Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagspräsident Wilhelm Beck sowie die Schriftführer Stefan Wachter und Felix Gubelmann [1]
10.8.1922
Es wird sodann zur Tagesordnung übergeschritten und kommt als 1. Punkt derselben das Gesetz betreffend die Ausübung der politischen Völkerrechte in Landesangelegenheiten zur Beratung. [2]
Präsident: weist bezüglich dieses Gesetzes in erster Linie auf das den Abgeordneten zugekommene Referat [3] hin, greift jedoch die einzelnen wichtigen Bestimmungen noch besonders auf und erteilt hinreichende Aufklärung derselben. Er gibt auch bekannt, dass im vorliegenden Gesetze die Volljährigkeit auf das 21. Altersjahr herabgesetzt sei, trotzdem die im März 1919 stattgefundene Volksabstimmung [4] eine bezügliche Vorlage verworfen habe. Der Referent betont jedoch, dass es kommen müsse, dass die Volljährigkeit auf das 21. Altersjahr herabgesetzt werde, denn wir kämen sonst mit verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen in Konflikt. So müsse nach den derzeit geltenden Gesetzesvorschriften einem Ausländer, z. B. einem Schweizer, da die Schweiz Gewerbegegenrecht ausübt, die Konzession zur Ausübung irgend eines Gewerbes erteilt werden, wenn er volljährig sei und die sonstigen vorgeschriebenen gesetzlichen Unterlagen beibringe. [5] Der Schweizer sei nun mit 21 Jahren – in einzelnen Kantonen sogar schon mit 19 und 20 Jahren – volljährig, folgedessen müsse also dem Schweizer die Konzession mit dem 20. Altersjahr bezw. noch darunter erteilt werden, während sie einem Inländer erst mit 24 Jahren erteilt werden könne. Der Präsident bringt noch andere Beispiele, so auch des Eherecht, nach welchem nach Erfüllung des 14. Lebensjahres die Eingehung einer Ehe gestattet sei, [6] was in verschiedenen anderen Staaten, in denen eine frühere Grossjährigkeit festgelegt sei, nicht gestattet werde. Redner betont auch besonders noch, dass die meisten zivilisierten und kulturell hochstehenden Staaten der Welt für die Grossjährigkeit eine niederige Altersgrenze festgesetzt haben.
Ferner sei auch das Landtagswahlrecht in gegenständlicher Gesetzesvorlage neu geregelt. In der erst vor kurzem ausgearbeiteten Landtagswahlordnung [7] seien nämlich krasse Widersprüche vorhanden, und um nicht schon wieder eine Gesetzesabänderung vornehmen zu müssen, sei die Wahlordnung in dieses Gesetz einbezogen worden.
Zur Wahlordnung möchte er noch bemerken, dass bezüglich der Stimm- u. Wahlzettel eine Änderung getroffen worden sei, indem nicht mehr amtliche Stimmzettel verwendet werden müssen. Es werden jedoch jedem Stimmberechtigten amtliche Stimmzettel zugestellt und müssen auch in jedem Abstimmungslokale genügend amtliche Stimmzettel aufliegen. Es müsse aber nicht gerade ein amtlicher, sondern könne auch ein anderer Stimmzettel benützt werden, nur müsse dieser aus weissem Papier bestehen. Diese Änderung sei in dieses Gesetz aufgenommen worden, da das bisherige System völlig versagt habe. Ein Missbrauch sei nicht zu befürchten, da ein solcher strenge gesetzliche Bestrafung zur Folge hätte.
Der Präsident stellt sodann die Gesetzesvorlage zur allgemeinen Diskussion.
Abg. Wachter: beantragt Lesung des Gesetzes.
Präsident: beginnt mit der Lesung und gibt bekannt, dass nach jedem Artikel die Debatte benützt werden könne.
Abg. [Peter] Büchel: In Art. 2 Abs. 1 sei nun die Volljährigkeit auf das 21. Altersjahr herabgesetzt. Er bemerke, dass er kein grundsätzlicher Gegner dieser Bestimmung sei, möchte jedoch anfragen, ob der Landtag ohne weiters berechtigt sei, diese Gesetzesbestimmung so festzusetzen. Im Jahre 1919 sei eine bezügliche Vorlage durch die Volksabstimmung verworfen worden und er könne sich aus diesem Grunde nicht ohne weiters für die Herabsetzung erklären. Es sei vielleicht auch angezeigt, wenn eine Bestimmung in dieses Gesetz aufgenommen werde, dass ein Antrag, der von der Volksabstimmung verworfen worden sei, erst etwa nach 3 oder 4 Jahren wieder in den Landtag eingebracht werden dürfe.
Abg. Wachter: Ist in diesem Punkte auch der Ansicht des Vorredners. Bezüglich des Absatzes 2 des Art. 2 möchte er noch Aufklärung, ob zum B. ein Handwerker, der die grösste Zeit des Jahres als Geselle im Auslande sich aufhalte, auch stimmberechtigt sei.
Abg. [Anton] Walser: Für ihn sei es leicht begreiflich, dass sich Büchel gegen die Herabsetzung der Altersgrenze für die Volljährigkeit ins Zeug setze. Man erinnere sich nur an die seinerzeitigen Partei- und Zeitungskämpfe und falle es einem dann gewiss nicht schwer, den Standpunkt Büchels zu begreifen. Bei Schaffung des jetzt noch geltenden Gesetzes betr. die Bürgerwehr sei es anders gewesen. In jenem Gesetze sei die Bestimmung enthalten, dass einer, wenn er das 20. Altersjahr vollendet habe, Mitglied der Wehr werden könne, folgedessen auch die Berechtigung zum Waffentragen erlange. [8] Ihm komme es sonderbar vor, dass einer für die Aufnahme in eine bewaffnete Wehr, die unter Umständen gewiss ein verantwortungsvolles eigenes Handeln eines jeden Einzelnen bedinge, früher fähig sein solle, als zum Stimmen und Wählen.
Abg. Büchel: Er könne der Ansicht des Vorredners nicht beistimmen. Er (Büchel) und viele andere haben seinerzeit aus Überzeugung gegen die Herabsetzung der Altersgrenze gestimmt und nicht aus Parteirücksicht.
Präsident: Es dürfte am zweckmässigsten sein, diese Punkte noch zurückzustellen und dieselben dann später nochmals in Behandlung ziehen.
Abg. [Karl] Kaiser: Bezüglich des Absatzes 1 sei er auch der Ansicht Büchels, den zweiten Absatz möchte er auch noch näher aufgeklärt.
Abg. Wachter: Er werde später nochmals auf diese Punkte zurückkommen.
Abg. [Albert] Wolfinger: Bezüglich der Herabsetzung der Altersgrenze könnten wir auf Schwierigkeiten stossen, da doch die seinerzeitige Volksabstimmung massgebend sei.
Abg. Gubelmann: Er würde diesen Punkt der Entscheidung durch eine neuerliche Volksabstimmung überlassen.
Abg. [Josef] Gassner: Er finde den Abs. 1 für zeitgemäss, trotzdem er seinerzeit auch gegen die Herabsetzung der Altersgrenze gewesen sei. Er sei jedoch auch der Ansicht Büchels, dass vom Volke verworfene Initiativbegehren erst nach Ablauf einer bestimmten Frist wieder eingebracht werden dürfen, denn sonst könnte Missbrauch getrieben werden. Er stelle diesen Antrag, jedoch im Allgemeinen.
Abg. Büchel: Er habe diesen Antrag auch im Allgemeinen und nicht nur für den jetzt strittigen Punkt gestellt.
Präsident: beantragt, diesen Punkt noch zurückzustellen. Er werde einen diesbezüglichen Antrag formulieren und könne dann nochmals darauf zurückgekommen werden.
Abg. Wachter: beantragt, den ganzen Art. 2 zurückzustellen.
Der Antrag wird angenommen.
Abg. Büchel: beantragt, dass in Art. 4 Abs. 2 auch unaufschiebbare Geschäfte als Entschuldigungsgründe aufgenommen werden.
Wird statt gegeben.
Abg. Wolfinger: Er halte es nicht für notwendig, dass das schon zur öffentlichen Einsicht aufgelegte Stimmregister auch in der Amtstafel ausgehängt werden müsse (Art. 5 Abs. 3).
Präsident: Die Aushängung des Registers in der Amtstafel bedeute auch eine Entlastung für die Vorsteher, denn hie u. da einer erkundige sich lieber in der Amtstafel als beim Vorsteher. Die bezügliche Bestimmung wolle daher belassen werden.
Abg. Büchel: Wünscht in Art. 10 Abs. 3 eine Abänderung und zwar, dass es den Stimmberechtigten "in der Regel" freistehe, auch andere als amtliche Stimmzettel zu benützen. Der Landtag habe so freie Hand, in besonderen Fällen nur amtliche Stimmzettel zu bewilligen.
Abg. Walser: Er würde vorläufig in dieser Hinsicht keine einschränkende Bestimmung beifügen. Wenn sich die freie Benützung von Stimmzetteln nicht bewähre, könne dies später wieder anders gesetzlich geregelt werden.
