Der Landtag debattiert über die Abtretung des Ellhorns an die Schweiz


Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags, ungez. [1]

3.11.1948

Präsident [David] Strubbegrüsst den Gesandten in Bern, Seine Durchlaucht Prinz Heinrich von Liechtenstein und teilt dem Landtag gleichzeitig mit, dass Seine Durchlaucht so freundlich sein wird, den Landtag über die weiteren Besprechungen in Bern nach der Verhandlung der Kommission [2] in der Frage des Ellhorn zu informieren. Präsident Strub ersucht eines der Kommissionsmitglieder um Orientierung über den Verhandlungsverlauf in Bern.

Regierungschef [Alexander] Frick teilt mit, dass der schweizerischen Unterhandlungskommission ein Pachtvertrag vorgeschlagen wurde, diese habe jedoch einen Pachtvertrag als für ihr Neutralitätsstatut nicht tragbar erklärt. Gleichfalls sei die Evakuierungsmöglichkeit und der erhöhte Grenzschutz zur Sprache gekommen. [3] Eine vertragliche Bestimmung über die Evakuation konnte die Schweiz, bezw. das Militär nicht annehmen, versicherte jedoch, dass die liechtensteinischen Bewohner gleich behandelt würden wie schweizerische Staatsangehörige, die sich in der gleichen Lage befinden würden. Darüber hinaus zu gehen sei der schweizerischen Delegation anscheinend nicht möglich gewesen. Sie habe erklärt, dass die Schweiz mit Liechtenstein keinen Vertrag über die Evakuierung abschliessen könne, da dies für sie wegen der internationalen Beziehungen nicht zulässig sei. Gleichzeitig habe die schweizerische Kommission auf die Leistungen der Schweiz in karitativer Hinsicht während des letzten Krieges hingewiesen und versichert, dass die Schweiz auch in Zukunft nicht von ihren Grundsätzen abzugehen gedenke. Hinsichtlich des Grenzschutzes sei Liechtenstein zugestanden worden, dass derselbe im Notfalle verstärkt werden könnte. Auch bezüglich der Forderung der 2.6 Millionen [4] habe sich die Kommission entgegenkommend ausgedrückt. Er sei der Ansicht, dass die Gemeinde Balzers nun von der Schweiz grosszügiger behandelt werde. [5] Die Gemeinde Balzers müsste nun allerdings endgültig ihre Forderungen bekannt geben. Was nach den Verhandlungen hinter den Kulissen sich abgespielt habe, könne vielleicht am besten der Herr Gesandte ausführen.

