Vervielfältigter Bericht der Landtagskommission zur Klassenlotterie, gez. Alfons Kranz (FBP) und Ferdi Risch (FBP) [1]
7.5.1928, Vaduz
Bericht der Untersuchungskommission der Klassenlotterie in Liechtenstein
Schon im Mai 1925 schwebten zwischen Herrn Dr. Wilhelm Beck und der Bank Sautier & Cie. Verhandlungen zwecks Bildung einer Gesellschaft zum Vertriebe ausländischer Prämien-Obligationen. Dr. Wilhelm Beck liess bei den vorbereitenden Besprechungen durchblicken, dass das Fürstentum Liechtenstein Geld und Verdienst suche und deshalb das geeignete Land sei zur freien Abwicklung von Finanzgeschäften jeder Art, speziell auch mit Bezug der im Wurfe liegenden, allen Bedürfnissen entsprechenden Gesetze. Da trat Georg Bauer mit der Idee einer Klassenlotterie hervor. Herr Dr. Beck nahm diese auf und veranlasste die Bank Sautier, die Sache in die Hand zu nehmen. Welche Phantasie-Einkommen aus diesem Geschäfte schon damals existierten, erhellt aus dem Briefe der Bank Sautier vom 30. Juli 1925 an Herrn Dr. Beck, in welchem diese Lotterie bereits als die gewinnreichste der Welt hingestellt wird. Ebenso werden in diesem Schreiben der Vertriebsunion Triesenberg schöne Gewinnaussichten gestellt, obwohl dieser wirtschaftliche Verein damals noch nicht bestand, sondern erst am 1. August 1926 konzessioniert wurde. Es heisst in diesem Schreiben wörtlich: "Um die Konzession hätte sich die Vertriebsunion zu bewerben. Dafür würde den Herren Andreas Beck und Max Beck und selbstverständlich auch Ihnen natürlich nebst Ihrem Anwaltshonorar pro Klasse eine angemessene Vergütung offeriert."
Die Vertriebsunion war ein Verein mit Anteilscheinen zu je 1'000 Fr. und befasste sich laut Statut mit der Beschaffung von Industrie-Arbeitsgelegenheit und mit Verkehr von Wertpapieren. Die Statuten dieses Vereins wurden kurz vor der Eingabe des Klassenlotteriegesuches von der Regierung beglaubigt und es tritt derselbe mit der Bank Sautier als Mitbewerber um die Konzession auf. Nun klingt es etwas verwunderlich, dass ein Verein mit einem Vermögen von Fr. 2'000.- als Mitkonzessionär anerkannt wurde, denn der Regierung hätte das Vermögen des Vereines bekannt sein sollen. Es steht fest, dass der Staat bei einem ganz regelmässigen Verlauf der Klassenlotterie im Verhältnis zum Riesengewinn keine Gegenleistung gehabt hätte. Also war die Vertriebsunion ein Vertragspartner, mit dem ein Land niemals ein Millionengeschäft abschliessen konnte. Aus solchen Erwägungen heraus wurde dann später der Regierung zum Vorwurfe gemacht, sie habe den Nepotismus geduldet.
Die Kommission ist der Ansicht, dass mit der Vertriebsunion überhaupt nicht in Verhandlungen hätte eingetreten werden dürfen, denn es waren auch die persönlichen Vermögensverhältnisse der Mitglieder bekannt; auch die hätten nicht genügt, wenn beide mit ihrem persönlichen Vermögen gehaftet hätten, mit ihnen ein solches Geschäft abzuschliessen. Der Staat hat Geld, Arbeit und Ansehen riskiert und dafür Fr. 2'000.- erhalten.
Wer der Vertriebsunion ausser den Herren Max und Andreas Beck angehörte, ist der Kommission nicht bekannt. In einem Schreiben wird von einem Liechtensteiner Propaganda-Komité gesprochen, welchem zwei Herren Beck und ein gewisser Herr Franz [2] angehören. Vertreter der Vertriebsunion war Herr Walser-Kirchthaler, der im Verein mit Herrn [Fritz] Schmidhauser von der Bank Sautier die Prospekte zeichnete.
Mit Brief vom 4. Jänner 1926 teilt Herr [Anton] Walser der Regierung folgendes mit:
"Als Generalbevollmächtigter der Vertriebsunion Triesenberg teile ich der fürstlichen Regierung hiermit mit, dass derselben gegenwärtig die Herren Max Beck Nr. 227 und Andreas Beck Nr. 247 als Mitglieder angehören und dass das Vereinsvermögen Fr. 2000.- beträgt."
Die über die Bank Sautier am 11. August eingeholte Information lautete einigermassen günstig. Wo diese herstammte, wurde der Kommission verschwiegen. Diese Information musste in aller Eile am Telefon eingeholt werden und hätte deshalb mit Vorsicht aufgenommen worden müssen, zumal es dann noch heisst, dass das Bankhaus Sautier Familien A.G. sei und für einen grösseren Betrag gut sein soll.
Am 19. August lief dann die im Regierungsbericht Seite 111 abgedruckte Information ein, die von der Bank Sautier ein weniger erfreuliches Bild zeigte. "Besonderes Vertrauen mag man der jetzigen Firma nicht entgegenzubringen, es sollen nicht immer ganz einwandfreie Geschäft abgeschlossen werden", lautete der Schlusssatz dieser Information. Wie die Regierung mit dieser Information in den Händen und beunruhigt durch das auf Seite 26 des Regierungsberichtes niedergelegte Inserat in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 17. August 1925, die Konzession erteilen konnte, ist uns nicht recht erklärlich. Allerdings kam in dieser Zweifelsstimmung von Regierung und Finanzkommission die Drohung der Vertreter der Bank Sautier, Schmidhauser und Dr. Wilhelm Beck, nur noch einmal an den Verhandlungstisch zu kommen. Unter diesem Drucke erteilte dann die Regierung der Bank und der Vertriebsunion am 20. August die Berechtigung zur Durchführung der Klassenlotterie, wenn binnen 14 Tagen die Kaution per Fr. 100'000.- erlegt würde.
Kurze Zeit nachher lief bei der Regierung ein Schreiben des Direktors der Volksbank in Luzern ein, das der Regierung die Gewissheit gab, dass mit der Konzession hausiert würde und Geldgeber erst gesucht werden müssen. Die Volksbank, mit der damals Verhandlungen wegen der Lawenawerkanleihe in Schwebe waren, schreibt: "Gestern ist ein gewisser Herr Huwiler von Sargans bei mir erschienen und hat eine direkte oder indirekte Beteiligung an einer in Liechtenstein zur Durchführung gelangenden Klassenlotterie angeboten. Ich habe von der Konzession Kenntnis erhalten, die die Regierung von Liechtenstein im Einvernehmen mit der Finanzkommission erteilt hat. Ich gestatte mir, Ihnen in aller Offenheit zu sagen, dass ein weiteres Bekanntwerden einer allerdings nicht unter Staatsverantwortlichkeit zur Durchführung gelangenden Lotterie in der Schweiz die Durchführung der Anleihe erschweren würde, weil man zweifelsohne in der Handelspresse der Kritik ausgesetzt würde." Die Regierung wird dringend gebeten, dass sie an sämtliche Personen, welche mit dieser projektierten Klassenlotterie in Beziehung stünden, die Weisung erteilen, dass keinerlei Schritte bei Instituten und privaten Personen in der Schweiz in dieser Sache mehr unternommen würden. Huwiler, dem nicht das beste Zeugnis ausgestellt wird, hat sich der Direktion der Volksbank gegenüber geäussert, dass Banken in Zürich und St. Gallen dem Unternehmen ihr Interesse entgegenbrächten. Wir sehen daraus, dass erst die Konzession zur Geldbeschaffung für diese Männer hätte dienen sollen.
Die Konzessionierung selber finden wir nicht moralisch einwandfrei. Freilich bestehen in anderen Staaten Klassenlotterien, aber diese Staaten haben in ihren eigenen Grenzen ein genügend grosses Absatzgebiet. Infolge der Kleinheit unseres Landes und des bestehenden Verbotes der Einfuhr der Propagandaschriften und Lose in den umliegenden Staaten hätte eine Konzessionierung unterbleiben sollen. Das Verderbliche dieses Aktes erhellt aus den im Verlaufe der Klassenlotterie erwachsenen Verwaltungsschwierigkeiten und aus den bei der Regierung eingelaufenen Briefen.
Es erübrigt nun noch, auf den Gang der Verhandlungen mit Regierung und Finanzkommission einzutreten. Auffallend ist die grosse Eile, mit der alles behandelt werden musste. Gleich am 11. August hätten die Konzessionäre im Besitze der Bewilligung sein müssen, unter dem Vorwande, es gehe ihnen vorteilhaftes Adressenmaterial verloren. Heute ist der Grund des Eilens zur Genüge bekannt. Die Konzessionäre mussten möglichst früh in den Besitz der Konzession gelangen, um für ihre Ausbeutung fremdes Kapital heranzuziehen. In der Klagebeantwortung der Bank Sautier ist als Grund dieses Eilens angegeben, dass vor den Wahlen noch etwas Besonderes geleistet würde. Am Widerrufsrecht durch die Regierung wurde trotz zäher Versuche auf Seiten der Konzessionäre festgehalten. Es ist auch nicht vorauszusehen, welche Schwierigkeiten bei weiterer Ausübung der Konzession von Seite anderer Staaten erwachsen wären. Die immer wieder in den Vordergrund tretenden Einsprüche von Seite einflussreicher Männer aus der Schweiz liessen nichts Gutes ahnen. Aus Artikel 12 Absatz 2 des Lotterievertrages geht aber auch die Gefährlichkeit eines solchen Unternehmens in einem kaum 10'000 Einwohner zählenden Ländchen hervor, denn sonst hätte nicht an Boykott, Grenzsperre, Kündigung des Post- und Zollvertrages gedacht werden müssen.
Auch die Monopolfrage gab zu den verschiedensten Erörterungen Anlass. Eine gesetzliche Grundlage für die Erteilung eines Monopols durch die Regierung bestand bis zum Inkrafttreten des Personen- und Gesellschaftsrechtes am 16. Februar 1926 nicht. Das bewog dann die Regierung, das Versprechen abzugeben, bis zur Schaffung einer gesetzlichen Basis keinem anderen Unternehmer eine ähnliche Konzession zu erteilen. Artikel 11 des Vertrages lautet: "Die Regierung und Finanzkommission verpflichten sich für die baldigste Schaffung eines gesetzlichen Monopols ihr Möglichstes zu tun und bis dahin keiner anderen Klassenlotterie eine Konzession zu erteilen. Lotterien lokalen Charakters sollen gestattet werden."
