Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet


Gedruckter, im Schweizerischen Bundesblatt publizierter Bericht, gez. Vizekanzler Ernest Chuard und Bundeskanzler Adolf von Steiger [1]

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet.

(Vom 1. Juni 1923.)

Wie der Bundesrat bereits in seiner Botschaft vom 17. November 1920 über den Postvertrag mit Liechtenstein des nähern auszuführen Gelegenheit hatte, ist auf Grund einer Besprechung zwischen schweizerischen und liechtensteinischen Delegierten am 16. Februar 1920 von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein das Ersuchen gestellt worden, es seien zum Zwecke des Abschlusses eines Zollanschlussvertrages Verhandlungen zwischen der Schweiz und dem Fürstentum einzuleiten. Die liechtensteinische Regierung ging dabei von dem Gedanken aus, dass dieser Zollanschlussvertrag die Grundlage eines ganzen Vertragssystems zu bilden habe, mittels dessen die Eidgenossenschaft ausser der Verwaltung des Zollwesens auch diejenige des Post-, Telegraphen- und Telephonwesens, sowie des Münz- und Justizwesens in Liechtenstein zu übernehmen und damit gegenüber dem Fürstentum die Stelle einzunehmen hätte, welche früher der österreichisch-ungarischen Monarchie zugekommen war.

Wenn auch der Zollanschluss von der liechtensteinischen Regierung als das wichtigste ihrer Begehren erklärt worden war, so konnte diesem doch nicht zuerst entsprochen werden, da die allseitige Abklärung der Frage durch die beteiligten Behörden geraume Zeit in Anspruch nahm. Den Anfang mit der Herstellung der engern Beziehungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein machte vielmehr der Postvertrag vom 10. November 1920 [2], der am 1. Februar 1921 in Kraft getreten ist und durch den die Eidgenossenschaft die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephonwesens im Fürstentum übernommen hat. Eine weitere tatsächliche Annäherung an schweizerische Verhältnisse hat sich in Liechtenstein durch die Einführung des Schweizerfrankens als allgemeines Zahlungsmittel, sowie durch die Reorganisation des Gerichtswesens und durch die unter starker Anlehnung an schweizerische Vorbilder erfolgte Abänderung der prozessualen und materiellen Rechtsvorschriften vollzogen. Um so empfindlicher wird das liechtensteinische Wirtschaftsleben von den im Verkehr mit der Schweiz noch bestehenden Schranken berührt, indem insbesondere dem liechtensteinischen Bauer durch die schweizerischen Einfuhrbeschränkungen die Schweiz als Absatzgebiet für sein Vieh verschlossen bleibt und dem liechtensteinischen Arbeiter, der einer Beschäftigung in der Schweiz nachgehen möchte, hemmende Einreisevorschriften entgegenstehen. Es ist deshalb leicht erklärlich, dass von der liechtensteinischen Bevölkerung bloss ein Vertrag, der die Zoll- und Reiseschranken zwischen der Schweiz und Liechtenstein beseitigt, als genügende Grundlage für jede engere Vertragsgemeinschaft mit der Eidgenossenschaft angesehen wird.

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Das Fürstentum Liechtenstein nimmt einen Flächenraum von 157,08 km2 ein (Kanton Appenzell I.-Rh. 172 km2) und weist nach der Volkszählung vom 81. Dezember 1921 eine Einwohnerzahl von 11,565 Personen auf. Von den 11 Gemeinden des Fürstentums gehören sechs, nämlich Vaduz (1405 Einw.), Balzers (1450 Einw.), Planken (181 Einw.), Schaan (1400 Einw.), Triesen (1279 Einw.) und Triesenberg (1861 Einw.) der Landschaft Vaduz (Oberland) und fünf, nämlich Eschen (1046 Einw.), Gamprin (479 Einw.), Mauren (1328 Einw.), Ruggell (670 Einw.) und Schellenberg (519 Einw.) der Landschaft Schellenberg (Unterland) an.

Die Grafschaft Vaduz und die Herrschaft Schellenberg haben im Verlaufe von fünf Jahrhunderten ihre Herren verschiedentlich gewechselt und gelangten nacheinander in den Besitz der Grafen von Montfort-Werdenberg, der Freiherrn von Brandis, der Grafen von Sulz und der Grafen von Hohenems. Graf Jakob Hannibal von Hohenems verkaufte 1699 an den Fürsten Hans Adam von Liechtenstein zunächst die Herrschaft Schellenberg und zwölf Jahre später die Grafschaft Vaduz. Mit Palatinatsdiplom [3] vom 23. Januar 1719 wurden Vaduz und Schellenberg von Kaiser Karl VI. zu einem Primogeniturstammgut erklärt und zum reichsunmittelbaren Fürstentum Liechtenstein erhoben. Von 1815 bis 1866 gehörte das Fürstentum als souveräner Staat dem deutschen Bunde an, als dessen Mitglied es ein Militärkontingent unterhielt, das im Jahre 1868 aufgelöst wurde. Seither blieb das Land jeglicher Militärlasten enthoben.

