Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über sein Haus in Nauvoo, seine verstreut lebenden Kinder, die Frauen in Amerika, den Goldrausch in Kalifornien, die Erkrankung seines Sohnes Hans Rheinberger sowie den Untergang des Raddampfers „General Slocum“ im Juni 1904 in New York


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]

04.07.1904, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbrgr. [2] u. Geschwister

Liebe Emma [3]!

Ihr überaus liebes Schreiben vom 19. Merz
und was Sie mir in freundlichster Weise
nacher zusandten, dankend erhalten.

Ich habe die Vereins-Verhandlungen mit
Intresse durchgesechen. Besonders erfreut aber
hat mich die Biographie [4] Ihres Onkels, des
Herrn Joseph Rhbrgr. [Josef Gabriel Rheinberger] [5]. Gegenwärtig  hat sie
die Anna [Anna Maria Rheinberger] [6] in Quincy [7], da ist seine Music [8] wohl
bekant. Früher einmal dachte ich im Ernst daran,
sie Ihrem Herrn Onkel [9] zuzusenden zur Ausbildung
im Gesang. Sie singt noch jetzt auffallend schön,
aber ihr Schicksal hat anders für sie bestimmt.

Wenn es meine alte Haut erlaubt hätte,
wäre ich roth geworden, als ich Ihre lieben Zeilen
den Meinigen vorlas. Sie haben mich sehr
überschätzt. Eine Alltags-Fliege nur, die unbe-
merkt komt und vergeht. [10]

Da Sie aber doch so freundlich und herzlich Theil
an mir altem Manne nehmen, sende ich Ihnen
heute eine Ansicht meiner Wohnung in 2 Aufnahmen.
Das dunklere Bild zeigt die West u. Nord [11] Seite,
das hellere, grössere [12] giebt die Ansicht von der Südseite.
Wenn Sie ein Glas zur Hand nehmen, sechen Sie
das Haus in seiner wirklichen Form.

Zusammengestückt zwar /: was ich ankaufte war
klein und schlecht :/ aber sie ist geräumig, freundlich,
sonnig, luftig, in Schussweite des Flusses hoch genug
gelegen um eine freie Aussicht nach West [13] und
Süd [14] über 5 bis 6 Meilen [15] zu geben. Ich bewohne
die West-Seite [16], nach Ost [17] und Süd [18] ist das Haus jetzt
geschlossen, und nur bewohnt, wenn Kinder zu Besuch
kommen. Gegenwärtig ist für kurze Zeit die Maria [19]
hier. Ich habe sie mehr als 2 Jahre nicht gesechen,
und mag wohl zum letzten mal sein.
Sie kommt von Rosalia [20], im Staate Washington [21] über
2000 Meilen Nordwest [22] von hier, [23]
während der Franz [Rheinberger] und der Alois [Johann Alois Rheinberger] [24] mehr als 3000 Meilen [25]
Ostwarts ihren Aufenthalt haben. Mit nächstem
erwarte ich auch den Herrn Heinz [26] mit der Anna [27],
auch den Franz erwarte ich.

Wundern Sie sich nicht, wenn mich ein Gefühl des
Heimwehs ergriff, als Sie mir von Ihrem schönen
Frühling schrieben. Die amerik. [28] Frühlinge sind
alle unfreundlich, aber so anhaltend kalt, nass und
stürmisch, wie der heurige bis gegen den 20t May [29]
habe ich noch nicht gesechen. Gewöhnlich, nicht immer,
bringen die Herbste einen Ersatz. Mit dem November [30]
kommt noch, was man hier den Alt-Weiber-Sommer nent.

Auch mir wäre es eine Freude, wenn wir uns
nächer wären, wenn ich Euch sechen, und Allen
zum herzlichen Wilkom die Hand reichen könnte.

Ich habe zwar kein Recht, Sie um Ihre
Photographien [31] zu bitten, da ich Ihnen, und selbst
auch meinen Kindern sie verweigere; doch, wenn
Sie hiervon absechen, und mir solche dennoch
zukommen liessen, hätte ich einen Schatz zum [32]
zum aufbewahren für mich und die Meinen. –

Ihr stehet in der Blüthe dess Lebens.

Wohl könte ich eine Weile Ihre Aufmerk-
samkeit fesseln, indem ich Ihnen manches aus
meinem Leben erzählte; sonst aber bin ich ein
einsilbiger Mann, und Sie möchten mich bald
langweilig finden. Sie sagen mir, dass Sie
schüchtern seien, ich aber sage Ihnen, dass ich
nicht nur schüchtern, sondern scheu bin.

