Der „Liechtensteiner-Verein von St. Gallen und Umgebung“ fordert unter Verweis auf die Rechtslage in der Schweiz die Einführung der Zivilehe in Liechtenstein


Beitrag von Anton W. im III. Band des Jahrbuches des „Liechtensteiner-Vereins von St. Gallen und Umgebung [1]

September 1920, St. Gallen

Die Liechtensteiner in der Schweiz und die Civilehe

Von einem Mitglied des Liechtensteiner Vereines von St. Gallen und Umgebung

Wer die Zustände in unserem kleinen Heimatlande und insbesondere das Verhältnis zwischen unseren staatlichen und kirchlichen Behörden kennt, der wird über die Abweisung der Forderung der organisierten Liechtensteiner in der Schweiz nach Einführung der Zivilehe wohl nicht sehr überrascht worden sein. Es war zu erwarten, dass unsere Regierung die Interessen der Kirche höher stellen werde als die ihrer Staatsbürger in der Schweiz. Aber man kann die Frage aufstellen, ob eine Ablehnung unseres sachlich begründeten Verlangens notwendig, ob sie wirklich im Interesse der Kirche gelegen war. Wenn dem so wäre, müsste der Beweis in den Ländern, welche die Einrichtung der bürgerlichen Ehe schon längst besitzen, dadurch geschwächt und gehemmt worden ist. Unseres Erachtens ist dieser Beweis nicht zu erbringen. Wohl zeigen sich in allen Staaten, besonders in solchen, die man wegen des starken Überwiegens des katholischen Elements, katholische nennt, kirchenfeindliche Strömungen; aber wenn man den Ursachen dieser bedauerlichen Erscheinungen nachgeht, wird man finden, dass sie viel tiefer liegen und in keiner Beziehung stehen zu einer bürgerlichen Einrichtung, wie die Zivilehe eine ist. Diese ist nicht kirchenfeindlich oder gar irreligiös, sie beschränkt kein Recht der Kirche; die bürgerliche Trauung schliesst die kirchliche nicht aus. Der Staat verlangt ja nur, dass die erstere der letzteren vorausgehe und dass die Ehe auch solchen ermöglicht sei, die nicht einer Kirche angehören. Der Zweck jeder Ehe ist die Gründung einer Familie. Diese aber ist das Fundament des Staates. Wie die Zelle das Elementarorgan jedes lebenden organischen Wesens bildet, so baut sich auf der Familie die Gemeinde und auf dieser der Staat auf. Die Ehe ist also an erster Stelle eine bürgerliche Einrichtung und unterliegt den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, ohne deren Einhaltung sie nicht in Rechtskraft treten kann. Die Ziviltrauung erfolgt auf dem Standesamt durch den Standesbeamten in Gegenwart von zwei Zeugen. Sie ist verbunden mit einer Ansprache des Funktionärs an die Brautleute, in welcher diesen die Pflichten der Eheleute eindringlich klar gemacht werden. Der Standesbeamte, dem die Führung der Zivilstandesregister (Geburts-, Heirats- und Sterberegister) obliegt, hat die vollzogene Trauung ordnungsgemäss einzutragen und den Trauschein auszustellen.

Diese Einrichtung besassen im Jahre 1912 sämtliche Länder ausser Kroatien, Slavonien, Russland und Liechtenstein.

Nach der Auffassung der evangelischen Kirche hat aber die Ehe auch einen sittlich- religiösen Inhalt und die katholische wie die griechische Kirche erblicken in ihr zudem ein Sakrament. Diese Auffassung bedingt einen kirchlichen Akt, die Trauung durch den zuständigen Pfarrer in Gegenwart von zwei Zeugen. Die katholische Kirche stützt sich hierbei auf eine Entschliessung des Konziliums von Trient (1545 bis1563) und hat seitdem die Zivilehe grundsätzlich verdammt, in der Praxis hingegen sich derselben in allen Staaten angepasst, indem sie der staatlichen Vorschrift, es dürfe keine kirchliche Trauung ohne vorausgegangene bürgerliche staatfinden, nachlebt.

Also sehen wir Liechtensteiner in der Schweiz, wie die Brautleute aller Bekenntnisse zuerst den Weg zum Standesamte ihrer Wohngemeinde nehmen, um dort getraut zu werden. Vom Standesamte gehts zur Kirche zur kirchlichen Trauung und so ist nun den staatlichen und kirchlichen Vorschriften Genüge geleistet. Und wenn die beiden Gatten alle jene Eigenschaften besitzen, welche zu einer glücklichen Ehe erforderlich sind, mag es gut gehen!