Prinz Heinrich von Liechtenstein führt aus, dass nach der Konferenz eine Besprechung der Schweizerischen Delegation stattgefunden habe. Bei diesem Anlass sollen die Vertreter des Militärdepartements mit Nachdruck darauf hingewiesen haben, dass das Ellhorn das militärische Problem Nr. 1 der Schweiz sei und Liechtenstein der Schweiz in diesem Punkte entgegenkommen müsste. Die Bevölkerung Liechtensteins habe nun einmal Gelegenheit zu zeigen, dass sie den schweizerischen Belangen Verständnis entgegenbringe. Legationsrat Bindschädler [Rudolf Bindschedler] habe ihn gebeten, er möchte die Regierung und die Behörden über die Wichtigkeit dieser Angelegenheit nicht im Ungewissen lassen. Das Militärdepartement habe sozusagen den ganzen Bundesrat davon überzeugen können, dass das Ellhorn derzeit das wichtigste militärische Problem der Schweiz sei. Im Bundesrat sei man der Auffassung, dass Liechtenstein wohl Nutzniesser der schweizerischen behördlichen Verfügungen, Einrichtungen und Errungenschaften sei, aber nicht bereit sei, einmal ein Opfer zu bringen. Die Militärs hätten darauf hingewiesen, dass die liechtensteinische Regierung diese Frage schon im Jahre 1938 soweit hinausgezögert habe, bis es zu spät gewesen sei und die internationalen Ereignisse weitere Verhandlungen verunmöglicht hätten. [6] Das politische Departement habe sich bisher tatsächlich für uns eingesetzt, Legationsrat Dr. Bindschädler habe jedoch erklärt, dass er inskünftig gegen die anderen Departemente einen schweren Standpunkt hätte, wenn die Verhandlungen über das Ellhorn wieder im Sande verlaufen würden. Wenn uns heute der Zollvertrag gekündigt würde, hätten wir kaum mehr eine Möglichkeit irgendwo einen Zollanschluss zu finden. Österreich wurde unsererseits im Jahre 1918 der Zollvertrag gekündigt und zwar wurde dabei auf nicht besonders schöne Art und Weise vorgegangen. Die Zollbeamten mussten jedenfalls sehen, dass sie schleunigst aus dem Land kamen, sonst hätten ihnen noch unangenehme Sachen passieren können. Solche Angelegenheiten sind nicht dazu angetan, um die Beziehungen zu verbessern und man dürfe ja nicht glauben, dass uns das nicht vorgesetzt würde, wenn wir wieder um eine Zollunion ansuchen müssten. Ausserdem sei Österreich heute nicht Herr seines eigenen Willens. Er sei überzeugt, dass Russland einer Zollunion schon aus Rache wegen der seinerzeitigen Flüchtlingsangelegenheit [7] nicht zustimmen würde. Man müsse sich über die gegebene Situation ganz klar sein und es bleibe wahrscheinlich nichts anderes übrig, als wohl oder übel in den sauren Apfel zu beissen. Er möchte die Behörden und den Landtag wirklich voll und ganz über die Sachlage aufklären und deren Ernst klarmachen. Seiner Ansicht nach könnte und würde man uns nach einer Ablehnung in der Ellhornfrage den Boden derart heiss machen, dass eine Zusammenarbeit verunmöglicht würde und wenn auch unsererseits der beste Wille vorhanden wäre. Auch Bundesrat [Philipp] Etter sei von der militärischen Wichtigkeit des Ellhorns überzeugt und habe darauf hingewiesen, wie wichtig ein Entgegenkommen Liechtensteins in dieser Frage wäre, und Etter gelte doch als einer der grössten Freunde Liechtensteins im Bundesrat. Er, Prinz Heinrich, habe die Herren über die Schwierigkeiten Liechtensteins in der Ellhornfrage aufgeklärt und sie gebeten, uns in der Behandlung dieser Frage noch etwas Zeit zu lassen. [8] - Die Angst vor dem kommenden Kriege oder besser besagt die Gewissheit eines dritten Weltkrieges habe so weite Kreise erfasst, dass selbstverständlich die Argumentationen der Militärs nur den besten Nährboden finden. Er sei allerdings auch der Ansicht, dass auf Grund der heutigen Geschehnisse und Ereignisse ein dritter Weltkrieg sehr wahrscheinlich sei. Sofern es jedoch zu einem Kriege komme, müsse man sich im Klaren sein, dass der Ansturm der Flüchtlinge an unserer nördlichen Grenze das vielfache Mass dessen übersteigen werde, wie im letzten Kriege; man müsse sich nur der Hunderttausende von Displaced Persons in Österreich erinnern, die von ihrer Kommunismusfurcht sofort weiter getrieben würden. Demgegenüber sei der verstärkte Zollschutz allerdings eher ein symbolischer Schutz, man dürfe jedoch nicht vergessen, dass uns dieser symbolische Schutz schon einmal geholfen habe. Legationsrat Bindschädler habe ihm gegenüber in dieser Angelegenheit geäussert, dass Liechtenstein in dieser Hinsicht etwas mehr tun sollte, indem es die Hilfspolizei besser ausbaue, um sie im Notfalle wirksam einsetzen zu können. Wenn die Schweiz jedoch das Ellhorn nicht erhalte, hätten wir von dieser Seite her überhaupt keine Hilfe mehr zu erwarten. Weil die Schweiz diesen Stützpunkt als so wichtig ansieht, werden wir ihr diesen Dienst einmal erweisen müssen. Man müsse Realist sein. Es wäre ja gewiss leichter, die Behandlung der Ellhornfrage wieder hinauszuschieben, als Kommissionsmitglieder zurückzutreten und die Verhandlungen wenn möglich unseren Nachfolgern zu überlassen, doch käme dies einer Absage gleich und die Schweiz würde schwerlich noch längere Zeit in dieser Hinsicht Geduld üben. Man müsse sich über die Folgen einer solchen Handlung im Klaren sein. Er habe ganz zufällig mit einem hohen Offizier der Weststaaten über die Wichtigkeit der Ellhornfrage an und für sich und im gesamteuropäischen Interesse gesprochen und von dieser Seite die gleiche Einstellung zu hören bekommen. Gelegentliche Unterhaltungen mit Herren der Gesandtschaften der Weststaaten hätten ihm gezeigt, dass man dort eine ablehnende Haltung Liechtensteins in der Ellhornfrage nicht verstehen würde. Offiziell allerdings werde von diesen Stellen kein Wort laut und die höchsten schweizerischen Stellen seien der Ansicht, dass man bei diesen Gesandtschaften auch nichts davon wisse. Es sei jedoch seine Pflicht, die Sachlage so zu schildern, wie er sie sehe. Er bitte deshalb den Landtag, sich in der Behandlung dieser Frage klar zu sein, dass eine andere als eine positive Erledigung bittere Folgen haben würde.

