Das Werdenberger Initiativkomitee gegen den Zollvertrag mit Liechtenstein legt seine Argumente in der Broschüre "Zum Zollvertrag mit Liechtenstein: der Standpunkt der Anschluss-Gegner" dar


Gedruckte Broschüre, 24 Seiten, gez. Gallus Schwendener, Präsident des Werdenbergischen Initiativkomitees, und Jakob Vetsch, Aktuar des Werdenbergischen Initiativkomitees [1]

August 1923, Buchs

Zum Zollvertrag mit Liechtenstein - Der Standpunkt der Anschluss-Gegner

Buchdruckerei Buchs A.G.

Inhalt 

Karte (Titelblatt)

Seite

Einführung

1

I. Das österreichische Hauptzollamt in Buchs

2

II. Der Zollvertrag mit Liechtenstein

10

1. Der politische Aspekt

11

2. Die Rechnung

16

3. Die neue Zollgrenze

20

III. Der Gegenvorschlag

21

IV. Rekapitulation

24

Zum Zollvertrag mit Liechtenstein. Der Standpunkt der Anschluss-Gegner

Der liechtensteinische Nachbar ist in bedrängter Lage. Dem Manne muss geholfen werden. Darüber herrscht auch bei den Gegnern des Zollvertrages nur eine Meinung. Weit entfernt, der humanitären Tradition der Schweiz, wie sie die bundesrätliche Botschaft (Seite 10) mit beredten Worten schildert, untreu werden zu wollen, sind wir dieser in der Bezeugung freundnachbarlicher Gesinnung gegen Liechtenstein, unter gebotener Wahrung der schweizerischen Landesinteressen, schon in unsern Eingaben an das Politische Departement vom 15. Februar und 28. Oktober 1922 zuvorgekommen und können auch heute das dort Gesagte nur bestätigen.

Die Frage, ob dem Fürstentum Liechtenstein vonseiten der Schweiz Hülfe gebracht werden solle oder nicht, fällt daher, als allseitig bejaht, aus Abschied und Traktanden. Worüber die Meinungen auseinander gehen, das ist allein das Wie. Wir haben am 15. Februar 1922 gegen den damals geplanten und heute unterzeichneten und zur Ratifikation vorliegenden Zollvertrag mit Liechtenstein eine Reihe von Bedenken geltend gemacht, und einen dort angedeuteten, den schweizerischen Interessen gemässeren und dem Bedürfnis Liechtensteins vollauf gerecht werdenden Gegenvorschlag am 28. Oktober 1922 in concreto begründet und ausgeführt.

Da die Botschaft uns die Ehre erweist, unsere Einwände gegen die Zollunion in relativ breitem Räume einer kritischen Beleuchtung zu unterwerfen, so dürfte es der Abklärung der Sache und zugleich der schuldigen Rücksicht auf die den Kommissionen und den hohen Räten zur Verfügung stehende Zeit und auf die daher gebotene Kürze unserer Ausführungen dienlich sein, wenn wir hier von einem Resümee unserer diversen Eingaben absehen und dafür die Thesen der Botschaft selber näher ins Auge fassen, mit andern sachkundigen Feststellungen vergleichen und durch weitere Dokumente ergänzen.

Nach dem Vorgang unserer Eingaben befasst sich auch die Botschaft nicht allein mit dem schweizerisch-liechtensteinischen Zollvertrage, sondern auch mit dem österreichischen Hauptzollamt in Buchs. Ob die Verkoppelung dieser zwei Gegenstände nur auf dem zufälligen Zusammentreffen äusserer Umstände oder ob sie auf einem inneren Zusammenhang beruhe, das wird sich aus dem Nachstehenden ergeben.

I. Das österreichische Hauptzollamt in Buchs

Die Verlegung des österreichischen Hauptzollamtes von Buchs nach Feldkirch hätte zur Folge, dass das schweizerische Zollamt nachfolgen müsste, und das um so sicherer, als im Falle der Zollunion mit Liechtenstein die schweizerische Zollgrenze bis vor die Tore Feldkirchs vorgeschoben würde. Eine zweifache Abfertigung von Passagieren und Gütern in Feldkirch und Buchs könnte nur zum grossen Schaden der internationalen Route Wien-Paris [2] eingeführt werden. Was aber die Übersiedlung beider Zollämter und damit die Erhebung Feldkirchs zum internationalen Transitbahnhof an Stelle von Buchs dem Bund (durch die Entwertung der Anlagen und durch seine Beteiligung an den Betriebs- und Unterhaltskosten des Bahnhofes Feldkirch) und der Gemeinde Buchs (durch den Wegzug der Speditionsgeschäfte und des Grossteils der Beamten — nicht zu reden von dem Umstände, dass künftig ein halbes Hundert Grenzwächter den beträchtlichen Gesamtbetrag ihrer Besoldung nicht mehr auf Schweizer-, sondern auf fremdem Boden verzehren würden) für schwere Nachteile bringen müsste, ergibt sich aus den nachstehenden Daten.

Die Speditionsgeschäfte in Buchs beschäftigen zusammen zirka 80 Angestellte. Prinzipalschaft und Angestellte repräsentieren ein steuerbares Einkommen von Fr. 255'000 und ein Steuervermögen von Fr. 436'000.

Die Post im Bahnhof Buchs beschäftigt 45 Angestellte mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 152'000 und einem Steuervermögen von Fr. 209'300.

Das schweizerische Hauptzollamt Buchs ohne das Grenzwachtpersonal zählt 31 Angestellte mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 110'800 und einem Steuervermögen von Fr. 197'400.

Das Bahnpersonal im Bahnhof Buchs zählt 210 Mann mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 558'100 und einem steuerbaren Vermögen von Fr. 301'700.

Rechnet man zwecks besserer Übersicht und um von der effektiven Steuereinnahme eine richtige Vorstellung zu erhalten, das steuerbare Einkommen in das entsprechende Steuervermögen um, so hat man die Einkommenssteuersumme auf das ungefähr Sechsfache zu erhöhen und erhält so an Stelle des Einkommens ein Steuervermögen von Fr. 7'060'800, hiezu den Betrag des direkten Steuervermögens von 1'144'400 Franken gezählt, ergibt ein Steuervermögen von Fr. 8'205'200. Hiezu das Lagerhaus der S.B.B. im Bahnhof Buchs mit seinem Steuervermögen von Fr. 669'000 gezählt, ergibt eine mit dem Bahnhof Buchs verbundene Totalsteuersumme von Fr. 8'874'200. Diese Zahlen zeigen, welch' eminentes Interesse sich für die zum Steuerbezug berechtigten staatlichen Organisationen (Bund, Kanton und Gemeinde) an die Erhaltung der bisherigen vertraglichen Einrichtungen im internationalen Grenzbahnhof Buchs knüpft und wie sehr sie für Buchs die eigentliche Lebensfrage bedeutet. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Tatsache hingewiesen, dass die S.B.B, und durch sie die schweizerische Eidgenossenschaft im Bahnhof Buchs mit einem Brandassekuranzkapital von Fr. 1'265'200 engagiert sind.

Die angegebenen Zahlen können wünschendenfalls amtlich belegt werden.

Nun drängt sich aber die Frage auf, ob der Fortbestand des österreichischen Hauptzollamtes in Buchs durch die Zollunion mit Liechtenstein zu unsern Ungunsten präjudiziert werden könnte, d. h. ob die Einverleibung Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet dem Freistaate Österreich, wenn nicht einen Rechtsgrund, so doch einen Vorwand liefern könnte, sich den aus den Staatsverträgen von 1870 und 1872 [3] folgenden Pflichten zu entziehen. Über diesen Punkt gehen die Ansichten auseinander.

Der Bundesrat schreibt hierüber in seiner Botschaft (Seite 11): "Schweizerischerseits ist man dabei in der Lage, sich auf einen unanfechtbaren Rechtsboden zu stützen, indem der Artikel 18 des Staatsvertrages vom 28. August 1870 mit Österreich ausdrücklich bestimmt, dass an der österreichisch-schweizerischen Grenze für die Zollbehandlung an den Anschlusspunkten der beiderseitigen Eisenbahnen vereinigte (österreichisch-schweizerische) Zollämter mit den erforderlichen Befugnissen errichtet werden sollen. Ein Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz ist nun, wie schon gesagt, ohne Einfluss auf die Beurteilung dieser Verhältnisse, da die Eisenbahnlinie Buchs-Feldkirch nach wie vor sich im Eigentum der österreichischen Staatsbahnen befindet, welche, wie auch die österreichischen Zollbehörden, durch die zitierte Vertragsbestimmung gebunden bleiben."

