Regierungschef Josef Ospelt informiert den Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck über die Stellungnahme der Verfassungskommission zu dessen die Verfassungsrevision betreffenden Forderungen


Maschinenschriftliches Schreiben von Regierungschef Josef Ospelt an den Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck [1]

5.8.1921

Euer bischöflichen Gnaden, Hochwürdigster Herr Bischof!

Euer bischöflichen Gnaden haben zum Entwurfe einer neuen Verfassung für das Fürstentum Liechtenstein [2] den Wunsch geäussert, dass

  1. der § 16 Abs. 1 einen Beisatz erhalte (§ 37 vorbehalten);
  2. in § 37 Abs. 2 nach dem Worte "Staates" beigesetzt werde: nach Massgabe ihrer Rechtsnormen;
  3. in § 38 der letzte Satz durch eine Bestimmung ergänzt werde, wornach gesetzliche Bestimmungen betr. die Verwaltung des Kirchengutes auf Grund einer Vereinbarung mit der kirchlichen Behörde zu erlassen seien;
  4. in § 40 zwischen "Schranken" und "seine" eingesetzt werde: "des Gesetzes und der Sittlichkeit";
  5. der § 71 dahin geändert werde, dass Vereinbarungen zwischen kirchlicher Behörde und Regierung nicht mehr einer Beratung durch den Landtag unterliegen. [3]

Ich habe diese Wünsche nach Besprechung mit Juristen, darunter angesehenen Katholiken der Schweiz, der Verfassungskommission des Landtages und auch den übrigen Abgeordneten mitgeteilt, worüber folgende Stellungnahme der Verfassungskommission platzgegriffen hat:

Der gewünschte Vorbehalt zu § 16 Abs. 1 würde eine gewisse Unklarheit in sich schliessen, da nicht ohne weiteres zu ersehen ist, wie weit eine Beziehung auf diesen oder jenen Punkt des § 37 der Verfassung gegeben ist.

Bei einem Staatsgrundgesetze muss aber betrachtet werden, möglichste Klarheit in dasselbe hineinzulegen.

Der Einsatz zu § 37 "nach Massgabe ihrer Rechtsnormen" begegnet hauptsächlich der Schwierigkeit, dass auf ein Recht Bezug genommen würde, das im Landesgesetzblatt nicht verlautbart werden kann und welches im Falle, als über dessen Auslegung zwischen Kirche und Staat Meinungsverschiedenheiten entstünden, wohl nur von der Kirche rechtsgültig interpretiert werden kann, was unter Umständen einen schweren Eingriff in die Rechte des Fürsten und der Volksvertretung beinhalten würde. Dieser Vorschlag hat daher einhellige Ablehnung der Verfassungskommission gefunden.

Dagegen soll der zweite Absatz des § 37 der Verfassung abgeändert lauten wie folgt:

Die römisch-katholische Kirche geniesst als Landeskirche den vollen Schutz des Staates; anderen Konfessionen ist die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Abhaltung ihres Gottesdienstes innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet.

Dem zu § 38 geäusserten Wunsche Euerer bischöflichen Gnaden soll in der Weise entgegengenommen werden, dass jener Paragraph den Zusatz erhält: "vor dessen Erlassung die kirchliche Behörde zu hören ist".

Der § 40 soll folgende Fassung erhalten:

Jeder Mann hat das Recht durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung innerhalb der Schranken des Gesetzes und der Sittlichkeit seine Meinung frei zu äussern und seine Gedanken mitzuteilen; eine Zensur darf nur öffentlichen Aufführungen und Schaustellungen gegenüber stattfinden.

§ 71 der Verfassung soll fallen gelassen werden.

Die Verfassungskommission glaubt nun, den Wünschen Euer bischöflichen Gnaden soweit entgegengekommen zu sein, als es im Rahmen des Staatsgrundgesetzes eben möglich ist. [4]

Ich meinerseits bitte Sie, hochwürdigster Herr Bischof, diesen Standpunkt wohlwollend zu prüfen und auch zu bedenken, dass das ganze hochfürstliche Haus und der überwiegende Teil der Bevölkerung durch treukatholische Gesinnung für ein gedeihliches Zusammenwirken zwischen Kirche und Staat eine weit sicherere Gewähr bieten, als eine noch so scheinbar entgegenkommende Verfassung, die schliesslich jederzeit geändert werden kann.

Ich glaube beifügen zu sollen, dass voraussichtlich am 23. d.M. der Landtag über die Verfassung endgültig Beschluss fassen wird.

Empfangen hochwürdigster Herr Bischof die Versicherung, dass die fürstl. Regierung es sich stets angelegen sein lassen wird, das beste Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen und dass sie grössten Wert darauf legt, dieses Einvernehmen zu erhalten und im beiderseitigen Interesse zu fördern.

Mit der Versicherung ganz besonderer Hochverehrung geharre ich als

Euer bischöflichen Gnaden

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[1] LI LA SF 01/1921/134. Auf der Rückseite der letzten Seite handschriftliche Betreffangabe: "Verf.". Das Schreiben wurde von der Regierungskanzlei am 6.8.1921 ausgefertigt und am 8.8.1921 registriert.
[2] LI LA RE 1921/0963, Regierungsvorlage von Josef Peer, 12.1.1921.
[3] Diese Forderungen dürfte Schmid von Grüneck an einer Besprechung am 1.8.1921 in Chur vorgebracht haben, an der auf Liechtensteiner Seite Prinz Franz, Regierungschef Josef Ospelt und Landesvikar Johann Baptist Büchel teilnahmen. Zu dieser Besprechung vgl. LI LA SF 01/1921/125, Prinz Franz an Kabinettskanzlei, 2.8.1921. Erste Forderungen nach Änderung einiger Bestimmungen des Verfassungsentwurfs hatte der Bischof bereits im Mai erhoben, vgl. LI LA SF 01/1921/ad 115, Auszug aus einem Promemoria für Prinz Franz, o.D. (zu 4.7.1921); LI LA RE 1921/3290 ad 963, Emil Beck an Regierung, 21.7.1921; LI LA SF 01/1921/ad 115, Josef Peer an Josef Ospelt, 22.7.1921.
[4] Schmid von Grüneck gab sich mit diesen Änderungen nicht zufrieden, sondern unterbreitete am 17.8.1921 weitere Änderungswünsche, vgl. LI LA RE 1921/3690 ad 963, bischöfliches Ordinariat Chur an Ospelt, 17.8.1921.