Die Wenigen aber, die den Weg zur Kirche nicht finden, sind eben solche, welche nicht bloss den kirchlichen Charakter der Ehe leugnen, sondern überhaupt nicht mehr auf kirchlichen Boden stehen. Sie sind nicht mehr Glieder einer kirchlichen Gemeinschaft mit bestimmtem Bekenntnis, sie sind auf sich selbst gestellt und nennen sich „konfessionslos“. Von seiten der Gläubigen werden sie gewöhnlich auch als religionslos bezeichnet, und es hat Käuze darunter, die sich selber so nennen, weil sie keine klaren Begriffe von Religion und Konfession besitzen oder weil sie etwas „Appartigs“ sein wollen. Ob sie wirklich religionslos sind, zeigt sich nur in grossen Lebensnöten. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass es eine Art Menschen gibt, die keiner bestimmten Religion zugehören und doch das besitzen, was das Grundwesen der Religion bedeutet. Diese Menschen zeigen durch ihr Tun und Lassen, dass sie nach sittlichen Grundsätzen handeln, sie unterordnen ihren natürlichen Willen einer sittlichen Weltordnung, die ihren Ursprung in einem höchsten Wesen hat, das wir in Hinsicht seines Verhältnisses zur Welt und zum Menschen Gott nennen. Wer zum Wohle anderer wirkt, handelt sittlich, und wer sittlich handelt, weil es Gottes Wille ist, ist ein religiöser Mensch.

Auf der anderen Seite, bei den religiösen Gemeinschaften, finden wir aber auch verschiedenartige Elemente. Die tägliche Erfahrung lehrt uns sie kennen. Wer etwa glaubt, alle Menschen, welche mit mehr oder weniger Eifer den kirchlichen Vorschriften nachkommen, seien gute oder religiöse Menschen, wird durch das Zusammenleben mit denselben sehr häufig zu seinem Schaden eines anderen belehrt. Besonders die Erfahrungen des Weltkrieges haben uns gezeigt, wie schamlos und niederträchtig sogenannte Christen ihre Mitmenschen plündern, wenn die Situation dafür günstig ist. Solche Menschen schänden den schönen Christennamen und schaden natürlich auch der Kirche, der sie angehören und dem Ansehen ihrer Glaubensgenossen, die mit ihnen die Kirchen besuchen, mit ihnen beten und die heiligen Sakramente empfangen, die aber wissen, dass ein Christ vor allem Gottes Gebote halten muss, um ein guter Christ zu sein und dass das Leben eines Christen ohne Gott nichts ist als eine Kette von Lügen, mit deren letzter auf den Lippen er stirbt.

Man mag nun über konfessionslose Menschen denken wie man will; man mag sie entschuldigen, bemitleiden oder verurteilen; darüber sollte man sich klar werden, dass ein erwachsener Mensch nicht zu einer kirchlichen Handlung gezwungen werden darf. Die Geschichte der Kirche sowohl als die Erfahrungen der einzelnen Menschen lehren eindringlich, welche schlimmen Folgen ein Zwangssystem für das religiöse Leben zeitigt. Überredung durch Wort und Schrift und das gute Beispiel einer wahrhaft christlichen Lebensführung der Gläubigen und der Geistlichkeit vermag vieles, der Geist Gottes vermag alles!

Dass übrigens die katholische Kirche es nicht nötig hat, dass der Staat durch dahinzielende Vorschriften ihr seinen Arm leiht, erhellt aus ihrer Stellung in den Ländern, wo ihre Macht durch die Gewalt des Staates beschränkt ist, wo sie auf den Gebieten, die nicht rein religiöser Natur sind, als der Staatsgewalt untergeordnet erscheint. Ist nicht gerade dort die Wirksamkeit der Geistlichen am stärksten, das kirchliche Leben der Gläubigen am regsten; haben nicht gerade dort die geistlichen Führer ihre Gläubigen am sichersten in den Händen, wenn es gilt, sie gegen die Gegner der Kirche in den politischen Kampf zu führen? – Ein gutes Beispiel bietet gerade die paritätische Schweiz und das beste die Vereinigten Staaten, wo die Religion als Privatsache gilt und ein überaus kraftvoller Katholizismus aufgeblüht ist.

Wir hoffen, mit unseren Ausführungen klargelegt zu haben, dass die Einführung der Zivilehe in keinem Staate, also auch nicht in Liechtenstein, eine Gefahr für die katholische Kirche oder gar die Religion in sich bergen kann. Es erhellt ferner aus der Zuschrift des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements, dass ohne Zurückziehung der liechtensteinischen Verordnung über Eingehung einer Ehe liechtensteinischer Staatsbürger in der Schweiz nur gehoben werden können durch Anerkennung der bürgerlichen Ehe von seiten der fürstlichen Regierung. Unsere geneigten Leser wissen ferner, dass diese unsere Eingabe abgelehnt ist und sehen somit, dass die Sache auf den toten Punkt gelangt ist.