So liquid scheint uns die Sache doch nicht. Bei Abschluss des Staatsvertrages vom 27. August 1870 zwischen der Schweiz einerseits und Österreich-Ungarn mit Liechtenstein anderseits, über die Herstellung einer Eisenbahn von Feldkirch nach Buchs (Concessionsvertrag) bildeten Österreich-Ungarn und Liechtenstein ein zusammengehöriges Zollgebiet. Die politischen und Zollgrenzen der beiden vertragschliessenden Teile fielen zusammen und es wurde in Art. 18 des Vertrages bestimmt: "An der österreichisch-schweizerischen Grenze (offenbar Zollgrenze) sollen für die Zollbehandlung an den Anschlusspunkten der beidseitigen Eisenbahnen vereinigte (österreichisch-schweizerische) Zollämter mit den erforderlichen Befugnissen errichtet werden."

Im Jahre 1919 hat Liechtenstein den Zollvertrag mit Österreich-Ungarn aufgehoben und sich in der Folge zu einem selbständigen Zollstaat aufgetan. Damit ist eine neue zollpolitische Lage geschaffen worden, welche die bisherigen faktischen und vertraglichen Verhältnisse vollkommen umgestaltet. Die Zollgrenze gegen Österreich ist von der politischen Grenze der Schweiz hinweg, an die politische Grenze eines andern Staates (Liechtenstein) verlegt worden. Diese Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse aber muss neuen vertraglichen Regelungen rufen, gleichgültig, ob Liechtenstein selbständiger Zollstaat bleibe oder sich an die Schweiz anschliesse, gleichgültig auch, ob Deutsch-Österreich die Nachfolge von Österreich-Ungarn im Vertrage von 1870 anerkenne oder nicht. Hätten wir es mit grösseren Verhältnissen zu tun, als sie beim Fürstentum Liechtenstein vorliegen, so würde die Notwendigkeit der Vertragsrevision noch viel augenfälliger und zwingender in die Erscheinung treten. Wir wissen, wie in unsern Eingaben vom 15. Februar 1922 und 26. März 1923 an den Bundesrat näher ausgeführt worden ist, dass in Deutsch-Österreich Aspirationen zu Gunsten von Feldkirch und zum Schaden von Buchs bestehen und Deutsch-Österreich seine Nachfolge in den Verträgen von 1870 und 1872 keineswegs anerkennt. Diese Verumständungen erzeugen eine derart unübersichtliche Lage, dass es für die Schweiz im Interesse der Ordnung und Klarheit geboten ist, für Abklärung zu sorgen, bevor man neue bleibende Verhältnisse schafft, deren Tragweite ebenfalls noch im Dunkeln liegt.

Es gäbe allerdings noch eine andere Lösung der Rechtsfrage, eine Lösung, die der Zustimmung Österreichs von vornherein sicher wäre und jedem Streit über die Auslegung der Verträge mit einem Ruck den Boden entzöge: Der Ankauf der heute billig zu habenden Bahnstrecke Feldkirch-Buchs durch den Bund. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die stillen Wünsche und Bestrebungen der österreichischen Finanz- und Eisenbahnverwaltung auf nichts anderes hinauslaufen, als sich dieses Anhängsels an ihr Bahnnetz und der damit verknüpften kostspieligen Verpflichtungen je bälder je lieber zu entledigen. Aber es bedarf wohl keines besondern Nachweises, dass eine solche Durchschneidung des gordischen Knotens zugleich den Lebensfaden der Gemeinde Buchs hoffnungslos entzwei schnitte.

Wenn somit die radikale Beseitigung des Rechtsstreits durch die Übernahme der fraglichen Bahnstrecke unsern Interessen direkt zuwiderläuft, wenn ein Rechtsverfahren gegen Österreich, wie oben gezeigt, aussichtslos oder sein Erfolg zum mindesten zweifelhaft ist, wenn wir folglich zur Sicherung des status quo auf gütliche Verhandlungen mit Österreich angewiesen sind, so erscheint es als ein Gebot der Klugheit, alles zu vermeiden, was die Willfährigkeit des Mitkontrahenten, und wäre es auch nur durch imponderable Stimmungen, herabsetzen könnte. Deshalb hat uns schon die eigentümliche Art des Vorgehens bei den Verhandlungen mit Liechtenstein Grund zur Besorgnis gegeben. Man erinnere sich der historischen Vorgänge beim Austritt Liechtensteins aus dem Zollverband mit Österreich. Eines schönen Tages wurden die österreichischen "Landvögte", die weiter nichts als ihre Vertragspflicht taten, mit blutigen Köpfen aus dem Lande gejagt, und der liechtensteinischen Regierung blieb nichts anderes übrig als die nachträgliche Sanktionierung des durch das "Volk" neugeschaffenen Zustands. Und nach dieser Gewalttat breiten wir dem vertragsflüchtigen Bundesgenossen des uns befreundeten Österreich die Bruderarme entgegen, nehmen ihn in einen engen Verband auf, der ihn durch neue Zollschranken von seinem früheren Bundesgenossen noch weiter trennt, und all das, ohne Österreich mit einem Worte zu begrüssen, obgleich Liechtenstein doch auch zu den Unterzeichnern der Verträge von 1870 und 1872 gehörte. Ob ein derartiges Vorgehen gegenüber dem Kaiserstaate vor dem Kriege oder gegenüber einem andern mächtigen Nachbarstaate unserseits für statthaft gehalten worden wäre, wollen wir dahingestellt sein lassen. Aber das wissen wir aus guter Quelle, dass diese Beiseitesetzung als einer quantité négligeable auf österreichischer Seite peinlich empfunden worden ist.

Kommt somit zur Unsicherheit der Rechtsgrundlage für den Fortbestand der Verträge von 1870 und 1872 bei unserem Vertragspartner noch eine, zwar nicht offiziell kundgegebene — der Unterstützungsgenössige lernt schlucken — aber innerlich um so mehr wurmende Verstimmung, so lag darin für uns ein weiterer Grund zur Befürchtung, die Zollunion mit Liechtenstein möchte, wenn vollzogen, früher oder später neues Wasser auf die Mühle der Feldkircher Bahnhofbestrebungen leiten.

Wenn nun die Botschaft jeden innern Zusammenhang zwischen der Zollunion und der Frage des österreichischen Zollamtes in Buchs kategorisch bestreitet, so muss uns der bezügliche Passus um so mehr überraschen, als sich der Bundesrat, beziehungsweise das Politische Departement verschiedentlich, sowohl vor als nach dem Erscheinen der Botschaft, in wesentlich anderem Sinne ausgesprochen hat. Belege dafür sind die nachstehenden Dokumente.

1. Am 8. März 1923 hatte eine Delegation des werdenbergischen Initiativkomitees contra Zollanschluss die Ehre einer Konferenz im Bundeshause mit den Herren Bundesrat Motta und Minister Dinichert. Unsere hierüber gemachten Aufzeichnungen schliessen mit nachstehendem Passus:

"Herr Minister [Paul] Dinichert gibt hierauf die Erklärung ab, dass der Liechtensteinervertrag erst ratifiziert werden könne, wenn einmal die Rechtslage gegenüber Österreich im Sinne der angeführten Verträge, welche Buchs als Gemeinschaftsbahnhof vorsehen, restlos abgeklärt sei.

Herr Bundesrat [Giuseppe] Motta schliesst die Konferenz mit zustimmenden Worten."

Die von Herrn Motta nicht beanstandete Erklärung des Herrn Dinichert war für die Vertreter der werdenbergischen Interessen eine grosse Beruhigung. Sie wurde ihnen auch psychologisch erklärlich, als sie nachträglich erfuhren, dass unterm 12. Februar 1923, also der Konferenz vorgängig, die österreichische Regierung an den schweizerischen Bundesrat ein Schreiben gerichtet hatte, in welchem sie erklärte, dass sie die Verträge von 1870 und 1872 nicht als bindend anerkenne und der Belassung des österreichischen Zollamtes in Buchs nur dann zustimmen könne, wenn zwischen Feldkirch und Buchs kein neues Zollamt errichtet werde.