Abg. Büchel: Nach dem Antrage Walsers müsse später allenfalls wieder eine Gesetzesabänderung stattfinden, was sich sonst erübrigen liesse.
Abg. Walser: Er lege besonderen Wert darauf, dass der Landtag in solchen Sachen keinen freien Spielraum besitze. Auch der Landtag solle sich an die Gesetze halten.
Der Antrag Büchels wird mit 13 Stimmen abgelehnt.
Abg. Walser: wünscht Auskunft bezüglich Beglaubigung der Unterschriften durch den Ortsvorsteher bei Sammelbegehren. Der Vorsteher müsse lediglich den Unterschriftensammlern Vertrauen schenken und die Unterschriften im guten Glauben bestätigen. Er könne doch später hiefür nicht verantwortlich gemacht werden (Art. 23 Abs. 2)
Präsident: gibt Aufklärung, nach welcher der Vorsteher nicht verantwortlich gemacht werden kann. Bei Unterschriftenfälschungen haben die Schuldigen gesetzliche Bestrafung zu gewärtigen.
Abg. Walser frägt an, ob gegen einen vom Landtage gefassten, das ganze Land betreffenden Finanzbeschluss z.B. nur von der oberen bezw. unteren Landschaft gegen die sie treffenden Verpflichtungen das Referendums- und Initiativbegehren gestellt werden könne (Art. 24)
Präsident bejaht dies.
Abg. Gassner hält die in Art. 44 Abs. 1 enthaltene dreitägige Einberufungsfrist, besonders mit Rücksicht auf die Verhältnisse in Triesenberg, für zu kurz bemessen. Er beantragt Verlängerung dieser Frist auf acht Tage.
Der Antrag Gassners wird angenommen.
Präsident: Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit (½ 1 Uhr) beantrage er eine Mittagspause u. Fortsetzung der Sitzung um ½ 3 Uhr.
Angenommen.
Präsident eröffnet nachmittags die Sitzung und kommt auf Art. 2 zurück.
Abg. Gassner: Bezüglich Herabsetzung der Altersgrenze für die Volljährigkeit auf 21 Jahre glaube er, dass die letzte Volksabstimmung hierüber entschieden habe und der Landtag diesen Beschluss nicht ohne weiters sistieren könne. Grundsätzlich sei er auch nicht gegen die Herabsetzung.
Abg. Walser: Nachdem die Gründe über diesen Punkt schon zur Genüge auseinandergesetzt worden sind, halte er es für überflüssig, noch länger darüber zu sprechen und ersuche um Abstimmung.
Abg. (Wachter) [!] Büchel. Er sei auch kein grundsätzlicher Gegner der Herabsetzung der Altersgrenze, verweise jedoch auf das von ihm in der vormittägigen Sitzung zu diesem Punkte Gesagte.
Abg. Wachter: Vielleicht wären mit Rücksicht auf den von Büchel eingenommenen Standpunkt noch Abgeordnete hier, die Vertagung der Beschlussfassung über vorliegendes Gesetz wünschen. Er lege Wert darauf, dass ein solches Gesetz mit überwiegender Stimmenmehrheit beschlossen werde.
Abg. Walser: Wenn wir dem Volke Rechte einräumen wollen, so wollen wir dies tun und nicht mehr lange hin und her zögern, er beantrage Abstimmung.
Abg. Wachter: Es handle sich ja nur um die Volljährigkeit und möchte er wegen diesem einzigen strittigen Punkte keine Spaltung herbeiführen, sondern, wie schon gesagt, durch Vertagung dem Gesetze ein überwiegendes Mehr für die Annahme sichern.
Abg. Walser: Er lasse sich vom Vorredner keine andere Überzeugung aufdrängen. Er handle nach seiner eigenen festen Überzeugung und beantrage nochmals Abstimmung.
Abg. [Augustin] Marogg: unterstützt Walser. Er (Marogg) könne nur, wenn Art. 2 Abs. 1 angenommen werde, für die Annahme des Gesetzes stimmen. Andernfalls sei er grundsätzlich dagegen.
Abg. Büchel: erklärt nochmals, dass er nicht grundsätzlich dagegen sei, sondern nur gegen den eingeschlagenen Weg.
Präsident: lässt über die Annahme des Art. 2. Abs. 1 abstimmen.
Absatz 1 wird mit 11 gegen 4 Stimmen angenommen.
Präsident: Er habe den von Büchel vormittags gestellten Antrag formuliert, derselbe laute:
"Initiativbegehren (Gemeinde- und Sammelinitiativen) auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung eines Gesetzes oder der Verfassung dürfen, wenn ein solches Begehren in einer Volksabstimmung verworfen worden ist, über denselben Gegenstand erst nach Umfluss von zwei Jahren seit der Volksabstimmung und ein Abberufungsbegehren darf im Zeitraume eines Jahres nur einmal gestellt werden.