Bezüglich dieser Monopolisierung des Betriebes der Klassenlotterie ist die Kommission der Ansicht, dass nicht das Möglichste getan wurde, indem auch nach den dringlich scheinenden Verhandlungen der Landtag nicht einberufen wurde, obwohl der Herr Regierungschef [Gustav Schädler] im Laufe der Verhandlungen die Einberufung desselben dringlich wünschte. Die Regierung hat ein tatsächliches wirtschaftliches Monopol dadurch erteilt, dass sie das juridisch verbindliche Versprechen abgab, bis zum Zustandekommen eines diesbezüglichen Gesetzes eine gleichartige Konzession nicht zu erteilen. Liegt nicht ein ausdrückliches Monopol vor, so doch ein wirtschaftliches.
Zur Lösung der verschiedenen Knoten in dieser Angelegenheit wurde der Landtag verschiedentlich herbeigerufen und es wäre wünschenswert gewesen, wenn er auch zum ersten Schritte gefragt worden wäre. Freilich wäre der Inhalt der Konzession damit auf breiterer Basis bekannt geworden.
Wie freundlich man übrigens in Schweizer Kreisen der Lotterie gesinnt war, geht aus einem Schreiben des Herrn Regierungsrates [Albert] Mächler vom Polizei- und Justiz-Departement des [Kantons] St. Gallen an Herrn [Paul] Amstutz von der Eidgenössischen Steuerverwaltung hervor, in welchem sich dieser Herr angelegentlich erkundigt, ob es richtig sei, dass der Bundesrat seine Zustimmung zur Durchführung dieser Klassenlotterie erteilt habe, wie dieses dem Regierungsstatthalter Werdenberg vom Herrn Regierungschef mitgeteilt worden sei. Dieses Schreiben erfloss bereits Anfang Jänner 1926.
In der Sitzung der Finanzkommission vom 10. August wurde auf Anregung Bauers die Pauschalsumme von Fr. 80'000 auf Fr. 100'000 festgesetzt. Im Zusammenhang damit wurde dann auch erstmals die Frage eines Markenkredites aufgeworfen. Obwohl dieser Briefmarkenkredit in den weiteren Verhandlungen fallen gelassen wurde, wurde er in der Sitzung vom 19. August wieder aufgegriffen. Nach dem Schweizerischen Postgesetze ist die Briefmarke nur gegen Barzahlung erhältlich. Darum hat auch die Kreditierung der Marken im Betrage von Fr. 300'000.- bei der Eidgenössischen Postverwaltung etwelche Verwunderung gerufen, wurde aber als interne liechtensteinische Angelegenheit geduldet.
Wir betrachten die Marke als Bargeld. Sie ist ein Staatshoheitszeichen, das, wie die Erfahrung lehrt, nicht massenhaft in private Hände gegeben werden darf. Es ist eine schwere Schädigung der Philatelie, die im Vertrauen auf die Solidität der staatlichen Postwertzeichen gekauft hat und nachträglich erfahren muss, dass an andere solche zu Hunderttausenden kreditiert werden. Dadurch, dass der Markt überschwemmt wird, wird die Nachfrage verkleinert und die Einnahmen des Landes verringert. Das trifft namentlich auch für die Wohlthätigkeits- oder Jubelmarke zu, bei welchen dem Käufer ein Übernominale von 5 Rappen aufgebürdet wurde, die dann aber, im Grossen zu Frankierzwecken vergeben, plötzlich auf den Markt geworfen wurden. Es wurden von diesen verkauft:
Stück 170'654 à 10 Rp.
Stück 170'433 à 20 Rp.
Stück 241'582 à 30 Rp.
Wir ersehen aus dem Briefe des Markenhauses Zumstein & Cie. in Bern, dass sich die Philatelie solchen Vergabungen gegenüber nicht gleichgültig verhält, indem es sich um die Ausgabestückzahl der 30-Rappen-Marke interessierte.
Es ist ein haltloser Einwand, dass die Marke nur Papier sei. Wenn dem so wäre, wäre die Forderung des Landes im Betrage von Fr. 285'000.- für kreditierte Marken auch nicht berechtigt. Aus eben diesem Grunde halten wir dafür, dass Regierung und Finanzkommission nicht berechtigt gewesen wären, Markenkredite in dieser Höhe zu gewähren.
Trotz möglichster Zurückhaltung des juristischen Beraters Dr. Emil Beck musste doch der Name (Klassenlotterie in Liechtenstein) zugelassen werde. Die Konzessionäre waren darauf angewiesen, mit dem Namen Liechtenstein Propaganda zu treiben. Wie verderblich auch selbst dieser Name im Landesinteresse wirkte, geht aus den vielen Briefen hervor, die während des Betriebes und besonders nach dem Zusammenbruch der Klassenlotterie bei der Regierung einliefen. So mancher musste zu seinem Leidwesen erfahren, dass es ein von der Regierung konzessioniertes Privatunternehmen sei, ohne Staatsgarantie und Staatsverantwortlichkeit, wie sie eben andere staatliche Lotterien sind.
Ähnlich ging es mit dem Namen unserer Spar- und Leihkasse. Der Name Bankstelle in Vaduz wurde von den Konzessionären nicht akzeptiert, weil dieser Name den Einlegern zu wenig Gewähr biete, dass ihre Gelder einer vertrauenswürdigen Bank übergeben würden. Der juristische Berater Dr. Emil Beck konnte aber auch hier die Interessen der Landesbank nicht schützen. Wirklich hat auch schon am 7. Jänner 1926 ein Geldgeber an die Landesbank Folgendes geschrieben: "Gleichzeitig möchte ich Sie höflichst anfragen, bei welchem Zusammenhang eventuell die Landesbank mit dem berüchtigten Lotterie- Unternehmen hat und ob die Landeskasse in Mitleidenschaft gezogen ist oder nicht." Noch mehr ist die Landesbank durch die bald entstehenden Unregelmässigkeiten bei der Lotterie in Mitleidenschaft gezogen worden, was aus den an sie gerichteten Briefen deutlich zu ersehen ist. Mit Brief vom 29.1.1926 musste die Sparkasse der Regierung mitteilen, dass die Angabe von Deckadressen in ihrem Einverständnisse erfolgt sei, um die Beschlagnahme der Briefe zu verhindern. Es steht fest, dass hier die Namen Liechtenstein und Landesbank zu einem unrühmlichen Geschäft missbraucht worden sind.
Auffallend ist, dass in der Finanzkommissionssitzung vom 19. August die im Regierungsentwurfe enthaltene Mindestleistung von einer Million, mit der die Konzessionäre vorher grosssprecherisch herumwarfen, fallen gelassen wurde. Selbst eine Mindestleistung an den Staat im Betrage von Fr. 200'000.- wurde von den Konzessionären unbedingt abgelehnt und dieses wäre nach Erachten der Kommission der richtige Zeitpunkt gewesen, den Herren die Türe zu weisen.
In ebenso berechneter Weise haben die Konzessionäre die in diesem Entwurfe enthaltene Barzahlung der Marken zur Hälfte zu vertrölen und an ihre Stelle eine unsichere Gewinnbeteiligung zu setzen gewusst. Herr Dr. Wilhelm Beck äusserte, die Beteiligung des Staates am Gewinn und Verluste werde von den Konzessionären lediglich angeboten, um spätere Vorwürfe zu vermeiden, wenn das Geschäft gut gehe. Es ist hier ganz vergessen worden, dass die Konzessionäre den Staat um eine Gefälligkeit angegangen haben, nicht der Staat die Konzessionäre, und es ist sehr bedauerlich, dass der Standpunkt des Geschäftsträgers bezüglich Barzahlung der Marken nicht bis zum äussersten vertreten wurde. Es kann dadurch leicht ein bedeutender Entgang an Bareinnahmen errechnet werden. (150'000 Fr.)
Nun ist dem Staate als endgültige Sicherheit noch eine Kaution von Fr. 100'000 gegeben. Dabei ist eine fiktive Gewinnbeteiligung und Ablieferung von Fr. 100'000 pro Ziehung vertraglich festgesetzt, ohne aber nur zu einem Fünftel garantiert worden zu sein.
Mit unheimlicher Raschheit scheint sich das Gerücht von ungeheueren Gewinnen und von grosser Arbeitsgelegenheit im Lande verbreitet zu haben. Da machte sich freilich der Hunger nach Geld bemerkbar, aber die Kommission ist der Ansicht, dass für ein Geschäft, für das jede Voraussetzung fehlte, diesem Hunger nach Geld entgegengetreten hätte werden müssen, da namentlich bei näherer Prüfung sich die Konzessionäre ziemlich mittellos gezeigt hätten. Auch die Stundung des Kautionserlages bis zum Termine von längstens 14 Tagen war sicherlich eine Schwäche unserer Unterhändler. Die Konzessionäre benutzten die Konzession in der Zwischenzeit zur Geldbeschaffung, wie die obige Agitation eines Herrn Huwiler beweist. Anerkannt muss werden, dass die Herausgabe der Konzession von der Regierung vor Erlag der Kaution verweigert wurde.
Auf Seite 19 des Protokolls vom 19. August wird auf Anfrage eines Abgeordneten und des Herrn Regierungschefs die Gewinnbeteiligung und Kreditierung der Marken wieder aufgegriffen, ohne sich an die Ratschläge des Herrn Dr. Emil Beck wegen Barzahlung der Hälfte der Marken zu halten. Freilich war die Ablehnung der Konzessionäre bestimmt und ihr Auftreten ein wenig frech, aber trotzdem war das Wiedereintreten in diesen Gegenstand ein grosser Fehler und man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hierin entweder eine grosse Beeinflussung von dritter Seite stattgefunden hat oder dass das Geschäft um jeden Preis gemacht werden sollte. Ferner ist die Kommission der Überzeugung, dass durch die Äusserung des Vertreters der Konzessionäre, Dr. Wilhelm Beck, das Vertrauen in die Kapitalkräftigkeit des Unternehmens gestärkt wurde. Äusserungen des Landtagspräsidenten, wie: "Auch mit einer Bankwirtschaft seien die Konzessionäre nicht einverstanden, sie hätten dies nicht notwendig" und "die Konzessionäre legen Wert darauf, dass der Staat sich beteiligt mit einem bestimmten Betrage, sie können die Sache auch ohne Kredit machen" mögen das ihrige getan haben, den Konzessionären Vertrauen entgegenzubringen. Die Kommission findet überhaupt die Übernahme der Vertretung der Gesellschaft durch Herrn Dr. Wilhelm Beck mit seiner Funktion als Landtagspräsident nicht gut vereinbar.
So wurde dann zum Schlusse der Vertragsfestlegung ein Briefmarkenkredit von Fr. 300'000.- pro Ziehung bewilligt und für die ersten 2 Jahre eine Gewinnbeteiligung von 10 % und für die weiteren fünf Jahre eine solche von 20 % festgelegt. Herr Dr. Emil Beck erklärte am Schlusse, er sei kein Fachmann und habe bei diesen Beratungen nur als Jurist mitgemacht, das möchte er ausdrücklich betonen, von seinem Standpunkte wäre ihm am liebsten, wenn ein Fachmann das Ganze überprüfen würde, vielleicht sei etwas drin, das nicht fachmännisch sei. Der Beizug eines Lotteriefachmannes, von Seite des Landes, wäre das einfachste Mittel gewesen, das Ganze am Fehlen genügender Absatzmöglichkeit der Lose scheitern zu lassen.