Und nun wollen wir zum Verständnis solcher, die den Bericht über die Delegiertenversammlung in Zürich vom 20. Juni d. J. [2] nicht gelesen haben, den ganzen Sachverhalt, soweit er uns angeht, in möglichster Kürze vorführen:

Die Schweiz besitzt (seit 1875) die Einrichtung der obligatorischen Zivilehe. Die kirchliche Trauung ist eine rein kirchliche Sache. Nun ist der Fall vorgekommen, dass ein liechtensteinischer Staatsbürger sich nur bürgerlich trauen liess. Auf dies hin hat die fürstlich liechtensteinische Regierung an die schweizerische Regierung die Erklärung angegeben, sie anerkenne nur die kirchliche Ehe. Die Erklärung hat natürlich zur Folge, dass die aus bürgerlicher Ehe erzeugten Kinder heimatlos würden. Um ihre Gemeinden vor Schaden zu bewahren, verlangen nun die schweizerischen Behörden von jedem liechtensteinischen Staatsangehörigen eine Kaution von Fr. 3000.-, die er vor der bürgerlichen Trauung zu erlegen hat und erst nach erfolgter kirchlicher Trauung zurückerhält. [3] Also können Liechtensteiner in der Schweiz seit dieser Zeit nur mehr heiraten, wenn sie über alle Heiratskosten hinaus noch Fr. 3000.- zur Verfügung haben. Jedermann weiss, wie es nach den langen Kriegsjahren mit den Arbeitern und einfachen Angestellten steht. Ihnen ist die Heirat in der Schweiz einfach verunmöglicht.

Also müssen sie in ihre Heimatgemeinde reisen und sich von ihrem Pfarrer trauen lassen. [4] Das ist heute eine umständliche und teuere Sache; aber schliesslich muss man froh sein, überhaupt heiraten zu können. Aber nun zeigt sich der Fuchsschwanz! In Liechtenstein werden bekanntlich nur katholische Brautleute getraut. Ist die Braut evangelisch, so wird zwar die Trauung nicht verweigert, aber die Brautleute müssen vor derselben einen Schein unterschreiben, in welchem sie versprechen, die ihrer Ehe entspriessenden Kinder in der katholischen Religion zu taufen und erziehen zu lassen. Zu einer solchen Trauung bedarf es zudem noch einer Dispens des Bischofs, für die an denselben eine Abgabe zu entrichten ist. Sind die Brautleute aber nicht willens, den erwähnten Schein zu unterschreiben, werden sie auch nicht getraut.

Unmöglich ist das Heiraten in Liechtenstein selbstredend den Liechtensteinern evangelischer Konfession, weil es hier keine evangelischen Pfarrämter gibt. Bleibt noch der konfessionslose Liechtensteiner. Hat er die 3000 Franken nicht, kann er überhaupt nicht heiraten, hat er sie, verliert er sie durch seine Heirat.

Solche Zustände in einem Staate müssen als unhaltbar bezeichnet werden, und es wird nächste Aufgabe des Zentralkomitees der liechtensteinischen Vereine in der Schweiz sein, Mittel und Wege zu suchen, dem Übelstande abzuhelfen. Vorstehende Zeiten aber haben nur den Zweck, das Volk in der Heimat über die Angelegenheiten aufzuklären. [5]

______________

[1] Anton W.: Die Liechtensteiner in der Schweiz und die Civilehe. In: Liechtensteiner Verein von St. Gallen und Umgebung, Jahrbuch 1920, Hg. Gustav A. Matt, S. 47-52  (LiLB FLJ X 128 1920 A). Vgl. O.N., Nr. 99, 18.12.1920, S. 1 („Das Jahrbuch des Liechtensteiner-Vereines St. Gallen und Umgebung“).
[2] Vgl. O.N., Nr. 52. 30.6.1920, S. 1-2, hier S. 1 („Bericht der Delegierten-Versammlung der Liechtensteiner in der Schweiz“). Siehe insbesondere Punkt 6. der Resolution der Liechtensteiner-Vereine in der Schweiz an die liechtensteinischen Gesandtschaften in Bern und Wien: „Die Liechtensteiner in der Schweiz verlangen die unverzügliche gesetzliche Anerkennung der Zivil-Ehe gleich wie in der Schweiz. Da die gegenwärtigen Bestimmungen die Eheschliessungen in der Schweiz erschweren, viele in der Schweiz wohnende Landsleute in eine fatale Situation brachten und einen Eingriff in die laut der Verfassung gewährleistete Religionsfreiheit machen, drückten die Versammelten die Dringlichkeit der Erledigung dieser brennenden Frage und erklärten ihr vermehrten Kampf.“ – Vgl. hiezu L.Vo., Nr. 59, 24.7.1920, S. 1 („Die Liechtensteiner in der Schweiz und die Zivilehe“) sowie L.Vo., Nr. 62, 4.8.1920, S. 2 („Zuschrift“).
[3] Vgl. das Kreisschreiben des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements vom 12.7.1912 bzw. das Schreiben des Departements des Innern des Kantons St. Gallen an die Bezirksämter und Zivilstandsbeamten vom 16.7.1912. Abgedruckt in: O.N., Nr. 52. 30.6.1920, S. 1-2, hier S. 1 („Bericht der Delegierten-Versammlung der Liechtensteiner in der Schweiz“).
[4] Vgl. etwa das Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an Albin Laternser vom 20.2.1913 (LI LA RE 1913/0556 ad 0010), wonach von den Brautleuten die Erklärung abverlangt wurde, sich kirchlich trauen zu lassen.
[5] Vgl. in diesem Zusammenhang das Protestschreiben von Landesvikar Johann Baptist Büchel an die Regierung vom 28.5.1923 gegen die Anerkennung der von Heinrich Nutt in Chur geschlossenen Zivilehe in Liechtenstein (LI LA RE 1923/1904).