Nach Einschätzung der fürstlichen Hofkanzlei kommt eine diplomatische Intervention der USA zwecks Freilassung des F.L. Landrichters Franz Josef Erne, der sich als österreichischer Offizier in russischer Kriegsgefangenschaft befindet, nicht in Betracht


Maschinenschriftliches Schreiben von Hofkanzleileiter Hermann von Hampe, gez. ders., an Landesverweser Leopold von Imhof [1] 

2.6.1915, Wien

Euer Hochwohlgeboren!

Hochgeehrter Herr Landesverweser!

In Beantwortung des hoch geschätzten Schreibens vom 29. Mai 1915 / 1. Juni [2] danke ich zunächst für die mir mitgeteilte Abschrift der bezüglich der diesjährigen Alpfahrt nach Vorarlberg an die Ortsvorsteher des Unterlandes ergangenen Verständigung. –

Was den Fall des Herrn Landrichters Dr. [Franz Josef] Erne betrifft, dessen an Euer Hochwohlgeboren gerichtete Karte [3] ich gleichfalls dankend, sub ./1 zurückschliesse – so bin ich der Ansicht, dass im diplomatischen Wege überhaupt keine wirksame Hilfe gewährt werden kann, weil Herr Dr. Erne als österreichischer Offizier in Kriegsgefangenschaft [4] geraten ist.

Ein Ansuchen an die amerikanische Gesandtschaft [5] um diplomatische Intervention würde daher von dieser zweifelsohne abgelehnt werden.

Ich glaube daher vorschlagen zu müssen, dass wir abzuwarten haben, bis sich im Wege einer Auswechslung von Kriegsgefangenen die Möglichkeit einer Hilfeleistung bieten wird.

In diesem Falle wird als dann sowohl von hier, als auch von Seite der fürstlichen Regierung, Alles aufgeboten werden, um die Einbeziehung des Herrn Dr. Erne in die Auswechslung zu erwirken.  

Wenn Euer Hochwohlgeboren diese meine Anschauung teilen und es möglich ist, Herrn Dr. Erne hievon Nachricht zu geben, [6] würde ich Euer Hochwohlgeboren bitten, dies zu tun.

Genehmigen Euer Hochwohlgeborenen den erneuerten Ausdruck vorzüglichster Hochachtung, womit ich verbleibe

Euer Hochwohlgeboren

Ergebenster

______________

[1] LI LA SF 01/1915/21 (Aktenzeichen der fürstlichen Hofkanzlei: No. 6409). Einlaufvermerk der liechtensteinischen Regierung vom 4.6.1915.
[2] Vgl. LI LA SF 01/1915/20 bzw. LI LA RE 1915/1875 ad 0004/1802.
[3] Karte vom 26.4.1915 (Beilage zu SF 01/1915/21). 
[4] Am 22.3.1915 infolge der Kapitulation der öst. Festung Przemysl in Galizien.
[5] Mit Kriegsausbruch war die Vertretung der österreichisch-ungarischen sowie der liechtensteinischen Interessen im Ausland von den diplomatischen Missionen der USA übernommen worden. Dies galt bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Österreich-Ungarn am 8.4.1917. Danach übernahm Schweden die liechtensteinische Vertretung in den USA und Grossbritannien; für die Vertretung in Frankreich war die Schweiz und für jene in Russland war Dänemark zuständig.
[6] Vgl. das Schreiben von Landesverweser Imhof an Berta Erne vom 4.6.1915, wonach die derzeitige Entlassung ihres Gatten aus der Kriegsgefangenschaft im diplomatischen Weg nicht erwirkt werden könne (LI LA SF 01/1915/21). Erne verblieb bis zum 4.3.1920 in Kriegsgefangenschaft. – Vgl. zu dieser Thematik auch L.Vo., Nr. 21, 25.5.1917, S. 1-2 („Zur Abberufung Dr. Erne's“) sowie den Bericht von Alt-Landesverweser Imhof an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 18.9.1919 (LI LA V 003/1332 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: Nr. 77/3)).