Rechenschaftsbericht der Regierung an den Landtag für das Jahr 1945 [1]
o.D. (1946)
d) Der Flüchtlingsstrom bei Kriegsende
Mit dem Zusammenbruch der Fronten setzte an der nördlichen Grenze unseres Landes ein sehr starker Flüchtlingsstrom ein. Die Regierung hatte bereits schon im Nachwinter 1945 zum Schutze der Grenze einen Stacheldrahtzaun errichten lassen und im April die Hilfspolizei verstärkt durch Neueinstellungen. Ende April begann sich der Strom der Flüchtlinge bei Schaanwald zu stauen. Alle andern Grenzübergänge waren bereits Mitte April geschlossen worden. Der Postverkehr mit Deutschland blieb bis Ende 1945 eingestellt. Die Schweizerische Grenzwache war ebenfalls verstärkt worden. Hereingelassen wurden Personen unter Anwendung der gleichen Grundsätze wie in der Schweiz, also in erster Linie eigene Landsleute und ehemalige Liechtensteinerinnen sowie ehemalige Schweizerinnen. Daneben aber gelangten unter Einhaltung einer genauen Kontrolle weitere Tausende von Flüchtlingen über die Grenzstelle Schaanwald in unser Land, die an der Grenze durch freiwillige Helfer eine erste Verpflegung erhielten, jedoch dank dem Entgegenkommen der Schweiz von dieser übernommen und nach den schweizerischen Sammellagern abtransportiert wurden.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Mai überschritten Angehörige der 1. Nationalrussischen Armee und Zivilpersonen als Mitläufer in Schellenberg die Grenze, konnten jedoch entwaffnet, zum Teil wieder über die Grenze zurückgeschickt werden, insbesondere Zivilpersonen, darunter auch der russische Grossfürst [Wladimir Kirillowitsch Romanow] und ein österreichischer Erzherzog. Ein Grossteil dieser Personen kehrte im Laufe des Jahres wieder über die liechtensteinisch–österreichische Grenze zurück. Bis Ende Mai waren 160 Personen wieder freiwillig zurückgekehrt. Eine Truppe folgte der Einladung Russlands zur Rückkehr in die Heimat, so dass auf Ende des Jahres noch 146 Personen als Internierte sich hier aufhielten.
Der 8. Mai 1945 wurde offiziell als Tag der Beendigung des Krieges bezeichnet. In der Schweiz und in Liechtenstein läutete man aus diesem Anlass die Kirchenglocken.
Die nachstehenden Zahlen geben eine Übersicht über den Flüchtlingszustrom an der Grenzstelle Schaanwald in der Zeit vom 25. April bis 2. Mai 1945:
Franzosen | 3424 |
Russen | 1254 |
Polen | 759 |
Belgier | 469 |
Italiener | 331 |
Holländer | 278 |
Schweizer | 156 |
Griechen | 153 |
Liechtensteiner | 121 |
Kroaten | 91 |
Serben | 60 |
Jugoslawen | 49 |
Luxemburger | 45 |
Deutsche | 42 |
Spanier | 25 |
Ungarn | 20 |
Staatenlose | 18 |
Lettländer | 15 |
Bulgaren | 12 |
Tschechoslowaken | 10 |
Litauer | 9 |
Syrier | 6 |
Inder | 6 |
Rumänen | 5 |
Estländer | 4 |
Kanadier | 3 |
Norweger | 2 |
Portugiesen | 1 |
Montenegriner | 1 |
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[1] Rech.ber. 1945, S. 65f.