Nun war der Lotterievertrag soweit redigiert, dass er zur Unterzeichnung vorgelegt werden konnte. In diesem Augenblicke aber gingen Dinge vor sich, die den Vertrag trotz aller Anstrengungen auf das Spiel hätten setzen müssen. Es kam die schlecht lautende Information über Sautier u. zugleich in der Neuen Zürcher Zeitung erschien ein Inserat, das sehr wahrscheinlich von den Konzessionären ausgegangen ist. Die Agitation Huwilers hat dieses bestätigt.
Die Regierung wurde misstrauisch, trat aber unseres Erachtens den Konzessionären trotz der gegenteiligen Beteuerungen dieser Herren zu wenig energisch entgegen und verschanzte sich in der Sitzung vom 20. August hinter die Finanzkommission, die sich einzig an die Kaution von Fr. 10'000 [3] klammerte. Wir können hier auch den juristischen Berater nicht ganz verstehen, denn gebunden war damals die Regierung noch nicht, ausser sie müsste privater Äusserungen halber sich als gebunden betrachtet haben. Herr Dr. Emil Beck sagte dort, die Einholung einer weiteren Information hätte nur dann einen Sinn, wenn wir nicht schon vorher gebunden sind. Gebunden waren die Herren nur durch die Verhandlungen und es wäre ihnen jederzeit frei gestanden, die Zusage bis zum Einlangen weiterer Information zu verschieben. In diesem Moment des Zweifels telefonierte Herr Dr. Wilhelm Beck, dass die Konzessionäre heute das letzte Mal an den Verhandlungstisch kommen und Schmidhauser erklärte, "sie hätten bald genug."
So wurde am 20. August die Bewilligung zur Durchführung eines Unternehmens erteilt, für das jede Vorbedingung fehlte und das deshalb auch von unliebsamen Folgen begleitet sein musste. Wenn uns auch der Abschluss überstürzt vorkommt, besonders weil eine so schlechte Information vorlag, wollen wir doch annehmen, dass bei der Aufbauschung der ganzen Sache von Seiten der Unternehmer hier die Regierung die Interessen des Landes zu fördern glaubte.
Bekanntlich wurde die Zustimmung der Oberpostdirektion hinsichtlich des Markenkredites im Vertrage ausdrücklich vorbehalten. Diese Zustimmung erfolgte, obwohl die Kreditierung der Briefmarken den Grundsätzen des anwendbaren Postgesetzes widerspricht.
Auf eine eventuell notwendig werdende Fristerstreckung, die die vertraglich festgelegten 6 Wochen überschreiten, wurde vom Geschäftsträger von allem Anfang an hingewiesen, und die Oberpostdirektion hat hievon in zustimmendem Sinn Kenntnis genommen, rät aber, diese Frist nicht allzulange auszudehnen. Der von der Frankiermaschine angezeigte Betrag wäre laut Verordnung für den Gebrauch von Frankiermaschinen einen Monat nach Inbetriebsetzung fällig. Nach dem Vertrag waren die Porto nur bis zur nächsten Ziehung kreditiert und es hätte eigentlich am 19. Dezember 1925 die erste Vertragsverletzung seitens der Gesellschaft festgestellt werden müssen. Für die Abrechnung scheinen Oberpostdirektion und Regierung einen eigenen Modus geschaffen zu haben.
Die inzwischen von der Regierung eingeholten Informationen vom 22. u. 28. August stammen vermutlich von der Kantonalbank und Nationalbank in Luzern. Beide sind von der Spar- und Leihkasse gezeichnet, also jedenfalls telefonisch eingeholt. Diese im Regierungsberichte Seite 34 abgedruckten Erkundigungen sind allgemein gehalten.
Auf der Konzessionsurkunde ist vermerkt, dass am 1. September 1925 der Betrag von Fr. 100'000.- an Kaution in bar erlegt wurde. Wie es sich dann später herausstellte, wurde diese Kaution nicht von der Bank Sautier allein aufgebracht, sondern Dr. [Emil] Huber in Zürich und noch andere waren Geldgeber. Es fehlte den Konzessionären überhaupt jeder finanzielle Rückhalt und das Hausieren mit der Konzession trug zu wenig ein.
Der Beginn des Betriebes zog sich in die Länge. Die Regierung drängte, den Betrieb endlich aufzunehmen und so wurde am 16. November 1925 mit den Arbeiten begonnen. In Eschen wurden 120 Personen beschäftigt, in Balzers 50, und in Triesen 40. Am 12. November hatte die Steuerverwaltung die Regierung aufmerksam gemacht, die Eintragung des Unternehmens im Handelsregister zu bewerkstelligen.
Anstatt dessen wurde von der Bank Sautier am 17. November die auf Seite 50 des Regierungsberichtes wiedergegebene Domizilerklärung abgegeben.
Zwei Tage nach der Inbetriebsetzung der Lotterie fand eine Finanzkommissionssitzung statt, in welcher der Abgeordnete Herr Walser-Kirchthaler wegen des Markenkredites für die zweite Million Werbebriefe vorstellig wurde. Angesichts des grossen Risikos können sie die zweite Million Briefe nur versenden, "wenn das Land die Briefmarken zu zwei Drittel schenkt, der Andrang von Arbeitskräften ist gross, die Sache ist aber dringend usw." Die Finanzkommission beschloss nun, für jede Klasse der Lotterie die zweite Million Marken um 100'000 anstatt um Fr. 300'000 zu geben. Die Finanzkommission hat also auf mündliches Ansuchen des Herrn Walser für die Durchführung der ganzen Lotterie eine Million Franken geschenkt.
Die Massepropaganda schlug fehl. Zwar wurden noch immer mehr Leute beschäftigt, aber desto mehr solcher Briefsendungen kamen zurück. Im Ganzen waren es 300 Säcke. Es heisst in einem Schreiben vom 11. Dez. 1925: "Die liechtensteinische Landesbank, Abteilung Kassa in Vaduz versendet an Empfänger im Freistaat Sachsen in grosser Menge Werbeschreiben zur Beteiligung an einer in Liechtenstein stattfindenden Klassenlotterie. Da die Lotterie im Freistaat Sachsen nicht genehmigt ist, dürfen solche Sendungen gemäss Artikel 41 g des Weltpostvertrages im Freistaate Sachsen nicht eingeführt werden."
Bereits am 10. Dezember 1925 gab Sautier an Hand von Aufstellungen ein weiteres Gesuch um Entgegenkommen ein. Es seien bisher 15'000 Franken eingegangen und für Fr. 485'000 Auslagen gemacht worden. Am 13. Dezember fand dann im Beisein des Herrn Dr. Emil Beck eine private Besprechung mit den Konzessionären statt, in der den Konzessionären die Folgen des Unterbruchs des Unternehmens klargelegt wurden. Diese Unterredung verlief ergebnislos und so wurde auf 14. Dezember die Finanzkommission einberufen, die ratlos dastand und für den 15. Dezember den Gesandten von Bern berufen liess. Aber auch die folgenden Verhandlungen in der Finanzkommission zeigen, dass Sautier kein Geld hatte und Dr. Huber von Zürich an einem neuen Vertrage wenig Interesse zeigte.
Angesichts dieser Tatsache klingt es etwas verwunderlich, wenn von verschiedenen Seiten die Schaffung von Arbeitsgelegenheit durch die Fortführung der Lotterie betont wurde und man muss sich fragen, warum sind nach dem Fehlschlag der Massenpropaganda nicht Leute entlassen worden.
In der Finanzkommissionssitzung vom 17. Dezember 1925 wurde beschlossen, den Konzessionären alles zu schenken, wenn sie zur Kaution von Fr. 100'000 noch Fr. 30'000.- erlegen würden. Die Entscheidung sollte in der Landtagssitzung vom 21. Dezember fallen. Aufgebaut auf diese Tatsache und die in der Finanzkommission und Regierungssitzung vom 18. November wirklich geschenkten Marken schwirrten im Lande Gerüchte herum, die dem Herrn Abgeordneten Peter Büchel zur bekannten Interpellation Anlass gaben. Wenn sich auch der Herr Regierungschef veranlasst fühlte, damals auf die nachteiligen Folgen hinzuweisen, welche die öffentlichen Verhandlungen für die Fortführung der Lotterie haben könnten und die Verantwortung denen überliess, welche diese Diskussion veranlasst haben, sagt die Kommission, dass die Veröffentlichung der ganzen Angelegenheit unbedingt im Interesse der Gesamtheit gelegen ist. In der Beantwortung der Interpellation kommen Unrichtigkeiten vor, die sich nach offener Sachlage jedoch jeder selbst zu berichtigen imstande sein wird.
Die Kontrollkommission bestand aus den Herren David Strub, Ludwig Wachter und Kilian Heeb. Sie wurde erst gewählt, nachdem das Unternehmen einen Monat gearbeitet hatte. Nach der ersten Ziehung am 19. Dezember 1925 wurden Treffer im Betrage von 14'780 Fr. ausbezahlt. Als vor der zweiten Ziehung, die am 25. Jänner stattfand, die Kontrollkommission Einsicht in die Bücher verlangte, wurde ihr dieselbe verweigert und die Kommission lehnte jede weitere Verantwortung ab. Trotzdem fand die Ziehung am nächsten Tage statt. Die Konzessionäre haben sich dadurch einer Vertragsverletzung schuldig gemacht, ohne entsprechend zur Verantwortung gezogen worden zu sein.
Die Regierung liess in der Folge durch Herrn Dr. [Josef] Reich Sicherungsbote ergehen und am 12. Februar 1926 fand in der Forderungssache des liechtensteinischen Ärars gegen die Vertriebsunion Triesenberg wegen Fr. 285'888.- die Vermittlungsverhandlung statt. Die Vertriebsunion wurde dann verhalten, ihr Vereinsvermögen von Fr. 2'000. - an die Landeskasse abzuführen. Wir haben unsere Auffassung bezüglich Vertriebsunion oben bereits dargelegt, und es erhellt aus der Gegenüberstellung des geschuldeten Betrages und des Vereinsvermögens, wie ungerechtfertigt die Zulassung der Vertriebsunion als Mitkonzessionärin an sich war.
Aus dem Protokolle vom 16. März ist ersichtlich, dass die Konzessionäre die erworbene Treffer-Garantie von Fr. 60'000.- nie geleistet haben. Auch hierin hätte seitens der Aufsichtsbehörde einschneidender vorgegangen werden sollen.
Die Konzession wurde erst am 13. April 1926 entzogen. Dort heisst es, wörtlich angeführt: "Die angeführten Vertragsverletzungen fallen auch in gleicher Weise der Vertriebsunion Triesenberg zur Last, da dieselbe Mitkonzessionärin war. Dass die Vertriebsunion noch weniger über Zahlungsmittel verfügt als die Bank Sautier ist notorisch."
