Das "Liechtensteiner Volksblatt" lehnt die Herabsetzung des Wahlrechtsalters auf 21 Jahre und die Erhöhung der Zahl der vom Volk gewählten Landtagsabgeordneten auf 17 (mit den fürstlichen Abgeordneten auf 20) ab


Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

1.3.1919

Zwei strittige Punkte

Gegenwärtig sind die Meinungen bei uns wieder geteilt inbezug auf zwei Punkte: Die einen halten es im Interesse ihrer Partei und in dem der Allgemeinheit, das Alter der Wahlfähigkeit und Grossjährigkeit auf 21 herabzusetzen, ferner die Zahl der Abgeordneten von 15 auf 20 zu erhöhen, bezw. von 12 vom Volke gewählten auf deren 17. Die andern sind überzeugt, dass diese beiden Forderungen nicht zum Wohle des Volkes seien. Wir sind der grundehrlichen Überzeugung, dass vor allem in diesen beiden Fragen nicht Parteiinteressen, sondern nur das Wohl der Allgemeinheit den Ausschlag geben dürfen. Wer die vorgebrachten Gründe vorurteilslos prüft, muss vorerst zugestehen, dass einzelne derselben nur auf den ersten Blick für die Forderungen zu sprechen scheinen. Ohne ernstlich geprüft zu haben, darf man nicht ablehnen. Aber einer tiefer gehenden Prüfung halten diese Gründe nicht stand.

Was vorerst die Herabsetzung der Altersgrenze anbelangt, so scheint der Grund dafür zu sprechen, dass alle umliegenden Staaten auch 20 oder 21 Jahre eingeführt haben. Ist damit gesagt, dass unser kleines Ländchen mit seinen kleinen Verhältnissen auch mitmachen muss? Was müsste es dann noch alles durchführen? Der Wirrwarr in manchen Staaten wäre uns z.B. wohl kaum erwünscht. Dabei ist der Hauptgrund nicht zu übersehen, dass die niedrigere Altersgrenze des Auslandes auf dem Umstande beruht, dass der junge Mann schon mit 20 Jahren ins Militär muss, ja mit 18 Jahren in den Krieg gezogen wurde. Soll ein Mann fürs Vaterland kämpfen, so soll er auch alle Rechte haben, wenns auch volkswirtschaftlich nicht von Vorteil ist. Bei uns fällt aber dieser Grund weg, wir haben gottlob kein Militär, und unsere jungen Männer können diese kostbare Zeit für ihre Ausbildung benützen. Setzen wir uns also, wie die fortschrittliche Bürgerpartei will, besonders für eine gesunde Fortbildung der Jugend ein, richten wir allenthalben Jugendfortbildungskurse ein mit Fachvorträgen, Fachliteratur und staatsbürgerlich erziehenden Vorträgen. Das wird ihnen und dem Volke mehr nützen als die Wahlberechtigung mit 21 Jahren.

Damit ist der Jugend mehr gedient und wer dies will, meint es mit ihr besser, als wer sie an den Parteiwagen spannen will. Dieser gewichtigste Grund, das Ausland sei ringsum auf 20 oder 21 Jahre herunter, hält aber schon deshalb auch nicht stand, weil wir sonst auch das Frauenwahlrecht unbedingt einführen müssten, denn in den meisten Staaten ist es bereits eingeführt oder auf Weg, auch in der Schweiz wird es kommen. Warum also denn nicht zugleich auch das Frauenstimmrecht usw. verlangen? Auch das würde allerdings für unsere kleinen Verhältnisse nicht besonders passen, aber wenn schon das eine, dann auch das andere! Unsere Frauen und erwachsenen Töchter würden sich bedanken, wenn nur der 21jährige Sohn bezw. Bruder wählen könnte, sie aber nicht, und die meisten Mütter haben entschieden mehr politische Einsicht als ein 21jähriger. Mütter und Töchter, würdet ihr euch so auf die Seite stellen lassen?

Der Umstand, dass 14jährige schon strafmündig sind, beweist für Grossjährigkeit und Politik gar nichts, denn erstens ist diese Strafmündigkeit nur beschränkt, sie werden als Jugendliche milder behandelt, und dann darf man im allgemeinen von einem 14jährigen doch schon die Unterscheidung zwischen Gut und Bös verlangen. Dies besagt aber doch nicht, dass er auch in Politik und wirtschaftlichen Fragen die nötige Einsicht habe. Bekanntlich gilt heute noch der wissenschaftliche Grundsatz, dass der Mann im Durchschnitt mit 24 Jahren die volle geistige Entwicklung erlangt habe. Ausnahmen gibt es immer, mancher 21jährige ist reifer als viele 30jährigen, aber Ausnahmen bestätigen nur die Regel.

