Die schweizerische Fremdenpolizei hat keine Einwände gegen eine Einbürgerung Rudolf Ruscheweyhs in Liechtenstein


Bericht der Eidgenössischen Fremdenpolizei, gez. Adjunkt Carl Brunner, an Bundesrat Eduard von Steiger (Kopie) [1]

22.1.1948

Bericht an Herrn Bundesrat von Steiger

Betrifft: Allfällige Erteilung des liechtensteinischen Bürgerrechtes an den deutschen Staatsangehörigen Ruscheweyh Rudolf

  1. Im Notenwechsel vom Dezember 1940 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über das bei liechtensteinischen Einbürgerungen anzuwendende Verfahren heisst es:
    "Die fürstliche Regierung wird alle Gesuche von Drittausländern, die sie nicht von sich aus abweist, dem Eidg. Justiz– und Polizeidepartement zur Stellungnahme vorlegen. Das Eidg. Justiz– und Polizeidepartement wird der fürstlichen Regierung mit seiner Stellungnahme auch das ihm über den Bewerber Bekannte mitteilen. Wenn der Bewerber nicht seit mindestens 2 Jahren im Fürstentum Liechtenstein tatsächlich ansässig ist, kann der Bundesrat gegen die Einbürgerung Einsprache erheben. Tut er dies, so wird die fürstliche Regierung dafür besorgt sein, dass die Einbürgerung nicht erfolgt." [2]
  2. Die ersten Sondierungen über die Frage der Erteilung des liechtensteinischen Bürgerrechtes an Ruscheweyh wurden vorgenommen, als Ruscheweyh noch nicht 2 Jahre in Liechtenstein ansässig war. [3] Im Hinblick auf die damals ungünstige fremdenpolizeiliche Situation dieses Ausländers wäre zweifellos mit einer Einsprache gegen die Einbürgerung zu rechnen gewesen. [4] Dieses Risiko wollten die Intervenienten nicht eingehen, weshalb die förmliche Unterbreitung eines Einbürgerungsgesuches unterblieb. Um die fremdenpolizeiliche Stellung Ruscheweyhs nicht unnötig weiter zu erschweren, gab der liechtensteinische Geschäftsträger [Prinz Heinrich] bei Ablauf der zweijährigen Frist die Zusicherung ab, dass die Einbürgerung nicht vorgenommen würde, ohne der Schweiz vorher davon Kenntnis zu geben. Sofern die Einbürgerung in Liechtenstein für die Schweiz dann wirklich unangenehm sein sollte, so würde darauf verzichtet.
  3. Herr Fürsprech [Armin] Hodler scheint nun die Frage der Einbürgerung gegenüber dem Politischen Departement wieder aufgegriffen zu haben. Ebenfalls brachte Herr Regierungschef [Alexander] Frick anlässlich seines Besuches bei Herrn Dr. [Heinrich] Rothmund die Einbürgerung neu zur Sprache, indem er darauf hinwies, dass die frühere liechtensteinische Regierung Herrn Ruscheweyh gegenüber gewisse Versprechungen abgegeben habe, welche die jetzige Regierung sich doch verpflichtet fühle einzulösen. Wir stellen fest, dass ein Einbürgerungsgesuch unserem Departement nicht schriftlich unterbreitet worden ist. Sie ersuchen uns um Stellungnahme gegenüber einem allfälligen Einbürgerungsgesuch.
  4. Unsere Stellungnahme ist die folgende:
    Seit dem Departementsentscheid vom 13. August 1947, mit welchem die Ruscheweyh angesetzte Ausreisefrist aus Liechtenstein aufgehoben wurde, [5] scheinen sich die Verhältnisse dieses Ausländers nicht wesentlich geändert zu haben. Überraschen mag, dass seither keine neuen gegen Ruscheweyh gerichtete Interventionen des Auslandes mehr erfolgt sind (wenigstens sind uns keine solchen bekannt), trotzdem die ausländischen Stellen sicher vom Departementsentscheid Kenntnis erhalten haben. [6] Diese Tatsache kann zweifellos zu Gunsten Ruscheweyhs gewertet werden. Unter diesen Umständen sind wir der Auffassung, dass auf alle Fälle kein Anlass dazu vorliegt, Liechtenstein zu empfehlen, auf die Einbürgerung zu verzichten, da dadurch wesentliche schweizerische Interessen verletzt würden oder zum mindestens eine diesbezügliche Gefahr bestehen würde.
    Es bleibt unseres Erachtens lediglich die Frage offen, in welcher Form der liechtensteinischen Regierung die schweizerische Stellungnahme eröffnet werden soll. Aus vorsorglichen Gründen sind wir nach wie vor der Auffassung, dass sich die Schweiz wo immer möglich vom Fall Ruscheweyh distanzieren sollte. Mit anderen Worten: Liechtenstein, das in Ruscheweyh ein dankbares Steuerobjekt besitzt und das ebenfalls die horrenden Einbürgerungstaxen erheben wird, [7] soll die volle Verantwortung für die Einbürgerung übernehmen. Die Schweiz hingegen, die weder aus dem Aufenthalt Ruscheweyhs in Liechtenstein bis anhin einen Nutzen gezogen hat, noch einen solchen aus der Einbürgerung ziehen wird, soll weiterhin Distanz bewahren. Die Schweiz soll weder auf eine Einsprache in diesem Fall ausdrücklich verzichten, noch eine Zustimmung zur Einbürgerung erteilen, da ihr ja die rechtlichen Möglichkeiten gar nicht mehr zustehen. Ruscheweyh hält sich seit dem 6. Januar 1944 in Liechtenstein auf, also mehr als 2 Jahre, und das schweizerische Einspracherecht ist daher verwirkt. Es soll vermieden werden, dass sich Liechtenstein auf eine ausdrückliche Zustimmung der Schweiz berufen kann, sofern der Fall später doch noch zu Komplikationen führen sollte. Um auch für die Zukunft festzuhalten, dass die Einbürgerung Ruscheweyhs in voller Souveränität Liechtensteins und ohne den Segen der Schweiz erfolgte, sollte die Meinungsäusserung der Schweiz unbedingt schriftlich erfolgen.