Nachdem für die dritte Ziehung niemand die erforderliche Treffergarantie übernehmen wollte, liess die Regierung alle in Liechtenstein greifbaren Werte mit Sicherungsbot belegen und bestellte als einstweiligen Zwangsverwalter Herrn Guido Feger von der Wirtschaftskammer. Es wurden nun auch noch die laufenden Schulden der Klassenlotterie im runden Betrage von 20'000.- aus Landesmitteln bezahlt, von denen an [Otto] Biedermann in Vaduz allein 4'837.60 Fr. für gelieferte Couverts und an Walser 4'282.40 Fr. für Löhne und Spesen entfielen.
Um den Vertrieb von Losen usw. besser bewerkstelligen zu können, nahm das Unternehmen zu Deckadressen seine Zuflucht. Dieses Vorgehen wurde in der Schweiz alsbald aufgedeckt und die Kreispostdirektion St. Gallen erliess am 27.2.1926 folgendes Schreiben an die Regierung: "Die Oberpostdirektion in Bern hat am 19. d. M. der Eidgenössischen Steuerverwaltung in Bern Mitteilung gemacht, dass aufgrund einer Anzeige des Herrn Franz Büchel im Zürich gegen den mit der Durchführung der liechtensteinischen Klassenlotterie beauftragten Herrn Walser in Vaduz durch die Zürcherische Behörde eine Busse von Fr. 1'000.- ausgesprochen worden sei, zu deren Deckung die von Herrn Büchel im Statthaltereiamte Zürich deponierten Sendungen verwertet werden. Im Auftrage der Oberpostdirektion geben wir hiervon Kenntnis mit der Bitte, die Lotterie-Unternehmer gefl. zu verständigen. Mit Ihrem Schreiben vom 31. Dezember 1925 haben Sie uns Auskunft erteilt, die Klassenlotterie mache nach der Schweiz keine Sendungen und es sei ausdrücklich verboten, in der Schweiz Propaganda zu machen. Im Hinblick auf vorstehend erwähnte Feststellungen in Zürich scheint das von der fürstlichen Regierung erlassene bezügliche Verbot von der liechtensteinischen Klassenlotterie nicht genügend berücksichtigt worden zu sein."
In dem darauf erfolgten Schreiben der Regierung an die Kassenlotterie heisst es dann am Schlusse: "Wir machen darauf aufmerksam, dass derartige Gesetzesverletzungen in Hinkunft nicht mehr vorkommen sollen." Wie wenig die Weisung der Regierung beachtet wurde, wird uns das Deckadressenwesen in der Zukunft zeigen.
In der Forderungssache des liechtensteinischen Staates gegen die Bank Sautier und die Vertriebsunion wurde von den Konzessionären geltend gemacht, die Klassenlotterie sei etwas Unsittliches und deshalb überhaupt nicht zulässig gewesen und der Staat hätte sich bereichern wollen. Diese Gegenklage wies das Landgericht und ebenso das Berufungsgericht selbstverständlich ab, weil sie nicht zu Recht bestehen, und die Bank Sautier schuldet dem Staate nach wie vor Fr. 498'898.-. Allerdings ist es eine Forderung, die trotz der Vereinbarung der Vollstreckbarkeit liechtensteinischer Urteile im Kanton Luzern dem Staate nicht gleich zugute kommen wird.
II. Die Regierung hatte an der Durchführung der noch restlichen Klassen der ersten Lotterie ein Interesse, und sie suchte nach neuen Konzessionären. Ein solcher trat in der Person des Geheimrates Josef Paul Grüsser auf, der sein Angebot am 26.1.1926 in einer schriftlichen Eingabe niederlegte und auf Grund derer dann von den Herrn Abgeordneten [Emil] Batliner und [Andreas] Vogt und Dr. Emil Beck ein Entwurf ausgearbeitet wurde.
Am 1. Februar 1926 tagte der Landtag als Kommission und der Entwurf wurde zur Beratung vorgelegt, unter Hinweis darauf, dass die Behandlung dringlich sei. Die Minderheit verlangte die Erledigung der Regierungsratsfrage und so kam ein Beschluss nicht zustande. Am gleichen Tage hat dann aber die Regierung die Konzession erteilt, unter Vorbehalt der Genehmigung durch den Landtag. Inzwischen verreiste Grüsser nach Berlin auf die Suche nach Geld und sandte von dort am 6. Februar 1926 ein Schreiben, das wir der Originalität halber hier wörtlich wiedergeben, das aber auch am besten geeignet ist, die Persönlichkeit Grüssers ins richtige Licht zu stellen, aber leider auch das übereilte Handeln liechtensteinischerseits entsprechend würdigen muss. Wir lassen zuerst seine Einführung als Firma Dr. John von Glahn & Co. folgen:
"Staat New-York
Grafschaft
Wir John von Glahn und Josef Paul Grüsser erklären hiedurch, dass wir unseren Geschäftsbetrieb und unsere Transaktionen fertigen unter der Firma 51 West 93 Strasse in der Stadt New-York, Staat New York, wie früher gesagt, und dass der richtige Name der Geschäftsinhaber wie folgt lautet:
Dr. J. von Glahn Potsdam
Josef Paul Grüsser 54 W.93
Staat New-York Hotel Vanderbilt
Grafschaft New-York.
Nachsatz
Am 13. April 1925 erschienen vor mir persönlich J. von Glahn und Josef Paul Grüsser, uns persönlich bekannt, u. zw. bekannt als die oben beschriebene Person, die die vorstehenden Unterschriften vor mir geleistet haben und ausdrücklich anerkannt haben, dass dieses ihre Unterschriften sind.
Edward J. Horne."
Dieses Schriftstück ist von Anfang bis zum Ende von Grüsser selbst geschrieben und ist weder mit einem Siegel versehen noch mit einer notariell beglaubigten Abschrift gezeichnet. Wir lassen nun den Handelsregisterauszug, von Grüsser selbst geschrieben, folgen:
"Nr. 25457 Staat New-York, Grafschaft New-York.
Ich Jame A. Donegan, Beamter der genannten Grafschaft, und Beamter des höchsten Gerichtshofes derselben beurkunde hiedurch, dass ich diesen Auszug mit dem Originaldokument verglichen habe und dass dieser Handels-Register-Auszug, der im Original in meiner Registratur vorhanden ist, mit demselben genau übereinstimmt.
13. April 1925
Zur Beurkundung unterschreibe ich diesen Auszug mit meinem Namen und versehe ihn mit dem offiziellen Siegel.
13. April 1925.
Jame A. Donegan
Staatssiegel New-York"
Auch hier wurden der Staatssiegel von New-York nur von Grüsser selbst angedeutet. Der Handelsregisterauszug entbehrt ebenfalls jeder Beglaubigung.
Wir lassen nun das den beiden selbst verfassten Urkunden Grüssers beigelegte Schriftstück an die Regierung wörtlich folgen:
"Adresse: An die fürstliche Regierung in Vaduz. Berlin 6.2.
1. Ich sende Ihnen anbei die notariell beglaubigte Abschrift des in meinem Besitze befindlichen Originalauszuges aus dem New-Yorker Handelsregister, aus dem sich meine Vertretungsbefugnis resp. die rechtsgültige Zeichnung der Firma ohne weiteres ergibt.
2. Die Übersetzung dieser Urkunde in deutscher Sprache.
Als Referenzen gebe ich Ihnen auf
[Kurt] Freiherr von Grünau, Briennerstrasse 12, Berlin-Wilmersdorf
Rechtsanwalt und Notar [Otto] Baron von Lüdinghausen, Barbarossastrasse 44, Berlin West 50.
Sie ersehen aus diesem Dokument, dass Sie es mit mir persönlich zu tun haben, denn ich habe die Firma John von Glahn nur deshalb vorgeschoben, weil ich als angesehener Reichsdeutscher nicht die Konzession für eine im Reichsgebiete nicht genehmigte Lotterie erwerben resp. durchführen kann.
Ich nehme an, dass ich Ihnen persönlich bekannt bin. Denn man kennt mich in der ganzen Welt und wenn ich dem österreichischen Staatsministerium als Kontraktgegner resp. Kontrahent genehm war, so dürfte ich voraussetzen, dass auch der liechtensteinische Staat mich ohne weiteres als solchen anerkennt.
Dass man mich noch heute nach 14-tägigem Aufenthalte, bei welchem ich den Vertrag mit Ihnen geschlossen habe, um Referenzen fragt, berührt mich nicht gerade angenehm, umso weniger angenehm, als ich hier in Deutschland die telefonisch gewünschte Auskunft auf gleichem Wege nicht geben kann, ohne mich zu kompromittieren, denn man kennt mich allüberall in der ganzen Welt, ebenso auch in Berlin.
Es ist Ihnen bekannt, dass ich am 15.2.[1926] Fr. 50'000.- einzahlen und den Vertrag auch für die Zukunft fortsetzen soll und es ist mir daher ganz unmöglich, ohne gemeinsame Interessen zu gefährden, heute schon wieder nach dorten abzureisen, nachdem ich erst von dort hier angekommen bin.
Ich bitte Sie, sich am Montag dort zu entschliessen, ob Sie die Konzession aufrecht erhalten wollen oder nicht. Ich bin gewohnt, Gesellschaften durchzuführen oder sie zu unterlassen, um mich nicht auf halbem Wege stehen zu lassen.
Ich bitte Sie, mir daher zu drahten, ob der Landtag am Montag seine Genehmigung gibt oder nicht, denn es liegt mir nicht, nutzlose Arbeit zu leisten.
Mit ergebener Hochachtung
J. P. Grüsser
in Firma John u. Glahn"
Trotzdem die Regierung durch den Vertrag vom 1. Februar einigermassen gebunden war, stünde es wohl besser, wenn der Antrag der Herren Abgeordneten Peter Büchel und [Josef] Marxer im Landtage bezüglich Liquidation durch den Staat Anklang gefunden hätte.
Wir fragen uns, ob bei der Konzessionierung durch den Landtag am 11. Februar diese Schreiben des Geheimrates Grüsser vorgelegen sind, oder ob bloss die Regierung davon Kenntnis hatte. Wir sind der Ansicht, dass auf diese Schreiben hin mit Grüsser nicht mehr hätte weiter verhandelt werden sollen.
Allenfalls ist zu verurteilen, dass auf zwei von Grüsser selbst angegebene Referenzen hin die Konzession erteilt wurde. Man hätte nach den früheren Erfahrungen viel mehr erwarten dürfen, dass mit allen Mitteln eine objektive Beurteilung der finanziellen und persönlichen Tüchtigkeit des Mannes angestrebt worden wäre. Die zwei vorgenannten Referenzen, von denen Freiherr von Grünau gar Verwandter unseres Fürsten sein soll, sind dann später an der Zentrofag Beteiligte. Notar von Lüdinghausen vermag sich über die finanzielle Lage Grüssers kein Bild zu machen, während Grünau Grüsser bestens empfiehlt und sein Vermögen mit 4000 holländischen Gulden angibt.
