Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger [1]
11.10.1915, Nauvoo (Illinois)
Fräuein Emma Rhbrgr. [2]
Sehr liebe Emma!
Vor allem sage ich Ihnen Dank für freundliche
Teilnahme an mir und den Meinigen.
Ich habe Ihre Karte zur Zeit erhalten, und versuchte
mehrmals eine Beantwortung, und fühlte mich zu
krank dafür. Auch las ich wiederholt wie in Paris und
Londonamerikanische Postsäke zu hunderten wegge-
worfen wurden. Hoffend, dass [3] Sie mein Schreiben
erhalten, antworte ich auf gerate wohl.
Mein Dasein ist sehr mühsam, und werde den Tag
begrüssen, der mich von meinem unnützen Leib
befreit. Dennoch bin ich alle Tage auf und versuche,
das Nötigste für meine Person, selbst zu tun.
Meine Nachkommen und ihre Kinder sind gesund
und zum Teil in eigenen und zum Teil in
fremden Geschäften beschäftiget, und in guten
Verhältnissen. Die beiden Mädchen dess Alois
die Maria, in einer Handlung, erhält 100 Taler
pr. Monat. die Ernestina, Zeichnung Lehrerin,
125 Taler pr Monat. Alle weit auseinander,
alle nur englisch [4], verstehen kein deutsches [5] Wort.
Der Alois in New Jork schrieb vor einiger Zeit, dass er
sich in bester Gesundheit finde. Der Franz [Rheinberger] in New Jork
scheint sehr wohlhabend zu sein, da sind 4 Mädchen
denen es an Ausbildung für’s Leben nicht [6]
fehlt. Dem Hans seine Kinder sind bereits
erwachsen. Der Herold, der sich vor einigen
Jahren den Fuss abschoss, ist ein starker Mann geworden,
sehr fleissig, nüchtern, beschäftigt sich auf
dem Land und erhält, so zu sagen seine Famielie
allein. Der Älteste, der Joseph, ist verheuratet,
und ist als Condukteur auf einer Railrod
fern im Westen beschäftigt, der Jüngste
Lutzi ist bereits 6 Fuss gross, besucht die
Schule und ist ein kluger ordentlicher Mann.
Das Mädchen ist eine grosse, wohlgewachsene
Person und bei der Mutter. Die Tochter
meiner Anna, der Frau Heintz in Quincy, [7]
gross und wohlgestaltet, und sehr frommen
Sin, hat eben angefangen eine Schule in
Chicago zur Erlernung der Kankenpflege
für 3 Jahre zu besuchen. Die Maria,
meine Tochter, und ihr Mann sind gegenwärtig
in Portland Staat [8] Washington.
Ihr Mann ist seit einiger Zeit kränklich.
Meine Tochter, Josepha [Josefa Rheinberger], Frau Massberg, Wittwe
ist mit ihrer Tochter, bei mir und besorgt
mich und das Haus. Es ist ein Glück für mich.
Alles sind gute, wohlgestaltete Menschen.
Die Frauen sorgsame Haushälterinen
und sorgsame liebreiche Mütter. [9]
Vom Wetter:
Der Winter von 14 auf 15 war ordentlich und
mässig kalt. Der Merz kalt, der Aprill
der schönste und wärmste dess Jahres.
Vom May bis jetzt kühl, kalt voll Nebel
und viel und oft wolkenbruch artigen
Regen. Selten ein ganzer sonniger Tag
meistens Nachmittags ein Paar Stunden.
Schreckliche Stürme, besonders der Meeres
Küste entlang, und gerade jetzt lagern
zwischen 5 und 6000 Personen am untern
Missisipi in Zelten durch einen Sturm
vor 14 Tagen all ihrer Habe beraubt, ihre Häuser
verrissen und im Wasser samt ihren
Feldern und Erndten. Doch ist die
Ernte in den Vereingten Staaten sehr gross,
während manche Gegenden vom Unglück
heim gesucht waren, sind andere begünstiget.
Alle Lebensmittel sind sehr teuer.
Die Zeitung die [10] Sie mir immer schicken
komt, aber immer erst nach Einem Monat
zu weilen kommen auch 2 auf einmal.
So lieb sie mir ist, wünschte ich doch, Sie
möchten keine weiteren Auslagen für mich
machen, da ich nichts entgelten kan. [11]
Vom Krieg will ich nicht sprechen
den Sie sind dorten sehr wohl berichtet
und ich bekomme durch die New Jorker
Staatszeitung jeden Tag über den
Verlauf dess Krieges, und freue mich und danke
Gott für die Erfolge der deutschen und
k. k. ostreichischen Armee. Möge
der gute Gott auch ferner den beiden
Kaisern zur Hilfe sein.
Amerika unterstützt die verbündeten
Feinde mit Kriegsmaterial und – Geld
und so mag die Erschöpfung noch lange
auf sich warte lassen. Gott schütze Deutschland
und Ostreich!
Solte dieser Brief mein letzter sein, so
seien Sie versichert meiner Dankbarkeit für
Ihre Liebe und Freundlichkeit, ich werde Ihrer
auch im anderen [12] Leben nicht vergessen.
Grüssen Sie die liebe Olga [Rheinberger], Ihren
Herrn Bruder [Egon Rheinberger] und Famielie, und die
Familie im Löwen.
A. Rheinberger
Die Weinerndten der letzten 2 Jahre waren gering
und die diessjährige auch in Qualitat nicht gut.
______________
[1] LI LA AFRh Ha 17/26. Brief in Kurrentschrift.
[2] Orts-, Personen- und Monatsnamen sowie Fremdwörter, für die Alois Rheinberger die lateinische Schrift verwendete, werden im Editionstext kursiv gesetzt. Auf weitere einschlägige Fussnoten wird verzichtet.
[3] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Unterstrichen.
[5] Unterstrichen.
[6] Seitenwechsel.
[7] Durchstreichung.
[8] Durchstreichung.
[9] Seitenwechsel.
[10] Durchstreichung.
[11] Seitenwechsel.
[12] Durchstreichung.