Präsident Strub dankt Seiner Durchlaucht Prinz Heinrich für seine Ausführungen. Gleichzeitig ersucht er Herrn Vizepräsident Dr. [Alois] Ritter um Bericht über den Verhandlungslauf am zweiten Tage.

Vizepräsident Dr. Ritter bezieht sich auf die Ausführungen des Regierungschefs. Die schweizerische Delegation habe erwartet, dass die liechtensteinische Delegation die Vollmacht zu einem Vertragsentwurf in der Tasche habe. Die Situation sei sehr ernst. Eine Verschiebung auf weite Sicht könne und dürfe nicht erfolgen. Die Vertreter der Gemeinde Balzers wären ja dabei gewesen und hätten die Verhandlung verfolgen können. Dass das Echo in Balzers nicht günstig sei, [9] könne man vollauf verstehen. Ob der Gemeinde Balzers Gelegenheit geboten werde, so oder so zu entscheiden, sei Ansichtssache, jedoch dürfe ein ablehnender Entscheid der Gemeinde Balzers nicht ohne weiteres für den Landtag ausschlaggebend sein. Er würde vorschlagen, die Angelegenheit nun mit Balzers ins Reine zu bringen, in der Zwischenzeit könnte das diplomatische Spiel immer noch weiter laufen. Festzustellen sei, dass es sich nicht zuletzt auch um eine ideelle Sache handle, denn Liechtenstein habe seit seinem Bestehen noch nie eine solche Transaktion durchgeführt. Als „Grenzkorrektion" dürfte die Sache wohl ein komisches Aussehen bekommen, da man anstatt der heutigen geraden Linie eine Zickzacklinie erhalte.

Abg. Brunhart Fidel gibt bekannt, dass die Stellungnahme der Gemeinde Balzers nach wie vor die gleiche ist und zwar aus dem Grunde, weil sie heute um das ganze Dorf herum Festungen hätten und nun noch eine solche in die Nähe von Mäls kommen sollte. Wenn man um die Abtretung des Ellhorngebiets nicht herumkomme, so müsse wenigstens die Bedingung gestellt werden, dass die Ausgänge so angelegt werden, dass bei einer eventuellen Explosion Mäls nicht gefährdet sei.

Abg. Bühler Oswald bemerkt, dass er sich über die Situation vollständig klar sei. Es gehe hier um Sein oder Nichtsein. Er gebe zu, dass es wohl noch kein Vorsteher so schwer gehabt habe wie der Balzner Vorsteher. Das Volk solle in dieser Sache befragt werden. Landtag, Regierung und die Fraktionen müssen die Sachlage eingehend prüfen. Nach aussen hin soll es eine Grenzbereinigung sein und keine Gebietsabtretung. Im Falle eines Konfliktes würde uns letztere bei einer Bedrohung oder Besetzung unseres Landes vorgeworfen und als Druckmittel verwendet werden. Es soll untersucht werden, ob nicht die Möglichkeit bestünde, irgendwo wieder soviel Gebiet zu erhalten als wie man abgetreten habe. Die Gemeinde Balzers muss überzeugt werden, dass die Ellhornfrage nicht nur eine Balzner Angelegenheit, sondern ein Landesproblem ist. Auf alle Fälle müsse jedoch darauf gesehen werden, dass der Schein einer Gebietsveränderung gewahrt bleibe.

Abg. Brunhart Fidel stellt fest, dass es sich für die Gemeinde Balzers nicht um eine Gebietsverlegung, sondern um eine Gebietsabtretung handle. Es werde der Gemeinde Balzers nach und nach immer mehr Kulturboden für Festungen abgenommen.