Die Verfassung des Fürstentums hat in ihrer letzten Abänderung vom 5. Oktober 1921 eine bedeutende Umgestaltung im Sinne einer weitgehenden Vermehrung der Volksrechte erfahren. Das Land Liechtenstein bildet „eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage“, ausgestattet mit demokratischen Rechten, wie sie wohl kein anderes monarchisches Staatswesen und auch manche Republik nicht besitzt. Der Regierungschef, der, wie sein Stellvertreter, gebürtiger Liechtensteiner sein muss, wird auf Vorschlag des Landtags vom Fürsten ernannt. Der Landtag besteht aus 15 Mitgliedern, die im Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimmrechts gewählt werden. Die vom Landtag erlassenen, nicht als dringlich erklärten Gesetze, sowie Finanzbeschlüsse von einer gewissen Bedeutung unterliegen dem fakultativen Referendum. Die Verfassung enthält ferner als neu eingeführte Volksrechte die Gesetzesinitiative (Verlangen 400 wahlberechtigter Landesbürger auf Gesetzeserlass) und der Verfassungsrevisionsinitiative (Verlangen 600 wahlberechtigter Landesbürger auf Verfassungsrevision). Für die Aburteilung von Zivil- und Strafsachen bestehen drei Instanzen: das Landgericht, das Obergericht und der Oberste Gerichtshof, die alle drei ihren Sitz in Vaduz haben, ebenso wie die für Behandlung von Verwaltungsbeschwerden geschaffene Verwaltungsbeschwerdeinstanz. Liechtenstein besitzt ein nach durchaus modernen Grundsätzen ausgearbeitetes Steuergesetz, das in der Volksabstimmung vom 24. Dezember 1922 mit grosser Mehrheit angenommen wurde.

Die Steuern sind ziemlich mässig gehalten, was namentlich auf den Umstand zurückzuführen ist, dass der regierende Landesfürst, Johann II., der die Regierung schon seit dem 12. November 1858, also seit bald 65 Jahren, inne hat, aus privaten Mitteln grosse Beiträge an Kirchen- und Schulhausbauten, wie auch an den Landesunterhalt im allgemeinen geleistet hat. Im Jahre 1920 hat der Fürst zur Tilgung der Lebensmittelschuld des Landes ein Darlehen von Fr. 550,000 gegeben und dabei jährliche Rückzahlungen von Franken 20,000 sich ausbedungen; doch hat er sich vor kurzem bereit erklärt, die jährlichen Rückzahlungen von Fr. 20,000 Landeszwecken zu widmen, was einem Verzicht auf die Darlehenstilgung gleichkommen dürfte. Wenn diese Lebensmittelschuld ausser Rechnung gelassen wird, so ergibt die Bilanz der fürstlichen Landeskasse auf 31. Dezember 1922 einen Aktivsaldo von schweizerischen Franken 90,270.71.

Die Landessparkasse ist ähnlich einer kleinen Kantonalbank ausgebaut worden und erhält ein Dotationskapital von einer Million Franken. Laut Zählung vom 7./8. März 1920 waren im Land vorhanden 22 Millionen Kronen und ebensoviel sollen die liechtensteinischen Guthaben in den österreichischen Banken betragen. Mit Gesetz vom 27. August 1920 wurde bestimmt, dass sämtliche Steuern, Gebühren, Taxen und Bussen in Schweizerfranken zu entrichten seien. Auch aus dem privaten Handel und Verkehr in Liechtenstein ist die österreichische Krone tatsächlich ausgeschaltet.

Der wichtigste Erwerbszweig der Bevölkerung ist die Viehzucht, deren Blüte hauptsächlich auf den zahlreichen, schönen Alpen des Landes beruht. Daneben liefern die ausgedehnten Waldungen, namentlich aus Nadelholz bestehend, bedeutende Erträgnisse, so dass Nutz- und Bauholz ausgeführt werden kann und Brennholz genügend im Lande ist. In den Steinbrüchen von Balzers wird ein ausgezeichneter Baustein gewonnen; auch reiche Gipslager sind vorhanden-. In Vaduz und Triesen befinden sich eine grössere Baumwollspinnerei und drei mechanische Baumwollwebereien. In guten Zeiten beschäftigten diese von Schweizern geleiteten Fabriken 650 Arbeiter und Arbeiterinnen. In Eschen bildet die Maschinenstickerei einen nennenswerten Erwerbszweig. Viele Liechtensteiner und Liechtensteinerinnen wandern jährlich aus, um als Maurer, Gipser, Waldarbeiter, Dienstmädchen etc., namentlich in der Schweiz, ihr Brot zu verdienen und Ersparnisse zu machen.

Infolge des Waldreichtums, des Wein- und Obstbaues, der einträglichen Viehzucht und der Verdienstmöglichkeiten in den bestehenden Fabriken und Sägereien sowie in der benachbarten Schweiz kann die Kaufkraft Liechtensteins als ordentlich bezeichnet werden. Die Liechtensteiner kaufen die Lebensmittel, soweit ihre Eigenproduktion den Bedarf nicht deckt, in der Schweiz und liefern dafür Eier, Gemüse, Häute, Felle, Torf, Bau- und Nutzholz und auch Brennholz. Von Österreich-Ungarn wurden vor dem Kriege hauptsächlich bezogen Konfektionswaren, Wollgewebe, Schuhe, landwirtschaftliche Werkzeuge und Maschinen, Mehl, Salz und Zucker, wogegen namentlich Vieh nach Österreich ausgeführt wurde. Unmittelbar nach dem Krieg ging die Viehausfuhr nach der Schweiz, wohin im Jahre 1919 aus Liechtenstein, dessen Viehstand während der Kriegsjahre zurückgegangen ist, ca. 400 Stück Rindvieh und 90 Schafe im Werte von ca. Fr. 350,000 ausgeführt worden sind, stark zurück. Die mit Rücksicht auf die Absatzkrise in der schweizerischen Landwirtschaft erlassenen Einfuhrbeschränkungen haben die Viehausfuhr nach der Schweiz in den letzten Jahren aber völlig unterbunden.

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Das Fürstentum hat, nachdem sich der Zollanschluss an die Schweiz verzögerte, einen provisorischen Zolltarif eingeführt. Die auf Grund dieses Tarifs im Jahre 1922 erhobenen Zolleinnahmen betragen Fr. 160,241.46; nach Abzug der Grenzwachtkosten von Fr. 42,920.05 verbleibt eine Reineinnahme von Fr. 117,321.41. Es ist dabei nicht ausser acht zu lassen, dass die Zollansätze des liechtensteinischen Tarifs sehr mässig gehalten und ganz bedeutend niedriger sind als die in der Schweiz auf Grund des Generaltarifs gegenwärtig geltenden Ansätze; auch besteht im Verhältnisse zu Österreich Zollfreiheit.

