Das F.L. Landgericht erklärt die in der Schweiz geschlossene Ehe des Katholiken Josef Lorenz Quaderer und der geschiedenen Reformierten Marie Elise Lehmann für ungültig


Maschinenschriftliches Urteil des F.L. Landgerichtes, gez. Julius Thurnher [1]

19.5.1923

Urteil

Im Namen Seiner Durchlaucht des Landesfürsten [Johann II.]!

Das fürstl. liechtenst. Landgericht Vaduz hat über die Anzeige der fürstlichen Regierung vom 27. Oktober 1922 [2] von amtswegen das Verfahren und die Untersuchung über die Gültigkeit der Ehe des Josef Lorenz Quaderer, Maurerpolier in Rheinau, und der Elise geb. Lehmann, geschiedene Müller, eingeleitet, in der Person des Dr. Wilhelm Beck, Rechtsanwalt in Vaduz, einen Ehebandsverteidiger bestellt [3] und erkennt nach Durchführung der Untersuchung und Verhandlung [4] zu Recht:

Die zwischen Lorenz Josef Quaderer und Marie Elise Lehmann, geschiedene Müller, am 26. November 1921 vor dem Zivilstandesamt in Zürich und vor dem reformierten Pfarramt Aussersyl in Zürich abgeschlossene Ehe

ist ungültig.

Tatbestand

Josef Lorenz Quaderer ist am 17. Juni 1877 in Flüelen geboren, am gleichen Tage dort katholisch getauft. Er ist Bürger der Gemeinde Schaan. Seine erste Frau Marie geb. Schillter starb am 15. November 1911.

Marie Elise Lehmann, geboren im Jahre 1879, 1. Februar, reformierten Glaubens, wurde durch das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, Abteilung IV, vom 20. Mai 1919 von ihrem Manne Johann Jakob Müller, Mechaniker von Wattwil, geschieden, d. h. die Ehe wurde dem Bande nach für getrennt erklärt. [5]

Noch zu Lebzeiten ihres früheren Gatten heiratete sie am 26. November 1921 den Josef Lorenz Quaderer und zwar sowohl vor dem Zivilstandesamt als auch vor einem reformierten Pfarrer.          

Quaderer hatte vorher seine Papiere an seine Heimatsgemeinde gesandt und erhielt er auf Grund derselben vom Vorsteher und vom Pfarrer bezw. dessen Vertreter die Bestätigung, dass gegen die Ehe kein Hindernis obwalte und es wurde infolge dessen von der fürstlichen Regierung der Ehekonsens erteilt. [6]

Offenbar war damals nicht beachtet worden, dass die Braut eine geschiedene Frau sei. Später erfuhr die fürstliche Regierung den Sachverhalt und beantragte bei dem gefertigten Gerichte die Einleitung des Verfahrens zur Ungültigkeitserklärung dieser Ehe.

Entscheidungsgründe

Nach dem auch in Liechtenstein geltenden österr. Hofdekreten vom 26. August 1814, J.G.S. Nr. 1099, [7] und vom 17. Juli 1835, J.G.S. Nr. 61, [8] kann eine katholische Person mit einer getrennten akatholischen bei Lebzeiten des geschiedenen Gegenteiles keine gültige Ehe eingehen. Es steht nun fest, dass Josef Lorenz Quaderer Katholik ist, er wurde katholisch getauft und ist nie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Er wollte allerdings geltend machen, er sei kein ausübender Katholik mehr, er sei schon längere Zeit nicht mehr in den katholischen Gottesdienst gegangen und habe auch die Kirchensteuer nicht mehr bezahlt. Nach dem Berichte der Gemeinderatskanzlei Rheinau [9] hat Quaderer in der Tat schon lange nicht mehr am katholischen Gottesdienst teilgenommen, einen offiziellen Austritt aus der Kirchengemeinschaft jedoch nicht erklärt und auch die Hälfte der Kirchensteuer bisher entrichtet.

Weiter steht durch die Mitteilung des Kontrollbüros der Gemeinde Wattwil [10] fest, dass Johann Jakob Müller, der geschiedene Gatte der Marie Elise geb. Lehmann, heute noch am Leben ist.

Es war sohin nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes die Ehe als ungültig zu erklären.

Die Zuständigkeit dieses Gerichtes ist nach § 51 J. N. [Jurisdiktionsnorm] gegeben.

Fürstl. liechten. Landgericht

 

Zur Nachricht: Gegen dieses Urteil steht das Rechtsmittel der Berufung an das fürstl. Obergericht in Vaduz offen. Dieselbe wäre binnen 14 Tagen hiergerichts schriftlich oder mündlich einzubringen. [11]

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[1] LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 11). Das Urteil erging gemäss Kanzleivermerk von Thurnher an Dr. Wilhelm Beck, Josef Lorenz Quaderer und Elise Quaderer. Die Ausfertigung erfolgte am 26.5.1923. Stenographische Bemerkungen.
[2] Vgl. das Schreiben von Regierungschef Gustav Schädler an das F.L. Landgericht Vaduz vom 27.10.1922 zwecks Einleitung des Verfahrens zur Nichtigerklärung dieser Ehe (LI LA J 005/ J 310/256 (Ordnungsnummer 1; Aktenzeichen der Regierung: Zl. 4834/Reg.; Aktenzeichen des Landgerichtes: 3389)).
[3] Vgl. das Schreiben des F.L. Landgerichtes an Dr. Wilhelm Beck vom 16.11.1922 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 1)).
[4] Vgl. das Verhandlungsprotokoll des F.L. Landgerichtes vom 28.2.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 6)). 
[5] Vgl. das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 20.5.1919 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 4; Prozessnummer des Bezirksgerichtes: 461/1919)).
[6] Das betreffende Dokument findet sich nicht unter LI LA RE 1921/0005.
[7] Vgl. das Hofdekret vom 26.8.1814, an sämmtliche Appellations-Gerichte, über Note der Hofkanzley vom 4.8. n. J., JGS Nr. 1099 (zur genaueren Bestimmung von § 119 ABGB).
[8] Vgl. das Hofkanzlei-Dekret vom 17.7.1835, an die Gubernien in Triest, Laibach, Zara, Mailand und Venedig; zufolge Allerhöchster Entschliessung vom 13.7.1835, JGS Nr. 61.: „… es ergebe sich aus dieser Erläuterung des Gesetzbuches von selbst, dass eine katholische Person nach den Begriffen der katholischen Religion mit einer getrennten akatholischen bei Lebzeiten des geschiedenen Gegentheils, wie auch, dass eine bei Eingehung ihrer Ehe zur akatholischen Religion gehörig gewesene, dann aber zur katholischen Religion übergetretene, von ihrem akatholischen Gegentheile geschiedene Person bei Lebzeiten des getrennten akatholischen Gegentheiles keine gültige Ehe eingehen könne.“
[9] Vgl. die schriftliche Auskunft der Gemeinderatskanzlei Rheinau im Kanton Zürich vom 17.3.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 7)).
[10] Vgl. die schriftliche Auskunft der Kontrollbüros Wattwil im Kanton St. Gallen vom 16.5.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 10)).
[11] Vgl. in weiterer Folge die Berufungsschrift des Ehebandsverteidigers Wilhelm Beck an das F.L. Obergericht vom 12.6.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 12)).