Landtagspräsident Albert Schädler beklagt die Notlage der Landwirtschaft aufgrund der grassierenden Maul- und Klauenseuche


Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 8.11.1913 im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

14.11.1913

Bericht über die Landtagssitzung vom 8. November 1913

Der Präsident [Albert Schädler] eröffnet die Sitzung und erklärt den Landtag auf Grund der landesherrlichen Bestätigung der Wahl des Präsidiums als konstituiert. Er führt dann aus, dass wir dieses Jahr unsere Arbeiten beginnen zu einer Zeit, in welcher unser Land von Missgeschicken heimgesucht werde, die besonders schwer auf unserer landwirtschaftlichen Bevölkerung lasten. War schon das vorige Jahr in mancher Hinsicht ein Fehljahr, so sei das jetzige durch mehrere ungünstige Ereignisse ein Missjahr geworden, wie wir seit Jahrzehnten keines mehr erlebt haben. – Im März der grosse Brand in Triesen, [2] der für die Betroffenen umso empfindlicher geworden sei, als sie sehr teuer wieder aufbauen mussten und eine verhältnismässig nur geringe Beihilfe erhielten. Der April brachte den ganz ungewöhnlich starken Frost, welcher jede Aussicht auf eine Obst- und Weinernte schon im Keime vernichtet habe. Dann folgte der nasskalte Sommer und zugleich noch ein viel schlimmerer Feind, die Viehseuche, welche die Alpen und das ganze Oberland durchwanderte und bis heute noch nicht erloschen sei. Die dadurch bedingte Viehsperre, die auch das Unterland treffe, welches ohnehin durch das Darniederliegen der Stickereiindustrie [3] hart mitgenommen sei, verhindere jeden Verkauf und damit den Haupterlös unserer Landwirtschaft. [4] Dazu kommen noch die Klagen über Mangel an Verdienstquellen und die steigende Geldknappheit. Es sei ersichtlich, dass alle diese ungünstigen Umstände zusammen wie eine Katastrophe auf unser Land wirken und noch nachhaltigen Schaden bringen werden. [5] Zu dieser misslichen wirtschaftlichen Lage, die eine wahre Notlage geworden sei, habe der Landtag Stellung zu nehmen, er habe die ernste Pflicht und zweifellos die auch den guten Willen, soviel als möglich zu helfen. Wir werden uns daher nebst den andern vorliegenden Arbeiten speziell mit dieser Notlage und den Mitteln, derselben zu steuern, eingehend zu beschäftigen haben. Mögen daher die bevorstehenden Beratungen und Beschlüsse zum Wohle und Nutzen des Landes ausfallen und Gottes Segen auf ihnen ruhen. Der Präsident schliesst dann seine Ansprache mit folgenden Worten: „Bevor wir aber, meine Herren, unserer Arbeiten beginnen, wollen wir unserer alten schönen Übung gemäss unseres allgeliebten Landesfürsten [Johann II.] gedenken. Er ist es, zu dem wir in guten Tagen, aber auch in den Zeiten der Not in Liebe und Ehrfurcht vertrauensvoll hinblicken, er ist es, der als besorgter Landesvater uns schon manche Wohltat erwiesen und manche Not gelindert hat. Wir wollen unserer Dankbarkeit, unserer unwandelbarer Treue und Anhänglichkeit an unseren vielgeliebten Landesherrn feierlich Ausdruck geben und ich bitte Sie daher, mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Durchlaucht, unser Landesfürst Johann II., den der liebe Gott noch viele Jahre in rüstiger Gesundheit erhalten möge, er lebe Hoch.“

Die Versammelten stimmen begeistert in das Hoch ein. Nach dieser Huldigung wird das Protokoll der Eröffnungssitzung vom 29. Oktober verlesen und genehmigt.