In der liechtensteinischen Öffentlichkeit ist schon der Gedanke vertreten worden, dass das Land von einer Zollunion mit einem Nachbarstaat Umgang nehmen und eigene Zollpolitik treiben solle. Wenn diese Bestrebungen, obschon sie auf eine Wahrung der vollen Selbständigkeit Liechtensteins gerichtet sind, bisher nicht viel Anhänger gefunden haben, so dürfte dies darauf zurückzuführen sein, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung und mit ihm die fürstliche Regierung einsahen, dass das liechtensteinische Gebiet eigener wirtschaftlicher Hilfsmittel allzusehr ermangelt, als dass die Aufrechterhaltung eines eigenen Zollregimes dem Anschluss an fremdes Zollgebiet auf die Dauer vorgezogen werden könnte. Namentlich der liechtensteinische Vieh- und Milchexport, die wichtigste Einnahmequelle des Landes, kann nur dann einigermassen sichergestellt werden, wenn das Land Teil eines Wirtschaftsgebiets bildet, das Gewähr für Absatzmöglichkeiten von Vieh und landwirtschaftlichen Produkten bietet.

Von dieser Erkenntnis geleitet, hatten die Vertreter der liechtensteinischen Gemeinden im Jahre 1848 eine Petition an den Landesfürsten gerichtet, in welcher sie über die mit der abgeschlossenen Lage des Landes verbundenen Nachteile Klage führten und um die Beseitigung der den freien Verkehr mit den übrigen deutschen Bundesstaaten hindernden Zollschranken baten. Diesem Begehren wurde vom Fürsten in der Weise entsprochen, dass durch einen im Jahre 1852 abgeschlossenen Vertrag das Fürstentum dem österreichisch-ungarischen Zollgebiet angegliedert wurde. Dieser Vertrag wurde von österreichischer Seite im Jahre 1862 gekündigt, so dass sich damals in Liechtenstein eine starke Bewegung zugunsten des Zollanschlusses an die Schweiz geltend machte. Der Vertrag mit Österreich wurde indessen mit Zustimmung des Landtags Ì864 erneuert und blieb bis zum Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie in Kraft.

Wenn die Forderungen auf Niederreissung der das Land einengenden Zollschranken bereits im Jahre 1848 als berechtigt anerkannt werden mussten, so konnte 70 Jahre später, nachdem inzwischen das Verkehrswesen eine gewaltige Entwicklung erfahren hatte, das Fürstentum nicht wohl in die Abgeschlossenheit früherer Zeiten zurückkehren. Das Land hat denn auch durch unzweideutige Kundgebungen im Sinne des Zollanschlusses an die Schweiz zu der Frage Stellung genommen, welche Lösung sich schon im Hinblick auf die inzwischen übernommene Frankenwährung aufdrängt. In der Tat sieht sich der liechtensteinische Bauer und Gewerbetreibende wie jeder Erwerbende, der die Landessteuern und Gebühren in Franken entrichten, seine Angestellten in Franken entlöhnen und seine Lebensbedürfnisse in Franken begleichen muss, notgedrungen darauf angewiesen, enge Verbindung mit dem schweizerischen Wirtschaftsgebiet zu suchen.

Wenn somit auf Seiten Liechtensteins von einer nennenswerten Gegnerschaft, die eine Zolleinigung mit der Schweiz aus grundsätzlichen Erwägungen bekämpfen würde, kaum die Rede sein kann, so bleibt noch zu untersuchen, ob einer Zollgemeinschaft, die notwendigerweise zu einer Wirtschaftsgemeinschaft sich ausgestalten würde, nicht etwa vom schweizerischen Standpunkt aus gewichtige Bedenken entgegenstehen.

Da ist nun nicht zu übersehen, dass sich namentlich in dem an das Fürstentum anstossenden sanktgallischen Bezirke Werdenberg eine ziemliche Opposition geltend gemacht hat, die von dem Vorhaben als einem gewagten Unternehmen nichts wissen will und in einer Eingabe an den Bundesrat das Gesuch stellte, es möge von der Verwirklichung der Zollunion, als den schweizerischen Interessen gefährlich, Umgang genommen werden. Die von den Gegnern einer Zolleinigung vorgebrachten Gründe sind im wesentlichen die folgenden:

In erster Linie wird darauf hingewiesen, dass die bisherige Grenze, die in der Hauptsache mit dem Rheinlauf zusammenfalle, bedeutend leichter zu überwachen sei als die neue Zollgrenze, die in schwer übersichtliches, zur Ausübung des Schmuggelgewerbes sehr geeignetes Gelände zu liegen komme. Infolgedessen müsste die Grenzwache verstärkt werden, was beträchtliche Mehrkosten im Gefolge habe.

Andere Bedenken bestehen darin, dass sich die Notwendigkeit ergebe, die gesamte wirtschaftliche Gesetzgebung der Eidgenossenschaft auf Liechtenstein zur Anwendung zu bringen, um jeglichen Einbruch in unser Wirtschaftssystem zu verhüten. Dadurch würde aber Liechtenstein in seiner Stellung als souveräner Staat betroffen und seine Regierung in gewisser Hinsicht von den Verfügungen der schweizerischen Behörden abhängig. Es ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob die schweizerische Bundesverfassung überhaupt eine derartige Anwendung der Bundesgesetzgebung ausserhalb der politischen Landesgrenzen zulasse. Die Schwierigkeiten, die daraus entstehen könnten, dass Liechtenstein die für sein Gebiet gültig erklärten eidgenössischen Vorschriften nicht gehörig durchführe, könnten die Schweiz in eine unangenehme Lage bringen und für sie unter Umständen mit finanziellen Einbussen verbunden sein.