Frühheirat ist für ein Volk nicht von Vorteil. Ist aber ein junger Mann mit 21 Jahren schon vollständig Herr über sich selbst, dann wird es entschieden auch mehr Frühheiraten geben und zwar bei solchen, die nicht durch gewisse Umstände ohnehin zum Heiraten sich veranlasst fühlen. Immer ist zu bedenken, wir leben auf dem Lande, in einfach bäuerlichen Verhältnissen, haben keine Städte.

Raumeshalber können wir nicht auf alle angeführten Gründe eingehen, dies ist zum Teil schon in Einsendungen geschehen. Gegenbeweise und zwar schwer ins Gewicht fallende, lassen sich für alle leicht aufbringen.

Zum Punkte Erhöhung der Abgeordnetenzahl sei, ebenfalls nur kurz, folgendes bemerkt:

Grund der Forderung auf Erhöhung sind die fürstlichen Abgeordneten, denn wenn diese fallen, sei man mit 15 Abgeordneten zufrieden. Das beruht auf falscher Voraussetzung; denn unsere fürstl. Abgeordneten werden ja in Zukunft nicht mehr vom Landesverweser allein vorgeschlagen, sind also von diesem absolut unabhängig, sie werden vorgeschlagen von der Gesamtregierung, also unter Mitwirkung der beiden vom Volke gewählten Regierungsräte, die beide doch den Landesverweser überstimmen können. Sie werden also wohl Stützen der Volksregierung sein, nicht mehr aber nur des Landesverwesers. Sollen also diese Stützen der Volksregierung fallen, dann muss auch unbedingt der Punkt in die Verfassung aufgenommen werden, dass ein Regierungsrat überhaupt nicht in den Landtag gewählt werden darf, weil er sich dort selbst stützt. Was sagen da gewisse Herren Regierungsräte dazu? Zudem: Sollen wir dem Fürsten [Johann II.] auch dieses Recht noch nehmen, ihm, der doch unser Wohltäter, nicht ein volksfremder Potentat ist? Geschichtliche Beweise für die Zahl 20 sind überhaupt hinfällig. Denn erstens hatte die Richterverfassung nur rechtliche Sachen im Auge. Die "Richter" waren, wie eben ihr Name schon dartut, nur Richter, nicht politische Vertreter. Desgleichen hatte die Ständeverfassung von 1818 [2] nur Budgetfragen im Auge. Das war noch zum Teil eine kapitalistische Vertretung; wer ein gewisses Kapital versteuerte, kam in den Landtag, hatte doch sogar das Rentamt in Feldkirch, weil in Liechtenstein reich begütert, einen Vertreter im Liechtensteiner Landtag. So allerdings wuchs die Zahl der Vertreter auf ziemlich über 20. War das aber zur Gänze eine Volksvertretung? Zudem waren den Vertretern in der Ständeverfassung nach dem Wortlaut im § 16 "Vorschläge im bürgerlichen, politischen und peinlichen Fache – nicht erlaubt." Und trotzdem sollen unsere Vorahnen weiter gewesen sein als wir, falls wir jetzt nicht auf 20 hinaufgehen? Ist das gründliche Geschichtsforschung?

So liesse sich auch hier Grund um Grund widerlegen. Hingewiesen sei aber nur noch darauf, dass im Landtage stets nur wenige die Arbeit leisten müssen, wenn auch 100 Abgeordnete wären. "Je mehr, desto minder", [3] so heisst es im Volksmunde.

Männer Liechtensteins! Lasst euch nicht durch Vorträge momentan überreden. Überlegt das Für und Wider! Nehmt die Sache ernst und stimmt nach eurer vollsten Überzeugung und nach reiflicher Überlegung, dann wird eure Stimme ablehnend lauten. Geschehe, wie das Volk es will! Es hat die Folgen zu tragen.

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[1] L.Vo., Nr. 17, 1.3.1919, S. 1. - Sowohl die Herabsetzung des Stimmrechtalters wie auch die Erhöhung der Zahl der Landtagsabgeordneten (alternativ dazu der Verzicht auf die Ernennung von Abgeordneten durch den Fürsten) waren zwei wichtige Punkte aus dem Programm der Volkspartei. Der Landtag beschloss am 13.2.1919 einstimmig, über die beiden Fragen eine Volksabstimmung durchzuführen (wofür es keine rechtliche Grundlage gab, der Fürst hatte aber im Voraus seine Zustimmung gegeben). Beide Vorlagen wurden verworfen: Im Unterland stimmten alle Gemeinden gegen beide Vorlagen, im Oberland lehnten Vaduz und Planken beide Vorlagen ab, Balzers, Triesen und Triesenberg stimmten beiden zu. Schaan stimmte der Erhöhung der Zahl der Abgeordneten zu, lehnte aber die Senkung des Stimmrechtsalters ab.
[2] Landständische Verfassung vom 9.11.1818 (LI LA SgRV 1818).
[3] Wortspiel: "minder" meint hier nicht "weniger", sondern "schlechter".