Maschinenschriftliche Berufung des Ehebandsverteidigers Wilhelm Beck, gez. ders., an das F.L. Obergericht [1]
12.6.1923, Vaduz
An das fürstl. liecht. Obergericht, in Vaduz
Berufungsschrift
des Dr. Wilhelm Beck, Rechtsanwalt in Vaduz, als Verteidiger des Ehebandes in der Ehesache des Josef Lorenz Quaderer, Maurerpolier, Rheinau, und der Elise geb. Lehmann, geschiedene Müller
wegen Eheungültigkeit,
3 fach, 1 Rubrik.
Gegen das Urteil des Landgerichtes J. 310/256/11, [2] zugestellt am 29. Mai a. c. wird im Sinne des § 533 Z.P.O. wegen Vermeidung der Zurechtweisung durch den Richter innert offener Frist die
Berufung
eingelegt.
Das Urteil wird seinem gesamten Inhalte nach angefochten und beantragt:
a) Es werde das angefochtene Urteil abgeändert und in Abweisung des Klagebegehrens [3] ausgesprochen, dass die zwischen Lorenz Quaderer und Marie Elise Lehmann gesch. Müller am 26. November 1921 vor dem Zivilstandesamt in Zürich und vor dem reformierten Pfarramt Aussersyl in Zürich abgeschlossene Ehe als gültig angesehen ist;
b) Für den Fall der Nichtstattgebung diese Antrages wird folgender Antrag gestellt:
Es werde das angefochtene Urteil aufgehoben und verfügt, dass das Prozessgericht erster Instanz die neuerliche Untersuchung der Giltigkeit der zwischen den genannten Eheleuten am 26. November 1921 geschlossenen Ehe einleite und nach Beendigung dieser neuerlichen Untersuchung eine Streitverhandlung in dieser Rechtsache anordne und ein neuerliches Urteil fälle.
Begründung:
1.) Die Bestimmungen des liechtensteinischen Ehescheidungsrechts finden nur auf in Liechtenstein geschlossene Ehen Anwendung. Das Gesetz und seine hierlands geltenden Ergänzungen beziehen sich, mit andern Worten, nicht auf im Auslande, wenn auch von Liechtensteinern, eingegangenen Ehen. Die neuere österreichische Gesetzgebung und die Judikatur und Auslegung kommt hier keinesfalls in Betracht.
Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine im Auslande – in Zürich – geschlossene und nach dem dortigen Recht gültig zustande gekommene Ehe. Internationalrechtlich gilt in diesem Falle nicht das heimatliche – das liechtensteinische – Recht, sondern das Recht des Wohnsitzes, also in diesem Falle das schweizerische Recht. Nach schweizerischem Rechte ist aber die Ehe rechtsgültig zustande gekommen.
Die Eheleute wollten auch mit ihrer Ehe nicht zugleich rechtliche Folgen für das Inland hervorbringen (§ 22 a. b. G. B. [ABGB]) und daher war Quaderer, der in Zürich geheiratet hat, nicht an das hiesige Eherecht gebunden. Die österreichische Rechtssprechung ist hierlands nicht massgebend.
Dass der Eingehung der Ehe nichts entgegenstand, erhellt auch daraus, dass alle hierländischen Amtsstellen – Pfarramt, Gemeindevorstehung und Regierung – die erforderlichen Papiere und die Einwilligung erteilten. [4] Das Gericht ergeht sich mit der Ausführung, das damals offenbar nicht bekannt gewesen sei, dass die Braut eine Geschiedene sei, nur in unbewiesenen und daher gar nicht relevanten Vermutungen. Es geht doch nicht an, dass man zuerst alle erforderlichen Dokumente ausfertigt und alles das tut, was das hiesige Recht verlangt und hintennach auch solche Tatsachen hin, eine Ehe als ungültig anficht.
2.) Das Urteil verstosst auch gegen die Verfassung [5] (Art. 37, Abs. 1). Der Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist verletzt. Durch diesen Verfassungsgrundsatz sind alle ihm widersprechenden Gesetzbestimmungen abgeändert. (Art. 113 der Verfassung).
Die Ehe kann selbstredend nur nach den bestehenden Vorschriften, also nicht willkürlich geschlossen werden. Unter dieser Beobachtung ist die Ehe in Zürich geschlossen worden. Es darf aber angesichts der angezogenen Verfassungsbestimmung von einem Bürger nicht mehr verlangt werden, dass er nach einem bestimmten konfessionell gefärbten Gesetze heirate, sondern nur dass er nach einem Gesetz heirate, im vorliegenden Falle nach eidgenössischem Rechte. Die Beobachtung des staatsgrundgesetzlich garantierten Rechtes der Glaubens- und Gewissensfreiheit im vorumschriebenen Rahmen liegt auch dem Gerichte ob.
Mit dem Verfassungsgrundsatz im Widerspruch steht auch die Annahme des Erstgerichts, dass ein offizieller Austritt aus der Kirche erfolgen müsse.
Weder das liechtensteinische, noch das hier massgebende Bundesrecht der Schweiz kennt eine solche Vorschrift. Aus den Tatsachen lässt sich aber schliessen, dass sich Quaderer schon längst ausserhalb der Gemeinschaft der katholischen Kirche gesetzt hat und daher nicht Katholik ist.
3.) Allenfalls hätte das Gericht über die Tatsachen, insbesondere darüber, dass Quaderer tatsächlich & rechtlich nicht mehr zur katholischen Gemeinschaft gehört, noch weitere Untersuchungen anstellen sollen, denn das bisherige Untersuchungsergebnis spricht eher gegen die Annahmen des Gerichts.
Ich ersuche einem der eingangs gestellten Anträge stattzugeben. [6]
Der Ehebandsverteidiger: