Hermann Walser wird vernommen über seine Tätigkeit bei der Volksdeutschen Bewegung


Maschinenschriftliches Protokoll der Einvernahme, gez. Hermann Walser, mit handschriftlichen Korrekturen von Walser und handschriftlichen Anstreichungen durch die Untersuchungsbehörden [1]

13.5.1946

Vor dem f.l. Richter Dr. Hermann Risch und dem Schriftführer Guido Frick.

Über Vorladung erscheint Dr. Hermann Walser: geb. am 1. Oktober 1900 in Schaan, dahin zust., rk. [römisch-katholisch], verh., des Friedrich und der Julie Wachter, Arzt in Schaan und gibt informativ vernommen an:

Ich habe mich im Sommer 1940 der V.D.B.L. angeschlossen. Im Laufe der nächsten paar Wochen bin ich von Dr. [Alfons] Goop zum Leiter der N.S.V. [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] bestellt worden. Eine politische Funktion habe ich nie innegehabt. Am 1. Oktober 1941 habe meine Tätigkeit als Mitarbeiter des "Umbruch" aufgegeben und bin dann kurze Zeit darauf auch meiner Stellung als Leiter der N.S.V. enthoben worden.

Zweck und Ziel der V.D.B. war offiziell in den Satzungen der Bewegung niedergelegt. [2] Diese Satzungen wurden, wie mir Dr. Goop sagte, der fürstl. Regierung vorgelegt und genehmigt und bei der Regierung deponiert. Für mich selbst war folgendes wichtig und massgebend: Ich hatte den dringenden Wunsch, nachdem nun einmal der Nationalsozialismus im Lande vorhanden war, dass sich die Sache in möglichst vernünftiger und anständiger Bahn bewege. Dies vor allem im Gegensatz zu den Leuten, die man heute die sogenannten Putschisten nennt. Mit diesen Leuten hatte man viel zu tun, da sie immer auf den totalen Anschluss hingedrängt haben und zwar noch während des Krieges; es ging ihnen immer zu langsam. Diese Leute bereiteten Dr. Goop vielfach Schwierigkeiten und dieser versuchte, diese Schwierigkeiten zu überwinden und hat dieselben auch, solange ich wenigstens dabei war, überwunden. Nebenbei hoffte ich insbesondere in sozialer Hinsicht, durch die nach meiner Ansicht einzig mögliche Opposition manche bezw. die eine oder andere Rückständigkeit (zu mindestens im Vergleich zur Schweiz) ausgleichen bezw. nachholen zu können und habe auch in diesem Sinne im Umbruche geschrieben; dies hinsichtlich der Innenpolitik.

Hinsichtlich der Aussenpolitik betrachtete ich für mich die V.D.B. als eine Art Tarnkappe in dem Sinn, dass durch das Vorhandensein und die Tätigkeit einer solchen Gruppe hier im Lande im Reich draussen der Eindruck entstehen und erhalten bleiben sollte: In Liechtenstein geht die Sache in Ordnung, dort brauchen wir nicht einzugreifen, dort arbeitet ja die V.D.B in unserem Sinne. Selbstverständlich war ich nie innerlich davon überzeugt, dass sich unser Volk wirklich einmal bei einer geheimen Abstimmung mehrheitlich für irgend einen Anschluss an das Nationalsozialistische Dritte Reich entscheiden würde. In diesem Sinne zog ich den Vergleich mit der kleinen Republik San Marino. Ich habe einen diesbezüglichen Artikel im Umbruch erscheinen lassen. In San Marino bestand einen faszistische Staatspartei und behielt doch inmitten des faszistischen Italiens die Selbstständigkeit. Hätte San Marino diese faszistische Staatspartei nicht gehabt, wäre San Marino möglicherweise verschwunden. (Ich werde die Nummer des Umbruch, in welchem dieser Artikel erschienen ist, anher bekanntgeben). [3]

Für einen Anschluss irgend welcher Art war ich nie. Auch Dr. Goop hat immer wieder erklärt, solange ich bei der Bewegung war, über Anschluss, auch wirtschaftlichen Anschluss und ähnliches soll während der Dauer des Krieges überhaupt nicht diskutiert werden, wir überlassen das dem Fürsten [Franz Josef II.] und dem Führer [Adolf Hitler] vollständig. Ebenso erklärte er, dass überhaupt ausschliesslich nur mit legalen Mitteln gehandelt werden soll.

