Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Europa, ihren Wunsch nach einem Einsatz als Krankenpflegerin für das Rote Kreuz, die Gebete um die Gnade und die Barmherzigkeit Gottes sowie die Aussicht auf eine gute Weinernte in Vaduz


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Vaduz, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

16./27.08.1914, Vaduz

Lieber Herr Vetter!

Zwar weiss ich
nicht, ob dieser Brief in den so
fürchterlich über die Welt eingebroche-
nen Kriegswirren [2] in Ihre Hände ge-
langen wird, doch will ich’s versuchen.
Lassen Sie mich herzlich, herzlich [3]
danken für Ihr liebes Brieflein,
an dem wir uns erfreuten u. stärkten [4],
weil es uns erzählte von einer
grossen in Gott stark gewordenen
u. so rührend in Gott kindlich
ergebenen Seele, die uns aufmuntern
sollte für u. nur [5] für den lieben [6]
Gott zu leben u. zu leiden. –
Dieser Grosse, heilige allmächtige
Gott, er segne Sie jeden Morgen
auf’s neue!

In so rührend demütiger, williger
Ergebung, wie viel können Sie dem
lieben Gott damit alle Tage noch sein,
wie wunderschön seine Ehre befördern;
in so geduldig, treuem Sinn für ihn [7]
leiden, das belohnt Gott, unser
Herr ganz besonders. –

Wie war es die letzte Zeit gegangen,
lieber Herr Vetter? – Der vielleicht häufi-
ge Aufenthalt im Garten, in frischer
Luft möge Sie doch ein wenig ge-
stärkt haben, um die Schwäche
weniger zu empfinden.

Welches Glück muss jeden Einzelnen
Ihrer Lieben allen mit jedem neuen [8]
Tag erfüllen, Sie [9] zu besitzen, Sie zu
haben, Sie lieber, treu besorgter Vater
u. Grossvater!

Sagen Sie diesen allen mit herzlichem
Rheinbergergruss aus Europa, dass wir
ihnen diesen frohen Besitz um ihr
edel Herz noch recht, recht lange u.
inniglich wünschen. –

Wie haben Sie uns aber wieder eine
Freude gemacht mit 4 Bildchen
Ihrer Lieben. Für ein jedes drücken
wir Ihnen herzlich dankend die
Hand! Was sind das alles für liebe
Menschenkinder u. welch edle Ge-
sinnung mag in ihnen wohnen,
welch prächtiger froher Wirkungskreis
mag noch vor ihnen liegen. Der
Allmächtige begleite ihr Wollen u. Voll-
bringen, schenke ihnen eine wirkungs- [10]
reiche Lebensaufgabe. –

Fortsetzung am 27. [11]

Bis zum heutigen Datum war ich
verhindert am Schreiben, es ist mir
sehr leid, dass Sie also spät meinen
Dank für Ihr liebes Briefchen u.
die lieben Fotografien bekommen. –

Was hat aber dieser Mo-
nat Europa für eine schreckliche
Zeit gebracht, – welch ein
Kriegselend! Es ist ganz ent-
setzlich, man darf gar nicht
daran denken, welch tiefen, un-
ermesslichen Jammer dieser plötzliche
Krieg birgt! – Wie viele werden
noch übrig bleiben von den
20 Millionen, dieses Krieges, [12]
wie ihn die Welt noch nie ge-
sehen. – Möge uns doch der liebe,
barmherzige Gott im Himmel
gnädig sein.

Man lebt natürlich auch bei uns
in furchtbarer Aufregung u. Angst
darüber u. mit angstvoller Span-
nung wartet man immer wieder
auf die Zeitungen. –

Wie viele Schwervermisste sind
gegangen u. kommen nicht wieder!
Lieber, grosser, Allmächtiger
Gott, erbarme Dich!

Jeden Abend wird bei uns in der
Pfarrkirche der Rosenkranz um
den Frieden gebetet.

Gar so gerne wäre ich auch [13]
mitgezogen in den Krieg zum
„roten Kreuz“ [14] als Krankenpflegerin,
aber es bedarf eben grosser, starker
Gesundheit dazu, um den armen
Verwundeten wirkliche Hilfe u. Bei-
stand bringen zu können. –

Wie wird die Welt aussehen nach [15]
diesem Kriege? –

Immer u. immer wieder muss man
zum Himmel rufen um Barmher-
zigkeit.

Gewiss verfolgen Sie diesen Krieg
auch mit Interesse, lieber Herr
Vetter? – Reden Sie bitte, bitte
doch auch mit dem lieben Gott,
dass er Gnade walten lasse in
diesen blutigen Tagen. [16]

Nun hat bei Ihnen gewiss schon
der grösste Teil der Gott sei Dank
guten Ernte stattgefunden.

Haben Sie auch gute Aussicht auf
den Rebstock? –

Bei uns stehen die Weinreben im
Verhältniss zu dem ziemlich
nassen Sommer wieder, doch noch
recht ordentlich, wenn uns der liebe
Gott noch einen guten Herbst
schickt, dürfen wir wohl zu-
frieden sein mit dem Rebensaft. –
Wie die Mais- u. Kartoffelernte
ausfallen wird ist noch etwas
fraglich u. noch abhängig
von den Sonnenverhältnissen
der nächsten Wochen. [17]

Treulich u. herzlich empfehlen
wir Sie dem lieben Gott u.
unserer süssen, geliebten Himmels-
mutter.

Nehmen Sie all‘ unsere
Liebe u. Anhänglichkeit u.
lassen Sie uns vereint bleiben im
Herzen u. Gebete /

Ihre treue Base
Emma Rheinberger [18]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Mit der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien am 28.7.1914 begann der Erste Weltkrieg. Die USA traten 1917 in den Krieg ein.
[3] Unterstrichen.
[4] Doppelt unterstrichen.
[5] Doppelt unterstrichen.
[6] Seitenwechsel.
[7] Doppelt unterstrichen.
[8] Seitenwechsel.
[9] Unterstrichen.
[10] Seitenwechsel.
[11] Unterstrichen.
[12] Seitenwechsel.
[13] Seitenwechsel.
[14] In Betracht wäre dabei wohl die Österreichische Gesellschaft vom Rothen Kreuze gekommen. Das Liechtensteinische Rote Kreuz wurde erst 1945 gegründet.
[15] Doppelt unterstrichen.
[16] Seitenwechsel.
[17] Seitenwechsel.
[18] In Kurrentschrift.