Aus dem Briefe Grüssers geht ganz klar hervor, dass der Name John von Glahn nur vorgeschoben war, und der Kontrahent Grüsser selbständig handelte. Aus einem Telegramm geht hervor, dass er erst in Holland das Geld für die Fr. 50'000.- Kaution holen musste.
Der Landtag vom 11.2. konnte nur eine Hinterlage von Fr. 50'000.- bis zur Beendigung der alten Lotterie erreichen. Es ist nicht ersichtlich, wann dieser Betrag erlegt wurde, obwohl in der Zusatzerklärung zum Vertrage der 20. Februar als Termin ausgestellt ist. Wenn aber die Fr. 50'000.- am 20. Februar als Pfandgeld erlegt worden wären, ist nicht einzusehen, weshalb die Regierung unter dem 22.2. dem Landgerichte mitteilte, dass sie die Garantie für die dritte Ziehung übernehme und zwar in der Form, dass sämtliche Gewinne ausbezahlt werden und zwar auch wenn die Mittel der Lotterie dafür nicht ausreichen sollten. Das war jedenfalls sehr viel riskiert. In der Zusatzerklärung möchten wir den Punkt 4 gerne vermissen. Die Regierung hat bereits die Versicherung abgegeben (Brief vom 31. Dezember 1925) den Vertrieb von Losen usw. nach der Schweiz untersagt zu haben. Punkt 4 dieser Zusatzerklärung lautet jedoch: "Art. 11 des Konzessionsvertrages ist namentlich auch dahin zu verstehen, dass der Verkauf von Losen nach der Schweiz verboten werden kann, falls die schweizerische Regierung wider Erwarten gegen den Verkauf von Losen Einspruch erheben sollte." Es stehen diese Zeilen im Widerspruche zu Artikel 2 letzter Absatz, wo es heisst: "Die Konzessionärin darf in der Schweiz keine durch das schweizerische Bundesgesetz betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten vom 8. Juli 1923 verbotenen Geschäfte betreiben, noch dafür Propaganda machen." Der Verkauf von Losen und jede Propaganda war in der Schweiz an sich untersagt und wir verweisen auf den eben angeführten Brief der Oberpostdirektion vom 7. Februar 1926.
Wie wir eingangs erwähnten, fehlte für die Klassenlotterie das Gebiet für die Aufnahme des Versandes und der Versand nach Artikel 4 bei einer ausländischen Poststelle konnte das Unternehmen auf verbotenem Wege nicht retten, weil auch den Herren jede finanzielle Unterlage fehlte.
Schon um diese Zeit liefen bei der Regierung Erkundigungsbriefe über das Unternehmen ein: "Ist es eine behördlich erlaubte Lotterie oder ist das ein Schwindelunternehmen." Man konnte mitteilen, dass es ein staatlich konzessioniertes Unternehmen sei und die Ziehungen unter staatlicher Aufsicht stattfänden. Am 25. und 26. März fand die 4. Ziehung statt und es wurden laut Bericht der Spar- und Leihkassa Fr. 200.- und von der fünften Ziehung am 26. u. 28. April Fr. 250.- als Treffer ausbezahlt. Ein Mitglied der Kontrollkommission erklärte, dass nach seiner Ansicht bei der Ziehung keine Schwindeleien hätten vorkommen können. Auffallend war für die Kommission nur, dass beständig kleine Treffer erzielt wurden und dass Kapp als Lotterietätiger bei diesen Ziehungen am Nummernrad beschäftigt war.
Das Unternehmen hatte während dieser Zeit mit allerhand Schwierigkeiten zu kämpfen. Das Umgehen der Öffentlichkeit im Versand der Propaganda und Lose kostete Geld und grosse Mühe und zudem kam den Loskäufern das beständige Ändern der Adressen mit Umgehung von Vaduz zweifelhaft vor und das Misstrauen steigerte sich. Wir müssen uns nicht wundern, denn das eine Mal hiess die Adresse zur Einzahlung Franz Beck, Chur, ein anderes Mal Creditgenossenschaft Balzers, wieder ein anderes Mal Thöny, Bahnhof Sevelen oder Postfach Weesen Nr. 20279.
Damit wären wir bei den Deckadressen angelangt und sind auch darüber der Öffentlichkeit Mitteilung schuldig.
Im Lande selbst liefen verschiedene Deckadressen, ebenso wie in der Schweiz vom Bodensee bis Chur. Wegen Durchführung verbotener Lotteriehandlungen wurde am 15. März 1926 Anton Walser als Lotterie-Vertreter vom Statthalteramt Zürich mit 1'000.- Fr. gebüsst. Ebenso erhielten Geldbussen am 2. Juni 1926 Hackenitz und Consorten und am 4. Juni Franz Josef Beck, Chur.
Ebenso wurden Franz Schwarzl und J.P. Grüsser am 23. März 1928 vom Bezirksgerichte St. Gallen zu Geldbussen verurteilt. Das Kantonsgericht St. Gallen und das Schweizerische Bundesgericht als Kassationsgerichtshof sprachen wegen Verwendung von Deckadressen Dr. Emil Hobi, Ragaz und Arnold Tscherfinger, Advokat in Sargans, sowie 7 Konsorten schuldig, das erstere in seiner Sitzung vom 12. September, das letztere in der Sitzung vom 19. Dezember 1927.
III. Die Gründung der Zentrofag am 3. März war ein aufgelegter Schwindel. In den Statuten ist in Artikel 3 eine Million Franken voll einbezahlt ausgewiesen. Nach Artikel 288 des Personen- und Gesellschaftsrechtes hat der Richter nur urkundliche Funktion und es war Grüsser, [Heinrich] Hackenitz und [Franz] Grönebaum ein Leichtes, die Million vorzutäuschen, gleichviel ob [Fritz] Stapper hinter ihnen stand, wie sie heute gerne behaupten möchten. Auf diese grosse Null hin wurde am 12. Mai 1926 beschlossen, das Kapital auf 2 Millionen zu erhöhen. Die neuen Aktien wurden gegen Barzahlung verkauft und somit auf die nur auf dem Papier vorhandene erste Million spekuliert.
Grüsser suchte nun bei Privaten und Schweizer Banken um Kapital an, das in einem ganz erstklassigen Unternehmen gewinnbringend angelegt werden sollte. Er gab den Leuten vor, er selbst habe Fr. 400'000.- in dieser Firma als Aktienkapital einbezahlt. Die Sache rentiere sich so glänzend, dass bei 25 % Aufgeld die Aktien noch gehandelt seien. So gelang es ihm tatsächlich, einen Haupt-Kapitalgeber zu finden, der mit 160 Aktien à Fr. 1'000.- Nominale mit Fr. 200'000.- bezahlte. Das war Kommerzienrat [Theodor] Hinzberg. Ausserdem hängen noch ein Herr Dr. Pratter mit 26 Aktien und andere kleinere Einzahler. Die Gründungsvorgänge der Zentrofag und die nachherigen Vorgänge hätten unbedingt besser überwacht werden sollen.
Durch diesen Aktienverkauf wurde es der Zentrofag möglich, die vertraglich festgelegten Fr. 200'000.- zum Beginne und zur Durchführung der Lotterie zu erlegen. Später wird dann von den Einzahlern angezweifelt, ob diese Fr. 200'000.- in der Zentrofag je vorhanden gewesen seien.
Grüsser machte sich diesen Geldstoff zunutze, liess sich 3 Wechsel ausstellen, nämlich ca. Fr. 30'000.-, Fr. 10'000.- und Fr. 23'000.-. Die beiden Akzepte wurden nach Fritz Thalberg in Zürich der Bank Sautier für ein Darlehen von Fr. 20'000.- abgegeben, das Akzept von Fr. 23'000.- löste Sautier mit Fr. 15'000.- ein. Grüsser lieferte aber das Geld nicht dem Unternehmer ab, sondern verbrauchte es in seinem Privatleben. Es wurde am 10. Dezember (allerdings reichlich spät) die Betrugsanzeige gegen ihn gemacht. So ist es einleuchtend, dass die zur Durchführung der Lotterie bestimmten 100'000 Franken ausserhalb der als Kaution gedachten Summe von Fr. 100'000.- rasch zur Neige gingen. Es ist aber auch kaum glaublich, dass schon vor der 1. Ziehung am 18. August 2000 Stück Achtellose sowie die Staatsgebühren für die 1. Ziehung am 14. September kreditiert werden mussten. Das waren schlimme Vorzeichen und der Zerfall musste kommen, obwohl die Regierung in grosszügiger Weise entgegenkam.
In der Generalversammlung vom 12. Mai wurde auf Anregung Stappers das Goldregensystem empfohlen und angenommen. Das war nun etwas ganz Verfehltes und die Kritik war so stark, dass Warnungen durch alle Zeitungen kursierten.
Am 9. Juli wurde an die Regierung das Ersuchen gestellt, Fr. 30'000.- in bar von der Landesbank zu erhalten, um in der Schweiz zur Aufgabe von Briefen 30-Rappen-Marken beschaffen zu können. Die Regierung trat auf dieses Gesuch nicht ein.
Die nach der Konzessionierung eingezogenen Erkundigungen über Grüsser und Stapper lauten schlecht und hätten eigentlich Richtlinien für das Überwachungsrecht sein müssen. Artikel 7 der Konzession umschreibt dieses Recht der Regierung genau. Es heisst: "Über das gesamte Geschäft ist genau Buch zu führen und zwecks Berechnung der zu leistenden Abgaben der Regierung jederzeit Einsicht zu gewähren. Die Regierung kann jederzeit die Kontrolle darüber ausüben lassen, dass das vom Lande zur Vorfügung gestellte Freiporto nur für Propagandazwecke verwendet wird." Nun haben aber am 18. August die oben angeführten 2000 Achtel-Lose kreditiert werden müssen und wir müssen annehmen, dass damals die zur Durchführung der Lotterie bestimmten 100'000 Franken verbraucht waren. Am 14. September teilt die Regierung der Leitung der Lotterie mit, dass die für die erste Ziehung kreditierten 5800 Franken wieder einzuzahlen seien und die Kaution auf Fr. 100'000.- ergänzt werden müsse, also würde schon vor der 1. Ziehung die Staatsgebühr von der Lotterie der Kaution entnommen.
Die Klassenlotterie hatte in der Folge mit den grössten Schwierigkeiten zu kämpfen. Wegen der Deckadressen fahndete man im ganzen Grenzrayon St. Gallen und am 20.9.1926 machte eine Notiz nicht nur in den St. Galler Blättern der Schweiz die Runde. Wir geben sie hier zum Teil wieder: "Das Untersuchungsrichteramt St. Gallen führt zur Zeit eine Strafuntersuchen gegen alle jene Personen, welche auf schweizerischem Gebiete bei der Durchführung dieser Lotterie helfen, insbesondere Einzahlungen, sei es aus dem Auslande, sei es aus der Schweiz, für diese Lotterie in Empfang nehmen und weiterleiten. Alle diese Einzahlungen werden vom Untersuchungsrichteramt St. Gallen beschlagnahmt. Diese amtliche Stelle warnt hiemit öffentlich davor, Zahlungen für die Klassenlotterie in Liechtenstein an Schweizer Adressen gelangen zu lassen."
