Der Liechtensteinische landwirtschaftliche Verein ersucht die Regierung, beim Landtag eine Notstandsvorlage zur Linderung der drohenden Viehfutternot einzubringen


Einsendung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

10.10.1913

Landwirtschaft (Einges.)

Der Ausschuss des landwirtschaftlichen Vereins hielt letzten Sonntag [2] im „Engel" in Vaduz eine Sitzung ab, in welcher der Vereinsvorstand [Rudolf Schädler] die gegenwärtige missliche Lage unserer Landwirtschaft in folgender Weise schilderte: Die Jahre 1912 und 1913 sind für unsere Landwirtschaft als Fehljahre zu bezeichnen. Während im verflossenen Jahre die grosse Ausfuhr von Vieh, welche zirka 430'000 Kronen Geld ins Land brachte, noch einigermassen die übrigen Ausfälle deckte, fällt im laufenden Jahre dieser Ausgleich weg.

Durch die seit 4 Monaten dauernde und immer weiter sich ausbreitende Maul- und Klauenseuche ist unser Viehhandel gänzlich lahmgelegt. Es ist leider mit Sicherheit anzunehmen, dass vor dem kommenden Frühjahr eine Öffnung unserer Grenze für die Viehausfuhr kaum möglich sein wird. Nach den Erhebungen unseres Vereins hat Liechtenstein in den letzten 25 Jahren jährlich 700 – 1200 Stück Vieh ins Ausland verkauft. Die hiesigen Landwirte sind deshalb gezwungen, wenigstens 1000 Stück Vieh mehr zu überwintern und haben infolge dessen statt mit einer erheblichen Einnahme, mit einer grossen Mehrbelastung zu rechnen. Wenn die heurige Heuernte auch im allgemeinen befriedigend ausgefallen ist, so erleidet dieselbe doch einen merklichen Ausfall, durch die vielen Heuvorräte, welche wegen der Maul- und Klauenseuche in die Alpen geschafft werden mussten, ferner durch den Umstand, dass mehrere Gemeinden wegen Futtermangel gezwungen waren, das Vieh bedeutend früher von den Alpen zu treiben.

Mit Rücksicht dessen und der bereits erwähnten bedeutenden Mehrüberwinterung von Vieh ist leider anzunehmen, dass schon im Nachwinter eine allgemeine Futternot sich bemerkbar machen wird. Unsere Landwirte aber, welche infolge der Missjahre und der Unmöglichkeit, Vieh abzusetzen, keine Erlöse finden können, sind zum grössten Teil nicht mehr in der Lage, die nötigen Geldmittel zum Ankauf von Futtermittel aufzubringen. In dieser bedrängten Lage findet sich für unsere Landwirtschaft kein anderer Weg, als die Mithilfe des Landes anzusuchen.

Über Antrag des Vereinsvorstandes beschloss hierauf der Ausschuss, die fürstliche Regierung zu ersuchen, beim Landtage eine Notstandsvorlage zur Linderung der drohenden Futternot befürwortend einzubringen. [3] Zur Organisation der Notstandsaktion unterbreitete der Ausschuss der fürstlichen Regierung verschiedene Vorschläge zur geneigten Würdigung.

In diesen wurde empfohlen, von Landeswegen eine eigene Notstandskommission zu bilden, welche die nötigen Futtermittel im Grossen aus Landesmitteln anzukaufen und den einzelnen Gemeinden zuzuweisen hätte; ferner sollen die hierländischen Landwirte durch öffentlichen Aufruf aufgefordert werden, ihren Bedarf an Heu und Kraftfuttermitteln bei den betreffenden Gemeindevorstehungen anzumelden, in die Gemeinden sollen von den betreffenden Gemeinderäten eigene Lokalkommissionen bestellt werden, welchen die Aufgabe zufällt, die eingegangenen Bestellungen zunächst nach ihrem wirklichen Bedürfnis zu prüfen, die zugewiesenen Futtermittel in einer geeigneten Niederlage aufzubewahren und den einzelnen Bestellern zuzuweisen. Endlich sollen diese Kommissionen über die zugeteilten Futtermittel Rechnung führen und den Einzug der fälligen Beträge besorgen.

Hinsichtlich der Rückzahlung stellte der Ausschuss in der Eingabe an die fürstliche Regierung das Ansuchen, dass von Seite des Landes jedem Abnehmer ein zinsfreier Termin von 1 Jahr und bei Baarzahlung ein Rabatt von 4 Prozent gewährt werden möge.

Als anzukaufende Futtermittel hat der Ausschuss Heu, Mais, Hafer und Leinkuchenmehl vorgeschlagen. [4]

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[1] L.Vo., Nr. 41, 10.10.1913, S. 1-2. Zur Notlage der Landwirtschaft aufgrund der Maul- und Klauenseuche vgl. die Eröffnungsrede von Landtagspräsident Albert Schädler in der öffentlichen Landtagssitzung vom 8.11.1913 (L.Vo., Nr. 46, Erstes Blatt, 14.11.1913, Beilage („Bericht über die Landtagssitzung vom 8. November 1913“)).
[2] Dieser Sonntag fiel auf den 5.10.1913.
[3] Vgl. das Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an den Landtag vom 5.11.1913 zum Begehren des landwirtschaftlichen Vereins (LI LA LTA 1913/L06 (Aktenzeichen der Regierung: 2998)). Vgl. auch die Besprechung des Landesverwesers mit den Ortsvorstehern am 14.11.1913 (L.Vo., Nr. 47, 21.11.1913, S. 1 ("Landwirtschaft")).
[4] Die mit der Sache befasste Finanzkommission empfahl dem Landtag, entsprechend dem Vorschlag der Regierung, einen Kredit von 50'000 Kronen aus der Landeskasse ohne Zins für ein Jahr zu bewilligen. Zugleich wurde die Regierung ersucht, im Einvernehmen mit dem landwirtschaftlichen Verein zur Beschaffung der Futtermittel eine landschäftliche Notstandskommission aus Fachleuten zu bestellen (Punkt 1 der Tagesordnung des Landtagspräsidiums für die auf den 18. und 20.12.1913 anberaumten Landtagssitzungen (LI LA LTA 1913/L01)). In der öffentlichen Landtagssitzung vom 18.12.1913 wurde der Kommissionsantrag einstimmig genehmigt (LI LA LTA 1913/S04/2). Landtagspräsident Schädler führte dabei aus: „Dass diese Angelegenheit erste heute zur Beschlussfassung kommt, liegt in der Lässigkeit der Gemeinden bezüglich der Futterbestellung.“ – Zur Tätigkeit der Notstandskommission, die am 22.12.1913 ihre Arbeit aufnahm, vgl. den Bericht von Regierungssekretär Josef Ospelt an die fürstliche Hofkanzlei bzw. an Hermann von Hampe vom 12.2.1914 (LI LA RE 1914/0446 ad 0075/0354).