Mir fehlte die Mutter [Anna Maria Rheinberger [-Schneider]], nie hat ihre Liebe mein
Herz erwärmt. Ein fremdes verschüchtertes
Kind – ein fremder scheuer Mann! Aber mein
Recht unter den Menschen habe ich immer bewahrt,
und wer sie mir schmälern wollte fand seinen
Gegner. Wenn mein Franz [33] einmal Zeit findet,
nach Europa [34] zu gehen, wird er es thun, und Sie
werden in der ersten halben Stunde vertraulich
mit ihm sprechen können. Er ist ein sehr freundlicher
und zugänglicher Mann. Seine Frau ist auch
keine New-Jorker Dame [35], sondern ein Kind
von hier und arbeitet, aber sie versteht kein Wort [36]
deutsch. Sie haben schon recht sich über die
amerk. [37] Frauen zu wundern. Da ist wenig Sinn
für Einfachheit und Häuslichkeit und mehr
Anhänglichkeit an die Geselschaft, als an die Famielie [38]
zu finden. Frauen reicher Männer tragen
schwere Vermögen auf ihrem Körper, und Mädchen
armer Leute, die nur Schulden ihr eigen nennen,
können Sie Abends wie Fräuleins gekleidet sechen.
Und wenn es den zum heurathen komt, dann begnügen
sich die jungen Paare nicht etwa mit Geringem,
und Nothwendigsten im Haushalt. Man geht
in die Möbelhandlung, kauft alles fein, und auf
Credit [39], macht monatliche Abzalungen, wenn möglich, –
hält feinen Tisch, und läuft sehr oft in Einem
oder 2 Jahren auseinander, und geht wieder
seine eigenen Wege. – Ich wünsche, dass Ihre
Bienchen [40] recht fleissig sind, und nicht zuweilen
Ihr Gesicht verunstalten. Den Honig thät ich
wohl essen, aber die Bienchen [41] mag ich nicht.
Es ist hier mehr als Einmal vorgekommen [42]
dass die Dinger Fuhrwerke überfielen, Pferde
tödteten, und die Insassen sich kaum retten konten.

Es starb hier dieses Frühjahr ein Schweizer, er
kam im Jahr 48 nach Californien [43], stand in Suters [John Sutter] [44] 
Diensten und war dabei, als das erste Gold auf
Suters [45] Land gefunden wurde. Suther [46] sandte ihn
dan nach der Schweiz zurück um seine Frau und Tochter
zu holen, bei welcher Gelegenheit er wie ein Prinz
reiste. Der hielt sich hier auch Bienen [47], Jahre lang,
aber zuletzt trieben sie ihn einmal in den Keller,
dan durch’s Haus bis auf den Estrich [48] und richteten
ihn übel zu. Das war ihm den doch zu unfreundlich
und schaffte sie ab.

Mein Hans [Rheinberger] ist krank, kränklich schon lange,
aber im Februar [49] ging er so schnell abwärts, dass
man denken musste, das Ende sei nache; er hat
sich wieder etwas erholt, so dass er ausfahren kan,
aber durchaus unfächig zur geringsten Anstrengung.
Ich fürchte, das er in nicht ferner Zeit mich auch verlassen wird.

Der Bertha [Schauer] [50] sandte ich einige Ansichten aus der
Ausstellungsstadt St. Louis [51]. [52]

[…] [53]

Es wird Ihnen schon bekant geworden sein, welch schreckliches
Unglück unterm 15 Juny von New-Jork [54] gemeldet wurde,
wo auf dem Vergnügungs Dampfer Slocum [55] von
1500 Personen, meistens Frauen und Kindern, wie
bis heute festgestellt ist 1032 in Flammen und Wasser
umkamen, im Angesicht von Tausenden von Zuschauern
kaum ½ Stunde nach der Abfahrt. [56]

Jetzt bitte ich um Geduld und Nachsicht mit meinem
Schreiben. Empfangen Sie und Fräulein Olga [Rheinberger] [57]
und Ihr Bruder [Egon Rheinberger] meine herzlichsten Wünsche.

Ihrer unglücklichen Schwester Hermina [Hermine Rheinberger] [58] gedenke
ich nur mit Trauer.

A. Rheinberger [59]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/02. Brief in Kurrentschrift. Vgl. das Schreiben der Emma Rheinberger an Alois Rheinberger vom 19.3. 1904 unter LI LA AFRh Ha 18.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] In lateinischer Schrift.
[5] In lateinischer Schrift.
[6] In lateinischer Schrift.
[7] In lateinischer Schrift.
[8] In lateinischer Schrift.  
[9] In lateinischer Schrift.
[10] Seitenwechsel.
[11] In lateinischer Schrift.
[12] Ursprüngliche Fassung: „gröẞere“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[15] In lateinischer Schrift.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] In lateinischer Schrift.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] In lateinischer Schrift.
[20] In lateinischer Schrift.
[21] In lateinischer Schrift.
[22] In lateinischer Schrift.
[23] Seitenwechsel.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] In lateinischer Schrift.
[26] In lateinischer Schrift.
[27] In lateinischer Schrift.
[28] In lateinischer Schrift.
[29] In lateinischer Schrift.
[30] In lateinischer Schrift.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] Seitenwechsel.
[33] In lateinischer Schrift.
[34] In lateinischer Schrift.
[35] In lateinischer Schrift.
[36] Seitenwechsel.
[37] In lateinischer Schrift.
[38] In lateinischer Schrift.
[39] In lateinischer Schrift.
[40] In lateinischer Schrift.
[41] In lateinischer Schrift.
[42] Seitenwechsel.
[43] In lateinischer Schrift.
[44] In lateinischer Schrift.
[45] In lateinischer Schrift.
[46] In lateinischer Schrift.
[47] In lateinischer Schrift.
[48] In lateinischer Schrift.
[49] In lateinischer Schrift.
[50] In lateinischer Schrift.
[51] In lateinischer Schrift.
[52] Von April bis Dezember 1904 fand in St. Louis, Missouri, eine Weltausstellung statt.
[53] Hier dürfte möglicherweise eine halbe Briefseite fehlen.
[54] In lateinischer Schrift.
[55] In lateinischer Schrift.
[56] Die „General Slocum“ war ein Raddampfer, der am 15.6.1904 auf dem East River in New York in Brand geriet und sank. Vgl. L.Vo., Nr. 26, 24.6.1904, S. 3 („Amerika“).
[57] In lateinischer Schrift.
[58] In lateinischer Schrift.
[59] In lateinischer Schrift.