Prinz Eduard äussert sich zum Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck


Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard, an die Regierung [1]

8.7.1920 

An die fürstliche Regierung in Vaduz.

Seit dem dortigen Erlass vom 12. April 1920 Zl 64/Präs. [2] habe ich im Gegenstande keine weitere Arbeit vorgenommen und nur für meine Person die bestehende Verfassung [3], den Entwurf Euer Durchlaucht [Prinz Karl] [4] und den Dr. [Wilhelm] Becks [5] studiert und mir gewisse Notizen gemacht. Zu der vergleichenden Zusammenstellung bin ich infolge sonstiger Überlastung und vor allem Überlastung der Kanzlei nicht gekommen, wollte auch Dr. [Josef] Hoop damit betrauen. In erster Linie war jedoch für ein Zurückhalten in dieser Angelegenheit die Peer-Frage [6] massgebend, dessen Hauptaufgabe es ja gewesen wäre, die Verfassung vorzubereiten und mit den Parteien [7] zu verhandeln. Durch die Unklarheit der politischen Lage, die gegenwärtig als Folge der Peer-Frage herrscht, von der ich selbst nicht weiss, ob sie noch besteht oder erledigt ist und was weiter beabsichtigt wird, ist natürlich jede Arbeit an der Verfassung ziemlich zwecklos und insbesondere jetzt nach Veröffentlichung des Entwurfes von Wilhelm Beck in den O.N. [8] wohl nur in ständigem mündlichen Kontakt mit der Bürgerpartei möglich, da dieser Entwurf eine Totalrevision bedeutet und mir gar nicht bekannt ist, in wieweit die Bürgerpartei sich damit befreundet. Es schiene mir sehr nützlich, wenn im Volksblatt Artikeln erscheinen würden, die zu dem Beckischen Entwurf Stellung nähmen. [9] 

Auch wüsste ich gerne, ob Dr. Emil Beck, der bekanntlich seine Weiterarbeit von der Beistellung eines Schreibfräuleins abhängig gemacht hat, an einer Verfassung arbeitet, bejahenden Falls, wann dieser sein Entwurf, von dem ich annehme, dass er mit den Zielen der Bürgerpartei im Einklang steht, zu erwarten ist. [10] 

Die nächsten Wochen sollten die Arbeiten der Verfassungsrevision unbedingt ruhen. Die Durchführung der Valuta-Regulierung, der Postvertrag mit der Schweiz, [11] Frankennoten- und Frankenmarkenherstellung sind genügend Aktionen für die „Hundstage", in denen in allen Staaten die Politik etwas ruht. Ich will nach Vorlage der Bankgesetze an die Regierung auf wenigstens 4 Wochen Urlaub, weil ich einfach nicht mehr in dem Tempo weiterarbeiten kann. Dr. Emil Beck wird auch einen Urlaub brauchen und Euer Durchlaucht wollen dem Vernehmen nach auch weg. Eine gedeihliche Arbeit ist aber nur möglich, wenn die wichtigsten Posten durch ihre Vertreter und nicht durch etwaige Stellvertreter besetzt sind, die ja doch nur die laufenden kleinen Arbeiten besorgen können. Für September würde ich aber wohl empfehlen, an eine planmässige Arbeit in der Frage der Verfassungsrevision heranzugehen, in welcher Richtung zunächst mehrtägige Konferenzen in Vaduz stattzufinden hätten. [12] Einstweilen könnte das Volksblatt den Standpunkt der Bürgerpartei präzisieren, um überhaupt eine Diskussionsbasis zu erhalten. [13]

Der fürstliche Gesandte:

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[1] LI LA RE 1920/3111 ad 1897 (alte Signatur: LI LA RE 1920/3111 ad 2948). Zahl 269/5 ad Zl. 2992/Reg. vom 6. Juli 20. Stenographische Bemerkungen am Ende des Dokuments. Am 6.7.1920 hatte Landesverweser Prinz Karl bei der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien angefragt, was mit dem von ihm ausgearbeiteten und nach Wien übermittelten Verfassungsentwurf geschehen sei (LI LA RE 1920/2992 ad 1897 (alte Signatur: LI LA RE 1920/2992 ad 2948)). Zum Verfassungsentwurf von Prinz Karl siehe LI LA V 003/0890.
[2] Am 12.4.1920 hatte Landesverweser Prinz Karl der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien zwei Stück seines Verfassungsentwurfes übermittelt (LI LA SF 01/1920/0064).
[3] Liechtensteinische Verfassung vom 26.9.1862.
[4] Siehe Fussnote 1.
[5] Wilhelm Beck hatte seinen Verfassungsentwurf im Juni 1920 in den „Oberrheinischen Nachrichten" veröffentlicht: O.N., Nr. 47, 12.6.1920, S. 1 („Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein"); O.N., Nr. 48, 16.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 49, 19.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 50, 23.6.1920, S. 1-2; O.N., Nr. 51, 26.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 52, 30.6.1920, S. 2.
[6] Es handelte sich um die umstrittene Frage der Berufung des Feldkircher Juristen Josef Peer zum Regierungschef. Peer fungierte schliesslich vom 23.9.1920 bis zum 23.3.1921 als provisorischer Regierungschef Liechtensteins. In dieser Funktion war er massgeblich an der Ausarbeitung der neuen Verfassung beteiligt.
[7] Fortschrittliche Bürgerpartei und Christlich-soziale Volkspartei.
[8] Siehe Fussnote 5.
[9] Vgl. die „Zeitungsfehde" zwischen Prinz Eduard und Wilhelm Beck im „Liechtensteiner Volksblatt" und in den „Oberrheinischen Nachrichten" vom Juli und August 1920, z.B. O.N., Nr. 62, 4.8.1920, S. 1f. („Zur Politik der Wiener Gesandtschaft") und O.N., Nr. 63, 7.8.1920, S. 1f („Zur Politik der Wiener Gesandtschaft").
[10] Vgl. O.N., Nr. 37, 24.5.1919, S. 2 („Die Verfassungskommission"): Die „Oberrheinischen Nachrichten" hatten darin berichtet, dass die Verfassungskommission beschlossen habe, Privatdozent Dr. Emil Beck in Bern mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes zu beauftragen.
[11] Vgl. das Übereinkommen zwischen der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung und dem Schweizerischen Bundesrat vom 10.11.1920 betreffend die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerische Postverwaltung und schweizerische Telegraphen- und Telephonverwaltung, LGBl. 1922 Nr. 8.
[12] Siehe hiezu die Dokumente der sogenannten „Schlossabmachungen" vom September 1920.
[13] Vgl. etwa den Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt", Nr. 72, vom 8.9.1920, in welchem der Verfassungsentwurf von Prinz Karl verteidigt wurde.