Die Regierung erhielt durch Herrn Dr. Im Obersteg Kunde und sie schrieb der Klassenlotterie unter dem 22.9.1926 folgendes: "Herr Dr. Im Obersteg hat sich in einem Schreiben an uns angeboten, Ihrem St. Galler Anwalt mit Rat und Tat beizustehen, um gegen die nach Dr. Im Obersteg's Meinung ungesetzliche Publikation des Untersuchungsrichteramtes St. Gallen vorzugehen. Wir geben Ihnen hievon Kenntnis in der Meinung, dass Sie sich zustimmendenfalls mit Herrn Dr. Im Obersteg direkt in Verbindung setzen werden." Man hätte erwarten dürfen, dass auf diese Warnungen der ausländischen Presse hin die Deckadressen und Propagandaarbeiten in der Schweiz bestimmt untersagt worden wären.
Wie wir bereits oben berichteten, beschloss die Zentrofag in ihrer Generalversammlung vom 12. Mai in Ragaz, das überall im schlechtesten Sinne bekannt gewordene Goldregensystem einzuführen. Briefe folgten zurück, Schmähungen traten ein und endlich beschäftigten sich damit Polizei und Staatsanwalt. Die Warnungen verbreiteten sich in den ausländischen Zeitungen sehr rasch und kamen auch in die Hände unserer Behörden. Wir bringen hier ein Schreiben mit einer Warnung zum Abdruck: "Eine angeblich in Amsterdam gesetzlich eingetragene Gesellschaft 'Credit Hollandais' verschickt nach der Schweiz Zirkulare, in welchen sie den Kunden auseinandersetzt, mit Sicherheit Geld zu verdienen ohne Kapital. Es handelt sich dabei, nicht wie die Zirkulare weiss machen wollen, um ein neues, sinnreich ausgearbeitetes System, sondern um die alte Bauernfängerei des Schneeballsystems, und die Kunst, Geld zu verdienen, besteht lediglich darin, es den Dummen, die nie alle werden, abzunehmen. Die Durchführung der zu diesem System gehörenden Geschäfte ist auch nach unserem Polizeistrafgesetz strafbar, namentlich werden auch diejenigen bestraft, welche sogenannte Teilnehmerkarten absetzen. Anzeigen nimmt die Polizei entgegen."
Es ist sehr bedauerlich, dass die Direktion der Lotterie sich weder an frühere Weisung der Regierung, noch an Warnungen der Schweiz, noch an die Weisungen des Verwaltungsrates selbst hielt. Wir fügen hier einen vom Vorsitzenden des Verwaltungsrates am 31. Mai 1926 an die Direktion erflossenen Brief bei: "Im Namen des Verwaltungsrates der Zentrofag mache ich Sie hiedurch aufmerksam, dass Sie jede Propaganda, wie immer sie auch geartet sein möge, innerhalb des Hoheitsgebietes der schweizerischen Eidgenossenschaft auf das strikteste unterlassen. Dasselbe gilt auch für die Durchführung der Lotterie Grünau."
Alles dieses und die im Mai eingeholte Erkundigung über Grüsser hätte uns eigentlich die Augen öffnen müssen. In der Erkenntnis, dass gegen Grüsser zwei Konkursverfahren in der Schwebe sind, mit einer Gesamtforderung von Fr. 390'394.- und dass von allen Beziehungen mit Stapper abgeraten wird, wäre es angezeigt gewesen, dass man diesen Herren namentlich aber dem Hauptaktionär der Zentrofag, Grüsser, besser auf die Finger geschaut hätte.
Wir haben oben bereits erwähnt, dass die Regierung am 18. August 2000 Stück Achtellose kreditierte. Wo sind in so kurzer Zeit die zur Durchführung der Lotterie bestimmten Fr. 100'000.- hingekommen? Ebenso musste bei der nächsten Ziehung am 14. Dezember die fällige Staatsgebühr von Fr. 5'800.- eingemahnt werden. Da wäre es Pflicht gewesen, auf das Schlimmste gefasst zu sein und vom Aufsichtsrecht ergiebig Gebrauch zu machen, um im Falle einer gänzlichen Auflösung der sterbenden Lotterie die Landesinteressen möglichst zu wahren. Dem Artikel 6 letzter Absatz wurde nicht nachgelebt. Er lautet folgendermassen. "Die Konzessionärin ist verpflichtet, von dem aus den verkauften Losen eingegangenen Gelde bei der Landesbank soviel bis zur Durchführung der betreffenden Lotterie stehen zu lassen, als alle Verpflichtungen gegenüber dem Staate ausmachen und ausserdem soviel, als das Gewinnverhältnis der verkauften Lose zu den Gewinnen der verkauften Lose beträgt. [4] Die Unterlagen für die Feststellung dieser Rückstellungen sind der Regierung vorzulegen." Dieser Absatz ist mit der Kreditierung von Losen und der Staatsgebühr nicht in Einklang zu bringen.
Die Protokolle der 1. u. 2. Ziehung der Klassenlotterie sind nur von einem Mitgliede der Kontrollkommission, von Otto Biedermann, gezeichnet.
Die Lotterie befand sich in Not und machte sich das Entgegenkommen der Regierung zunutze, indem sie noch kurz vor der 3. Ziehung ganze Lose anbot und verkaufte, um möglichst viel Geld hereinzubekommen. So finden wir Posten, wo 200 und 300 Franken noch kurz vor dem Zusammenbruche eingezahlt wurden, oder dass auf Anfrage die Regierung antwortete, die Klassenlotterie ist ein staatlich konzessioniertes Unternehmen, das von einer staatlichen Kommission überwacht wird.
Die Zentrofag stand auf sehr schwachen Füssen und wir lassen hier das Protokoll der Generalversammlung von 31.10. in seinem Wortlaute folgen.
"Abschrift.
1. Herr Walser behauptet, dass die Gründungsbilanz nicht stimme, kein Bargeld vorhanden sei und er infolgedessen verpflichtet sei, innerhalb 3 Tagen einen Bericht einzusenden.
2. Herr Kommerzienrat Hinzberg behauptet, ich habe mich szt. an der Gesellschaft beteiligt, als ich die Statuten gesehen habe. Denn statutengemäss war das Kapital voll einbezahlt. Ich beantrage Revision durch einen beeideten Bücherrevisor und bemerke, dass in gleicher Situation in Deutschland der Staatsanwalt einschreiten würde.
3. Bauer verlangt festzustellen, wo die Fr. 200'000 geblieben sind, ob dieselben überhaupt vorhanden waren.
Protokoll
Von den anwesenden Aktionären werden Fr. 450'000 resp. 450 Stück Aktien fonds perdu (nicht rückzahlbar) der Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Dieselben sollen verwendet werden zur Beschaffung von Fr. 350'000.- zur Erlangung der Lotteriekonzession in einem ungenannten Balkanstaate. Herr Geheimrat Grüsser im Vereine mit Herrn Eickholz und Bauer wird beauftragt, die 450 Stück Aktien dergestalt zu platzieren, dass der Gesellschaft ein Kredit von Fr. 350'000.- gewährt wird und zwar dürfen diese 350'000 Franken nur Zug um Zug gegen die Aushändigung der Lotteriekonzession ausbezahlt werden.
Der Gegenwert für die untergebrachten Aktien ist beim Treuhänder mit der Massgabe zu hinterlegen und mit der weiteren Massgabe, dass er im Falle der Nichterteilung der Konzession an die Unternehmer die Aktien zurückbezahlt, gegen Rückgabe der Aktien. Die weiteren zur Erlangung der Konzession erforderlichen Fr. 250'000.- stellt Herr Walser zur Verfügung. Die Bedingungen müssen noch ausgemacht werden. Es wird am 11. November eine Aufsichtsratssitzung sein über die weitere Durchführung der Lotterie. Herr Kommerzienrat Hinzberg wird einstimmig als Mitglied des Aufsichtsrates bestätigt. Er nimmt die Wahl unter dem Vorbehalte an, dass die Konzession in einem Balkanstaate erwirkt wird. Die Generalversammlung ist darüber informiert, dass die in Frage stehende Konzessionserteilung davon abhängig ist, dass die Gesellschaft für die Erteilung derselben den Betrag von Fr. 550'000.- zu opfern hat und ausserdem 50 % von den Einnahmen an Herrn Walser abzuführen hat.
Der mit Herrn Walser geschlossene Vertrag unter Hinterlegung der Monopolkonzessionsurkunde wird von der Generalversammlung zur Kenntnis genommen. Der Verwaltungsrat wird ermächtigt, diesen Vertrag, sowohl als auch den mit Herrn Bauer in Revision zu ziehen.
30.10.26 [Elisabeth] Strumpen"
In dieser Generalversammlung wurde also beschlossen, die wertlosen Aktien noch einmal zu verkaufen, das Geld aber nicht zur Sanierung der Zentrofag-Schulden, sondern zur Erwerbung einer neuen Konzession in einem Balkanstaate zu verwenden. Das war dem Land Liechtenstein gegenüber, mit dem die Gesellschaft durch den Konzessionsvertrag gebunden war, gelinde gesagt, ein Schwindel und es ist vor allem zu bedauern, dass hier Herr Walser seine Hand dazu hielt. Zur besseren Beleuchtung der Tätigkeit Walsers lassen wir einen Auszug aus einem in unserem Besitze befindlichen Briefe von Freiherr von Grünau folgen. "Als wir die Konzession übernahmen und in liechtensteinischen Verhältnissen fremd waren, wandten wir uns in fast allen wichtigen Fragen an Herrn Walser, mit dem Verhandlungen in Vaduz sowie auch in Ragaz stattgefunden haben. Da Herr Walser als Lotterieleiter einen monatlichen Bezug von Fr. 1'000.- hatte, und folglich an dem Unternehmen und an seiner guten Entwicklung beteiligt war, hatten wir keine Veranlassung den Gedanken aufkommen zu lassen, dass Herr Walser mit uns ein doppeltes Spiel treiben würde. Dass er dies getan, hat sich erst in der aIlerletzten Zeit herausgestellt, als es leider schon zu spät war, uns gegen seinen Einfluss zu wehren. Ich möchte deshalb hauptsächlich auf diejenigen Momente zurückgreifen, die den Zusammenbruch der Zentrofag herbeigeführt haben.
Herr Walser hat an verschiedenen wichtigen Verwaltungsratssitzungen teilgenommen, zuletzt an einer Sitzung in Berlin und an der durch Herrn Walser selbst eingerufenen Generalversammlung in Vaduz am 30. Oktober 1926.