2. Nach dem Bekanntwerden der Unterzeichnung des Zollvertrages mit Liechtenstein durch die beidseitigen Regierungen, richtete der Vorsitzende des werdenbergischen Initiativkomitees, Herr alt Nationalrat G. Schwendener, an das Politische Departement ein Gesuch um Auskunft über den Stand der Bahnhoffrage und erhielt unterm 13. April 1923, also noch vor dem Erscheinen der Botschaft, nachstehende Antwort:

Bern, den 13. April 1923.
Herrn alt Nationalrat G. Schwendener, Buchs (St. Gallen).

Sehr geehrter Herr!

Im Besitze Ihrer Zuschrift vom 9. d. M. beehren wir uns, Ihnen mitzuteilen, dass wir gegenwärtig im Begriffe stehen, durch Verhandlungen mit der Österreichischen Regierung diese zur Anerkennung der Geltungskraft der Staatsverträge vom 27. August 1870 und 2. August 1872 zu veranlassen.

In Bestätigung der Ihnen seinerzeit gemachten Zusage bemerken wir ferner, dass wir den inzwischen unterzeichneten Zollvertrag mit Liechtenstein nicht vorher in Kraft setzen werden, als bis die Rechtslage betreffend Sicherstellung der Grenzzollämter in Buchs abgeklärt sein wird. Die Aufnahme eines bezüglichen Vorbehalts in den Zollanschlussvertrag konnte nicht wohl in Frage kommen, da, wie auch von Ihnen selbst anerkannt worden ist, die Frage der Belassung der Grenzzollämter in Buchs nicht in direktem Zusammenhang mit dem Zollanschluss steht. Hingegen besitzt der Bundesrat die Möglichkeit, die Inkraftsetzung von sich aus hinauszuschieben, bis nach seiner Auffassung die Voraussetzungen zur Ausführung des Vertrages gegeben sind. Eine Ratifikation des Vertrages durch die zuständigen Behörden beider Länder präjudiziert somit die obenerwähnten Verhandlungen mit Österreich in keiner Weise.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung

Eidgenössisches Politisches Departement:
sig. Motta.

3. Nach dem Erscheinen der Botschaft bestätigte das Politische Departement seine Zuschrift vom 13. April mit nachstehendem Schreiben vom 19. Juni abhin.

Bern, den 19. Juni 1923.
Herrn G. Schwendener, Advokatiebureau,
Buchs (St. Gallen).

In Erledigung Ihrer Zuschrift vom 9. d. M. beehren wir uns, Ihnen beifolgend wunschgemäss ein Exemplar der bundesrätlichen Botschaft über den Zollanschlussvertrag mit Liechtenstein zu übermitteln.

Was die Frage der Anerkennung der Staatsverträge vom 27. August 1870 und 2. August 1872 durch die Österreichische Regierung betrifft, so steht eine definitive Antwort derselben noch aus. Der Bundesrat wird den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Vertrages erst dann endgültig festzusetzen in der Lage sein, wenn die eidgenössischen Räte den Vertrag genehmigt haben und die vorerwähnte Frage bereinigt ist.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Der Chef der Abteilung für Auswärtiges:
sig. Dinichert.

Aus den hier mitgeteilten Dokumenten ergeben sich nachstehende

Feststellungen und Folgerungen

1. Zwischen Zollunion und Buchser Bahnhoffrage besteht ein Zusammenhang. Ob dieser als ein direkter oder, wie im Schreiben des Politischen Departements vom 13. April, als ein "nicht direkter" bezeichnet werde, ist für seine Wirkung vollkommen irrelevant.

2. Die österreichische Regierung zieht die von uns zum voraus befürchteten Konsequenzen. Sie begründet den Abbau des Hauptzollamtes in Buchs allerdings mit dem Hinweis auf ihre Finanzlage, wovon in der Botschaft die Rede ist, aber auch mit zwei Argumenten, von denen in der Botschaft nicht die Rede ist: Mit der ihrerseits behaupteten Nichtverbindlichkeit der Verträge von 1870/72 und mit der eventuellen Errichtung einer schweizerischen Zollstation zwischen Feldkirch und Buchs, wie sie durch den Zollvertrag mit Liechtenstein vorgesehen ist.

3. Aber auch das Politische Departement selber betrachtet die beiden Fragen in seinen Kundgebungen an das werdenbergische Initiativkomitee nicht, wie es in der Botschaft geschieht, als zwei zu einander völlig beziehungslose Dinge, sondern verheisst Massregeln, die ohne die Voraussetzung eines direkten oder indirekten Zusammenhangs der beiden Fragen vollkommen unverständlich wären. Herr Dinichert ist noch am 8. März, unwidersprochen von dem mitanwesenden Chef des Politischen Departements, der Meinung, dass der "Liechtensteinervertrag nicht ratifiziert werden könne, ehe die Rechtslage gegenüber Österreich etc. restlos abgeklärt sei". Und der Chef des Politischen Departements selbst will am 13. April, in der Voraussetzung, dass der Liechtensteinervertrag von der Bundesversammlung unzweifelhaft ratifiziert werde, wenigstens seine Inkraftsetzung soweit hinausschieben, "bis die Voraussetzungen zur Ausführung des Vertrages nach seiner Auffassung gegeben sind", was vom Chef der Abteilung für Auswärtiges am 19. Juni dahin präzisiert wird: "bis die vorerwähnte Frage bereinigt ist".

4. Herr Bundesrat Motta hat in seiner Beantwortung eines Votums des Herrn Nationalrat [Johann Jakob] Gabathuler in der Junisession der Bundesversammlung 1922 erklärt, dass er die Interessen der Gemeinde Buchs nicht aus den Augen verliere, und hat damit die Erklärung bestätigt, die der Bundesrat in pleno schon am 5. April in seiner Antwort auf eine "Kleine Anfrage" des nämlichen Ratsmitgliedes abgegeben hatte. Wir sind vom landesväterlichen Wohlwollen, das sich in diesen Erklärungen kundgibt, vollkommen überzeugt, sehen uns aber doch genötigt, die am 13. April und 19. Juni vom Politischen Departement erhaltenen Zusicherungen nach ihrem Beruhigungswert abzuwägen. Wir wollen gerne annehmen, dass die etwas vagen Ausdrücke "Voraussetzungen zur Ausführung des Vertrages" (13. April) und "die vorerwähnte Frage bereinigen" (19. Juni) bona fide im Sinne der Wahrung der Buchser Bahnhofinteressen zu deuten seien, und dass das uns gegebene Wort des Politischen Departements nicht mehr und nicht weniger besage, als dass die Inkraftsetzung des Liechtensteiner Vertrages so lange hinausgeschoben werden solle, bis der Fortbestand des Rechtsverhältnisses von 1870/72 sichergestellt sei.

Aber da erhebt sich die schliesslich entscheidende Frage: Hat der Bundesrat nach der Ratifikation des Vertrages durch die Bundesversammlung noch die Kompetenz dazu? Für das Inkrafttreten des Vertrages ist durch Art. 45 des Vertrages selbst der 1. Januar 1924 festgesetzt. Der Bundesrat wird allerdings durch das Schlussprotokoll zur Hinausschiebung dieses Termins ermächtigt, aber unter ebenda genau festgesetzten Bedingungen, und diese liegen einzig und allein in gewissen, von der liechtensteinischen Regierung zu erfüllenden Forderungen, nicht aber in irgendwelchen Unterhandlungen mit einem dritten Staate. Woraus folgt: Wenn der Liechtensteinervertrag so, wie er vorliegt, von der Bundesversammlung ratifiziert und das von der liechtensteinischen Regierung zu Leistende klaglos geleistet ist, so ist der Bundesrat gehalten und gebunden, den Zollvertrag auf 1. Januar 1924 in Kraft zu setzen, gleichviel, ob die zwischen uns und Österreich pendente Rechtsfrage bis dahin "bereinigt" sei oder nicht, und gleichviel, in welchem Sinne sie bereinigt sei. Damit würde die das Geschäftsleben von Buchs bedrohende Unsicherheit chronisch. Das Damoklesschwert des wirtschaftlichen Rückganges hängt nicht an einem Drahtseil, sondern an einem Faden und lähmt Gewerbefleiss und Unternehmungslust der davon bedrohten Bevölkerung. Ein wirtschaftliches Opfer könnte man sich gefallen lassen, wenn es wenigstens zu Gunsten des Vaterlandes gefordert würde. Die glorreiche Humanitätspolitik der Schweiz scheint uns jedoch zu weit getrieben, wenn man, um 8000 Fremden, denen in anderer Weise ausreichend geholfen werden kann, unter die Arme zu greifen, die wirtschaftliche Existenz einer beträchtlich grösseren Zahl eigener Landeskinder in einer ihrer Hauptgrundlagen erschüttert.