Eingaben, die gegen vorstehende Bestimmungen verstossen, können von der Behörde zurückgewiesen und die Einberufung einer Gemeindeversammlung kann verweigert werden (Art. 44). Gegen diese Zurückweisung oder Verweigerung ist Beschwerde zulässig."
Vorstehender Antrag wäre als 3 und 4 Absatz dem Art. 24 beizufügen.
Abg. Wachter: Er sei auch für die Aufnahme dieses Antrages. Es gehe denn doch nicht an, dass eine von der Volksversammlung verworfene Vorlage nach einem halben Jahre schon wieder zur Behandlung im Landtage eingebracht werde. Er glaube, eine bezügliche Bestimmung, dass vom Volke verworfene Vorlagen erst nach gewisser Zeit wieder eingebracht werden dürfen, auch in einem Schweizergesetze gelesen zu haben.
Es scheine ihm aber, das Abberufungsbegehren sollte mehr als einmal im Jahre vom Volke gestellt werden dürfen. Er habe dies übrigens auch schon in der Kommission beantragt. Im andern Falle sei es eine gewisse Bevormundung des Volkes.
Präsident: In diesem Falle könnte dann jedoch auch Missbrauch getrieben werden und dafür schaffe man keine Gesetze.
Abg. Wachter: Nach seiner Ansicht wäre ein Missbrauch nicht zu befürchten.
Abg. Walser: Nach seiner Ansicht werden durch Aufnahme des Antrages Büchel dem Volke seine Rechte eingeschränkt. Er macht auch aufmerksam, dass [nach] Art 111 der Verfassung [9] der Landtag, wenn in der ersten Sitzung keine Stimmeneinhelligkeit erlangt werde, in zwei dann aufeinanderfolgenden Sitzungen mit Dreiviertelstimmenmehrheit das Grundgesetz abändern könne.
Präsident bringt den Antrag Büchels zur Abstimmung.
Der Antrag wird mit 9 Stimmen angenommen.
Abg. Kaiser: Bezüglich der Beglaubigung der Unterschriften bei Sammelbegehren durch den Vorsteher sei er noch nicht ganz im Klaren. Der Vorsteher könne nur jene Unterschriften beglaubigen, die vor seinen Augen beigesetzt wurden. Er wünsche eine etwas präzisere Fassung des Art. 23 Abs. 2.
Präsident: formuliert dem 2. Absatz des Art. 23 neu und hätte dieser zu lauten: "Die Stimmberechtigung und Unterschrift der Unterzeichner ist von der Ortsvorstehung derjenigen Gemeinde, in welcher dieselben ihre politischen Rechte ausüben, auf der betreffenden Eingabe selbst unter Beifügung das Datums am Schlusse samthaft auf Grund des Wahl- bezw. Stimmregisters und der Angaben des Unterschriftensammlers oder des Unterschriebenen selbst zu bescheinigen (beglaubigen). Hiefür dürfen keine Gebühren berechnet werden."
Der Antrag Kaisers wurde gegen 2 Stimmen angenommen.
Präsident: beantragt nun Abstimmung über das ganze Gesetz.
Abg. Wachter: wünscht Vertagung, damit mehr Einhelligkeit in der Abstimmung erlangt werde.
Abg. Gassner: Er sei der Ansicht, nachdem schon über die strittigen Punkte abgestimmt worden sei, könne ruhig auch über das ganze Gesetz abgestimmt werden.
Abg. Wachter: Er halte seinen Antrag aufrecht.
Abg. Walser: Nachdem man Art. nach Art. gelesen habe und das Meiste ja einstimmig angenommen wurde, wisse er nicht, warum die Abstimmung verschoben werden sollte. Er beantrage Abstimmung.
Abg. Wachter: Früher habe man Gesetzesvorlagen immer einer zweiten Lesung unterzogen.
Präsident: Diese Behauptung sei nicht richtig, es seien die meisten Gesetzesvorlagen nur einer Lesung unterzogen worden.
Abg. Walser: Artikel nach Artikel sei angenommen worden, er könne nun nicht begreifen, warum jetzt nicht über die ganze Vorlage abgestimmt werden solle.
Präsident: bringt den Antrag auf Vertagung zur Abstimmung.
Dieser Antrag wurde gegen 4 Stimmen abgelehnt.
Präsident: Nachdem der Antrag auf Vertagung gefallen sei, bringe er den Antrag auf Annahme des ganzen Gesetzes zur Abstimmung.
Das Gesetz wurde mit 13 Stimmen angenommen. [10]