Der ablehnenden Haltung der werdenbergischen Zollanschlussgegner liegt insbesondere die Befürchtung zugrunde, dass durch den Zollanschluss die bedeutenden Interessen der Ortschaft Buchs als Zollabfertigungs- und Durchreisestelle nach Österreich stark gefährdet seien. Auf österreichischer Seite gehe man nämlich mit dem Gedanken um, sich den gegenüber der Schweiz bestehenden vertraglichen Verpflichtungen, zufolge deren das österreichische und das schweizerische Zollamt gemeinsam in Buchs untergebracht sein müssen, zu entziehen und grosse Zoll- und Bahnhofanlagen in Feldkirch zu erstellen. Diesen Bestrebungen werde durch die geplante Verlegung der schweizerischen Zollgrenze Vorschub geleistet. Im übrigen hätten die Fälle, in denen Landes- und Zollgrenzen nicht übereinstimmen, stets Komplikationen und Schwierigkeiten zur Folge gehabt, so dass es vorsichtiger sei, an den gegenwärtigen Zuständen nicht zu rühren. Die Einwendungen dieser Gegner einer Zollgemeinschaft gipfeln in der Forderung, es sei auf einen Zollanschluss nicht einzutreten und der besondern Lage Liechtensteins durch Einrichtung einer Freizone oder Gewährung der Vorteile des kleinen Grenzverkehrs gerecht zu werden.

Der Bundesrat hat die örtlichen Verhältnisse der Gegend, in welche die schweizerische Zollgrenze verlegt werden soll, durch eine Kommission untersuchen lassen, in der die Leitung der Oberzollverwaltung und des 3. Zollkreises sowie der Grenzwacht vertreten waren. Die Ergebnisse, zu denen der Bericht dieser Fachleute gelangt, sind einer Zollverlegung durchaus günstig und geeignet, die erhobenen Bedenken und Besorgnisse zu entkräften.

Was den von den Gegnern einer Zollunion angestellten Vergleich der jetzigen Rheingrenze mit der neuen Grenze anbelangt, so muss er als gänzlich unzutreffend bezeichnet werden. Das Rheinbett, das auf beiden Seiten mit tief in das Land hineinreichendem Gebüsch und Wald bewachsen und bei welchem das Land auf beiden Ufern von Kanälen und Dämmen durchzogen ist, kann nicht als übersichtliches Gelände angesehen werden. Die Rheingrenze ist im Spätherbst und über den ganzen Winter für den Schmuggel sogar sehr günstig, zumal die Übergänge sich nicht im unwirtlichen Hochgebirge, sondern im flachen Tale befinden und zum Teil noch unübersichtlicher sind als diejenigen über die künftige Zollgrenze.

Die Erfahrungen, welche die Zollverwaltung namentlich während der Zeit der Handhabung der Ausfuhrverbote hat machen müssen, lassen keinen Zweifel darüber zu, dass weder der Rhein noch hohe Gebirgsketten den Schmuggel zu hindern vermögen, dass aber auch nicht in einem Gelände am meisten geschmuggelt wird, das sich hierfür besonders gut eignet. Für den Schmuggel weit günstiger sind die Grenzen der Kantone Schaffhausen, Basel und Genf, sowie der Jura, wo die Grenzlinie durch grosse Wälder geht, diesseits und jenseits der Grenze grosse Geschäfts- und Industriezentren liegen und die Bevölkerung ebenso gut wie im Rheintal gewisse Elemente aufweist, die den Schmuggel begünstigen. Es ist aber der Zollverwaltung trotz dieser Schwierigkeiten immer noch gelungen, dem Schmuggelgewerbe das Handwerk zu legen, und es dürfte ihr auch an der neuen Zollinie, deren Überwachung durchaus nicht sehr schwierig ist, möglich sein, ohne einen allzu grossen Aufwand an Personal dem Schmuggel Meister zu werden.

Die durch den Zollanschluss notwendig werdende Vermehrung des Mannschaftsbestandes der Grenzwache wird ungefähr 12 Mann betragen. Dabei muss erwähnt werden, dass dieser Zuwachs mit den frei werdenden 38 Mann reichlich genügen wird, um die Grenze gegen Österreich zu sichern. Vergleiche mit dem Bestand ausländischer Grenzwachen sind unhaltbar. Während die deutsche Grenzwache an der schweizerisch-deutschen Grenze ungefähr den dreifachen Bestand der schweizerischen Grenzwache aufweist, hat Frankreich an der schweizerisch-französischen Grenze etwa sechsmal mehr Grenzwächter stehen als die Schweiz. Gegenüber Italien ist das Verhältnis ungefähr das nämliche wie bei Frankreich. Wenn Österreich für die liechtensteinisch-vorarlbergische Grenze 64 Mann vorsah, so will das nicht besagen, dass dies ein Minimum sei, unter das auch die Schweiz nicht gehen dürfe. Die einfache Organisation und der Dienstbetrieb der schweizerischen Grenzwache ermöglichen eine intensivere Verwendung der Mannschaft.

Was die Unterkunft des Zollpersonals betrifft, so ist auch diese Frage gründlich geprüft worden. Da das Zollamt Buchs-Bahnhof als Eingangszollamt mit all seinen Einrichtungen bestehen bleibt, so sind kostspielige Bauten an der neuen Grenze nicht notwendig. Die Befürchtung, dass letzten Endes die Schweiz die Kosten für derartige Bauten werde tragen müssen, ist daher ebenfalls hinfällig.