Präsident Strub erklärt, wie den Herren in Bern der Gebietsaustausch verständlich gemacht werden könnte. Wie schon der Abgeordnete Bühler mitgeteilt habe, soll das Volk seinen Gefühlen teilweise ziemlich heftig Ausdruck verliehen haben. Es sei dies sehr gefährlich, denn dies könne nur die Atmosphäre vergiften. Wenn die Abtretung des Ellhorns an die Schweiz Wirklichkeit werde, so sollte dies zu einer Verbesserung der Beziehungen führen. Er ersucht deshalb die Herren Abgeordneten, wo immer möglich die Leute aufzuklären und wenn notwendig Vernunft beizubringen. Es habe keinen grossen Zweck, in grossen Tönen die Sache zu diskutieren und wie es leider schon geschehen sei, in den Gaststätten der benachbarten schweizerischen Orte über die Behörden und die Schweiz im Allgemeinen zu schimpfen. Man könne damit die Atmosphäre derart vergiften, dass es kaum mehr gut zu machen wäre. Dass die Situation sehr ernst sei, sei aus den Ausführungen des Gesandten ohne weiteres ersichtlich.

Regierungschef Frick nimmt Bezug auf die Ausführungen des Abgeordneten Bühler und teilt mit, dass man über die Art und Weise der Bekanntgabe dieses Gebietsaustausches verschiedener Meinung sein kann. Er frage sich, ob es nicht richtiger ist, in einem Zusatzprotokoll klar festzustellen, dass uns dieses Gebiet von der Schweiz abgetrotzt wurde. Von einer Grenzbereinigung in diesem Sinne zu sprechen, wäre etwas verwirrend. Nachdem die PdA [Partei der Arbeit] der Schweiz heute schon mit Russland regen Verkehr pflege, würde wahrscheinlich das Schild einer „Grenzbereinigung" nicht viel nützen. Ein weiterer schwacher Punkt sei die Grenze auf And, welche noch nie genau festgelegt worden sei. Auf alle Fälle müsse diesem Grundstück noch etwas Augenmerk geschenkt werden.

Abg. Bühler Oswald ist der Ansicht, dass es schwer zu beurteilen sei, welche Form man dieser Gebietstransaktion geben solle, damit man später im Konfliktfalle einen gnädigen Richter finde. Er habe sich nur gedacht, dass auf alle Fälle der Eindruck einer freiwilligen Abtretung vermieden werden soll.

Abg. Kindle Florian bemerkt noch, dass man schon im letzten Kriege die direkte Schusslinie von der Sarganser Festung hier gefürchtet habe und nun solle noch der letzte Kegel unterhöhlt werden.

Präsident Strub erwidert, dass wir bei einer Feuerprobe mit den heute bestehenden Festungen ohnehin schon erledigt wären und zwar das ganze Land. Bezüglich der Evakuierung müsse irgendein Modus gefunden werden.

Abg. Bühler Oswald erwähnt noch, je mehr die Schweizer die Festung Sargans ausbauen könnten und je mehr diese Festung als uneinnehmbar gelte, desto weniger sei ein Angriff von gegnerischer Seite zu befürchten.

Regierungschef Frick ist der Ansicht, dass sich in Europa wirklich etwas zusammenbraut. Es sei nun einmal Tatsache, dass die Militärbudgets schon wieder einen grossen Teil der Nationaleinkommen der verschiedenen Staaten verschlingen. Es sei Pflicht des Fürsten [Franz Josef II.], des Landtags und der Regierung genau zu überlegen, was man im Falle eines Krieges tut. Es wäre zur Beeinflussung der Bevölkerung wirklich wichtig, wenn uns die Schweiz wenigstens die Evakuation der Frauen und Kinder zusichern würde. Wenn wir in der Ellhornfrage nicht nachgeben wollten, müsste man sich über die Konsequenzen wirklich voll im Klaren sein. Die einzige Evakuationsmöglichkeit sei schon rein geographisch in die Schweiz gegeben, weil dorthin das Gebiet offen ist. Wenn diese Grenze gesperrt wäre, sässen wir in einer richtigen Mausefalle. Man müsse also eine Lösung suchen, die einigermassen erträglich sei.

