Maschinenschriftliches Schreiben von Josef Peer an Regierungschef Josef Ospelt (Abschrift) [1]
22.7.1921, Feldkirch
Sehr verehrter Regierungschef!
Das von mir in Wien ausgearbeitete und dem Herrn Kabinettsdirektor [Josef] Martin behändigte Promemoria [2] bezüglich der vom hochwürdigsten Herrn Bischof von Chur [Georg Schmid von Grüneck] geäusserten Wünsche zur Verfassungsrevision beinhaltet meine Stellungnahme zu diesen Wünschen. [3]
Wie Sie mich kennen, brauche ich wohl nicht noch eigens zu betonen, dass ich mich hiebei keineswegs von parteipolitischen Anschauungen, sondern nur von der Absicht leiten liess, vom Fürstenhaus und vom Fürstentume Dinge fernzuhalten, die nach meiner innersten Überzeugung über kurz oder lang zu Differenzen schwerwiegender Art führen müssten.
Ich bin ein abgesagter Feind von Kulturkämpfen jeder Art und habe mich bestens bemüht, den Entwurf der Verfassung so zu gestalten, dass solche auch nicht zu besorgen sein werden; ausserdem bin ich der festen Überzeugung, dass, solange das Fürstentum Liechtenstein vom Fürstenhause Liechtenstein beherrscht wird, niemand, auch der Herr Bischof von Chur nicht, Angst davor haben braucht, dass etwa die Regierung Ausflüge auf das Gebiet der Christenverfolgung unternehmen werde. Ich kann daher nur finden, dass die Wünsche, die der Herr Bischof geäussert hat, es nicht unbeträchtlich an jener Bescheidenheit und Obedienz fehlen lassen, die der Landesbischof seinem Landesherrn und dessen Hause gegenüber schuldet!
Den zu § 37 des Entwurfes [4] geäusserten Wunsch halte ich einfach für unerfüllbar. Das erste Erfordernis eines jeden Gesetzes und insbesondere einer jeden Verfassung ist die vollste Klarheit. Und nun soll das uns unbekannte Recht der Kirche schlankweg zu einem Bestandteil der Verfassung werden, wobei nicht zu übersehen ist, dass die Kirche für sich das ausschliessliche Recht seiner Interpretation in Anspruch nehmen wird! Darin läge eine Quelle für künftige Kulturkämpfe allerergiebigster Art und zugleich eine Preisgabe landesfürstlicher Hoheitsrechte, wie ich mir sie kaum weitergehend denken könnte.
Ein solcher Wunsch erscheint umso sonderbarer, wenn man sich vergegenwärtigt, wie herzlich wenig der liechtensteinische Klerus sich bisher damit befasst hat, gewissen Bestrebungen im Lande entgegenzutreten, was doch gewiss nur seine Pflicht gewesen wäre. Davon, dass man sogar auf recht unliebsame Dinge stossen musste, die in letzter Linie auf geistliche Einflüsse zurückzuführen sein dürften, will ich ganz schweigen; Herr Rat wissen schon, was ich dabei meine!
Ebenso verstehe ich schlechterdings nicht, wie der Herr Bischof sich gegen den ganz selbstverständlichen Vorbehalt des § 71 zur Wehre setzt, da es sich ja nur um den Bereich der Gesetzgebung handelt, die in der Hand des Fürsten und des Landtages liegt.
"Principiis obsta"! [5] oder "hier ist grösste Vorsicht am Platz" möchte ich vollem Herzen derlei Dingen gegenüber ausrufen!
In alter Ergebenheit Ihr
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[1] LI LA SF 01/1921/ad 115. Ebd. eine weitere Abschrift des Schreibens.
[2] LI PA Paul und Judith Kaiser-Eigenmann, Nachlass Josef Ospelt, "Mein Standpunkt gegenüber den vom Herrn Bischof von Chur geäusserten Wünschen nach Abänderung einiger Bestimmungen des Verfassungsreformentwurfes" von Josef Peer, 4.7.1921.
[3] Schmid von Grüneck hatte am 13.5.1921 in Wien bei Fürst Johann II. und Kabinettsdirektor Josef Martin vorgesprochen und Änderungen am von Josef Peer ausgearbeiteten Entwurf (LI LA RE 1921/0963, Regierungsvorlage von Josef Peer, 12.1.1921) gefordert. Eine Zusammenstellung der Forderungen des Bischofs unter LI LA V 002/0461, Notiz von Kabinettsdirektor Josef Martin über die Besprechung vom 13.5.1921 mit Schmid von Grüneck, 21.5.1921.
[4] Schmid von Grüneck verlangte, in § 37 des Entwurfs nach "Die römisch-katholische Kirche geniesst als Landeskirche den Schutz des Staates" die Worte "nach Massgabe ihrer Rechtsnormen" einzufügen.
[5] Lateinisch für: Wehre den Anfängen.