Die mit Rücksicht auf eine Schmälerung der Souveränität Liechtensteins geäusserten Bedenken würde man im Grunde genommen eher von liechtensteinischer als von schweizerischer Seite erwarten. Es ist nun offenkundig, dass sich Regierung und Volk in Liechtenstein volle Rechenschaft darüber geben, dass die Übertragung der Ausübung eines Teils der staatlichen Hoheitsrechte an einen andern Staat eine tatsächliche Einschränkung der Hoheitsgewalt für die Dauer des Vertrages notwendigerweise mit sich bringt. Von einer auch nur teilweisen Aufgabe der Souveränitätsrechte selbst kann jedoch nicht gesprochen werden, solange das Vertragsverhältnis zeitlich befristet ist und Liechtenstein durch Vertragskündigung sich seine volle Freiheit in der Ausübung der fraglichen Hoheitsrechte zurückgewinnen kann. Nachdem das Land während siebzig Jahren sich in einer Zollunion befunden hat, sind Nachteile und Vorteile einer solchen den Liechtensteinern wohl bekannt, und kann nicht angenommen werden, dass sie sich über deren Tragweite irrigen Vorstellungen hingeben. Anderseits darf auch hervorgehoben werden, dass ein Staatswesen wie Liechtenstein in einem derartigen Vertrauensverhältnis, wie es eine Zollunion darstellt, wohl keine grössere Garantie für die Unantastbarkeit seiner Souveränität besitzen kann, als sie in dem Umstande liegt, dass gerade die schweizerische Eidgenossenschaft sein Gegenkontrahent ist. Unnütz wäre es, darüber weitere Worte zu verlieren.

Der Einwand, dass eine Ausdehnung des Zollgebiets über die Landesgrenzen in der schweizerischen Bundesverfassung nicht vorgesehen sei, widerlegt sich wohl von selbst durch die Erwägung, dass eine solche Möglichkeit auch nicht notwendigerweise in der Verfassung erwähnt sein muss. Die durch Staatsverträge geordneten Rechtsverhältnisse sind völkerrechtlicher, nicht staatsrechtlicher Natur. So sind auch bei einem Zollanschlussvertrage die Beziehungen der beiden Staaten diejenigen zwischenstaatlicher Gleichstellung und nicht staatsrechtlicher Über- und Unterordnung. So viel Ungewohntes nach schweizerischer Auffassung auch die Vorstellung haben mag, dass der Wirkungskreis schweizerischer Behörden über die Landesgrenzen hinaus sich erstrecken soll, so ist doch unbestreitbar, dass diese Ausdehnung der Tätigkeit schweizerischer Beamten nach Form und Geist mit der Bundesverfassung nicht im Widerspruche steht, die vielmehr unsern Behörden die Möglichkeit gewährt, sich in den Dienst der Behebung menschlicher Not und Bedrängnis an unsern Grenzen zu stellen. Diese humanitären Bestrebungen liegen in der gleichen Linie einer Politik, welche die Eidgenossenschaft besonders auch in den Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit befolgt hat und welcher untreu zu werden im vorliegenden Falle umso weniger Grund vorhanden ist, als dadurch keiner Partei ein Vorteil erwachsen würde.

In der Besorgnis, dass die in Liechtenstein anwendbare Bundesgesetzgebung dort nicht in richtiger Weise zur Durchführung gelangen könnte, steckt unverkennbar ein gewisses Misstrauen in die Fähigkeit, wenn nicht gar in den guten Willen der liechtensteinischen Behörden, die mit dem Vertrage verbundenen Verpflichtungen zu erfüllen. Wenn man nach den Gründen sieht, welche die erhobenen Zweifel rechtfertigen sollen, so begegnet man vor allem der Behauptung, dass die liechtensteinische Bevölkerung, die sich während des Krieges zum Teil in weitgehendem Masse dem Schmuggel hingegeben habe, den Zollanschluss an die Schweiz namentlich in der Hoffnung erstrebe, die mit der Lage Liechtensteins als Grenzstrich gegen Vorarlberg verbundenen Vorteile einheimsen zu können; dazu komme die Aussicht, wieder jährlich eine bestimmte Entschädigungssumme, wie zu Zeiten der Union mit Österreich-Ungarn, zu erhalten. Anderseits sei im Ländchen kein Interesse vorhanden, die durch den Vertrag übernommene Bundesgesetzgebung zur strikten Anwendung zu bringen, wie es auch keine Gewähr für die Durchführung dieser Vorschriften zu bieten vermöge.

Was den Vorwurf der Betreibung des Schmuggelgewerbes betrifft, so dürfte nicht zu bestreiten sein, dass in dem Grenzland Liechtenstein wie in andern ähnlichen Gebieten als unmittelbare Folge des Krieges und der Valutenentwertung Schmuggel und Schiebertum geblüht haben, ohne dass jedoch gesagt werden könnte, dass dies dort in höherem Masse als in andern Grenzgegenden mit gleichartigen Verhältnissen der Fall gewesen und dass das Liechtensteinervolk dem Schmuggelwesen ganz besonders zugetan sei. Es wäre im übrigen sicherlich ungerecht, wenn man die tatkräftigen und erfolgreichen Anstrengungen unseres Nachbarländchens übersehen wollte, die es in den letzten Jahren unternommen hat, um die ausserordentlich schweren Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit zu überwinden und das Fürstentum wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Was in der kurzen Zeitspanne von wenigen Jahren in dieser Hinsicht geschehen ist, tut kund, dass Volk und Behörden in Liechtenstein voll guten Willens für eine baldige Herbeiführung geregelter Friedenszustände in dem Lande sind, wobei in weitgehender Weise schweizerische Einrichtungen zum Vorbilde genommen werden. Die erfolgreichen Anstrengungen der liechtensteinischen Regierung, das Land aus eigenen Kräften wieder einer bessern Zukunft entgegenzuführen, berechtigen zu der Hoffnung, dass sie sich auch bemühen wird, die einzuführende Bundesgesetzgebung in loyaler Weise zur Anwendung zu bringen. Sollten sich dabei im Anfang praktisch irgendwelche Schwierigkeiten ergeben, so ist nicht daran zu zweifeln, dass sich in gegenseitigem Einvernehmen ein Weg zu deren Beseitigung finden lässt. Was seinerzeit unter der österreichisch-ungarischen Verwaltung möglich war, wird gewiss auch unter dem Regime der eidgenössischen Zollverwaltung ausführbar sein.

Hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit die Zollamtsverhältnisse in Buchs durch eine Verlegung der schweizerischen Zollgrenze an die liechtensteinisch-vorarlbergische Grenze berührt werden, sind wir der Auffassung, dass der Zollgrenzverlegung im erwähnten Belange keine wesentliche Bedeutung zukommen kann. Da Liechtenstein seine Zollgemeinschaft mit Österreich schon seit einigen Jahren aufgelöst hat und für letzteres Zollausland geworden ist, so werden sich für Österreich die tatsächlichen Verhältnisse in Verkehrs- und zolltechnischer Hinsicht bei einer Zollunion Liechtensteins mit der Schweiz gegenüber dem jetzigen Zustand eher vereinfachen, da dann schweizerisches und österreichisches Zollgebiet im fraglichen Grenzstrich wieder aneinanderstossen würden, während jetzt Liechtenstein als schmaler Streifen dazwischen liegt. Die Beweggründe, auf die das österreichische Vorhaben einer Verlegung des österreichischen Zollamts von Buchs nach Feldkirch zurückgeht, sind nicht im Zollanschluss, sondern in der Verteuerung der Unterhaltskosten des österreichischen Beamtenapparates in Buchs zu suchen, die ihrerseits durch die Entwertung der österreichischen Krone verursacht worden ist. Zum Zwecke einer Behebung der in diesem Umstande liegenden Schwierigkeiten schweben gegenwärtig Unterhandlungen zwischen der schweizerischen und der österreichischen Regierung. Schweizerischerseits ist man dabei in der Lage, sich auf einen unanfechtbaren Rechtsboden zu stützen, indem der Artikel 18 des Staatsvertrages vom 28. August 1870 mit Österreich ausdrücklich bestimmt, dass an der österreichisch-schweizerischen Grenze für die Zollbehandlung an den Anschlusspunkten der beiderseitigen Eisenbahnen vereinigte (österreichisch-schweizerische) Zollämter mit den erforderlichen Befugnissen errichtet werden sollen. Ein Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz ist nun, wie schon gesagt, ohne Einfluss auf die Beurteilung dieser Verhältnisse, da die Eisenbahnlinie Buchs - Feldkirch nach wie vor sich im Eigentum der österreichischen Staatsbahnen befindet, welche, wie auch die österreichischen Zollbehörden, durch die zitierte Vertragsbestimmung gebunden bleiben.

Um schliesslich noch einen hin und wieder gehörten Einwand zu erwähnen, so besteht in einigen Köpfen die Befürchtung, dass durch den Zollanschluss Liechtensteins neuerdings wieder die Vorarlberger Anschlussfrage in Fluss gebracht werden könnte. Glücklicherweise befindet sich Österreich auf dem Wege der innern Gesundung und Festigung, so dass gegenwärtig ein Vorarlbergerproblem kaum mehr existiert und unser Land auch keinen Anlass hat, zu ihm Stellung zu nehmen. Als Präjudiz für ein allfälliges künftiges Verhalten der Schweiz gegenüber Vorarlberg darf aber die Zollverbindung nicht betrachtet werden; denn dem Vorarlberg kommt denn doch eine ganz andere Bedeutung im Verhältnisse zur Schweiz zu als dem an Hilfsmitteln aller Art weit beschränkteren Liechtenstein.

Die verschiedenen angeführten Erwägungen enthalten in sich schon eine Ablehnung des Vorschlages, es sei der Lage Liechtensteins besser als durch eine Zollunion durch Erklärung des liechtensteinischen Gebiets als Freizone oder durch Gewährung von Erleichterungen im Grenzverkehr Rücksicht zu tragen. Wenn das Fürstentum Liechtenstein als Freizone erklärt würde oder wenn eine weitgehende Erleichterung im Grenzverkehr zugebilligt werden könnte, so würde das Opfer, das die Schweiz zu bringen hätte, ein weit grösseres als im Falle einer Zollunion sein. Es ist leicht möglich, dass mit der Zeit ein eigentliches Zollfreilager im Bahnhof Buchs eingerichtet wird; gegenwärtig bestehen solche Zollfreilager in Basel und Chiasso. Sollte Liechtenstein Freizone werden, so würde selbstredend der ganze Zolltransportverkehr ab Lager von liechtensteinischem Gebiet aus sich abwickeln und Buchs mit seinen Bahnhofanlagen mehr und mehr ausgeschaltet. Grössere Erleichterungen im Grenzverkehr müssten auf Kosten unserer Landwirtschaft zugestanden werden, was nicht im Interesse der Schweiz liegen kann. Ausserdem ist aber nicht zu übersehen, dass auch den liechtensteinischen Interessen bloss mit einem Zonenregime oder mit Grenzverkehrserleichterungen nicht gedient ist; denn der sichere wirtschaftliche Rückhalt, den das Land sucht und nötig hat, wird durch derartige Vergünstigungen nicht herbeigeführt, und es würde dem Fürstentum mit den Zolleinnahmen auch eine finanzielle Quelle abgehen, deren sein Staatshaushalt nicht entraten kann.