S.D. Prinz Heinrich gibt seiner Meinung Ausdruck, dass ausser der Evakuation noch ein wichtiger Punkt zu berücksichtigen sei: Wenn die Russen Vorarlberg besetzen würden, könnten sie uns von dort aus ohne weiteres überrennen, wenn sie auch der Schweiz nichts antun wollen. Wie wollten wir nach dem Kriege die Selbständigkeit unseres Landes wieder herstellen, wenn wir die Unterstützung der Schweiz, sowie der Westmächte nicht hätten. Aber auch die Westmächte sehen die Ellhornfrage, bezw. den weiteren Ausbau der Festung Sargans als sehr wichtig an. Der Schwiegersohn [Duncan Sandys] Winston Churchills soll anlässlich eines Besuches in der Schweiz die Festung Sargans besucht haben, was auf ein starkes Interesse von Seiten Englands schliessen lasse.

Abg. Sele Josef ist sich der Schwere des Problems bewusst, dennoch sei er der gleichen Ansicht, wie die Gemeindevertretung von Balzers. Wenn die Russen sich der Schweiz wirklich bemächtigen wollen, so werde auch die Festung Sargans mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln angegriffen werden und er glaube nicht, dass sie einem solchem Ansturm standhalten könne. Schliesslich befördere man heute die grösste Invasionsarmee mit Luftfrachtern, dann nütze eine solche Festung auch nichts mehr. Ein eventueller Angriff Russlands würde wahrscheinlich über das Flachland gehen und nicht über diese Felsenfestungen.

S.D. Prinz Heinrich antwortet, dass die Hauptstossrichtung des russischen Angriffes im Falle eines Krieges wahrscheinlich über den Rhein gehen würde, diese Pläne seien auch in der Schweiz bekannt. Wie man aus glaubwürdiger Quelle vernommen habe, existiere bei den Russen der Plan, bei Kriegsausbruch in Österreich die Macht an sich zu reissen. Selbst im kleinsten Ort in Österreich würde heute versucht, kommunistische Zellen zu bilden. Er habe diese Informationen von einem amerikanischen Beamten in Österreich erhalten. Die Zellenleiter werden zur Ausbildung alle ins Lager Wöllersdorf geschickt. Es bestehen heute schon genaue Pläne über diese Machtergreifung. Wenn der Krieg länger dauert, werden die Russen ihre Machtsphäre gut zu organisieren bringen. Selbst wenn es den Alliierten gelänge, die Rheingrenze zu halten, würden sie es nachher sehr schwer haben, die Russen wieder nach Osten zu drängen, denn die Russen seien gute Strategen und wüssten sicher genau, was der Besitz einer Alpenfestung bedeutet. Die Österreicher hätten keine Truppen in den Alpen und die Russen wären eigentlich dumm, wenn sie die günstige Situation nicht ausnützen würden. Der Schweiz würde zunächst die Neutralität garantiert werden, bis sich die Russen auch in Frankreich festgesetzt haben, um ihr nachher in den Rücken zu fallen.

Präsident Strub kommt auf die Ausführungen des Abgeordneten Sele zurück. Unsere militärischen Überlegungen brauchen nicht richtig zu sein, ausschlaggebend sind sie auf alle Fälle nicht, sondern die wirtschaftliche Lage. Wie würden sich das die Herren Abgeordneten vorstellen, wenn unser Land von der Schweiz getrennt wäre und vollständig auf sich selbst abgestellt wäre. Man könne sich die Folgen gar nicht vorstellen. Es gehe hier um Sein oder Nichtsein unsers Volkes. Wenn wir der schweizerischen Anfrage in der Ellhornangelegenheit ein nein entgegenbringen, so ist es um den Zollvertrag geschehen. Auf Österreich könne man heute nicht mehr zählen, denn es sei nun schliesslich nicht mehr das Österreich zu Kaisers Zeiten. Er stelle nun an jeden Abgeordneten die Frage, ob er bereit sei, für eine wirtschaftliche Trennung von der Schweiz die Verantwortung zu übernehmen?

Vizepräsident Dr. Alois Ritter ist der Ansicht, dass kein Landtagsabgeordneter diese Verantwortung auf sich nehmen könne. Eine sehr beachtenswerte Frage stelle jedoch die Evakuation der Frauen und Kinder dar. Eine weitere Frage sei, wie sich die Russen gegenüber unserer Bevölkerung verhalten, wenn das Ellhorn abgetreten worden ist. Er frage sich, ob das Memorandum der Schweiz nicht vor der nächsten Sitzung beantwortet werden soll, um verschiedene Wünsche noch anzubringen und den kompetenten Stellen diese verständlich zu machen.

