Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Masescha, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]
17.12.1912, Masescha
Lieber Herr Vetter!
Unserm neulichen
Kartengruss lassen wir nun einen recht
herzlichen in einem Brieflein folgen. –
Wir sind wieder eingewintert hier heroben
1250 Mtr. hoch auf unserm lb. einsamen
Masescha, auf das wir uns das ganze
Jahr freuen u. kommt dann der November
dann wird in hellem Jubel aufgepackt,
einen grossen, schweren Wagen voll.
Masescha ist so fast unsre zweite Heimat
geworden, schon v. Kindheit an wanderten
unsre lb. Eltern sel. [Peter Rheinberger, Theresia Rheinberger [-Rheinberger]] mit uns im Sommer auf
einige Wochen da herauf u. schon zu einer
Zeit, in der es kaum Strassen gab da herauf. [2]
Unser lb. Vater selg., der ungeheuerlich viel
für Liechtenstein, besonders am Rhein u. an
den Strassen als Landestechniker arbeitete,
erstreckte dann Wege / die schönsten, bequemsten
Fahrstrassen / bis in die tiefsten Alpen
hinein, welche die Alpen- u. Landwirt-
schaft heute nicht mehr missen könnte.
Es hat wohl selten ein Mann so viel u.
mit solcher Leichtigkeit gearbeitet, wie
Väterchen in seinem Fache, – schade –
schade nur, / ich darf es mit Stolz sagen,
es war schade für unser Land / dass er nicht
älter werden durfte, 62 Jahre nur.
Schon Grossvater Rentmeister [Johann Peter Rheinberger] hatte stets grosse
Neigung u. starke, natürliche Begabung
für Ingenieurwesen u. solch‘ technische Bau-
ten! er hätte es gar so gerne gehabt, wenn seine
Söhne schier alle dieser seiner Neigung
u. Gabe gefolgt wären. – So geschah es
einmal, dass, als er von seinem Sohne [3]
David [Rheinberger], der in Wien [4]
das Politechnikum nützen sollte, hörte
er besuche dort die Universität, ihn heimkommen
u. nicht wieder fort liess. – Onkel David besass
eine ausserorndliche Freude an der Geschichte, er
wäre ach so gerne Professor geworden, sein scharfes
Gedächtniss, mittelst welchem man ihm bis in’s
Alter hinein eine lebendige Chronik hätte nennen
können, wäre wie gemacht zu jener seiner Freu-
de gewesen u. desshalb kam es, dass er heim-
lich in Wien die Universität, statt Politech-
nikum besuchte. Sein Vater empfand nicht also,
er hätte lieber ein Ingenieur, statt ein Professor
der Geschichte gehabt, d. h. vielleicht hatten
dem guten Grossvater auch noch die Mittel gefehlt,
zu einem langen Studium aller seiner Söhne. –
Onkel David war Regierungs-Sekretär, er fügte
sich willig, – er war überhaupt eine edle, goldi-
ge Seele. – Aber auch Grossvater’s Herz u. Seele
bildeten eine Freude vor Gott, ich stelle ihn mir
noch so gut mit dem Rosenkranz in der Hand
vor, die er so gerne auf dem Rücken hielt [5]
u. auf dem Spaziergang die Perlen betend durch die
Finger gleiten liess, oder auch beteten Grossmüt-
terchen [Maria Elisabeth Rheinberger [-Carigiet]] u. Grossväterchen gerne den Rosenkranz
zusammen, während Grossmutter am Rädchen
spann u. Grossvater die Gesetzchen des Rosenkran-
zes zählte. – Auch gegen Onkel David selg.
hatte es Grossväterchen gut u. so gut es eben
die Verhältnisse gestatteten gemeint. –
Aber da erzähle ich Ihnen von uns u. frage Sie
nicht, wie es Ihnen ergeht. Damit setze ich
eben voraus, dass wir von Ihnen u. Ihren Lieben
allen, allen Gutes hören dürfen. – Fühlen Sie
sich während der Nächte, nun doch wieder viel
besser, leichter atmend? – Ich will es Christkindchen
an’s Herz legen, dass er Ihre Nächte erträglicher
gestalte, falls sie noch nicht besser geworden.
Es wäre eigentlich gar nicht zu verwundern
wenn nach den Witterungsverhältnissen des
letzten Jahres die Gesundheit an Menschen u Pflan-
zen zu wünschen übrig liess. – Was war dies [6]
für eine arme, traurige Ernte, für ein be-
trübender Herbst bei uns. Wein, Mais, Kar-
toffeln, Obst sollten in strömendem Regen
schier [7] Sommer aus, [8] Sommer ein gedeihen – jammer-
voll! Nicht nur Sonne, auch Mond u. Sterne
waren wie verfinstert u. so hoffnungslos es
aussah, so kam es denn auch bis zum Herbst,
wenigstens in der Weinlese. – Viele solcher [9] Jahre
möchten die Existenz v. Weinbau bedenklich
gestalten, wir müssen auf unsere Weinberge, die
ja nicht so sehr gross sind, wenn auch von den
grössten in Vaduz, viele tausend darauf [10] zahlen.