Ich war auch Mitglied des Redaktionsstabes; offiziell beschränkte sich meine Mitarbeit auf Sozial- und Gesundheitswesen. Das eine oder andere Mal habe ich auch politische Artikel geschrieben, im wesentlichen immer dann, wenn ich der Meinung war, es sei im Umbruch etwas zu weit gegangen worden. Hiebei erinnere ich mich insbesondere an eine Souveränitätsdebatte, in welcher ich einen vorgängigen Artikel im Umbruch abgeschwächt habe. [4]

Es bestand eine Vereinbarung, wonach der ganze Inhalt einer jeden Nummer des Umbruch allen vier Mitgliedern der Redaktionskommission hätte rechtzeitig vor Erscheinen des Umbruch vorgelegt werden sollen. Jeder der vier Mitarbeiter hatte ein Vetorecht gegen jeden Artikel. Von diesem Vetorecht habe ich öfters Gebrauch gemacht, manchmal mit, manchmal ohne Erfolg. Um mir diesen Einfluss, den ich mir vorgestellt habe und mir wünschenswert erschien, zu erhalten, habe ich natürlich das eine oder anderemal auch andere Einsendungen als nur über Sozial- und Gesundheitswesen geliefert, die mitunter auch einen etwas agresiveren Charakter hatten. Die oben angeführte Vereinbarung ist zuerst im wesentlichen eingehalten, dann aber öfters verletzt worden. Das war dann auch ein Grund meiner Loslösung von der V.D.B. Ein weiterer Grund war der, dass im Sommer 1941 Dr. Goop, welcher bis dahin der Mann meines Vertrauens war, die effektive Leitung der V.D.B. an Ing. [Martin] Hilti abgab. Ich war nun nicht gewillt, mich dem Ing. Hilti zu unterwerfen. Zu dieser Zeit wurde Ing. Hilti von Dr. Goop zum "Gebietsführer" bestellt, als er im Sommer 1941 aus dem Reich zurückkehrte, wo er einige Wochen verweilt hatte. Obwohl Dr. Goop weiterhin Landesleiter war, war es offensichtlich, dass nun Hilti das massgebende Wort sprach.

Dr. Sepp Ritter hat wenige Artikel im Umbruch geschrieben. Ing. Hilti und Dr. Goop werden sich darin so ziemlich die Waage halten.

Dass ich mich immer auf einen legalen Standpunkt stellte, und, was ich mir als Ziel der V.D.B. dachte, ergeht auch aus dem Schreiben an Dr. Goop vom 6. April 1941 hervor, dem ich als Freund oder doch Studienkollege, frei und offen meine Ansicht geäussert habe. [5] Diesen Brief habe ich spontan an Dr. Goop geschrieben, nach den Ereignissen, die sich in Schaan vor der Wohnung des Dr. Sepp Ritter abgespielt haben und bei welcher Gelegenheit Ing. Hilti und sein Bruder Kaspar [Hilti] verhaftet worden sind. [6] Ich wollte eben verhindern, dass sich solche Sachen wiederholen. [7] Wenn ich anführte, dass unkluge und fast unverständliche Übertreibungen vorgekommen seien und dass der Bogen überspannt worden sei, so meinte ich damit z.B. die Schreibweise des Umbruch, das öffentliche Grüssen mit Heil Hitler, das provozierende Benehmen einzelner Mitglieder usw., insbesondere auch die im Umlauf befindliche unkontrollierbaren Sätze wie "das Reich steht hinter uns, Hitler holt uns bezw euch schon" und so ähnliche.

Dass ich innerlich gegen einen Anschluss war, damit möchte ich den Umstand in Einklang bringen, dass, als ich meinen Namen aus der Zeitung zurückzog, mich Dr. Goop bald darauf meines Postens als Leiter der N.S.V. entsetzte und zwar mit der nicht von Dr. Goop selber ausgesprochenen, mir aber von anderer Seite zugekommen Begründung, ich hätte sozusagen Verrat geführt. (Protokoll bei der Regierung über die V.D.B. von mir abgegeben.) Siehe Korrespondenz mit Dr. Goop aus dieser Zeit, die ich noch vorlegen werde. [8] Man hat mir demnach zugetraut, im Ernstfalle nötigenfalls alles zu lüften und aufzudecken.