Abg. Kindle Florian gibt seiner Meinung Ausdruck, dass das Evakuierungsproblem eines der wichtigsten mit dem Ellhorn zusammenhängenden Probleme sei. Man müsse sich fragen, was man nach der Befreiung des Landes erreichen wollte ohne Mithilfe der Schweiz. Es sei dies bestimmt ein schweres Problem, aber man müsse auf alle Fälle einen Ausweg finden.

Abg. Bühler Oswald nimmt Bezug auf die Ausführungen des Abgeordneten Josef Sele und bemerkt, für uns seien die militärischen Hypothesen nicht von primärer Wichtigkeit, sondern die wirtschaftlichen Folgen im Falle der Kündigung des Zollvertrages und diese zeichneten sich klar genug ab. Er sei vollständig der Auffassung des Regierungschefs, dass das Volk dem Landtag für ein nein aus falscher patriotischer Einstellung heraus nicht dankbar wäre, wenn es in der Folge den Lebensstandard um mindestens 30 % bis zur Hälfte senken müsste. Dafür hätte die Bevölkerung nachträglich kein Verständnis mehr. Wenn die Schweiz erkläre, dass sie das Ellhorn brauche, so müsse dem entsprochen werden. Der Landtag dürfe wegen der bedrängten Lage der Gemeinde Balzers nicht sentimental werden, es gehe hier um den wirtschaftlichen Bestand des ganzen Landes. Selbstverständlich müsse für die Gemeinde Balzers dabei herausgeholt werden, was herauszuholen sei. Er würde dem Landtag vorschlagen, dass man der Gemeinde Balzers verspricht, dass sie nach Abwicklung der Ellhornangelegenheit bestmöglichst vergütet werde.

Regierungschef Frick führt aus, dass heute starke Bestrebungen im Gange sind, die Kleinstaaterei in Europa aufzuheben, zum mindesten wirtschaftlich, um grössere Wirtschaftsräume und damit eine rationellere und konkurrenzfähigere Wirtschaft zu erhalten, damit Europa wieder gesunden könne. Dies werde noch als einziger Ausweg angesehen. Diese Bestrebungen müssten auch irgendwie in Betracht gezogen werden. Wie schon S.D. Prinz Heinrich erwähnte, wäre es nicht am Platze, die Westmächte irgendwie zu enttäuschen. – Die Einstellung, dass kein Fuss breit Boden abgetreten werden soll, sei sehr verständlich, aber damit seien die anderen Probleme nicht gelöst. Wenn die Herren der Ansicht seien, dass der Angelegenheit und dem Lande besser gedient sei, so sei er gerne bereit einer Auswechslung von Delegations-Mitgliedern zuzustimmen.

Abg. Sele Josef greift auf die Äusserung von Herrn Vizepräsident Dr. Alois Ritter zurück und bringt dagegen vor, wenn die Russen unser Land tatsächlich einmal besetzen würden, würden sie uns über diese Gebietsabtretung ganz bestimmt Vorhalte machen.

Präsident Strub erwähnt, dass man den Tatsachen ins Gesicht sehen müsse, die wirtschaftliche Lage interessiere ihn mehr als alle militärischen Überlegungen.

Regierungschef Frick bemerkt, wie der fürstliche Gesandte erwähnt habe, erwarte man die Delegation schon am nächsten Montag wieder in Bern. Er möchte den Landtag anfragen, ob bei dieser Konferenz die wirtschaftlichen Fragen mehr betont werden sollen oder die Evakuationsfrage.

Abg. Kindle Florian äussert sich, dass die Sachlage nun einmal sehr ernst sei. Es gebe keinen Ausweg. Es werde niemand behaupten können, dass es einen Ausweg gebe, der ohne folgenschwere Nachteile sei. Ein Ausweg müsse gefunden werden.

Abg. Brunhart Fidel kann es nicht glauben, dass uns die Schweiz wegen der Ellhornangelegenheit derart unter Druck setzen würde.

Abg. Kindle Florian weist auf die Äusserungen des Gesandten hin.

