Maschinenschriftliches Wiederwägungsgesuch bzw. Beschwerde des Alois Willam, gez. ders., zuhanden der Regierung [1]
27.3.1922, Vaduz
An die fürstliche Regierung, Vaduz
Auf Ihr Schreiben Z. 220 / Reg. [2] betr. meiner Ehe und dem Staatsbürgerrechte der Frau [Frieda Anna Willam geb. Gröthe] habe ich in Form einer Wiedererwägung als einer Beschwerde Folgendes zu erwidern.
1.) Nach Artikel 37 der neuen Verfassung [3] ist jedermann die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet und nach Art. 39 ist der Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte vom Religionsbekenntnisse unabhängig. Durch diese Bestimmungen sind gemäss Art. 113 der Verfassung alle damit im Widerspruch stehenden Bestimmungen aufgehoben.
Es wäre nun ein Widerspruch, wenn die Regierung in Wahrung der Verfassung und noch giltiger Gesetze von mir und meiner Frau, die wir uns beide zum schweiz. Protestantismus bekennen, auf Anzeige des Vaduzer Pfarramtes, [4] verlangen könnte, dass ich kirchlich getraut werden solle. [5]
Nach unserer protestantischen Überzeugung kann uns das katholische Pfarramt Vaduz doch gewiss keine Vorschriften machen, das widerspricht allen internationalen Auffassungen und widerspricht der neuen Verfassung.
2.) Behaupten wir, dass wir richtig verheiratet sind. Für uns kommt hinsichtlich der Form des Abschlusses der Ehe, da wir beide in Berlin gewohnt haben, das deutsche Recht in Betracht und nicht das hiesige allgemeine bürgerliche Gesetzbuch [ABGB]. Unsere Absicht bei Abschluss der Ehe war, in Deutschland zu bleiben. Nach deutschem Gesetze haben wir alle Formalitäten zum Abschluss der Ehe erfüllt.
Berufung auf beiliegende Bescheinigungen der Ehe (Abschrift) vom 7. Juli 1917. [6]
Heute noch liegt beim Standesamt in Berlin ein Schreiben der fürstlichen Regierung, wonach diese letztere ([Leopold von] Imhof) erklärte, dass gegen die Ehe des Alois Willam mit seiner heutigen Frau Anna Ida Grothe aus Velten nichts einzuwenden sei.
Allenfalls Berufung auf die beim Standesamt Berlin I./II. liegende fürstliche Regierungserklärung vom Jahre 1917. [7]
Die Ehe wurde denn auch erst hierauf abgeschlossen und es wurde darauf hin auch seitens der fürstlichen Regierung und der Ortsvorstehung Vaduz ein Familienheimatschein, Zl. 879, [8] d. dto. 20. Aug. 1917 ausgestellt, worin erklärt ist, dass mein Ehefrau Ida geborne Grothe, geboren zu Velten, Preussen, am 26. Nov. 1887, Bürgerin der liechtensteinischen Gemeinde Vaduz sei und jederzeit in dieser Zuständigkeitsgemeinde Aufnahme finde. – Heute will dieselbe fürstl. Regierung diesen von ihr selbst beglaubigten und besiegelten Akt nicht mehr anerkennen und stellt die, jedenfalls für meine Frau sonderbare Behauptung auf, sie sei nicht liechtensteinische Staatsbürgerin. Preussische Staatsbürgerin ist sie auch nicht mehr. Soll meine Frau – die ich jederzeit als solche betrachte und anerkenne, trotz Einsprache des katholischen Pfarramts heimatlos gemacht werden?
Ich stehe auf dem Standpunkte, dass meine Ehe trotz der von Ihnen für Katholiken angezogenen Bestimmungen – die zwar im Auslande auch nicht Anwendung finden können – rechtsgültig abgeschlossen ist. Meines Wissens sind schon früher solche Ehen abgeschlossen worden und ist solange Zeit hiergegen nichts unternommen worden. Soll ich Opfer einer neuen Rechtspraxis sein?
3.) Bereits oben habe ich bemerkt, dass wir uns zum Protestantismus bekennen. Man kann uns als solche nach den eingezogenen Verfassungsbestimmungen doch unmöglich zu einer Zwangskatholikenehe verhalten, so etwas schlüge ja allen Rechtsgrundsätzen ins Gesicht.
Wo aber können wir als Protestanten eine feierliche Erklärung der Einwilligung vor einem protestantischen Geistlichen in Liechtenstein abgeben, wenn überhaupt ein solcher hierlands nicht amtiert und eine solche Zeremonie schon verlangt wird. Es wird wohl kein Rechtssatz und keine es mit ihrer nationalen Ehre vereinbar findende Behörde in Liechtenstein geben, die ihre Bürger zwingen will, im Auslande nach einer gewissen Konfession zu heiraten. Es scheint nach meiner Ansicht nicht der Beruf einer weltlichen Regierung zu sein, Glaubenssachen zu betreiben. Bei welchem protestantischen Geistlichen in Liechtenstein sollen wir uns nochmals verheiraten, weil im ganzen Staat ein solcher fehlt? -
Ich bestreite auch der Regierung und dem Pfarramt, sich in meine Eheangelegenheit einzumischen. –
Hinsichtlich der im Erlass angedeuteten gesetzlichen Folgen erlaube ich mir schliesslich, die Regierung darauf aufmerksam zu machen, dass mein Fall, einmal öffentlich bekannt, mehr das Landesansehen schädigende Folgen haben wird, als vielleicht heute geahnt wird. Einen Ausweg gibt es nur, wenn die tit. Regierung ein Gesetz betr. Einführung der Notzivilehe im Landtag durchbringt. [9]
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[1] LI LA RE 1922/1365 ad 0220. Einlaufstempel der Regierung vom 27.3.1922. Pfarrer Johannes De Florin nahm am 10.4.1922 Einsicht in das Dokument (Stempel des Pfarramtes Vaduz).
[2] Vgl. den Erlass von Regierungschef Josef Ospelt an Alois Willam vom 8.3.1922 (LI LA RE 1922/0220).
[3] Vgl. die Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15.
[4] Vgl. den diesbezüglichen Aktenvermerk von Regierungschef Ospelt vom Januar 1922 (LI LA RE 1922/0220).
[5] Vgl. § 77 ABGB (alt) betreffend die feierliche Erklärung der Einwilligung bei gemischtkonfessionellen Ehen. – Die Regierung ging zunächst davon aus, dass Alois Willam katholisch sei.
[6] Abschrift liegt nicht bei.
[7] Nicht aufgefunden.
[8] Nicht aufgefunden. Vgl. jedoch die Ausstellung eines liechtensteinischen Reisepasses für Ida Willam seitens der liechtensteinischen Regierung unter LI LA RE 1918/2280.
[9] Vgl. in weiterer Folge das Verwaltungsbot der Regierung bzw. des neuen Regierungschefs Gustav Schädler vom 19.10.1922 (LI LA RE 1922/0220): „Dem Antrag des Alois Willam in Vaduz, seine mit Ida Chroth aus Velten bei Berlin ziviliter eingegangene Ehe als gültig anzuerkennen, wird stattgegeben, da Ehen, die nach den Formen des Wohnsitzes der Eheleute giltig abgeschlossen wurden, international anerkannt werden müssen.“