In dieser Generalversammlung machte Herr Walser den Vorschlag, die derzeit laufende Lotterie zu liquidieren und die liechtensteinische Lotterie auf Rumänien auszudehnen.
Es war uns von Herrn Walser unter bestimmten Bedingungen zugesagt worden, dass die Zentrofag an der rumänischen Konzession beteiligt sein soll. Herr Walser tat, als ob er die Konzession in Rumänien, wenn auch nicht schon ganz fest, so doch wenigstens absolut sicher in Aussicht habe und dass ihm schon ein Teil der zu erlegenden Summe, nämlich Fr. 300'000.- zur Verfügung stünden. Auf die Anfrage des Verwaltungsrates, wie wir liquidieren sollten, sagte Herr Walser wiederholt, das sollen wir nur seine Sorge sein lassen. Er machte sich stark, dass die Regierung die deponierten Fr. 100'000.- herausgebe, auch würde er für die Verwendung der Angestellten Sorge tragen.
Mit diesen Fr. 100'000.- war eine glatte Abwicklung aller Verbindlichkeiten möglich, sodass jegliche Erörterungen in der Öffentlichkeit vermieden worden wäre, ein Standpunkt, der auf das allerenergischeste von Herrn Walser vertreten worden ist. Trotzdem hatte die Generalversammlung die Liquidation noch nicht beschlossen, da man erst den Abschluss des Geschäftes in Rumänien abwarten wollte, welcher je nach den Äusserungen und Zusicherungen von Herrn Walser nur eine Frage weniger Tage gewesen wäre.
Einige Tage später fand in Berlin eine Verwaltungsratssitzung statt, an der Herr Walser teilgenommen hatte. In dieser Sitzung sollte auf Drängen der Regierung Beschluss gefasst werden, ob die vor der Türe stehende Ziehung abgehalten oder inhibiert werden sollte. Auf den ausdrücklichen Vorhalt des Herrn Walser, dass es ein Wahnsinn wäre, ohne Geld in der Kasse eine Lotterie durchzuführen und das Risiko eines Treffers auf sich zu nehmen, kamen wir zur Überzeugung, dass wir die Ziehung nicht stattfinden lassen können, zumal Herr Walser ausdrücklich versicherte, bei der Regierung dahin vorstellig zu werden, dass die eingezahlten Losgelder aus den deponierten Fr. 100'000.- den Spielern zurückerstattet werden. Er versicherte wiederholt, dass es nur eines Gespräches mit dem Regierungschef bedürfe, um alles nach jeglicher Seite hin zur vollsten Zufriedenheit und unter Vermeidung eines Skandals die Angelegenheit der Zentrofag zu regeln und, wie Herr Walser sagte, der Zentrofag ein ehrliches Begräbnis zu geben.
Als daraufhin der Herr Regierungschef bei mir persönlich telefonisch anrief, ob die Ziehung stattfinden solle oder nicht – es war 2 Tage vor der Ziehung – gab ich ihm auf die Zusage von Walser gestützt, die Antwort, die Ziehung möge nicht stattfinden ...
Hätten wir nur den leisesten Verdacht in die Person des Herrn Walser gesetzt, so wären wir auf seinen Vorschlag nicht eingegangen, sondern hätten es der Regierung überlassen, die Entscheidung zu treffen, ob die Ziehung stattfinden solle oder nicht. Wir hätten sicher Wege gefunden, auch auf eine andere Weise die Ziehung zu ermöglichen.
Vorstehende Information ist auf Grund meines Aktenmaterials zusammengestellt und kann jederzeit bewiesen sowie durch Zeugenaussagen belegt werden."
Am 8. November erfloss das Schreiben der Regierung, in welchem [diese] die Konzessionäre in aller Form auf die Bestimmungen des Artikels 6 des Vertrages aufmerksam machten. "Wir machen Sie heute schon darauf aufmerksam, dass wir uns leider veranlasst sehen würden, die kommende Ziehung nicht stattfinden zu lassen, wenn den Bestimmungen des Artikels 6 nicht nachgelebt würde. Die hinterlegte Kaution von Fr. 100'000.- kann hiefür nicht verwendet werden. Wir hoffen gerne, dass Sie die Vertragsbestimmungen genau einhalten." Das Gedächtnisprotokoll vom 2. November 1926 der zwei Direktoren Grönebaum und Schwarzl haben die vorher angeführten Vorgänge in der Zentrofags-Versammlung bestätigt und ist auch von Bauer, Dr. Hobi und Strumpen gezeichnet.
Das Ergebnis der Verwaltungsratssitzung in Berlin ist uns bekannt und es scheint uns unbegreiflich, dass Grüsser nicht schon damals von den Verwaltungsräten wegen Gründungsbetrug vor die Anklagebank gestellt wurde.
Die Konzessionärin teilt am 15. November der Regierung mit, dass die Ziehung der 3. Klasse nicht stattfinden könne. Zugleich wurde die Herausgabe der Kaution zur Bestreitung der Forderung im Betrage von ca. Fr. 72'034.- versucht. In diesem Sinne lautete ein Schreiben vom 16. November mit dem Anhängsel, die für die dritte Ziehung nötige Summe eventuell zur Verfügung stellen zu können. Aber die Regierung entzog am 17. November der Gesellschaft Konzession und Monopol und versuchte, das Nötige zur Durchführung der Liquidation und der daraus erwachsenden Verpflichtungen zu veranlassen.
Am 17. November [1926], also am Tage, an welchem die Ziehung hätte stattfinden sollen, schrieb die Lotterie an die Losabnehmer:
"Zu unserem grössten Bedauern sind wir gezwungen, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihnen die bereits in die II. Klassenlotterie in Liechtenstein einbezahlten Beträge zurückerstatten müssen.
Da in allen anderen Ländern das Spielen in ausländischen Lotterien verboten ist, haben diese Länder durch Verhängung von Postsperren, Anzeigen und Bestrafungen und andere Interventionen es soweit gebracht, dass wir, um nicht unsere Kunden den grössten Gefahren auszusetzen, die Lotterie einstellen mussten. Alle ausgegebenen Lose werden als ungiltig erklärt. Den Ihnen zukommenden Geldbetrag werden wir in den nächsten Tagen unauffällig übermitteln.
Sollte es uns möglich sein, die jetzt bestehenden Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen, so werden wir uns erlauben, Sie davon in Kenntnis zu setzen.
Mit vorzügl. Hochachtung
Klassenlotterie in Liechtenstein"
Die Bestürzung unter den Losbesitzern war gross. Viele verlangten die Ziehungsliste, weil sie glaubten, die Ziehung hätte stattgefunden und werde ihnen verheimlicht, andere wandten sich an Rechtsanwälte und Konsulate ihrer Länder und an die Polizeiverwaltung und Regierung in Vaduz. Mit Recht warfen sie der Klassenlotterie vor, dass das Spielen in ausländischen Lotterien verboten sei, hätte diese schon vorher gewusst.
Um den Ernst der Spieler und ihre Entrüstung darzutun, lassen wir hier Auszüge aus einigen Briefen folgen.
"25.1.1927. Ich bitte daher die fürstliche Regierung, uns Auskunft über dieses Unternehmen zu geben, oder wo ich Zahlung verlangen kann, oder ob eventuell die Landeskasse für die Zurückhaltung des Betrages aufkommt. Wenn ich durch Zahlung nicht gedeckt werde u. zw. bis 31. Jänner, so lasse ich kein Mittel unversucht und koste es was es wolle, die strafgerichtliche Anzeige zu erstatten, nachdem das Begehren noch Zahlung für die 3. Ziehung zu verlangen, welche nie stattgefunden hat, eine ausgeschämte Frechheit ist."
"7.3. ….. Dass ein ausländisches Geschäft in einem fremden Lande Kunden werben und arme Leute so um ihre paar Spargroschen, welche sie vom Munde absparen, dranbekomme. Handelt es sich in diesem Falle um eine stark organisierte Bande, die vom Betrug lebt? Diesfalls liegt es im Interesse der Behörde, der Sache Einhalt zu tun."
Ähnlich schmeichelhaft lauten andere an die Regierung gerichtete Briefe. Die Kaution wurde am 24. November von der Regierung als verfallen erklärt und die von der Lotteriedirektion nachträglich ersuchte Freigabe der Kaution zur Durchführung der Losgeldrückzahlungen im Betrage von Fr. 51'644.- und zur Bestreitung der fälligen Verbindlichkeiten im Betrage von Fr. 20'390.- wurde an den Landtag verwiesen.
Wir sind gezwungen, in diesem Zusammenhange noch auf ein Schreiben an Herrn Karl Seuchter, Wien zu verweisen. Auf sein Schreiben vom 2.12.1926 entgegnete der Kontrolleur der Regierung, Herr Biedermann, Folgendes: "Versichere Sie nochmals, dass Sie in kürzester Zeit Ihr Geld zurückerhalten werden und hoffe, dass Sie Ihre Auftraggeber mit dieser Versicherung bis dann zufriedenstellen können und Ihnen wird es gewiss auch lieb sein, wenn das österreichische Finanzamt nicht erfährt, dass Sie Lose der hiesigen Lotterie besessen haben." Diese Drohung mit der Anzeige bei einem ausländischen Finanzamte hätte bei Lage der Dinge füglich unterbleiben dürfen.
Die grösste Erregung ergriff die Losbesitzer auch deshalb, weil von allen früher im Dienste der Klassenlotterie zeichnenden Personen, an die sie sich wandten, nicht eine einzige antwortete. Wir lassen auch hier einen Ausschnitt aus einem vorgezeigten Briefe zum Beweise der Panik unter den ausländischen Losbesitzern folgen. "6.12.26 ... Die Klassenlotterie gab nicht ein Wort zur Antwort. Ich schrieb nun am 28.11 und telegraphierte am 29.11. direkt an die Dienststelle um sofortige Überweisung, da ich bereits enorme Unannehmlichkeiten hatte. Aber die Dienststelle, sowie auch die Direktion des Baukreditvereins Vaduz (Deckadresse) hüllen sich in tiefes Stillschweigen und reagieren weder auf Briefe noch auf Telegramme. Ich habe an die Herren von der amtlichen Ziehungskommission geschrieben und um Aufklärung ersucht, jedoch auch diese Herren schreiben nicht ein Wort zurück. Das Geld kommt aber auch nicht zurück. Ich muss nun konstatieren, dass so ein Vorgehen, solange der Planet existiert, nicht vorgekommen ist."
Viele solcher Geschädigte wandten sich an die Regierung, die in ihren Zuschriften ausführte, dass die Klassenlotterie ein staatlich konzessioniertes Unternehmen sei, dessen Ziehung von einer amtlichen Konzession überwacht würde, und dass die Freigabe der Kaution zum Zwecke der Rückgabe der Losgelder durch den Landtag geprüft werde.