Bei solchem Sachverhalt sehen wir uns veranlasst, den von der St. Galler Regierung und uns schon immer und am 6. März 1923 auch von Herrn Dinichert eingenommenen Standpunkt neuerdings zu betonen, es möchte, einem allfälligen Vertragsabschluss mit Liechtenstein vorgängig oder doch gleichzeitig mit demselben, die Belassung der beidseitigen Zollämter in Buchs, nach Massgabe der Zollverträge von 1870 und 1872 oder durch neue Verträge sicher gestellt werden.

Nachdem im Liechtensteinervertrag ein diesbezüglicher Vorbehalt nicht angebracht ist, ersuchen wir die zuständigen Instanzen um Aufnahme eines solchen in geeigneter Form.

II. Der Zollvertrag mit Liechtenstein

Wenn der Abbau des österreichischen Zollsitzes in Buchs in erster Linie lokale Interessen gefährdet, so lässt sich das Gleiche vom Liechtensteiner Zollanschluss, an und für sich betrachtet, nicht sagen. Im Gegenteil, die neue Zollschranke gegen Feldkirch zwingt den Liechtensteiner auf die werdenbergischen Märkte und stellt uns somit einen Gewinn in Aussicht, einen Gewinn allerdings, der die aus einem Verlust des österreichischen Zollsitzes zu erwartenden Schädigungen von Ferne nicht aufwiegen würde. Unsere Gegnerschaft gegen den Zollanschluss an sich beruht daher nicht auf lokalen, sondern auf allgemein schweizerischen Gesichtspunkten. Nun sind wir allerdings nicht die berufenen Hüter des Landesinteresses. Aber nach gutem Schweizerbrauch haben wir uns erlaubt, als wohlmeinende Bürger unsere Bedenken gegen den geplanten Vertrag bei der obersten Landesbehörde geltend zu machen. In gleicher Eigenschaft ersuchen wir auch die hohen Räte um Gehör und hoffen, um so weniger eine Fehlbitte zu tun, als die Wiedergabe unserer Einwände durch die bundesrätliche Botschaft da und dort der Berichtigung und Ergänzung bedarf. In Bezug auf das Tatsächliche stützen wir uns teils auf eigene Erfahrungen, teils auf das Zeugnis von Männern, die sich im Laufe von Jahrzehnten die genaueste Vertrautheit sowohl mit Land und Leuten als mit dem Zolldienst erworben haben, und wir hoffen, auf dieser Grundlage manches beizubringen, was in dem Läuterungsfilter des Instanzenzuges nur zu leicht verloren geht. Wir möchten Ihre Aufmerksamkeit auf nachstehende Hauptpunkte richten.

1. Der politische Aspekt

Ein Zollvertrag ist zweifellos eine wirtschaftliche, will sagen nicht politische Angelegenheit. Gilt das auch von der völligen Verschmelzung zweier Zollgebiete mit dem Rattenschwanz von Gesetzen und Gerichtsbarkeit, der sich vom einen Lande auf das andere überträgt? Oder lassen sich hier neben den wirtschaftlichen Zügen unverkennbare Keime eines andersartigen, nicht mehr bloss wirtschaftlichen Gebildes nachweisen? Befremdend war schon während der Inkubationszeit des Zollvertrages das Verhalten eines Teiles unserer, allem Anschein nach inspirierten oder inspirieren wollenden Grosspresse: die über den Anschlussgegner verhängte Sperre, die anschlussfreundliche Speisung der Regionalpresse durch eine zentrale Propagandastelle, endlich im psychologischen Moment, als man laut "Oberrheinischen Nachrichten", dem liechtensteinischen Regierungsblatt, hoffen zu dürfen glaubte, den Vertrag schon in der Junisession der Bundesversammlung unter Dach und Fach zu bringen, die Maientagung der Schweizerpresse in Vaduz und als Epilog dazu die einheitlich organisierte Suggestion, unter die das Leserpublikum zwei Wochen lang durch die journalistischen Dithyramben auf das bedrängte Nachbarvölklein gestellt wurde. Bei der Betrachtung dieser Vorgänge stellte und verneinte man kopfschüttelnd die Frage, ob es denn wirklich einen so grossen Apparat und so viel rauschendes Gepräge brauche, um das Schweizervolk zu einem freundnachbarlichen "Liebesdienst" aufzurütteln. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den schweizerischen Führern des vielstimmigen Chors weit mehr daran gelegen sei, den "Liebesdienst" zu erweisen, als die Liechtensteinern ihn zu empfangen. Man las endlich das Horoskop, das ein klarblickender und ehrlicher Welscher in einem Artikel "Un Etat en miniature" in der "Gazette de Lausanne" dem Nachbarlande stellte: "Schweizerwährung, Schweizerpost, Schweizer Zollverwaltung — was bleibt unserer bescheidenen Nachbarin an wirtschaftlicher Autonomie noch übrig? Lehrt uns die Geschichte nicht, dass der Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit verhängnisgleich dem Verluste der politischen Unabhängigkeit vorausgeht? Sollte Liechtenstein eine Ausnahme zu dieser Regel bilden?" [4]Man erinnerte sich auch, wie schon vor Jahresfrist das grösste deutschschweizerische Blatt die Anschlussbewegung präludierte, wie es seine Leser für ein neues, grosshelvetisches Staatsideal empfänglich zu machen und sie darauf vorzubereiten suchte, im "stammverwandten" Liechtenstein nicht nur einen Geschäftsteilhaber, sondern eine Art "zugewandten Ort" ("Neue Zürcher Zeitung" 1922, Nr. 184) zu begrüssen und ihm dadurch, wie in der alten Eidgenossenschaft, die Anwartschaft auf ein engeres Verhältnis zu unserem Staate zuzuerkennen.

Das Schwinden der liechtensteinischen Souveränität würde uns wahrlich wenig kümmern, wenn sie sich wie ein Schneckenhorn still und ohne Nebenwirkung in sich selbst zurückzöge. Aber so verhält sich die Sache nicht. Jedes Minus an liechtensteinischer Souveränität bedeutet infolge der Zollunion ein Plus an schweizerischer Staatshoheit, und das Ende vom Lied ist: ein zugewandter Ort — ein neues Glied der schweizerischen Eidgenossenschaft.

Die Frage, die heute zur Diskussion vorliegt, ist daher nicht: "Wollen wir unsere Zollgrenze verlegen?" Sondern sie lautet, wenn man die mit dieser Verlegung gegebenen Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten der Entwicklung mit in Rechnung bringt, so: "Wollen wir unsere politische Grenze verlegen?"

