kaiser Österreichs für seine Verdienste um das Land und das Herrscherhaus und um die österreichische Sportpflege den Adel verliehen erhielt, der die Mitglieder der allerhöchsten Familie und des höchsten Adels zu seinen persönlichen Freunden zählen durfte und Österreichs Farben vor dem Kriege in den olympischen Wettspielen erfolgreich verteidigen durfte, ist schon nach dem Friedhof gegangen, um aber nicht wiederzukehren. Er hat für seinen Kaiser gelebt, er hat für seinen Kaiser im Weltkrieg so tapfer gekämpft, dass er alle möglichen Auszeichnungen erhielt und nun ist er, der tapfere Dragoner, für seinen Kaiser gestorben.
Darum, mein Fürst, wage ich es, die Bitte an Sie zu richten, dass Sie es doch erlauben möchten, dass die Familie meiner Schwester, bestehend aus
Leo Keil, Briefmarkenhändler, Wien, II., Rembrandtstrasse 28, III. Stiege,
Elsa Keil, geborene Lampl, ebendort, und
Rudolf Keil, geboren 9.3.1933,
nach Ihrem Fürstentum kommen, eventuell mit einer auf zwei Jahre befristeten Bewilligung und dort warten, bis sie nach Amerika auswandern können. [2]
Verzeihen Sie diese Belästigung mit meiner dringenden Bitte. Ich glaube an eine zeitliche und ewige Vergeltung und darum wage ich es heute, Ihnen damit zu kommen, denn wenn ich auch gar keine sichtbaren Verdienste aufweisen kann, da ich immer im Schatten gelebt habe und eine ganz bedeutungslose und bescheidene Existenz geführt habe, aber ich habe immer geholfen, wo ich konnte, von meinem Wenigen immer gegeben, nie einen Armen weggeschickt und darum hoffe ich, bei Eurer Hoheit ein geneigtes Ohr zu finden. Verzeihen Sie auch, wenn mein Schreiben nicht form- und stilgerecht ist, mein sonstiger Briefwechsel beschränkt sich immer auf einfache Leute, wie ich es bin.
Sollte es durchaus nicht angehen, dass Eure Hoheit meine Bitte erfüllen können, so möchte ich bitten, mir eventuell eine Empfehlung an den König von Belgien gewähren zu wollen, damit dieser meinen Lieben erlaube, dort zu wohnen.
Worte können nicht ausdrücken, was diese Angelegenheit für mich bedeutet und wie ich Ihnen danken möchte. Ich vertraue darauf, dass Sie mich trotzdem verstehen ...
In ganz ergebener Verehrung
Wenn in Wien die Rosen blühen...
- Wenn in Wien die Rosen blühen,
Wenn der Himmel herrlich blaut,
Und des Jünglings Augen glühen,
Da er seine Liebste schaut. - Klingt’ s nicht aus den Donauwogen
Wie ein wundersames Lied?
Kommt ein Wandersmann gezogen,
Einsam seines Wegs er zieht. - Sieht den Strom der Nibelungen
Und das Herze wird ihm weich.
Stadt der Lieder, vielbesungen,
Stolz und Ruhm von Österreich! - Du verbreitest Lust und Freude
Auf dem ganzen Erdenrund.
Walter von der Vogelweide
Tat einst deinen Ruhm schon kund. - Streunst mit königlicher Geste
Deine holden Gaben aus
Lädst zum frohen Völkerfeste
Alle in das Vaterhaus. - Nicht allein im Reich der Töne
Übst du deine Zaubermacht,
Stadt der Lieder, deine Söhne
Halten scharfe Donauwacht.
Hermann Lampl
gestorben zu Wien am 28/VIII/36 (im Nachlass gefunden)
Enstanden in Wien 10/VI/1933 in seinem heissgeliebten Augarten, wo jeder Baum und jeder Strauch ihn an Österreichs Glück und Grösse erinnerte.
Meine Schwester in Wien hat sich schon dafür interessiert, nach Amerika auswandern zu können, aber die Formalitäten dauern lang und die Familie hat in ihrem kleinen Markengeschäft den „staatlichen Verwaltungsbeamten" sitzen, der dafür sorgt, dass ihnen von ihrem kleinen Vermögen nicht allzu viel übrigbleibt. Und wenn die Leute nicht ausserdem auch seelisch zugrundegehen sollen, so müssen sie bald weg!