Artikel in den "Liechtensteiner Nachrichten" [1]
20.1.1926
Das Partei- und Arbeitsprogramm der Volkspartei
(Korrespondenz)
1918 und 1922 hatten beide Parteien ein Programm für ihre Tätigkeit aufgestellt. Die Volkspartei ein ausführlicheres und nicht nur auf die Einstellung der Wahlzeit berechnetes, die Bürgerpartei dagegen mehr ein Gelegenheitsprogramm. [2]
Nach all dem vorausgegangenen Lärm und Geräusch, der Siegeszuversicht der Gegner hätte man wohl annehmen dürfen, es werde dem Wähler [3] programmatisch der neue politische Stern am Liechtensteiner Landeshimmel mit einem voll von aus- und aufbauenden Programmpunkten enthaltenen Kometenschweif vor Augen geführt. Nichts ist von alledem eingetroffen, nicht einmal soviel als wie bei früheren Wahlzeiten. Haben vielleicht jene Recht behalten, die da behaupteten, es bestehe ein verborgenes politisches Programm, das dem Wähler erst im Nachhinein vor Augen geführt wird? Soll doch z.B. eine politische Grösse als einen Programmpunkt ausgeplaudert haben, wenn die Bürgerpartei ans Ruder komme, müsse der Regierungschef [Gustav Schädler] am zweiten Tage vom Posten weg. Andere haben ähnliche Hiobsposten verbreitet. Nun, so tragisch sind auf unserer Seite diese Andeutungen nicht genommen worden, weil man sich ruhig sagte, wir sind denn auch noch da und sorgen dafür, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Gegenüber diesem geheimnisvollen Gebahren ist die Volkspartei den Wählern gegenüber mit einem offenen Partei- und Arbeitsprogramm aufgetreten, damit der Wähler Ziele und Aufgaben der Partei kennen lerne und weiss, wofür er stimmt.
Das alte Programm ist durch die Entwicklung der letzten Jahre teilweise infolge Erfüllung und anderer Umstände überholt worden. Während unser früheres Programm mehr einen verfassungs- und rechtspolitischen Einschlag enthielt mit der ausgesprochenen Absicht, zuerst das Haus recht auszubauen und andere politische Probleme nebenbei berührte, hat sich das Verhältnis den Bedürfnissen und Aufgaben der nächsten Zukunft entsprechend umgekehrt: im Vordergrund steht beim Arbeitsprogramm die Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Erst in zweiter Linie, wenn auch nicht nebensächlich, stehen andere, insbesondere verfassungs- und gesetzgebungspolitische Bestrebungen.
Die einleitenden grundsätzlichen Erklärungen sind sich gleich geblieben. Die Volkspartei ist eine demokratische Partei und steht auf dem unverrückbaren Standpunkte des Ausbaues der Landeseinrichtungen in gut demokratischem Willen, wie es übrigens die Verfassung [4] will. Sie zieht den Staatsbürger zum Träger und Mitbildner des Staatswillens heran. Nicht Untertan soll er mehr sein, sondern eben mehr: auf- und ausbauendes Mitglied unseres staatlichen Verbandes. In diesem Sinne ist die Periode des Untertanentums vorbei und der Bürger ist Mitträger d. Staatswillens. – Die Politik der Volkspartei soll eine liechtensteinische (nationale) sein, das Schielen nach auswärts findet an der Stellung der Partei Grenzen und Halte. Volkstümlich soll und will die politische Tätigkeit der Volkspartei sein. Gesunde Wünsche und Interessen des Volkes oder einzelner Kreise und Landesgegenden finden bei ihr Verständnis. Weil nicht volkstümlich bekämpft die Partei das Dorfbonzentum und Dorfmagnatentum. Unter gleichen sonstigen Voraussetzungen kennt die Partei keinen Unterschied, insbesondere anerkennt sie nicht die Herrschaft des Geldsäckels und ein durch diesen etwa hervorgerufenes Ansehen. Verurteilt wird von der Partei das Kleinliche, weil es zu nichts, höchstens zu noch Kleinerem führt und unser Volk in den Augen der Umwelt zur Lächerlichkeit zu stempeln geeignet ist. Sind wir nicht schon klein genug, sollen wir uns noch kleinlicher gebärden? Sachliche Politik soll getrieben werden, nicht persönliche, nicht Personenkultus. Das allzu Persönliche im Widerstreite politischer Anschauungen soll vermieden und an dessen Stelle eine die Sache, statt die Person behandelnde kritische Würdigung treten. Wer hat denn etwas von diesem allzu Persönlichen?
