Landesverweser Leopold von Imhof lehnt eine diplomatische Intervention zugunsten des F.L. Landrichters Franz Josef Erne, der als österreichischer Offizier in russische Kriegsgefangenschaft geraten ist, als neutralitätspolitisch bedenklich ab


Nicht gez. maschinenschriftliche Teilabschrift aus einem Schreiben von Landesverweser Leopold von Imhof an Hofkanzleileiter Hermann von Hampe [1]

29.5.1915

Auszug

aus dem an den Herrn fürstl. Hofrat Dr. Hermann von Hampe gerichteten Schreiben vom 29. Mai 1915

… Anschliessend daran gestatte ich mir, eine mir gestern vom Landrichter Dr. [Franz Josef] Erne zugekommene Karte [2] zu übermitteln, in welcher derselbe um Erwirkung der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft bittet. [3] Allfällige Schritte zur Erreichung dieses Zweckes bedürften wohl einer sehr umständlichen diplomatischen Intervention, deren Einleitung mir nicht zusteht. Falls Euer Hochwohlgeboren dieser Sache aber näher zu treten geneigt wären, würde ich der fürstlichen Hofkanzlei die nötige amtliche Unterlage für ein bezügliches Anlangen liefern. Wenn es mir erlaubt ist, meiner persönlichen Auffassung des Gegenstandes Ausdruck zu geben, möchte ich Nachstehendes hiezu bemerken:

Ich selbst würde die Rückkehr Dr. Erne's, den ich als tüchtigen Beamten hochschätze, sehr begrüssen. Zwingende amtliche Gründe für seine Rückkehr liegen jedoch nicht vor, da sowohl Dr. [Julius] Thurnher [4] als auch Regierungssekretär [Josef] Ospelt die richterlichen respektive staatsanwaltschaftlichen Geschäfte vollkommen klaglos bewältigen. Politische Rücksichten lassen es mir vielmehr nicht unbedenklich erscheinen, die Verhältnisse Liechtensteins zu Österreich den Vertretern fremder Staaten gegenüber in jenem Masse darzustellen, das zur Erreichung obigen Zieles notwendig wäre, und hiedurch etwa die Frage der liechtensteinischen Neutralität irgendwie neuerlich aufzurollen. Diese jetzt glücklich anerkannte Neutralität steht auf so schwachen Füssen und ist für das Land so wertvoll, dass ich daran in keiner Weise gerührt wissen möchte und lieber auf Dr. Erne weiter verzichte. [5]

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[1] LI LA SF 01/1915/20. Handschriftlicher Verweis auf die Akte: 4/1802 1875/Reg. Jg. 1915 (Konzeptschreiben des Landesverwesers Leopold von Imhof (LI LA RE 1915/1875 ad 0004/1802)). Einlaufvermerk der Regierungskanzlei vom 31.5.1915. Am Ende des Dokumentes ist handschriftlich die russische Adresse Franz Josef Ernes angeführt ("Barnaul, Gouvernement Tomsk, Sibirien").     
[2] Die Karte datiert vom 26.4.1915 (Beilage zu LI LA SF 01/1915/21).
[3] Der österreichische Staatsangehörige Erne, der auf Grundlage des österreichisch-liechtensteinischen Justizverwaltungsvertrages von 1884 im August 1912 die Geschäfte eines liechtensteinischen Landrichters übernommen hatte, war im September 1914 zum 2. Tiroler Landsturmregiment einberufen worden. Nach der Kapitulation der Festung Przemysl in Galizien war er am 22.3.1915 in russische Kriegsgefangenschaft geraten.
[4] Der Vorarlberger Julius Thurnher, bereits als provisorischer Richter in liechtensteinischen Diensten tätig, war vom k.k. Justizministeriums am 25.11.1914 vom 1.12. an auf unbestimmte Zeit zum Zwecke der richterlichen Betätigung am liechtensteinischen Landgericht beurlaubt worden (vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Hofkanzlei an die liechtensteinische Regierung vom 28.11.1914 unter LI LA SF 01/1914/095 (Aktenzeichen der Hofkanzlei: No. 17.837)).
[5] Vgl. das Antwortschreiben von Hofkanzleileiter Hampe an Landesverweser Imhof vom 2.6.1915 (LI LA SF 01/1915/21(Aktenzeichen der Hofkanzlei: No. 6409)): "… so bin ich der Ansicht, dass im diplomatischen Wege überhaupt keine wirksame Hilfe gewährleistet werden kann, weil Dr. Erne als österreichischer Offizier in Kriegsgefangenschaft geraten ist."