Vizepräsident Dr. Ritter frägt sich, ob der nächste Montag für eine Konferenz nicht doch zu früh sei. Man sollte eventuell doch noch vorher die Stellungnahme der Gemeinde Balzers einholen.

Regierungschef Frick stimmt Vizepräsident Dr. Ritter bei. Dieser Ansicht sei er auch. Er möchte eine Bürgerversammlung einberufen. Um aber den Balzern die ganze Sachlage und die eventuellen Auswirkungen klar zu machen, müsse man zuerst genauestens wissen, wieviel die Schweiz bereit sei zu bieten. Er sei der Ansicht, dass nicht schon das nächste Mal in Bern ein Vertrag unterschrieben werden sollte.

Abg. Kindle Florian ist ebenfalls dieser Ansicht und regt an, dass man bei den Verhandlungen mit den Bedenken und Bedingungen nicht hinter dem Berg halten soll.

Abg. Wachter Johann ist der Auffassung, dass man gewiss noch erreichen könnte, dass die schweizerische Delegation noch etwas Gebiet abstreicht.

Abg. Brunhart Fidel teilt mit, dass er mit der Kommission nicht mehr nach Bern gehe, wenn nicht vorher in Balzers eine Aufklärungsversammlung stattfinde.

Regierungschef Frick frägt sich, ob man den Balznern damit imponieren könne, wenn man doch keine positiven Angaben machen könnte.

S.D. Prinz Heinrich gibt bekannt, dass die schweizerischen Behörden sich damit einverstanden erklärt hätten, dass ein Protokoll über die Sitzung aufgenommen werde, das der Regierung als Grundlage für die Verhandlungen mit der Gemeinde Balzers dienen könnte und dann, wenn diese Verhandlungen stattgefunden hätten, ein Entwurf für den Staatsvertrag aufgestellt werde, welcher Vertrag im Dezember abgeschlossen werden sollte.

Regierungschef Frick befürchtet, dass es keinen Zweck habe, in Balzers eine Aufklärungsversammlung abzuhalten, wenn man keine genauen Angaben über die schweizerischen Vorschläge bringen könne. Die Balzner seien sicher nicht so eingestellt, dass sie die Gegnerschaft auf die Spitze treiben, damit die Sache verunmöglichen und so dem ganzen Lande den grössten Schaden zufügen würden. Schliesslich würde die Gemeinde Balzers auch am schwersten betroffen, wenn das Ellhorn nicht an die Schweiz abgetreten würde.

Abg. Sele Josef glaubt, dass sich alle über die Sachlage im Klaren sind. Jeder der Landtagsabgeordneten habe Angst vor der Kündigung des Zollvertrages. Ob die Herren überzeugt seien, dass es durch eine Verweigerung des Ellhorns wirklich zur Auflösung des Zollvertrags käme?

S.D. Prinz Heinrich macht darauf aufmerksam, dass schon im Jahre 1947 bei den Kantonen St. Gallen und Graubünden angefragt worden sei, ob sie gegen eine eventuelle Kündigung einzuwenden hätten. Die beiden Kantone hätten damals ihre völlige Interesselosigkeit am Zollvertrag bekundet.

Abg. Kindle Florian gibt zu überlegen, ob nicht doch eine öffentliche Aufklärungsversammlung noch vor der nächsten Konferenz in Bern abgehalten werden sollte. Es werde derzeit viel geschimpft und man könnte durch eine Aufklärung vieles verhüten.

Abg. Schädler Eugen vertritt den Standpunkt, dass es der Mühe wert wäre, zweimal nach Balzers zu gehen und zwar sollte die erste Versammlung so bald wie möglich stattfinden, damit der Agitation Einhalt geboten werden kann.

Abg. Bühler Oswald ist ebenfalls dieser Ansicht. Die Versammlung soll noch vor der nächsten Konferenz in Bern abgehalten werden, schon um die Stellung des Vorstehers abzuklären und zu festigen. Ausserdem wäre es auch gut, wenn man die Wünsche der Gemeinde Balzers vor der Konferenz in Bern kennen würde.

Regierungschef Frick äussert sich, dass er sich vorgestellt habe, dass eine Aufklärungsversammlung ohne genaue Gegebenheiten eine ziemlich heikle Angelegenheit sei. Er sei auch der Ansicht, dass man bei einigem gutem Willen der Militärs bedeutend weniger Boden abtreten müsste. Wenn der Balzner Vorsteher jedoch bei seinem Entschluss bleibe, bleibe nichts anderes übrig als zuerst nach Balzers zu gehen.