Die Volkspartei ist politisch auf dem Boden der katholischen Weltauffassung, entsprechend der Überzeugung, entsprechend aber auch der Zusammensetzung unserer Bevölkerung, vor allem unserer Anhänger. Das ist ein alter, von uns von jeher befolgter Programmpunkt, an dem wir uns durch wohlfeile Kritik anderer – um das ein- für allemal zu betonen – von Unberufenen eine Kritik nicht erlauben und auch keine hinnehmen.
Die Volkspartei steht auf dem Boden der Geschichte, als beste Lehrmeisterin. Besonders auf dem Boden der Landesgeschichte, auf dem der weitere Ausbau der Verfassung und Gesetze zu erfolgen hat. Ungeschichtlich und unliechtensteinisch ist die unschöne Bezeichnung: Regierungschef, Regierungssekretär und ähnliches; geschichtlich und alemannischem Geiste entsprechend ist Landammann, Landschreiber, welche Bezeichnungen in unserer Verfassung fehlen. [5] Sie werden gelegentlich wieder einzuführen sein. Ähnlich ergeht es manch andern Postulaten, so vor allem solchen, welche bei Schaffung eines neuen Gemeindegesetzes [6] – aber auch anderer Gesetze – an Stelle volksfremder, übernommener – zu berücksichtigen sind.
"Die Volkspartei ist der Anschauung, dass nur einmütiges Zusammenwirken aller Stände: der Landwirte, Gewerbetreibenden und Arbeiter (mit Einschluss der geistigen Arbeiter) eine glückliche staatliche und politische Zukunft verbürgt. Sie lehnt daher die Politik des Hasses, der unfruchtbaren Kritik, der Parteidiktatur und der Klassenherrschaft – von welcher Seite sie immer kommen mag – ab." Diese Sätze sind in jedes Haus getragen worden, als ehrliches Bekenntnis zum Zusammenwirken; das war die Hand geboten, dafür haben die Parteianhänger Hiebe und Schläge bekommen. Und man bekommt den Eindruck, dass man keinen Frieden will und doch immer auf den "andern" als den Unfriedenstifter zeigt. So greisenhaft ist jedoch die Partei gottlob noch nicht, als dass sie diese den Frieden nicht fördernde Rolle parieren und ein Halt gebieten könnte. Hass und unfruchtbare Kritik rufen schliesslich im Menschen die niedersten Instinkte an und gegen ein solches Gebahren gibt es nur ein Mittel: zu zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lässt, dass man es, wenn es schon sein muss, mit einem furchtlosen Gegner zu tun hat.
Bei alledem hat aber zu gelten, was das Programm unter den grundsätzlichen Erklärungen am Ende sagt: "Ihr Zweck ist die Hebung des Wohlergehens des Volkes, seiner Glieder und des Staates sowie der Gemeinden, wobei dem volkswirtschaftlichen Aus- und Aufbau ein besonderes Augenmerk zu widmen ist, und der Ausbau der Gesetze, insbesondere unter diesen Gesichtspunkten zu erfolgen hat."
Nicht um ihrer selbst willen, nicht um persönlicher Machtgelüste willen kann eine Partei Daseinsberechtigung haben, sondern nur im Sinne der vorausgehenden Ausführungen. Und das ist Sinn und Inhalt des Programmes der Volkspartei.