Die liechtensteinische Regierung fordert von der Schweiz Kompensationen für die Abtretung des Ellhorns


Schreiben der Regierung, gez. Regierungschef Josef Hoop, an Legationsrat Peter Anton Feldscher im Eidgenössischen Politischen Departement [1]

16.12.1938

Sehr geehrter Herr Legationsrat!

Unter höfl. Bezugnahme auf unsere letzten Besprechungen [2] gestatte ich mir, Ihnen nachstehend die Auffassung der fürstlichen Regierung über die beabsichtigte Grenzregulierung bekanntzugeben.

1.) Die fürstliche Regierung legt den grössten Wert darauf, dass flächenmässig gleich grosse Gebietsstreifen an Liechtenstein fallen, als von Liechtenstein ins Schweizergebiet abgetrennt wird.

2.) Wenn die Grenzregulierung in dieser Art nicht möglich ist, hält die fürstliche Regierung dafür, dass aller Wahrscheinlichkeit nach die zuständigen Instanzen der von Ihnen beabsichtigten Grenzregulierung nur zustimmen würden, wenn Kompensationen irgend einer anderen Art dem Lande geboten würden. Als solche kämen in Frage:

a/ Freizügigkeit der liechtensteinischen Arbeiter, Lehrlinge und Gesellen in der Schweiz in gleichem Umfange, wie die Angehörigen der einzelnen schweizerischen Kantone,

b/ Gleichstellung Liechtensteins mit einem schweizerischen Kanton auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens,

c/ Anschluss der liechtensteinischen Geldinstitute an die Pfandbriefzentrale der schweizerischen Kantonalbanken oder die Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekar-Institute,

d/ Aufnahme der liechtensteinischen Geldinstitute in die Schweizerische Bankiervereinigung,

e/ Zutritt Liechtensteins zur Schweizerischen Darlehenskasse.

Trotz dieser Kompensationen ist jedoch die fürstliche Regierung sehr besorgt, dass die beabsichtigte Grenzregulierung sehr ungern gesehen würde. Wie ich schon Gelegenheit hatte zu erwähnen, ist die Absicht von der in Frage stehenden Grenzregulierung in weiten Kreisen und auch Vertrauensleuten des Deutschen Generalkonsulates in Zürich bekannt geworden. In diesem Zusammenhange konnte man deshalb schon Äusserungen hören wie folgt: "Auch Deutschland hätte noch gewisse Wünsche wegen der Grenzregulierung" oder "Deutschland würde gleich vorsorgen, dass strategisch wichtige Punkte nicht abgetreten würden" und dergl.

Bei der Empfindlichkeit, die heute herrscht, darf ich Ihnen, sehr geehrter Herr Legationsrat, doch noch einmal zu überlegen geben, ob nicht vorgängig Klarheit geschaffen werden könnte, dass diese Grenzregulierung keine Misstimmungen im Verhältnis zu Deutschland einerseits und Schweiz und Liechtenstein andererseits nach sich ziehen würde. [3]

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Legationsrat, die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung.

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[1] LI LA RF 197/481/003. Das Schreiben ist ediert in DDS, Bd. 12, Nr. 484, Anhang 1.
[2] Die Verhandlungen fanden am 2. und 3.12.1938 in Bern statt (Amtsvermerk von Regierungschef Josef Hoop vom 5.12.1938, LI LA RF 197/481/001). 
[3] Feldscher antwortete am 19.12.1938, dass eine zu grosse Ängstlichkeit nicht am Platz sei und dass es kaum gerechtfertigt wäre, ihretwegen die vorgesehene Grenzbegehung weiter zu verschieben. Die schweizerischen Bundesbehörden brächten den liechtensteinischen Bedürfnissen weitgehendes Verständnis entgegen, was durch die Gewährung eines Bundeskredites von zwei Millionen Franken neuerlich an den Tag gelegt worden sei (DDS, Bd. 12, Nr. 484, Anhang 2; nicht aufgefunden im Liechtensteinischen Landesarchiv). Die Verhandlungen am 19.1.1939 in Bern scheiterten vorerst, vgl. die Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die Regierung vom 30.1.1939 (LI LA RF 185/101/069-070; DDS, Bd. 13, Nr. 16, Anhang), und wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg fortgeführt.