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Die Verhandlungen über einen Zollanschlussvertrag wurden in der Weise geführt, dass der Bundesrat von den beteiligten Departementen einen fertigen Vertragsentwurf ausarbeiten liess, welcher der liechtensteinischen Regierung auf diplomatischem Wege zur Gegenäusserung übermittelt wurde. Diese gab ihre Stellungnahme und Abänderungsvorschläge in einer Note an den Bundesrat bekannt, worauf diese Anträge von den in Frage kommenden Departementen geprüft wurden. Ein vom Bundesrate daraufhin genehmigter bereinigter Vertragstext erhielt nach einigen redaktionellen Änderungen auch die Zustimmung der Regierung des Fürstentums. Der Vertrag ist am 29. März 1923 vom Vorsteher des politischen Departements als Vertreter des Bundesrates und dem liechtensteinischen Geschäftsträger in Bern als Vertreter der fürstlichen Regierung unterzeichnet worden.

In dem Ingress des Vertrages ist ein Vorbehalt zugunsten der landesherrlichen Hoheitsrechte des Fürsten von Liechtenstein eingeschaltet, der auf einen Wunsch der liechtensteinischen Regierung aufgenommen wurde, die durch eine derartige Bestimmung gern dokumentiert sieht, dass die volle Souveränität des Staates Liechtenstein auch nach Abschluss des Zollanschlussvertrages mit der Schweiz unbestritten ist.

Der Vertrag selbst zerfällt in acht Abschnitte, denen ein Schlussprotokoll und zwei Vertragsanlagen beigegeben sind.

Im ersten Abschnitt finden sich nach dem einleitenden Artikel, der die Eingliederung des Fürstentums in das schweizerische Zollgebiet festsetzt, noch allgemeine Bestimmungen des Inhalts, dass die Zahlung sämtlicher auf Grund der Vertragsbestimmungen zu entrichtenden Abgaben, Bussen und Beiträge in schweizerischer Währung auszurichten seien, sowie dass der in Anwendung des Vertrages notwendige schriftliche Verkehr zwischen den Behörden beider Länder ohne Inanspruchnahme des diplomatischen Weges erfolgen könne.

Die Anführung der schweizerischen Rechtsvorschriften, die durch den Zollanschluss in Liechtenstein zur Anwendung gelangen müssen, bildet den Inhalt des zweiten Abschnittes. Vor allem wird bestimmt, dass die gesamte schweizerische Zollgesetzgebung, aber auch die übrige Bundesgesetzgebung zur Einführung gelangen müsse, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedinge. Ausgenommen hiervon sind lediglich die bundesrechtlichen Vorschriften, durch welche eine Beitragspflicht des Bundes begründet wird (Art. 4). Die durch diese Bestimmung dem Fürstentum auferlegten Lasten sollen bei Bemessung der Höhe der an Liechtenstein von der Schweiz auszurichtenden Pauschalsumme (vgl. unten zu Art. 35) wieder ausgeglichen werden. Das Fürstentum hat sich ferner aber auch verpflichtet, sofern es der Bundesrat als notwendig ansehen sollte, die Bundesgesetzgebung und die von der Schweiz eingegangenen internationalen Übereinkünfte über gewerbliches, literarisches und künstlerisches Eigentum für sein Gebiet in Kraft zu setzen, wogegen sich die Schweiz ihrerseits bereit erklärt, zu einer Einführung dieser gesetzlichen Bestimmungen und internationalen Vereinbarungen in Liechtenstein schon vorher Hand zu bieten, wenn von der fürstlichen Regierung ein bezüglicher Wunsch ausgesprochen werden sollte (Art. 5). Die Stellung Liechtensteins gegenüber der Eidgenossenschaft hinsichtlich der auf seinem Gebiet einzuführenden Bundesgesetzgebung kommt derjenigen eines Kantons gleich, unter Vorbehalt der in Artikel 4 erwähnten Ausnahme (Art. 6).

Sämtliche für die Schweiz während der Dauer des Zollanschlussvertrages geltenden Handels- und Zollverträge mit fremden Staaten kommen auch auf Liechtenstein zur Anwendung. Bei Eingehung neuer Handels- und Zollverträge mit Österreich ist der fürstlichen Regierung ein Mitspracherecht eingeräumt (Art. 7 und 8).

Um einen klaren Überblick zu gewinnen über den Umfang der auf Grund des Vertrages im Fürstentum einzuführenden neuen Rechtsvorschriften, sind dem Vertrage zwei Anlagen beigefügt worden, von denen die erste die gegenwärtig geltenden, in Liechtenstein anzuwendenden bundesrechtlichen Erlasse und die zweite die im Fürstentum anzuwendenden geltenden schweizerischen Handels- und Zollverträge enthält. Ergänzungen und Abänderungen der in den beiden Anlagen aufgeführten Erlasse und Verträge werden dem Fürstentum bekanntgegeben, ebenso wie neue, gemäss dem Vertrage mit Liechtenstein einzuführende rechtliche Bestimmungen (Art. 9 und 10).

Der dritte Abschnitt regelt die zolltechnischen Bedingungen, unter welchen der Zollschutz von der eidgenössischen Zollverwaltung in Liechtenstein zu übernehmen und durchzuführen ist. Der Artikel 15 sieht vor, dass für die Zollabfertigung im lokalen Bahnverkehr von und nach dem Fürstentum auf den Stationen Schaan-Vaduz und Nendeln Zollämter errichtet werden sollen. Für den internationalen Reise- und Güterverkehr findet die Zollabfertigung in Buchs statt.

Die Zollamtsgebäude sind von der liechtensteinischen Regierung auf ihre Kosten zu beschaffen und zu erhalten; doch fallen ihre Einrichtung, Beheizung und Beleuchtung zu Lasten der schweizerischen Zollverwaltung (Art. 16). Die Kosten der Unterbringung der Grenzwache trägt ebenfalls die schweizerische Zollverwaltung (Art. 17).