Antrag:

Das Departement erledigt den Fall durch Schreiben an Herrn Regierungschef Frick unter Bezugnahme auf seine Unterredung mit Herrn Dr. Rothmund (also ohne dass der Fall noch vorher schriftlich von liechtensteinischer Seite unterbreitet wird). Wir glauben, dass es sich im Hinblick auf die erfreuliche Haltung des Herrn Regierungschefs Frick bei der Unterredung mit Herrn Dr. Rothmund rechtfertigen wird, [8] eher ihm zu einem gewissen Erfolg in dieser Angelegenheit zu verhelfen als den Anwälten Ruschewehys. Wenn wir Herrn Frick entgegenkommen können, ohne dass sich die Schweiz etwas vergibt, so sollten wir es tun. In der Beilage erlauben wir uns einen Briefentwurf zu unterbreiten.

Beilage: 1 Entwurf vom 22.1.48. [9]

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[1] LI LA V 004/1948/04 (c). Aktenzeichen: 874028 Dr.Hf/CB/so.
[2] LI LA RF 199/416/002/032-035.
[3] Das Einbürgerungsgesuch Ruscheweyhs datiert vom 12.1.1944 (CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 14, Az. B.14.21.02.19.Uch, Ruscheweyh, Rudolf, 31.12.1905, 1944-1954, Einbürgerungsgesuch von Alois Ritter im Namen von Ruscheweyh an die Regierung). Ruscheweyh besass seit Ende März 1940 eine Aufenthaltsbewilligung in Schaan (LI LA V 004/1948/04, Regierung an Ruscheweyh, 29.3.1940). Die schweizerischen Behörden waren jedoch der Meinung, dass es sich um einen fiktiven Wohnsitz handle.
[4] Zu den schweizerischen Vorbehalten gegen eine Einbürgerung Ruscheweyhs vgl. CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 14, Az. B.14.21.02.19.Uch, Ruscheweyh, Rudolf, 31.12.1905, 1945-1954, Bericht der Eidgenössischen Fremdenpolizei, 3.2.1944; Notiz von Felix Schnyder über die Unterredung von Alois Vogt mit Max Ruth vom 11.3.1944, 16.3.1944; Notiz von Schnyder über die Unterredung mit Vogt vom 28.4.1944, 1.5.1944.
[5] LI LA V 004/1948/04, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement an Armin Hodler, 13.8.1947. Mit dem gleichen Schreiben verhängte die Schweiz eine Einreisesperre über Ruscheweyh.
[6] Die Alliierten hatten im Herbst 1946 die Repatriierung Ruscheweyhs nach Deutschland verlangt (LI LA V 143/3167 (b), Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern, 28.11.1946).
[7] Liechtenstein erteilte Ruscheweyh und seiner Familie das Bürgerrecht gegen Gebühren von insgesamt 115'500 Fr. (LI LA V 004/1948/04, Landtagspräsidium an Regierung, 23.4.1948).
[8] Zum Standpunkt der liechtensteinischen Regierung vgl. LI LA RF 241/075/003.  
[9] CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 14, Az. B.14.21.02.19.Uch, Ruscheweyh, Rudolf, 31.12.1905, 1945-1954, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement an Frick, 22.1.1948. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement teilte Frick am 13.4.1948 mit, es überlasse es den liechtensteinischen Behörden, nach freiem Ermessen über die Einbürgerung zu entscheiden (LI LA V 004/1948/04).