Nachtragen möchte ich noch, dass, wenn in dem Schreiben an Dr. Goop einige anstosserregende Stellen enthalten sein sollten, ich ersuche, zu bedenken, dass es sich einmal um einen Privatbrief an einen Freund handelt, um ein schriftliches Gespräch, bei welchem zur Erreichung des Zieles (stärkere Festlegung auf die Selbständigkeit des Landes, auch innerlich) auf die Psychologie des Partners Rücksicht genommen werden muss, um überhaupt geistig an ihn heranzukommen, und eine Schreibweise im Sinne einer captatio benevolentiae, sowie einseitige Heraushebung nicht wohl zu vermeiden waren.

Der Sinn und Zweck des Schreibens war:

Dr. Goop hatte mit seiner Bewegung damals gerade einen empfindlichen Rückschlag erlitten, war sozusagen ein wenig mürbe. Ich hielt es daher für günstig und den Augenblick für gekommen, einen möglichst wirksamen Versuch zu unternehmen, um ihm folgendes beizubringen: man solle fürderhin nicht nur mehr sagen: "Wir überlassen alles dem Fürsten und dem Führer, über den Anschluss während des Krieges sprechen wir überhaupt nicht etc.", sondern: "Wir legen uns von jetzt an positiv auf die Erhaltung der Selbständigkeit des Landes fest; und dies wäre wiederum wirkungslos, wenn wir uns diesen Standpunkt nicht auch innerlich vollständig zu eigen gemacht haben."

Über Befragen, was das für Leute gewesen seien, die immer noch für einen Anschluss während des Krieges gearbeitet haben:

Ich habe davon im wesentlichen nur in unseren engeren Zusammenkünften gehört, dass es Leute gebe, die in diesem Sinne arbeiten, ungeduldig seien und Schwierigkeiten machen. In meiner Anwesenheit wurde auch nie im engeren Kreise von einem Anschlusse, auch nicht von einem wirtschaftlichen, gesprochen, höchstens in dem Sinne, dass ein Anschluss zumindestens während des Krieges nicht in Frage komme, dass dies überhaupt Sache des Fürsten und des Führers sei.

Ein Antwortschreiben von Dr. Goop ist mir nicht erinnerlich, ich glaube auch nicht, dass ich ein solches erhalten habe. [9]

 

 

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[1] LI LA J 007/S 078/358/011.
[2] Vgl. LI LA J 007/S 078/358/Beilage zu 033.
[3] Walser verwies mit Schreiben vom 15. Feb. 1946 (LI LA J 007/S 078/358/012) auf den Artikel "Der Duce besucht die Republik San Marino" im Umbruch, Nr. 59, 9.8.1941, S. 2.
[4] Walser verwies mit Schreiben vom 15. Feb. 1946 (LI LA J 007/S 078/358/012) auf die Artikel "Souveränitäts-Debatte geht weiter" und "Demokratie" im Umbruch, Nr. 52, 21.6.1941, S. 1).
[5] Vgl. LI LA J 007/S 078/358/001/E.
[6] Am 24. März 1941, dem 2. Jahrestag des Putschversuchs, kam es, da das Gerücht kursierte, die Volksdeutsche Bewegung plane einen erneuten Putschversuch, in Schaan zu einem Auflauf, bei dem Mitglieder der VDBL von der Polizei vor einer wütenden Menge beschützt werden mussten. Vgl. LI LA J 007/S 074/059 (a).
[7] Folgt gestrichen: "und dass offiziell von der Leitung der V.D.B. die Mitglieder über das Programm bezw. das Ziel der Bewegung offen aufgeklärt werden."
[8] Vgl. LI LA J 007/S 078/358/Beilagen a)-c) zu 12.
[9] Vgl. die Antwort Goops in LI LA J 007/S 078/358/001/F. Goop sagte aus, er glaube, den Brief abgeschickt zu haben, könne dies allerdings nicht "mit Bestimmtheit behaupten", vgl. LI LA J 007/S 078/358/10.