Der Regierungskommissär [Karl von In der Maur] legte nun verschiedene Einläufe vor (darunter ein motiviertes Gesuch des landwirtschaftlichen Vereins um Durchführung besonderer Massnahmen zur Bekämpfung der jetzige Notlage, [6] und mehrere Subventionsgesuche), welche der Kommission zur Vorberatung überwiesen werden.

Dann wird zur Tagesordnung geschritten.

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[1] L.Vo., Nr. 46, Erstes Blatt, 14.11.1913, Beilage. Im betreffenden Landtagsprotokoll vom 8.11.1913 findet sich die Eröffnungsrede Schädlers lediglich in gekürzter Fassung wieder (vgl. LI LA LTA 1913/S04/2).  –  Zur Problematik der in Liechtenstein grassierenden Maul- und Klauenseuche vgl. etwa L.Vo., Nr. 25, 20.6.1913, S. 1-2 („Alpfahrt“); L.Vo., Nr. 41, 10.10.1913, S. 1-2 („Landwirtschaft“) und L.Vo., Nr. 47, 21.11.1913, S. 1 („Landwirtschaft“). Vgl. ferner den diesbezüglichen Sammelakt unter LI LA RE 1913/0004.
[2] Die Feuersbrunst in Triesen, der 17 Wohnhäuser und ebenso viele Ställe zum Opfer fielen, ereignete sich in der Nacht vom 22. auf den 23.3.1913. Vgl. dazu den Spendenaufruf eines Hilfskomitees unter Pfarrprovisor Peter Oswald Bast in: L. Vo., 28.3.1913, S. 1 („Aufruf!“). 
[3] Vgl. in diesem Zusammenhang das Gesuch der Stickereisektion der liechtensteinischen Gewerbegenossenschaft an den Landtag vom 26.10.1913 um Übernahme der Bezüge eines Stickereifachlehrers durch die Landeskasse für ein weiteres Jahr (LI LA LTA 1913/L12). Zum Zwecke der Ausbildung der Sticker hatte der Landtag schon am 5.12.1912 einen Kredit von 3000 Kronen bewilligt (Schreiben des Landtagspräsidiums an die Regierung vom selben Tag unter LI LA LTA 1912/L21 (Aktenzeichen des Landtags: Z. 19)).
[4] In den vorangegangen 25 Jahren waren jährlich zwischen 700 – 1200 Stück Vieh ins Ausland verkauft worden. Der Viehexport hatte 1913 ca. 400'000 Kronen ins Land gebracht (vgl. L.Vo., Nr. 41, 10.10.1913, S. 1-2 („Landwirtschaft“)). Durch die Mehrüberwinterung von Vieh wurde zudem ein allgemeiner Futtermangel befürchtet (L.Vo., Nr. 47, 21.11.1913, S. 1 („Landwirtschaft“)).   
[5] Gemäss einer Kundmachung der Regierung bzw. des Landesverwesers Leopold von Imhof vom 12.7.1914 (Z. 1920/Reg.) war mit dem Erlöschen der Maul- und Klauenseuche in der Gemeinde Balzers das Gebiet des Fürstentums Liechtenstein wieder seuchenfrei (L.Vo., Nr. 29, 18.7.1914 („Kundmachung“)).
[6] Gemäss Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an den Landtag vom 5.11.1913 hatte der landwirtschaftliche Verein ein Gesuch um Durchführung von besonderen Massnahmen zur Bekämpfung der in Aussicht stehenden Futternot in den landwirtschaftlichen Betrieben eingebracht (LI LA LTA 1913/L06 (Aktenzeichen der Regierung: 2998)). In der öffentlichen Landtagssitzung vom 18.12.1913 wurde hierauf für die Beschaffung von Futtermitteln durch eine von der Regierung im Einvernehmen mit dem landwirtschaftlichen Verein zu bestellende Notstandskommission ein zinsloser Kredit von 50'000 Kronen für ein Jahr bewilligt (Schreiben des Landtagspräsidiums vom selben Tag an die Regierung unter LI LA LTA 1913/L06 (Aktenzeichen des Landtags: Zl. 25)).