Wenn die Botschaft zur Entkräftung unserer Einwände darauf hinweist (Seite 9), dass Liechtenstein dank der Kündigungsklausel es periodisch in der Hand habe, sich wieder in den Vollbesitz seiner Souveränität zu setzen, so betrachtet sie die Sache nicht vom schweizerischen, sondern vom liechtensteinischen Standpunkte aus. Für uns ist eine andere Betrachtungsweise geboten. Keine Regierung vermag die durch die einmal vollzogene Zollunion freiwerdenden Assimilierungskräfte auf die Dauer zu hemmen, auch wenn sie wollte. Wenn es ihr aber überhaupt nicht daran liegt, die mit der Zollunion einsetzende Entwicklung zu bremsen, wenn massgebende, sogar allernächst interessierte Kreise im Liechtensteinischen auf die Erhaltung der politischen Selbständigkeit keinen Wert legen, ja, darin eine gern abzutretende Last erblicken sollten? Wie dann? Dann mögen die Liechtensteiner den Verzicht mit sich selbst ausmachen. Für uns aber erhebt sich die Frage: Ist es für uns geboten, diesen Verzicht zu unsern Gunsten anzunehmen? Ist die Zustimmung zu einem Wirtschaftsvertrage, der uns mit allmählich wachsenden Souveränitätsrechten über ein fremdes Land belastet, im Interesse des schweizerischenStaates? Ist es heute geraten, eine Gebietserweiterung ins Auge zu fassen, durch eine Zollunion vorzubereiten und gar, wie es in einem Teil der Presse geschieht, durch die Berufung auf die heute durch irredentistische Bestrebungen ominös gewordene und für uns Schweizer dreifach ominöse "Stammesverwandtschaft" zu begründen? Oder ist es heute, wo alles fliesst, rätlicher, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln, Eines vor dem allgemeinen Fluss zu schützen: unsere politischen Grenzen?

Die Botschaft weist jeden Expansionsgedanken weit von der Hand, sintemal ja auch jene Gebietserweiterung, die vor wenig Jahren noch die Gemüter bewegte, "gegenwärtig" (Seite 12) aus Abschied und Traktanden falle. Gegenwärtig! Was heisst gegenwärtig?

"Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit".

Dass die Logik der Tatsachen häufig unerwartete Wege geht, haben wir in der Vorgeschichte des Zollvertrages im eigenen Lande erlebt. In der nationalrätlichen Kommission zur Beratung des Postvertrages mit Liechtenstein wurde aus dem Schosse des Rates die Zusicherung verlangt und von höherer Stelle abgegeben, dass der Postvertrag kein Präjudiz für einen künftigen Zollvertrag abgeben solle. Und heute? Heute beruft man sich zu Gunsten des Zollvertrages auf den "bewährten" Postvertrag. Man hätte auch damals erklären können, "gegenwärtig" sei von einem Zollanschluss keine Rede, obwohl er laut Einleitung der Botschaft damals schon im Plane lag.

Unsere Öffentlichkeit behandelt den Zollanschluss en bagatelle. Liechtenstein ist nur ein Pünktchen auf der Weltkarte. Auch der J-Tupf ist nur ein Pünktchen und bildet dennoch einen integrierenden Bestandteil eines Buchstabens des Alphabets. Und die Diplomatie hat nicht nur ihre eigene Sprache, sondern zuweilen auch ihre eigene Schreibmethode: Sie setzt zuerst den J-Tupf und lässt den Raum für den Unterbau dazu vorläufig offen. Eben diese Leere unter dem Tupf ist es, die uns beunruhigt, nicht als Buchser beunruhigt, sondern als Eidgenossen, die vorläufig zum neuen grosshelvetischen Staatsideal noch nicht bekehrt sind.

Aber wir sind weit entfernt, uns der Erkenntnis zu verschliessen: so selbstverständlich jedem Bürger die Unverletzlichkeit der Landesgrenze sein muss — ihre Unveränderlichkeit darf nicht ein starres Dogma werden! Die theoretische Möglichkeit des Eintritts von Weltumständen, die ein Hinausrücken unserer Grenzpfähle als eine unabweisbare Notwendigkeit für die Lebensfähigkeit unseres Landes erscheinen lassen, muss ohne weiteres zugegeben werden. Ob eine solche Notwendigkeit der Grenzerweiterung und damit die Notwendigkeit, ein Prinzip unserer traditionellen Politik an einem Pünktchen zu durchbrechen, heute tatsächlich vorliege oder in absehbarer Zukunft zu erwarten sei, diese Frage zu entscheiden fehlt uns die zureichende Sachkenntnis. Wenn sie bejaht werden muss, dann möge sie im Hinblick darauf, dass ihre Bejahung zweifellos, schon durch die Schaffung eines Präzedenzfalles, von tiefgreifenden und heute nicht übersehbaren Folgen für unser Land begleitet sein wird, nicht mit dem Schleier eines Liebesdienstes verhüllt und nicht mit der augenblicklichen und in kopfloser Überstürzung selbstverschuldeten Verlegenheit des Nachbars verquickt werden, zumal dem Bedrängten mit einfacheren und den status quo der Eidgenossenschaft in keiner Weise berührenden Mitteln geholfen werden kann.

Es sind nicht allein am fernen Horizonte auftauchende Gefahren von zur Stunde noch unbestimmten Umrissen, mit denen die Verlegung der Grenze unser Land bedroht — mit der Übernahme und Ausübung von Hoheitsrechten und Gerichtsbarkeit jenseits unserer politischen Grenze hängen unmittelbar andere Unzukömmlichkeiten zusammen, die weder im politischen noch im fiskalischen Interesse der Eidgenossenschaft liegen. Ein gewiss achtenswertes Argument der liechtensteinischen Anschlussgegner war bekanntlich der schmerzliche Gedanke an "ein gänzliches Untertauchen in einem fremden Staate" (Liechtensteinisches Volksblatt 1922). Die liechtensteinische Opposition ist heute stumm. Das glückliche Zusammentreffen einer Notlage unserer Landwirtschaft mit den Unterhandlungen der beidseitigen Regierungen liess es als gerechtfertigt erscheinen, in währender Unterhandlung die liechtensteinische Ausfuhr nach der Schweiz in dem Masse zu unterbinden oder zu erschweren, dass auch den Anschlussgegnern das Wasser an den Hals reichte und die Zollunion schliesslich als rettende Planke willkommen sein musste. So wenig nun auch von jenen ehrenwerten Patrioten nach dem eventuellen Inkrafttreten des Zollvertrages irgendwelche Illoyalität zu besorgen sein wird, so nahe liegt die Möglichkeit, dass Zolldelinquenten und ihr Anhang zur Beschönigung ihrer Privatinteressen und ihrer Ranküne sich des patriotischen Mäntelchens bedienen, zum passiven und aktiven Widerstand gegen die schweizerischen "Landvögte" aufwiegeln und unserer Zollmannschaft im fremden Lande ohne Rückendeckung ihr Amt nicht eben erleichtern werden. Wie sehr das neue Grenzgelände solchem Treiben Vorschub zu leisten geeignet ist, haben wir in unserer Eingabe vom 15. Februar 1922 an den hohen Bundesrat ausgeführt. Dass es dem liechtensteinischen "Volke" im gegebenen Augenblick an Entschlussfähigkeit nicht fehlt, haben die Novembertage 1919 gezeigt.

Schweizerische Interessen also sind es, die wir durch die Verlegung der Zollgrenze in naher und in fernerer Zeit gefährdet sehen. Von diesem Standpunkt aus haben wir den Abbau der liechtensteinischen Souveränität in unsern diversen Eingaben betrachtet. Wir glauben, es sei ein gut schweizerischer Standpunkt. Danach mag man die Berechtigung einer seither von vielen nachgeplapperten Zwischenbemerkung beurteilen, die die Botschaft in ihre Ausführungen (Seite 9) einfliessen lässt: "Die mit Rücksicht auf eine Schmälerung der Souveränität Liechtensteins geäusserten Bedenken würde man im Grund eher von liechtensteinischer als schweizerischer Seite erwarten".

2. Die Rechnung

Wenn schweizerseits politische Gesichtspunkte für den Zollanschluss massgebend sein sollten, so ist die Kostenfrage natürlich von sekundärer Bedeutung. Aber betrachten wir den Vertrag, so wie er vorliegt, als rein wirtschaftliche Angelegenheit, so fällt im Gegensatz zu früheren ähnlichen Vorlagen, die Dürftigkeit der rechnerischen Basis auf. Wir erlauben uns, nachstehend einige Punkte näher zu prüfen.

Für die mutmasslichen Zolleinnahmen aus dem Fürstentum Liechtenstein dürften die Ergebnisse, wie sie aus dem Zollverhältnis zwischen Liechtenstein und Österreich resultierten, wegleitend sein. In den Jahren 1908—1917 wurde in Liechtenstein an Zöllen eingehoben:

1908

Kr. 10'972.69

1909

Kr.   9'310.51

1910

Kr. 13'962.86

1911

Kr. 13'210.78

1912

Kr. 36'271.79

1913

Kr. 15'208.48

1914

Kr.   9'134.14

1915

Kr. 14'171.—

1916

Kr. 16'581.99

1917

Kr.   9'991.79

oder durchschnittlich Kr. 14'882.10 per Jahr.

