Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Geschäftsträger Alfred von Baldass, an die liechtensteinische Regierung [1]
7.9.1921, Wien
Einbürgerung Singer
An die Fürstliche Regierung in Vaduz
Ich beehre mich der fürstlichen Regierung mitzuteilen, dass ich heute Vormittag mit Herrn Dr. [Salomon Manfred] Singer die Frage seiner Einbürgerung [2] besprochen habe. Dr. Singer erklärt, dass sich die Verhältnisse, seitdem er seine Anerbietungen bezüglich der Verpflichtungen, die er im Falle seiner Einbürgerung auf sich nehmen würde, derart geändert haben, dass er nicht mehr in der Lage sei, dieselben in derselben Weise aufrecht zu erhalten. Die Einbürgerungstaxe von 30‘000 Franken (Gemeinde- und Landestaxe zusammen genommen) ist er nach wie vor bereit, in dieser Höhe zu zahlen, hingegen ist es ihm infolge des ungeheuren Kurssturzes der Krone nicht möglich, die Verpflichtung einer jährlichen Steuer von 30‘000 Franken [3] und zwar auf 30 Jahre auf sich zu nehmen, da sein Einkommen in österreichischer Valuta besteht. Er hat mir folgende Propositionen auseinandergesetzt, unter welchen es ihm möglich wäre, die Einbürgerung zu vollziehen.
Dr. Singer fährt morgen nach Prag, um mit der čechischen Regierung wegen der Verlegung des Sitzes der gesamten Gesellschaft, welche sich in der Tschechoslowakei und in Österreich befindet, zu verhandeln. Sollte die Verlegung des Sitzes derselben nach Vaduz möglich sein, so würde er sich verpflichten, der fürstlichen Regierung eine pauschalierte Steuer von jährlich einer Million Kronen zu leisten, einen Teil davon eventuell nach einem festzusetzenden Umrechnungsschlüssel in čechischen Kronen. (Dies entspricht dem Betrag von 30‘000 Schweizer Franken nach dem Kurs von 33, wie er zur Zeit seines ursprünglichen Anerbietens bestand.) Falls die čechische Regierung dies nicht zugeben würde, so würde er lediglich den Sitz des österreichischen Geschäftes nach Vaduz verlegen, wobei er entgegenkommender Weise die Steuerleistung von einer Million Kronen nicht verringern würde. Im Falle einer Währungsänderung in Österreich würde natürlicherweise diese Steuer nach dem für diese neue Währung in Österreich festgesetzten Umrechnungsschlüssel in dieser erfolgen. Sollte auch dies nicht möglich sein, so würde er lediglich die liechtensteinische Fabrik, [4] welche er auf jeden Fall wieder in Tätigkeit zu setzen beabsichtigt, versteuern und würde die Höhe dieser Steuerleistung mit der fürstlichen Regierung selbst vereinbaren. Dr. Singer wird nach seiner Rückkehr von Prag in ca. 14 Tagen mir über das Resultat seiner dortigen Besprechungen berichten und Ende dieses Monats nach Liechtenstein reisen, um an Ort und Stelle die Bedingungen wegen der Wiederaufnahme der Tätigkeit seines Vaduzer Werkes studieren und mit der fürstlichen Regierung die Modalitäten seiner eventuellen Einbürgerung zu besprechen. Die garantierte Steuerleistung möchte er auf einen geringeren Zeitraum als 30 Jahre festsetzen, da es gegenwärtig nicht abzusehen ist, wie die Verhältnisse sich entwickeln werden und er daher unter Umständen sich nicht mehr in der Lage sehen würde, seinen Verpflichtungen nachzukommen oder auch die fürstliche Regierung im Falle eines bedeutenden Aufschwunges des Geschäftes durch eine allzulang fristige Pauschalierung geschädigt werden könnte. Wegen des günstigsten Termines für die Zeitbemessung würde er ebenfalls mit der fürstlichen Regierung verhandeln. [5]
Der fürstliche Geschäftsträger:
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[1] LI LA RE 1921/4094 ad 0876 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: Zl. 275/4). Einlaufstempel der Regierung vom 14.9.1921. Weiteres Exemplar unter LI LA V 003/0980.
[2] Zur Frage der Einbürgerung Singers vgl. etwa das Schreiben von Landesverweser Josef Peer an die fürstliche Kabinettskanzlei bzw. an Kabinettsrat Josef Martin vom 13.11.1920 (LI LA SF 01/1920/160; LI LA SF 01/1920/206). Vgl. auch LI LA V 003/0979.
[3] Vgl. dazu das Schreiben von Landesverweser Josef Ospelt an den liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, vom 19.4.1921 (LI LA RE 1921/0876 (Aktenzeichen der Regierung: 1580 ad 1575 /Reg. 1921)) oder das Schreiben Singers an Prinz Eduard vom 27.5.1921 (LI LA V 003/0980 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: Nr. 275/1)).
[4] Es handelt sich um die Hammersteinersche Textilfabrik im Vaduzer Mühleholz.
[5] Spätere Dokumente zu dieser Einbürgerungsfrage liegen im Liechtensteinischen Landesarchiv nicht vor. Offenbar ist es zu keiner Einbürgerung Singers gekommen.