Im Landtag vom 2. Dezember 1926 wurde beschlossen, die Gehalte der Angestellten der Lotterie per November mit Fr. 4'187.45 auszuzahlen. In dieser Sitzung wurden auch 2 Informationen über die Firma John von Glahn verlesen, allerdings ohne jeden positiven Wert zu erlangen, da ja bekannt war, dass Grüsser in seinem Schreiben vom 6.2.1926 aus Berlin erklärte, die Regierung habe es mit ihm persönlich zu tun. Erfolglos blieb auch das Schreiben der Regierung vom gleichen Tage an Grüsser u. Stapper, in welchem sie als Hauptaktionäre aufgefordert wurden, die Schulden der Gesellschaft im Betrage von Fr. 72'034.49 zu tilgen, weil Holland keine Auslieferung kennt und in verbotenen Lotteriesachen von keinem geschädigten Staate entgegengekommen werden wird.
Da teilt die Kommission gezwungenermassen die Ansichten des Landgerichtes, das in seinem Schreiben vom 31. Mai 1927 an die Regierung folgendes niedergelegt hat: "Sollte einer dieser Herren in die Schweiz oder nach Österreich kommen, wo im Prinzipe eine Auslieferung erfolgen könnte, so würden diese Staaten uns doch gewisse Schwierigkeiten machen, sobald sie in Kenntnis gesetzt würden, dass es sich um die Klassenlotterie handle, um die Lotterie, die unberechtigterweise in beiden Staaten arbeitete. Es ist für den Staat eine Blossstellung nach aussen hin, wenn er durch den Auslieferungsantrag dokumentieren müsste, die Gründer haben geschwindelt."
Stapper hat jede Ersatzleistung abgelehnt und Grüsser flüchtete rechtzeitig ins Ausland.
Das finanzielle Gebahren der Zentrofag und Klassenlotterie wird im Hächler'schen Berichte zur Genüge dargelegt. Es ist sicher, dass die Checks, die bei der Gründung vorgewiesen wurden, nie in Zirkulation gesetzt, sondern vielmehr nach der Gründung vernichtet wurden. Die Bargründung war nur zum Schein. Die Million stand wohl im Handelsregister, war aber in Wirklichkeit nicht vorhanden. 2 Tage nach der Gründung wurde die Konzession von der fraglichen Firma J. von Glahn um Fr. 800'000.- gekauft. Es hätten also für den Betrieb der Klassenlotterie noch die vertraglich zu leistenden Fr. 200'000.- in der Kasse liegen sollen. Diese waren aber in Wirklichkeit nicht vorhanden, denn wie es sich herausstellte, konnte die Gesellschaft diesen Betrag erst am 19. Juli 1926 durch Verkauf von wertlosen, vorgeschwindelten Aktien zur Verfügung stellen.
Vertraglich festgesetzt wäre als Stichtag zur Zahlung dieser Summe der 30. Juni 1926 gewesen. Aus welchen Gründen diese Vertragsverletzung unterlaufen ist, ist in den Akten nicht genannt. Wie wir aber heute wissen, musste dieses Geld von Grüsser erst durch Aktienverkauf, wie oben angeführt, eingebracht werden.
Wäre die Bargründung Wirklichkeit gewesen, so müsste man staunen, mit welcher Eleganz die Firma John von Glahn Fr. 800'000.- einstrich für eine Konzession, die sie einfache Fr. 50'000.- Kaution gekostet hat. Das Traurigste am ganzen Gründungsschwindel ist nur, dass alle diese Firmen nichts besitzen oder hinter ferne Grenzen flüchten.
Herr Direktor Franz Grönebaum behauptete, von Fritz Stapper zur Zeichnung beauftragt worden zu sein. Die vertraglichen Fr. 200'000 werden durch die Buchhaltung wie folgt als eingezahlt ausgewiesen:
165'000 Fr. durch J. P. Grüsser
5'000 Fr. durch Stapper
30'000 Fr. durch eine Bank (Vermutlich Sautier & Cie.).
Von diesem Kapital wurden aber nach 3 Tagen wieder Checks an die Bank Sautier giriert. Wir verweisen auf die oben angeführte Angabe des Dr. Fritz Thalberg, Zürich. Obwohl nach dem Berichte eines Direktionsmitgliedes die beiden Wechsel zu Fr. 30'000.- und Fr. 10'000.- vernichtet worden sein sollen, hat sie Grüsser an die Bank Sautier verhandelt. Den Wechsel zu Fr. 23'000.- hat Grüsser zur Verlängerung in die Hand bekommen, aber auf Verlangen der Direktion nicht wieder zurückgestellt.
Die Unkosten der Zentrofag bezw. Klassenlotterie betragen Fr. 142'580.79. An Löhnen und Gehältern wurden 45'105.65 ausgegeben. Wenn man in der Buchhaltung nachrechnet, wird einem offenbar, mit welcher Grosszügigkeit sich selbst Grüsser, der vom ganzen Schwindel entschieden wusste oder wissen musste, bezahlen liess. Von der Verschleuderung der Gelder zeugt übrigens das Unkostenkonto in einem so kurzlebigen Geschäftsbetrieb. Wie wir den Bezug Walser-Kirchthalers von monatlichen Fr. 1'000.- ohne von der Lotterie direkt angestellt zu sein, verurteilen, so die Ablösung Kapp und Bauer um Fr. 10'000.-.
Die Verschleuderung der Gelder erhellt aus den neben der Lotteriebuchhaltung aufgelaufenen Schulden der Zentrofag im Betrage von Fr. 171'271.-. Wenn wir auch rund die Hälfte nur zu den eventuellen Verpflichtungen rechnen, so sind rund Fr. 80'000.- nötig, um den bindenden Verpflichtungen nachzukommen.
Die eventuellen Verpflichtungen sind:
- Prozess wegen Deckadressen St. Gallen: Fr. 10'000.-,
- Konzett & Cie. Zürich, Drucksachen nach Auftrag Grüsser: Fr. 12'000.-,
- Orell Füssli A.G. Auftrag Grüsser: Fr. 1'200.-,
- Unterschlagene Wechsel: Fr. 23'000.-,
- weitere Akzepte nicht einklagbar, von Grüsser ebenfalls unterschlagen: Fr. 40'000.-
Schulden der Klassenlotterie aus den Fr. 100'000.- der verfallenen Kaution zu zahlen, ist der Staat nach Ansicht der Kommission nicht vorpflichtet. Schon der Sinn des Wortes Kaution, ferner alle beim Abschlusse des Vertrages niedergelegten Gedanken und nicht zuletzt der Wortlaut des Artikels 12 sprechen dafür, dass Fr. 100'000.- dem Staate verfallen, wenn die Konzession aus Gründen, für welche die Konzessionäre einzustehen haben, hinfällig wird. Wir stellen uns hier auf den Standpunkt der verschiedenen juristischen Gutachten.
Wir kommen nun zur Rückzahlung der Losgelder. Wenn wir das Jammergeschrei der eingelaufenen Briefe vernehmen und die Drohungen hören, so müssen wir uns entschliessen, der Rückzahlung der Losgelder vor allem andern beizustimmen, um den Ruf des Landes durch unangenehme Nebenerscheinungen dieses verfehlten Unternehmens nicht noch mehr zu schädigen.
Wir führen hier auch Art. 7 Abs. 1 des Konzessionsvertrages an, das Einsichtsrecht der Regierung umschreibend: Über das gesamte Geschäft ist genau Buch zu führen und zwecks Berechnung der zu leistenden Abgaben der Regierung jederzeit Einsicht zu gewähren. Ebenso Artikel 6 fünfter und sechster Absatz: "Die Konzessionärin ist verpflichtet, von dem aus den verkauften Losen eingegangenen Gelde bei der Landesbank so viel bis zur Durchführung der betreffenden Lotterie stehen zu lassen, als alle Verpflichtungen gegenüber dem Staate ausmachen und ausserdem soviel als das Gewinnverhältnis der verkauften Lose zu den Gewinnen der betreffenden Lotterie beträgt. Die Unterlagen für die Feststellung dieser Rückstellungen sind der Regierung vorzulegen." Das scheint nicht geschehen zu sein.
Es wäre Pflicht der Regierung gewesen, nachdem sie die schlechte Lage Grüssers kannte, trotz der Millionengründung dem Gebahren der Klassenlotterie mehr Aufmerksamkeit zu schenken, namentlich weil die finanzielle Schwäche der Klassenlotterie ihr unmöglich entgangen sein konnte. In diesem Sinne betrachten wir den ausländischen Losverkäufern gegenüber eine gewisse Verpflichtung als gegeben, die Einsätze zurückzubezahlen.
Der Untersuchungskommission kam zur Kenntnis, dass im Sommer 1927 in unserem Lande noch Anfragen einliefen, die die Vermutung aufkommen liessen, dass wirklich ein Zusammenhang der hiesigen mit einer Klassenlotterie in Rumänien bestünde. Eine Frage lautete: "Ist die Klassenlotterie mit der Landesbank identisch und kann ein Kredit von Fr. 100'000.- gewährt werden." Eine zweite Anfrage lautete: Ob eine der Klassenlotterie nahestehende Persönlichkeit (der Name muss verschwiegen werden) für Fr. 100'000.- gut sei. Gestützt auf diese Äusserungen, die eidlich bezeugt werden, stellte die Kommission Forschungen an. Von einer Klassenlotterie in Rumänien konnten wir nichts in Erfahrung bringen und es scheint also diese Idee nicht verwirklicht worden zu sein. Es wurde von dort berichtet, dass Anton Walser und Georg Bauer anderwärts tätig seien.
Am 31. Mai 1927 wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom fstl. Landgerichte gegen Grüsser, Hackenitz und Grönebaum wegen Gründungsbetrug das Strafverfahren eingeleitet. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Aus was für Gründen daraufhin am 3. Juni an Dir. Grönebaum Fr. 750.- als Dezembergehalt ausbezahlt wurden, nachdem die Dezembergehalte den anderen Angestellten mit Ausnahme des H. Gregor Nigg vorenthalten worden waren, vermag die Kommission nicht zu beurteilen. Ebenso wurde dem Dir. Grönebaum am 1. April 1927 ein Vorschuss für Reisespesen zu einer Gerichtsverhandlung in St. Gallen wegen Deckadressen ausgefolgt.
IV. Am 27. Juni 1927 begann die Untersuchungskommission ihre Arbeit, die dann durch das Hochwasser im September unterbrochen wurde. Schon damals lag der Bericht ungefähr in seiner heutigen Form vor. Am 20. April 1928 trat die Kommission auf Ruf des Vorsitzenden abermals zusammen und beschloss, jedem Kommissionsmitglied solle der Bericht in Maschinschrift noch einmal zur Durchsicht vorgelegt werden, um ihn dann an den Landtag weiterleiten zu können. Es wurde beschlossen, die Ergebnisse der Strafuntersuchung des fstl. Landgerichtes nicht mehr abzuwarten.
Die Kommission war bemüht, wo immer möglich die Akten sprechen zu Iassen, deshalb musste der Bericht auch einen grösseren Umfang annehmen, als vorerst gedacht war.