Dazu kommen noch die Verzollungen bei den Zollämtern Buchs, Feldkirch und Bregenz mit jährlich 5000 Kronen, so dass sich der Jahresdurchschnitt auf 19'882.10 Kronen erhöht. Diese Zahlen sind einer Publikation in dem „Liechtensteiner Volksblatt" vom 21. Mai 1919 entnommen, die Herr Dr. [Jakob] Lorenz in seinem Gutachten an den liechtensteinischen Landtag als eine "verdienstvolle Arbeit" bezeichnet. Der Verfasser derselben (ein Liechtensteiner) schreibt: "Für Verzollungen bei andern Zollämtern (Buchs, Feldkirch, Bregenz) habe ich 5000 Kronen jährlich angenommen, bin also offenbar sehr hoch gegangen. Auf den Kopf ausgerechnet bedeuten diese Zahlen: Jeder Liechtensteiner zahlte jährlich 1.93 Kronen Zollgebühr". Zu dieser jährlichen Belastung mit Zollgebühren von 1.93 Kronen kam noch die Belastung durch die Verzehrungssteuer in der Höhe von 93 Heller pro Kopf und Jahr, die aber hier nicht in Betracht kommt.

Wenn nun anderseits Österreich dem Fürstentum pro Kopf und Jahr durchschnittlich eine Entschädigung von 21 Kronen ausrichtete, so ist dies auf die eigentümliche Verrechnungsweise zurückzuführen. Von den Brutto-Einnahmen der vorarlbergischen und liechtensteinischen Zollämter wurden die Vergütungen wegen unrichtiger Abhebungen und die Kosten der Zollämter abgezogen, dann von den Reinerträgnissen der Zölle ein Drittel als Ertrag der in Vorarlberg und Liechtenstein für andere Teile Österreich-Ungarns stattfindende Verzollungen zurückbehalten und die übrigen zwei Drittel nach Verhältnis der Bevölkerungszahl von Vorarlberg und Liechtenstein verteilt. Hiezu ist zu bemerken, dass zum Beispiel beim österreichischen Hauptzollamt in Buchs gegen 99 Prozent aller vorgenommenen Verzollungen Waren betrafen, die für andere Teile Österreichs bestimmt waren, und dass die für Vorarlberg und Liechtenstein verzollten Waren höchstens 1 — 2 Prozent ausmachten; dessen ungeachtet wurde den Liechtensteinern ihr Anteil an den verbleibenden 66 2/3 Prozent aller Verzollungen ausgerichtet. Der Verfasser der vorerwähnten Publikation, wie auch Herr Dr. Lorenz erklären daher übereinstimmend, dass der österreichisch-liechtensteinische Zollvertrag für Liechtenstein ausserordentlich günstig war.

Die Verhältnisse in Liechtenstein haben sich im letzten Dezennium nicht wesentlich geändert, zum mindesten nicht derart, dass man den damaligen Zolleinnahmen von 1.93 Kronen pro Kopf und Jahr, heute eine solche von Fr. 16 gegenüberstellen darf, wie dies in der bundesrätlichen Botschaft (Seite 16, Absatz 3) geschieht. Aber auch dann, wenn wir diesen Ansatz von Fr. 16 in Rechnung stellen, kommen wir, wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, nur auf eine Einnahme von rund Fr. 128'000, von der dann noch die Mehrkosten für die Personalvermehrung in Abzug zu bringen sind.

Eingangs der Botschaft (Seite 2, Absatz 2) ist erwähnt, dass das Fürstentum Liechtenstein, nach einer Volkszählung vom 21. Dezember 1921 eine Einwohnerzahl von 11'565 Personen aufweise. Hievon waren aber 3531 Einheimische als "abwesend" gemeldet, was zwar in der bundesrätlichen Botschaft nicht enthalten ist, wohl aber in dem Gutachten, das Herr Dr. Jakob Lorenz, Privatdozent an der eidgenössischen technischen Hochschule in Zürich, über die Zollanschlussfrage zu Handen des liechtensteinischen Landtages ausgearbeitet hat. Diese nicht im Lande anwesenden Personen scheiden für die Berechnung der Zolleinnahmen aus, so dass nur noch eine Bevölkerungszahl von 8034 bleibt, die bei einer Belastung von Fr. 16 pro Kopf eine Zolleinnahme von 8034 X 16 = 128'544 Franken in Aussicht stellt. Wie schon erwähnt, müssen von diesem Betrag noch die Mehrkosten, die aus der notwendig werdenden Vermehrung des Zollpersonals erwachsen, in Abzug gebracht werden, so dass die an Liechtenstein zu entrichtende Entschädigung von jährlich Fr. 150'000 bei weitem nicht durch die neuen Zolleinnahmen gedeckt wird.

Sodann wird in der Botschaft (Seite 5) darauf hingewiesen, dass Liechtenstein im verflossenen Jahre auf Grund seines gegenwärtig in Kraft stehenden Zolltarifs eine Zolleinnahme von Fr. 160'241.46 erzielte. Zu diesen Einnahmen bemerkt Herr Dr. Lorenz in seinem Gutachten, dass die Einfuhrzahlen von 1922 von einer ausserordentlichen Bautätigkeit beeinflusst waren; ferner fand im Jahre 1922 noch eine starke Ausnutzung der Kronen- und Markkonjunktur in Gebrauchsgegenständen statt. Die Gesamteinfuhrmenge dürfte nach seiner Auffassung in normalen Jahren um mehr als einen Drittel kleiner sein als 1922.

Die liechtensteinischen Zolleinnahmen von 1922 können für die Berechnung der zukünftigen Zolleinnahmen, die durch den Anschluss des Fürstentums an das schweizerische Zollgebiet bedingt werden, überhaupt nicht zu Vergleichen herangezogen werden, weil von den eingeführten Waren ein grosser Teil aus der Schweiz bezogen und dafür auch der Schweizerzoll bezahlt wurde. Herr Dr. Lorenz schätzt die Einfuhr aus der Schweiz, für welche der Schweizerzoll bezahlt wurde, auf:

50% der Nahrungsmittel;
10% des Tabaks;
20% der Gebrauchsgegenstände;
10 % des Baumaterials.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass nach dem Zollanschluss die Waren (Vieh, Wein, Holz etc.) aus dem Fürstentum, welche in die Schweiz eingeführt werden, dem Schweizerzoll nicht mehr unterliegen. Daraus resultiert ein weiterer Passivposten für die Schweiz.

Wir gelangen daher im allergünstigsten Falle zu folgender Bilanz:

Aktiva: Aus Zöllen Fr. 128'000.

Passiva: Jährliche Entschädigung an Liechtenstein Fr. 150'000, plus Kosten der Personalvermehrung, plus Ausfall der Zölle auf liechtensteinische Produkte.

Nach der annähernden Schätzung mit dem liechtensteinisch-schweizerischen Güterverkehr durch Beruf und Amt vertrauter Persönlichkeiten wird, beim geringen Verbrauch importierter Waren im Liechtensteinischen, der obige Aktivposten allein schon durch Entgang der Zölle auf Artikel liechtensteinischer Provenienz (Vieh, Holz, Wein etc.) aufgewogen, wo nicht überboten. Diese Gleichung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, dass Liechtenstein bei wieder normal werdendem Verkehr sein Absatzgebiet — schon mit Rücksicht auf die bereits eingeführte Frankenwährung — fast ausschliesslich in der Schweiz wird suchen müssen. Somit verbleiben in der Rechnung allein die zwei Passivposten: Entschädigung an Liechtenstein und Mehrkosten für Grenzbewachung.

Wenn also laut obiger Gleichung die durch die Angliederung Liechtensteins an das schweizerische Zollgebiet zu erwartenden Mehreinnahmen der schweizerischen Zollverwaltung durch den künftigen Ausfall an Schweizerzoll auf liechtensteinische Produkte aufgezehrt werden, so stehen den 150'000 Franken, die dem Fürstentum als jährliche "Entschädigung" zugedacht sind, effektiv keine Einnahmen gegenüber, so dass die dem Fürstentum Liechtenstein zugesicherte jährliche Pauschale nicht eine Entschädigung im Sinne einer Gewinnbeteiligung darstellt, sondern ein — Geschenk.

