Das "Liechtensteiner Volksblatt" kritisiert die Berichterstattung des "Umbruchs", derzufolge Juden in Liechtenstein gegen das Dritte Reich Spionage betrieben hätten


Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt", nicht gez. [1]

4.8.1942

Feststellungen

Unter der Überschrift "Die Regierung sehe zum Rechten" haben wir in der Nummer vom 18. Juli zur Meldung des "Regime fascista" [2] Stellung genommen und die Regierung aufgefordert, eine Untersuchung einzuleiten, eventuelle Fehlbare festzustellen und gegebenenfalls auch gegen eine verantwortungslose Kolportage einzuschreiten. Die Beweggründe für unsere Forderung lagen in der Sorge um das Land und um den Ruf unserer Neutralität, die Seine Durchlaucht der Landesfürst [Franz Josef II.] zu Beginn dieses Krieges proklamierte [3] und Regierung und Volk seither durch ihre Haltung bekräftigten. Liechtensteins Volk denkt auch wahrhaft so sauber, als dass es Vorwürfe hinnehmen könnte, dass Nachrichtenübermittlung zu ungunsten eines im Kriege stehenden Staates auf liechtensteinischem Territorium ungestraft dulden würde. Es weiss aber auch die Leidenschaft ins richtige Licht zu setzen, mit der oppositionelle Kräfte des Inlandes skrupellos Landesinteressen auf Spiel setzen. [4] Es verlangt auch ein Vorgehen gegen solche Elemente, wenn sie die Gefahren nicht zu erkennen vermögen, die in der Zeit des Krieges aus ihrem Treiben dem Lande erwachsen könnten.

Die fürstliche Regierung hat, wie wir in Erfahrung bringen konnten, eine Untersuchung eingeleitet. [5] Ein Ergebnis ist uns bis heute nicht bekannt.

Inzwischen trat aber der "Umbruch" in die Schranken. Ohne nach Schuldbaren in jener Angelegenheit zu fragen, fällt Anschuldigung auf Anschuldigung gegen Regierung und Volk. Er versteigt sich sogar zur Behauptung: "Seit dem Ableben Fürst Johann II. kann man in Liechtenstein füglich von einer Judenära in Liechtenstein reden." Freilich, wenn ein Blatt in diesen gefahrvollen Zeiten solche Lügen ungestraft schreiben darf, dürften wir ausländischen Blättern über falsche Darstellungen keinen Vorwurf machen. Dass diese Leute in ihrer verantwortungslosen Schreiberei vornehmlich das "Volksblatt" beglücken, will uns nicht wundern. Sie spüren in ihm unwillkürlich den Vorkämpfer der liechtensteinischen Sache.

Ganz und gar daneben haut das Blatt weiter, wenn es in der betreffenden Nummer schreibt: "Als nach der Rückkehr der Ostmark endlich auch bei uns Stimmen laut wurden, die Zeichen der Zeit zu deuten und man sich bemühte, auf eine ehrliche und anständige Basis (fett: die Schr.) zurückzukommen, da war es das Judentum, das nun hier haltgebietend eingreifen wollte. Die Tausende und Tausende von Franken, die die Juden der Pfadfinderbewegung zur Verfügung stellten, [6] sind nichts anderes als Propagandagelder für die Zwecke des Judentums."

Meine Herren, das war ganz etwas anderes. Die noch hängenden Gerichtsverfahren sprechen eindeutig, aus welchen Gründen eine liechtensteinische Phalanx errichtet werden musste. Das Volk führte einen Kampf gegen Verräter. Die Märztage 1939 [7] lassen sich nicht wegdisputieren. Juden hatten damit so wenig zu schaffen wie der Halm mit der Eiche. Das Volk Liechtensteins war es, das mit Recht um die Heimat bangte.

Das "Volksblatt" hat auch nicht gegen den "Umbruch" geschrieben, weil er die Meldung des "Regime Fascista" weiter verbeitete, sondern hat lediglich behauptet, dass in jenem Blatte einige Zeit früher ganz dieselben Sätze gestanden haben, wie sie die Meldung im "Regime Fascista" beinhaltete. Das kann auch nicht bestritten werden. Ist aber der Beweis für Nachrichtenübermittlung Dritter zu ungunsten einer europäischen Macht nicht zu erbringen, hat jenes Blatt für die Meldung die Verantwortung zu tragen. Die Regierung möge nach einer gründlichen Abklärung sehen und Schuldbare, stehen sie wo immer, zur Verantwortung ziehen.

Dem "Umbruch" möchten wir weiter bemerken, dass wir gar nicht überrascht werden können, auch wenn die "Zeiger der Zeit" nach eigenem Ausdruck immer weiter vorrücken. Unser unentwegter Einstand für Gott, Fürst und Vaterland ist auch für den Aussenstehenden eine ganze Selbstverständlichkeit, wohl weit mehr als jenes Spiel einer oppositionellen Gruppe, die unter willkürlich beigelegten Namen dem Volke und dem Vaterlande, den Behörden und sogar indirekt dem Fürsten die unmöglichsten Dinge unterschiebt. Auch wir werden in der "erlösenden europäischen Stunde" nicht schweigen.

Wie unendlich gemein aber diese Leute mit den Worten umspringen, möge der liebe Leser noch aus folgender Fassung in jenem Artikel des "Umbruchs" vom 25. Juli entnehmen. Wir geben sie ohne Kommentar wieder:

""Gott, Fürst, Religion, Vaterland" und all die anderen Begriffe, die das "Volksblatt" so gerne in seinem Schaufenster ausstellt, würden dann nichts nützen, sondern als das behandelt werden müssen, als was sie vom "Volksblatt" jahrelang benützt wurden - als scheinheilige Fassade."

 

 

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[1] L.Vo., Nr. 89, 4.8.1942, S. 1.
[2] Der "Umbruch" hatte am 11.7.1942 aus der italienischen Zeitung "Il Regime Fascista" zitiert (Umbruch, Nr. 154, 11.7.1942, S. 1 ("Schwerwiegende Enthüllungen des Regime Fascista, Cremona. Liechtensteiner Juden im Spionagedienst")).
[3] Siehe die Notifikation der liechtensteinischen Neutralität an das Eidgenössische Politische Departement vom 30.8.1939 (LI LA RF 193/056/001/058).
[4] Es wird auf die "Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein (VDBL)" angespielt.
[5] Siehe den diesbezüglichen Bericht des Sicherheitskorps an die Regierung vom 26.8.1942 (LI LA V 005/1942/1037 (a)).
[6] Vgl. etwa Umbruch, Nr. 59, 9.8.1941, S. 3 ("Leider immer noch 'Churchillknaben'"). 
[7] Es handelt sich um den nationalsozialistischen Putschversuch vom 24.3.1939. Der diesbezügliche Strafprozess (Schlussverhandlung) wurde erst im Januar 1946 durchgeführt (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/270).