Der „Liechtensteinische Arbeiterverband“ richtet einen Forderungskatalog an die Regierung


Handschriftliches Schreiben des „Liechtensteinischen Arbeiterverbandes“, gez. Verbandspräsident Friedrich Kaufmann, an die Regierung [1]

25.3.1920, Vaduz

An die hohe fürstliche Regierung. Vaduz

Dem Wunsche der gesammten Arbeiterschaft entsprechend, gelangen wir mit folgendem Gesuche an eine hohe fürstliche Regierung, damit eine hohe fürstliche Regierung sich unverzüglich für die gerechte Sache mit voller Kraft einsetzt, um auch den Bürgern des Arbeiterstandes einigermassen gerecht zu werden. Die Notlage dieses Standes dürfte der nach wiederholt gemachten Darlegungen einer hohen fürstlichen Regierung bekannt sein. Da aber bis jetzt nichts Wesentliches zur Linderung der Not von Seite der Landesnotstandskommission geschaffen wurde, so treten wir mit vollem Vertrauen an eine hohe fürstliche Regierung heran, die ja im Grunde genommen die heiligste Pflicht hat, für ihre Landeskinder (auch für die Arbeiter, nicht nur für die Bauern) die nötigen Massregeln zu treffen, dass also auch die Bürger und Kinder des Arbeiterstandes ihre notwendigsten Lebensbedürfnisse erreichen können.

Wir sind im vollen Rechte dies zu verlangen, da von Seite des Landes und der hohen Regierung den Lehrern und der Beamtenschaft einen Franken Zuschuss gewährt wurde, [2] was in dieser schweren Zeit ja auch am Platze ist.

Wo aber wird für den armen Arbeiter Interesse und Fürsorge gezeigt? Ist er nicht ebenso Bürger des Landes?

Hat er für sich und seine Familie nicht ebenso das gleiche Recht zu beanspruchen, dass auch ihm, dem Arbeiter, eine Existenzmöglichkeit für die heutige Zeit geboten werde?

Es sind also folgende Anträge in sämtlichen Ortsgruppen aufgestellt worden und zwar:

I.

Es möge sofort eine Delegation bestehend aus mindestens drei Mitgliedern des Verbandes bei der hohen fürstlichen Regierung vorsprechen, um zu bezwecken, dass für die Arbeitslosen unseres Landes gegen gutes Geld Arbeitsgelegenheit geschaffen werden muss.

II.

Es sollte auf eheste Durchführung der Valutaregulierung gedrungen werden.

III.

Fürsorge behufs Zuteilung der notwendigsten Lebensmittel an Minderbemittelte.

IV.

Es sollte von Seite der hohen Regierung dahin gewirkt werden, dass wir möglichst bald zu einer neuen zeitgemässen Verfassung gelangen.

V.

Eheste Ausführung des Lawenawerkes nach Finanzierung lt. Antrag des Herrn Dr. [Wilhelm] Beck in der Landtagssitzung v. 5. März 1920 [3] betreff Gründung einer gemischten Aktiengesellschaft.

VI.

Sofortige Unterhandlung unserer Regierung mit der Schweizerregierung in Sachen Erleichterung des Grenzübertrittes für Arbeiter aus Liechtenstein.

VII.

Bei eventueller Änderung der Verfassung wird gewünscht, zwei Mitglieder zur Besprechung mit der hohen Regierung beizuziehen, wo es sich um Angelegenheiten des Arbeiterstandes handelt.

VIII.

Es ginge ein Vorschlag dahin, dass von Seite des Landes die Möglichkeit erwogen würde, ein Frankendarlehen aufzunehmen, damit gegen gute Hypotek dem Landesbürger Gelegenheit geboten werden kann, kleinere Frankendarlehen aufnehmen zu können.

Im Namen der Arbeitervereinig. [4]

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[1] LI LA RE 1920/1452. Eingangsstempel der Regierung vom 27.3.1920. Handschriftliche Notizen: „Lorenz Kind“, „Triesen“ und „Höchstpreise“. Stenographische Randbemerkungen.
[2] Vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 20.3.1920 (LI LA LTA 1920/S04).
[3] Vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 5.3.1920 (LI LA LTA 1920/S04): Die Regierung wurde vom Landtag ersucht, im Einvernehmen mit der Finanzkommission die Finanzierung des Lawenawerkes, allenfalls durch Gründung einer Aktiengesellschaft unter Beteiligung des Landes, zu prüfen und hierüber dem Landtag Bericht und Antrag zu stellen.
[4] Vgl. das Antwortschreiben von Landesverweser Karl von Liechtenstein an den Arbeiterverband vom 6.4.1920 (LI LA RE 1920/1452). – Mit Schreiben vom 27.4.1920 richtete der Arbeiterverband bzw. Präsident Kaufmann ausserdem die Forderung an die Regierung und an den Landtag, unverzüglich ein strenges Wuchergesetz, vor allem gegen die hohen Preise für Lebensmittel und Bedarfsartikel, zu erlassen (LI LA RE 1920/1969).