Das Liechtensteiner Volksblatt weist darauf hin, dass Liechtensteiner vor allem im Baugewerbe beträchtlichen Erfolg im Ausland hatten und Anerkennung fanden


Zeitungsbericht, gez. „O.“ [1]

28.12.1927

Liechtensteiner im Ausland.

O. Es scheint, dass Liechtensteins Söhne eine besondere Begabung und Neigung für das Gebiet der Bautechnik und Baukunst haben. Abgesehen von den im Lande selbst tätigen tüchtigen Bauunternehmungen, haben Liechtensteiner in den vergangenen Jahrzehnten und aber auch heute im AusIande auf diesem Gebiete sich mit bestem Erfolge ausgewirkt. Es sei nur erinnert an Architekt Luzius Ospelt aus Vaduz in Chaux-de-Fonds, an Stadtbaumeister Joseph Brunhart aus Balzers in Ludwigshafen, an Gebr. Näscher in Chur u. a. Stärker aber als je scheint sich diese Gabe in den Tagen der Gegenwart auszuwirken zwar weniger der Zahl, als der Qualität nach, wenn wir unsere Landsleute im Auslande ins Auge fassen.

In der 50. Nummer "Holz, Stein, Eisen", die als Wochenschrift für moderne Bauwirtschaft und Baugestaltung in Frankfurt a. M. erscheint, ist ein längerer Artikel über Arbeiten unseres Landsmannes Herrn Architekten Franz Röckle enthalten, der zeigt, welche hohe Würdigung die Tätigkeit Röckles in Fachkreisen findet. Die Einleitung des eben erwähnten Artikels, der den Titel trägt „Neue Bauten in Frankfurt a. M.", gibt dieser Wertschätzung Ausdruck: „Die Begabung Franz Röckles, die sich schon lange vor dem Kriege in Aufgaben grossen Stils, wie der Westendsynagoge in Frankfurt, dem israelitischen Krankenhaus und dem preisgekrönten Bebauungsplan für die Stadterweiterung von Wetzlar über die Grenzen der Stadt hinaus sichtbar kundtat, hat sich in ganz besonders bemerkenswerter Weise in den Rahmen der heute zeitgemässen Aufgaben eingelebt. Ganz abgesehen von dem formalen Gestalten des Künstlers Röckle sehen wir in den heute gezeigten Bildern aus dem neuen Frankfurt den sozialdenkenden und volkswirtschaftlich interessierten Architekten Röckle an Siedlungsaufgaben — ebenfalls grösseren Formats — tätig, die ihn an seiner Stelle zeigen, an die heute der Architekt gehört, der nicht nur zu bilden, sondern auch zu denken und zu rechnen weiss. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Bauherren der heute vorgeführten Siedlungen nicht Einzelpersonen, sondern Genossenschaften sind und dass besonders bei der Gärtnersiedlung „Am Teller" gerade Röckle dazu berufen wurde, die Durchgestaltung eines ziemlich neuen und in hervorragendem Masse sozialen Problems in die Hand zu nehmen. Wir haben im letzten Abschnitte über diese letzte Aufgabe mit Absicht dem Architekten das Wort gelassen, da seine schriftlichen Ausführungen zeigen, wie sehr er auch in wirtschaftlicher Hinsicht mit heute zeitgemässen Aufgaben vertraut ist. So stellt sich Röckle als den Typus des heutigen Architekten dar, wie sie in wachsender Zahl aus den Trümmern einer abgelegten Epoche hervortreten: Gestalter nicht nur imaginärer Schönheit, sondern auch und vor allem der aus dem Grunde wirtschaftlicher Not herauskeimenden kulturellen Erneuerung: Träger grosser Verantwortung und Erzieher, ja zuweilen auch Prediger in der Wüste." In seinen weiteren Ausführungen behandelt dann der Artikel einige grosszügige Projekte Röckles und gibt Bilder und Pläne dazu.

Dann von einem Anderen: Gerade am Sonntag vor dem Rheineinbruch führte eine liebe Einladung mich ins Bündner Oberland, wo ich in Disentis das Werk eines anderen Landsmannes sah und schätzen lernte. Dort hat die Kunst des Herrn Josef Malin aus Mauren in der ehrwürdigen Kirche des Stiftes Disentis um die wertvollen Bilder des hochgeschätzten Schweizer Malers [Fritz] Kunz würdige Nahmen in Stukk geschaffen und der in ihren Ausmassen imposanten Stiftskirche auch sonst im Innern schönen Schmuck in Barock wiedergegeben. Die Arbeiten Malins wurden zum Teile nach Entwürfen des bestbekannten, inzwischen verstorbenen St. Galler Architekten Hardegger, zum Teile nach Malins eigenen Entwürfen ausgeführt. Die Stiftskirche Disentis enthält eine Reihe wertvoller Kunstsachen in Altären und Bildern, die durch die in den letzten Jahren durchgeführte Restaurierung der Kirche erst wieder zur Geltung kommen. Die neuen Deckengemälde von Kunstmaler Kunz stellen Bilder aus der Geschichte des Klosters dar; sie sind, wie gesagt, von Malin mit schönem Stukk umrahmt! Die Träger der hohen Orgelempore tragen reichen figürlichen Schmuck; die Kapitale der Säulen sind reich und schön ausgeführt; von dem Übergange des Schiffes zum Chor leuchtet ein prächtiges Hochrelief Gottvaters von der Decke in blendend Weiss hernieder; die Epitaphien an den hintern Säulen der Kirche sind mit herrlichen Stukkrahmen umgeben und der ganze innere Bau der Kirche zeigt auch sonst uns ein wertvolles Können unseres Landsmannes Joseph Malin. Dass seine Arbeit in Fachkreisen auch wirklich gewürdigt wird, beweist am-besten die Tatsache, dass ihm heuer die innere Renovation der Pfarrkirche — ebenfalls Barock — übertragen wurde, an der er zur Zeit meines Besuches in Disentis mit Herrn Ed. Batliner jun. aus Eschen beschäftigt war, und wozu Malin auch die Entwürfe selbst zu machen hatte, dass ihm namhafte Renovierungen an der grossen Stiftskirche in Engelberg bereits übertragen sind und dass er auch beim Neubau der Kirche in Rabius mitzuwirken hat. Wer von uns ins Bündner Oberland kommt, sollte nicht versäumen, die Stiftskirche in Disentis zu besuchen, und der wird sich freuen, zu sehen, was ein Landsmann dort Schönes geschaffen hat. Und hat der Besucher gerade Glück, so wird er, wie mir dies beschieden war, auch noch die Museum des Stiftes und besonders dessen wertvolle Spitzensammlung unter Führung des Hochw. Hr. Pater Notker [Curti], der dieser Spitzensammlung zu ihrer Bedeutung verholfen hat, sehen können und als Gesamteindruck den mitnehmen, dass dort oben nicht allein die Schöpfung gross sich zeigt, sondern dass auch die Menschen Schönes und Edles wirken.

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[1] L.Vo. 28.12.1927, S. 6. ­ Mit dem Kürzel „O.“ ist möglicherweise der frühere Volkblattredaktor Meinrad Ospelt gemeint.