Die wenigen Träublein, die sich im Kampfe
um das Dasein noch durchgerungen, vermoch-
ten nicht einmal gehörig reif zu werden, zum
teil ungeniessbar sauer fast, man musste sie
immer wieder zu jenem Trester, od. Material werfen,
aus dem dann Schnaps gebrannt wird. Auch ward man gezwungen Zucker zu verwenden. [11]
Dass uns der liebe Gott im Himmel doch vor einem
weitern solchen Jahre behüte! Der Mais [12]
musste stellenweise noch in der Milch [13] heimge-
bracht werden. Die Kartofeln sind in Triesen-
berg jetzt noch nicht [14] alle aus der Erde genommen,
Schnee u. Kälte zu früh, so früh wie lange nicht
mehr, gestatteten es nicht, trotzdem die Leute
mit Bickel u. Schaufel d’ran waren.
Nur das Obst kämpfte sich noch ziemlich durch,
wir bezahlten für den Doppelzentner Lagerobst
28 Kronen [15]. –
Da hat die Sonne u. die Ernte bei Ihnen
wohl ein ander‘ fröhlicher Gesichtchen gemacht,
so dass wir Sie Glücklichern über dem
grossen Wässerlein drüben wohl beneiden könnten.
Nach einer Ihrer Mitteilungen dürfen Sie so-
gar recht zufrieden sein mit Wein u. Korn.
Muss das Ihr Herz erfreuen, wenn Sie den Segen
Gottes u. die Frucht Ihrer Arbeit, die das Jahr
hindurch doch viele Plage (wenigstens bei
uns) erfordert, vergnügt einheimsnen dürfen.
Was wollen wir aber jammern um die Miss- [16]
ernte, sollten wir es nicht viel trifftiger noch
um den Krieg! Dies Kriegsbild, das uns in
seiner ganzen Schrecklichkeit so nahe liegt,
könnte das Menschenherz schon drücken.
Unsere Nachbarn, die Österreicher, – ach, wie
müssten sie sich rüsten zu den Serben, – Feldkirch
unser nächstes Städtchen allein müsste 140
Söhne u. Männer zum Krieg schicken. – Und es
scheint nun dies zur Thatsache zu werden. [17]
Möchte es doch der Allgütige auf das Beste lenken
u. wie er es lenkt u. haben will, so wollen
auch wir es. –
Eine grosse Freude ist es uns stets, dass es Ihrer
grossen, lb. Famlie, ihnen allen so gut geht.
Ich stelle mir jedes einzelne Ihrer Kinder
u. Enkel jedes in einem gewissen Bildchen
vor u. verlangend denkt man dann: dass
das „Hüben u. Drüben“ doch so weit, so
weit [18] auseinander, ja es scheint wohl [19]
ein Begegnen, od. Sichsehen eines Amerika-
nischen u. eines Europäischen Rheinbergers eine
Unmöglichkeit, so leicht u. schnell man gegen-
wärtig reist, es wäre kein übergrosser Weg weder
für die dies-, noch jenseitigen Rheinberger.
Aber dann ganz, ganz aufrichtig gestanden,
wünschte ich es auch wieder nicht, in einem ge-
wissen Angstgefühl, das mich unwillkürlich be-
fürchten liess, den lieben Rheinberger von drüben,
die gewiss sehr fein u. nobel nur leben, würde
es bei uns herüben in unsrer Einfachheit nicht
gefallen. Zwar dürfte dies auch nur verwerflicher
Stolz, od. Hochmut von mir sein, den ich unter-
drücken sollte. –
Neulich hatten wir herrliches Rheinbergerconcert
v. Onkel Professor [Josef Gabriel] Rheinberger in Vaduz, mit ausser-
orndlichen Leistungen. [20]
Unser kl. lb. Hansjörg [Johann (Hans) Georg Rheinberger], des Bruder’s [Egon Rheinberger] Söhnchen ist
ein lieb Kerlchen, das viel Freude macht u. bald
schon 2 Jahre alt ist, ich muss Ihnen nächstens sein
Bildchen schicken. –
Und nun behüte u. beschütze u. segne Sie Lieben
alle, alle das Göttliche Christkindchen mit Himmels-
Gnade, mit Himmelsliebe auch im Jahre 1913.
Es vereinen sich Sie innig grüssend alle Rheinberger
hier bei mir. /
Immer Ihre anhängliche Emma Rheinberger
Frl. Berta [Bertha] Schauer u. ihre Schwestern [Marie Schauer, Ida Schauer] grüssen auch herzlichst. [21]