Abg. Bühler Oswald ist der Überzeugung, dass es bestimmt besser ist, wenn man jetzt eine Aufklärungsversammlung in Balzers durchführt, damit bis zur endgültigen Erledigung noch einige Zeit verstreicht. Die Bürger haben dann eher Zeit, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen.

Abg. Kindle Florian ist der Auffassung, dass man damit viel Unangenehmes verhindern könnte.

Abg. Beck Johann stimmt diesem Vorschlag ebenfalls bei.

Präsident Strub gibt schlussendlich zu, dass der Regierungschef, Vizepräsident Dr. Ritter und er am kommenden Samstag nach Balzers gehen und die Bevölkerung aufklären. [10]

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[1] LI LA LTP 1948/134.
[2] Am 5.10. sowie am 9./10.11.1948 fanden Verhandlungen in Bern statt (LI LA RF 250/072/019, Protokoll vom 10.11.1948 und vertrauliches Protokoll vom selben Tag). Die liechtensteinische Delegation setzte sich zusammen aus Alexander Frick, Ferdinand Nigg, Prinz Heinrich, David Strub und dem Abgeordneten und Balzner Vorsteher Fidel Brunhart (LI LA RF 250/072/019, Regierung an die Gesandtschaft in Bern, 27.9.1948). Zu den Verhandlungen vgl. auch dodis.ch/6965.
[3] Liechtenstein forderte in den Verhandlungen, dass die Schweiz im Gegenzug zum liechtensteinischen Entgegenkommen in der Ellhornfrage die Zusicherung gebe, "Kinder, Frauen und Greise im Gefahrsfalle an einen sicheren Ort in der Schweiz zu evakuieren" und bei Kriegsgefahr die liechtensteinisch-österreichische Grenze durch schweizerische Grenzwächter zu schützen (LI LA RF 250/072/019, Memorandum der liechtensteinischen Delegation, 8.11.1948).
[4] Die Schweiz forderte von Liechtenstein 2,6 Millionen Franken als Entschädigung für die Sicherstellung der Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen sowie für die Verbilligung der Lebenshaltung während des Krieges. Das Fürstentum bestritt die Höhe der Forderung. Die Schweiz reduzierte dann die Forderung auf 800'000 Franken (vertrauliches Protokoll vom 23.12.1948, wie Anm. 2).
[5] Die Gemeinde Balzers verlangte für Schäden, die das Schweizer Militär im Krieg verursacht hatte, eine Entschädigung. Man einigte sich schliesslich auf eine Globalentschädigung von 37'532 Franken (LI LA RF 250/072/019, Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern, 12.4.1949).
[6] Die Schweiz hatte Liechtenstein schon am 1.6.1938 eine Revision der gemeinsamen Staatsgrenze vorgeschlagen (LI LA RF 180/466). Liechtenstein forderte am 16.12.1938 Kompensationen für die von der Schweiz gewünschte Gebietsabtretung (LI LA RF 197/481/003). Die Verhandlungen scheiterten vorerst am Widerstand Liechtensteins.
[7] Liechtenstein hatte sich 1945 trotz Drängens der sowjetischen Repatriierungskommission geweigert, die in Liechtenstein internierten Mitglieder der Ersten Russischen Nationalarmee der Wehrmacht unter Artur Holmston zwangsweise an die Sowjetunion auszuliefern.
[8] Zur Position von Prinz Heinrich vgl. dessen Schreiben an Regierungschef Alexander Frick vom 5.7.1948 (LI LA RF 250/072/019).
[9] Die Gemeinde Balzers war entschieden gegen eine Gebietsabtretung an die Schweiz. Die Gemeindeversammlung sprach sich mit 302 zu 4 Stimmen bei 16 Enthaltungen gegen eine Grenzverlegung aus (LI LA RF 250/072/019, Gemeindevorstehung Balzers an die Regierung, 29.11.1948).
[10] Der Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein über "eine allgemeine Revision der Landesgrenze im Abschnitt Rhein-Würznerhorn" wurde schliesslich am 23.12.1948 unterzeichnet. Der liechtensteinische Landtag erteilte am 30.12.1948 seine Zustimmung (LGBl. 1949 Nr. 19).