Der Berechnung der Mehrkosten für Grenzbewachung legt die Botschaft einen Personalzuwachs von 12 Mann (künftig 50 gegen heute 38) zu Grunde, was den Mann zu Fr. 5000 gerechnet, eine jährliche Mehrausgabe von Fr. 60'000 bedeutet. Diese Differenz beruht aber auf einer optischen Täuschung, denn sowohl der Minuend als der Subtrahend sind anfechtbare Grössen. Durfte man nach Einführung der durchschnittlich um eine Stunde verkürzten Arbeitszeit auch nicht erwarten, dass die Grenzwache auf den vorkriegszeitlichen Bestand von 29 Mann zurückgehen werde, so durfte man doch auf eine mit der Pazifierung der näheren Umwelt Schritt haltende Annäherung an diese Zahl hoffen. Auf der andern Seite wird die in der Botschaft vorgesehene Bewachungsmannschaft, wie wir im nächsten Abschnitt zeigen werden, von sehr kompetenter Seite als numerisch zu schwach taxiert. Somit erscheint der Minuend als zu niedrig, der Subtrahend als zu hoch angesetzt. Woraus folgt, dass wir, wenn der Grenzkordon nicht zu weitmaschig und dadurch illusorisch werden soll, mit einer 12 Mann beträchtlich übersteigenden Differenz und daher auch mit entsprechend höhern Mehrkosten zu rechnen haben werden. Daraus ergibt sich summa summarum für unser Budget eine jährlich wiederkehrende Unterbilanz von einigen hunderttausend Franken.

3. Die neue Zollgrenze

Vergleiche hiezu die vorstehende Karte:

ac = die neue Zollgrenze 33 km
ab = die Rheingrenze 27 ½ km
bc = die liechtensteinisch-bündnerische Grenze 10 km

Kein Satz in der ganzen Botschaft vermochte unter der Grenzbevölkerung, ob Freund oder Gegner des Vertrages, ebenso beim gesamten ortskundigen Zollpersonal, hoch und niedrig, so viel Befremden, ja, förmliche Bestürzung auszulösen als dieser eine (Seite 7 und 8): Die neue Zollgrenze sei zur Abwehr des Schmuggels besser geeignet als die alte Rheinlinie!

Ehe wir den Vater Rhein als untauglich aus dem Dienst entlassen, wird es doch geboten sein, die Karte genauer anzusehen und in der Wacht am Rhein ergraute Beamte zu hören. Der mächtige Strom mit seinen hohen Dämmen, mit seiner Breite von reichlich 100 Meter, ist von jeder Stelle des Dammes aus, nicht nur auf seine Breite, sondern auch auf einige hundert Meter Länge zu überblicken. Die neue Grenze hingegen durchschneidet, vom Rhein ausgehend in zirka drei Kilometer langer Strecke ein mit Gebüsch durchsetztes Streueriet, überquert dann die Strasse Nofels-Rugell und steigt von da durch Waldung auf den Rücken des Schellenbergs, der von ihr nicht umfasst, sondern in liechtensteinisches und österreichisches Zollgebiet geteilt wird. Etwas unterhalb der südlichen Seite des Hügelrückens biegt die Grenzlinie gegen Südwesten um, läuft zirka 1 ½ Kilometer parallel dem Kamme, windet sich dann um die kleine österreichische Ortschaft Hub herum und erreicht von dort quer über das Riet die Strasse Feldkirch-Schaan, um von hier aus sich dem Gebirge zuzuwenden. Die ganze Strecke vom Rhein bis hieher, besonders aber die zirka drei Kilometer lange, auf dem Schellenberg liegende Teilstrecke ist leicht begehbar, aber sehr unübersichtlich und daher, gleich der Strecke Sareiserjoch-Naaf, wie die letzten Jahre zur Genüge zeigten, ein wahres Dorado für den Schmuggel und den Übertritt von schriftenlosem Gesindel. Die vier Rheinbrücken sind dagegen Tag und Nacht vom Zollpersonal bewacht oder geschlossen, der übersichtliche Rhein ist von verhältnismässig wenig Grenzpersonal sicher zu überwachen, da derselbe für den mit Kontrebande beladenen Schmuggler nur mit Hilfsmitteln (Schiff oder Floss) traversiert werden kann. Man sollte nicht glauben, dass hierüber Meinungsverschiedenheiten bestehen könnten. Nicht zuletzt war es die gute Rheingrenze, die seinerzeit Österreich veranlasste, mit Liechtenstein den Zollvertrag einzugehen und dem Fürstentum derart günstige finanzielle Bedingungen zu gewähren, wie sie bereits an anderer Stelle erwähnt worden sind. Als im Jahre 1873 der Zollvertrag mit Österreich im liechtensteinischen Landtag zur Beratung vorlag, äusserte sich der Referent, Abgeordneter [Markus] Kessler, dahin: "Österreich hat überhaupt den Vorteil, dass es die Überwachung einer nassen anstatt einer trockenen Grenze bekommt". Und für diese von der Natur selber gegen den Schmuggel geschützte, sollen wir nun eine dafür wie geschaffene Zollgrenze eintauschen! Dagegen verwahrte sich auch der kürzlich verstorbene Zollamtsvorstand Künzler, der über 30 Jahre in Buchs tätig war und sämtliche an Liechtenstein grenzenden Schweizerzollämter kontrollierte. Er äusserte sich dazu unter anderem wie folgt: "Könnte wenigstens eine Verbesserung, das heisst Günstigergestaltung der Zollgrenze durch den Anschluss erzielt werden, so wäre dieser erklärlich. Es ist nun aber gerade das Gegenteil der Fall, indem die schöne, durch den Rheinstrom gebildete Grenze verlassen und diese zum Teil in schwer zu überwachendes Gebirge verlegt werden muss." In Bezug auf die Grenzwache bemerkt er, dass der vorgesehene Mannschaftsbestand zu einem wirksamen Zollschutz keineswegs genügen werde.

III. Der Gegenvorschlag

Das werdenbergische Initiativkomitee contra Zollanschluss hat dem Bundesrat unterm 28. Oktober 1922 nachstehenden Gegenvorschlag unterbreitet:

"Der hohe Bundesrat wolle eine Regelung der nachbarlichen Verhältnisse zwischen unserem Lande und dem Fürstentum im Sinne eines vertraglich zu vereinbarenden Zonenregimes mit gegenseitig bevorzugtem kleinem Grenzverkehr in Erwägung ziehen. Wir halten eine solche Regelung für möglich und zweckdienlich für beide Teile auf folgender Grundlage:

1. Der bevorzugte kleine Grenzverkehr zwischen uns und Liechtenstein wird mit allen gegenseitigen Erleichterungen wieder hergestellt, wie derselbe vor dem Kriege bestanden hat. In diesen kleinen Grenzverkehr ist auch der Verkehr zur Bewirtschaftung des jenseits der Grenze liegenden Grundbesitzes einzuschliessen.

2. Auf Produkte liechtensteinischen Ursprungs, deren Herkunft sich einwandfrei nachweisen lässt, finden die Einfuhrverbote keine Anwendung. Gegenrecht der Gegenpartei bleibt vorbehalten.

3. Die Zölle auf die liechtensteinischen Hauptprodukte, Nutzvieh, Schlachtvieh, Wein, Holz, werden auf ein Minimum herabgesetzt oder ganz aufgehoben. Sache der Ausführung ist es, festzustellen, ob die Kontrolle der Herkunft mittelst Ursprungszeugnisses oder Kontingentierung zu erfolgen habe. (Über die Produktion des Landes existieren ausführliche und weit zurückreichende Statistiken, sodass einem zollfreien Transit durch Liechtenstein leicht vorgebeugt werden könnte.)

4. Waren nicht liechtensteinischer Herkunft bezahlen den gewöhnlichen schweizerischen Eingangszoll und unterstehen den geltenden Einfuhrverboten.

5. Der Personen-, Fuhrwerk- und Autoverkehr soll möglichst erleichtert und von Abgaben befreit werden.

6. Über die schweizerische Einfuhr nach Liechtenstein werden Vorschriften in ebenso entgegenkommendem Sinne vereinbart.

7. Dieses Abkommen wird erstmals auf kurze Frist, jedoch mit der Möglichkeit der Verlängerung abgeschlossen und tritt sobald als möglich in Kraft.

Gegen diesen Vorschlag erhebt die Botschaft folgende Einwände:

a) Die Regelung der liechtensteinisch-schweizerischen Zollverhältnisse im Sinne des kleinen Grenz- oder Zonenverkehrs entspreche nicht den liechtensteinischen Interessen.

b) Sie gefährde die schweizerische Landwirtschaft.

c) Sie gefährde die Chancen der Errichtung eines Zollfreilagers in Buchs.

Es sei uns gestattet, diese Einwände näher zu beleuchten. Den Vorhalt, dass durch Erleichterungen im Grenzverkehr liechtensteinische Interessen nicht restlos befriedigt werden, würde man eher von liechtensteinischer als von schweizerischer Seite erwarten. Setzen wir rein hypothetisch den Fall, dass unser Vorschlag den liechtensteinischen Ansprüchen wirklich nicht ohne Rest gerecht würde, so ist zu bemerken, dass wir dazu auch nicht gehalten sind. Unsere moralische Pflicht ist es, an der Konsolidierung des liechtensteinischen Staatshaushaltes ohne Gefährdung des eigenen mitzuwirken. Aber nichts verpflichtet uns, weder diese Aufgabe restlos zu erfüllen, noch sie allein zu übernehmen. In diesem Sinne gibt unser Vorschlag auch andern von humanem Geiste erfüllten Staaten Gelegenheit, sich an dem Hülfswerk dadurch zu beteiligen, dass sie bei den Liechtenstein unserseits zugedachten Zollerleichterungen auf die Geltendmachung etwaiger Meistbegünstigungsrechte zu Gunsten des Fürstentums verzichten, was ihnen bei der geringen finanziellen Tragweite solchen Verzichtes nicht allzu schwer fallen dürfte.

Aber genau besehen liegt der hypothetisch angenommene Fall gar nicht vor. Die behauptete Unzulänglichkeit unseres Vorschlags ist eine Deduktion aus rein theoretischen und darum unsicheren Überlegungen. In Wirklichkeit verlangt der Durchschnittsliechtensteiner nichts Besseres als die Möglichkeit einer ungehemmten Ausfuhr seines Viehs und einiger anderen Landesprodukte nach der Schweiz und ihren Absatzgebieten, und beständen an seiner Landesgrenze heute noch der freie Verkehr und die kulanten Zollansätze der Vorkriegszeit, der Gedanke an eine Änderung des status quo wäre ihm nicht im Traum gekommen und er wünschte zweifellos Zollunion samt Zubehör in ein Land, wo andere Dinge wachsen als Türken und Kartoffeln.

Vollkommen unverständlich ist uns aber auch hier die rechnerische Grundlage der Botschaft. Im Gegensatz zum problematischen Charakter der Bilanz einer Zollunion mit Liechtenstein steht das Budget für die vorgeschlagene Zollordnung im Sinne des kleinen Grenz- oder Zonenverkehrs auf einem der Rechnung zugänglicheren Boden. Die Einfuhr aus Liechtenstein nach der Schweiz ist heute (infolge Zolltarif und Sperre) gleich Null. Daraus folgt mit mathematischer Gewissheit, dass sich auch die daraus resultierende Zolleinnahme zu keinem positiven Werte erhebt. Ja, sie ist genau besehen eine negative Grösse, denn sie reicht kaum zur Besoldung des Zollpersonals, geschweige zu einem fiskalischen Überschusse. Folglich ergibt die Öffnung der Grenze und die nachgesuchte Erleichterung des lang gestauten Grenzverkehrs im Sinne unseres Antrages auch beim bescheidensten Zolltarif einen Aktivposten für unser Budget, und zwar einen Posten, der trotz der minimalen Einzelabgabe sich beträchtlich über den Nullpunkt erheben wird, weil mit der Herabsetzung des Zolles die Einfuhr, mit der Verminderung des Multiplikanden der Multiplikator in steigender Progression wächst.

Die aus dem kleinen Grenzverkehr sich ergebenden Zolleinnahmen sind aber für uns nicht nur ein fiskalischer Gewinn, sondern sie bedeuten, so kulant die Tarifsätze gehalten sein mögen, auch einen Schutz der schweizerischen Landwirtschaft gegen den liechtensteinischen Wettbewerb, während im Fall der Zollunion jede Abgabe an unserer Grenze wegfällt und somit der liechtensteinischen Konkurrenz auf unserem landwirtschaftlichen Markte vollkommen freie Bahn geöffnet wird. Damit vergleiche man nun die Bemerkung der Botschaft (Seite 12): "Grössere Erleichterungen im Grenzverkehr müssten auf Kosten unserer Landwirtschaft zugestanden werden". Soll das heissen, dass ihr der gänzliche Wegfall der Einfuhrzölle, wie ihn die Zollunion vorsieht, zuträglicher wäre?!

Was endlich die Neuschaffung eines Zollfreilagers in Liechtenstein anbelangt, so erachten wir die diesbezüglich geäusserten Befürchtungen als unbegründet, indem in Buchs bereits ein Transitlager besteht, das den gegenwärtigen Anforderungen genügt und es somit bei unveränderten Verhältnissen vernünftigerweise kaum jemanden einfallen wird, einem neu zu schaffenden Freilager in Liechtenstein den Vorzug geben zu wollen. Dem eventuellen Ausbau des Transitlagers in Buchs in ein Zollfreilager steht nichts im Wege.

IV. Rekapitulation

Auf Grund der vorstehenden Darlegungen ersuchen wir die hohen Räte, in geeignete Erwägung ziehen zu wollen:

Ob es heute nicht rätlich sei, von einer Einverleibung Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet grundsätzlich abzusehen und dem Nachbarlande in anderer Weise entgegenzukommen.

Eventuell: Ob es nicht zu empfehlen sei, den vorliegenden Vertrag behufs Abänderung der unserem Lande ökonomisch nachteiligen Bestimmungen an den Bundesrat zurückzuweisen.

Und vor allem: Ob es nicht dringend geboten sei, die Ratifikation des bereinigten Vertrages, konform dem Standpunkt Dinichert (Seite 6 hievor) so lange hinauszuschieben, bis hinsichtlich des österreichischen Hauptzollamtes in Buchs unsere Rechtslage gegenüber Österreich restlos zu unsern Gunsten abgeklärt ist.

Namens des Werdenbergischen Initiativkomitees

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[1] Zum Zollvertrag mit Liechtenstein: der Standpunkt der Anschluss-Gegner. Hrsg. von Gallus Schwendener und Jakob Vetsch im Namen des "Werdenberger Initiativkomitees". Buchs: Buchdruckerei Buchs, 1923. LI LA SgZg 1923/2.
[2] Fussnote im Original: "S. Eingabe des offiziellen Verkehrsbureaus St. Gallen vom 21. Januar 1922 an das Volkswirtschaftsdepartement zu Händen der st. gallischen Regierung und des Bundesrates."
[3] Staatsvertrag vom 27.8.1870 zwischen Österreich-Ungarn, zugleich in Vertretung für Liechtenstein, Bayern und der Schweiz über die Herstellung einer Eisenbahn von Lindau über Bregenz nach St. Margarethen sowie von Feldkirch nach Buchs, öst. RGBl. 1871 Nr. 13. Zum österreichisch-schweizerischen Staatsvertrag vom 2.8.1872 vgl. die Kundmachung des österreichischen Finanzministeriums vom 26.2.1873, öst. RGBl. 1873 Nr. 30.  
[4] Fussnote im Original: "Monnaie Suisse, postes Suisses, douanes Suisses, que reste-t-il de l'autonomie économique de notre modeste voisine? L'histoire ne nous enseigne-t-elle que la perte de l'autonomie économique précède fatalement celle de l'indépendance politique? Le Liechtenstein ferait-il exception à la regle? (Gazette de Lausanne 1923, N° 126)."