Der vierte Abschnitt behandelt die rechtliche Stellung des in Liechtenstein stationierten schweizerischen Zollpersonals. Mit Ausnahme des Dienstes im Grenzwachtkorps können auch liechtensteinische Staatsangehörige im schweizerischen Zolldienst angestellt werden (Art. 26).

Die schweizerischen, in Liechtenstein stationierten Beamten und Angestellten sowie ihre Angehörigen haben den zivilrechtlichen Wohnsitz in Buchs und unterstehen auch in strafrechtlicher Hinsicht nicht den liechtensteinischen, sondern den sanktgallischen Vorschriften des Straf- und Strafprozessrechts, sofern nicht für die schweizerischen Grenzwächter die materiellen und prozessualen Vorschriften des eidgenössischen Militärstrafrechts zur Anwendung gelangen (Art. 24 und 25).

Sämtliche Beamte und Angestellte schweizerischer Staatsangehörigkeit in Liechtenstein sind von allen Steuern und Personalleistungen befreit, mit Ausnahme der indirekten Steuern und der Grundsteuern (Art. 28).

Gemäss den Bestimmungen des fünften Abschnitts werden Widerhandlungen gegen die in Liechtenstein anwendbare Bundesgesetzgebung auf Grund des Verfahrens bei Übertretung fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze (Bundesgesetz vom 30.VI.1849) verfolgt und beurteilt, sofern dieses Verfahren vorgesehen ist. Ist letzteres nicht der Fall, so werden die Widerhandlungen in erster Instanz vom Fürstlichen Landgericht beurteilt; Appellationsinstanz ist das Kantonsgericht St. Gallen und Kassationsbeschwerden werden vom Kassationshof des Bundesgerichts erledigt (Art. 27 und 28).

Im übrigen kommt den fürstlichen Behörden in bezug auf die in den beiden Artikeln vorgesehenen Fälle wie auch hinsichtlich der Strafvollstreckung die Stellung kantonaler Behörden zu (Art. 29 und 31).

Das Begnadigungsrecht hinsichtlich der Strafen, die im Fürstentum kraft der übernommenen Bundesgesetzgebung ausgefällt werden, steht den eidgenössischen Behörden zu.

Die Handhabung der Fremdenpolizei, von der der sechste Abschnitt handelt, musste aus dem Grunde in die Vertragsbestimmungen aufgenommen werden, weil die fremdenpolizeilichen Funktionen an der schweizerisch-liechtensteinischen Grenze den Zollorganen übertragen sind. Es ergibt sich somit die Notwendigkeit, im Falle eines Zollanschlusses die Durchführung der Fremdenpolizeikontrolle gegenüber Liechtenstein einer neuen Regelung zu unterziehen. Die Schaffung eines besondern Kordons zur Ausübung der Fremdenkontrolle an der liechtensteinisch-schweizerischen Grenze konnte schon der Kosten wegen, die sich auf ca. 60,000 Fr. jährlich belaufen würden, nicht in Betracht kommen. Anderseits wäre es schwierig gewesen, eine genaue Umschreibung der Verpflichtungen Liechtensteins in den Vertrag aufzunehmen, da es äusserst schwer hält, in den gegenwärtigen Zeiten alle fremdenpolizeilichen Eventualitäten vorauszusehen und zu berücksichtigen.

Die praktisch allein richtige Lösung muss deshalb dahin gehen, auf die Ausübung der fremdenpolizeilichen Grenzkontrolle an der schweizerisch-liechtensteinischen Grenze zu verzichten und Liechtenstein indirekt dazu zu verhalten, von sich aus diejenigen Massnahmen zu treffen, welche zur Vermeidung der Umgehung der schweizerischen Vorschriften über Fremdenpolizei, Niederlassung, Aufenthalt etc. als geboten erscheinen. Die Schweiz behält sich vor, auf Kosten Liechtensteins einen besondern Grenzkordon an der schweizerisch-liechtensteinischen Grenze aufzustellen, falls Liechtenstein durch eine zu laxe Handhabung der Fremdenpolizei die Einwanderung unerwünschter Elemente begünstigen und die schweizerischen Interessen dadurch gefährden sollte (Art, 33 und 34). Diese Möglichkeit in Verbindung mit der kurzen Kündigungsfrist des Vertrages dürfte vollauf genügen, um das Fürstentum zur genauen Ausführung der Vertragsbestimmungen und zu einer gewissenhaften Beobachtung der zu übernehmenden schweizerischen Gesetzgebung anzuhalten und damit die Befürchtungen zu zerstreuen, die in dieser Richtung geltend gemacht worden sind.

Die nähere Regelung der fremdenpolizeilichen Vorschriften bleibt einer besondern Vereinbarung der beiden Regierungen vorbehalten, die gleichzeitig mit dem Zollanschlussvertrag in Kraft treten soll.

Die Festsetzung der im siebenten Abschnitt enthaltenen finanziellen Leistungen der Eidgenossenschaft an das Fürstentum war mit Schwierigkeiten verbunden. Solche stellen sich in allen Fällen von Zollunion einer gerechten Verteilung der Zolleinnahmen entgegen, weil diese nach der Konsumkraft eines jeden Staates, deren Bemessung sehr schwierig ist, vorgenommen werden sollte. In Ermangelung einer andern Basis ist als solche die Bevölkerungsziffer gewählt worden. Es ist dabei eine Durchschnittsbelastung von Fr 20 auf den Kopf der schweizerischen Bevölkerung unter Abzug von 25 % für verminderte Konsumkraft der liechtensteinischen Bevölkerung als Grundlage genommen worden, welche sich ergab aus der durchschnittlichen Berechnung der schweizerischen Zolleinnahmen in den fünf Jahren 1917 bis 1921. Nun ist es allerdings richtig, dass im vergangenen Jahre die Zolleinnahmen eine bedeutende Erhöhung erfahren haben. Demgegenüber darf aber nicht vergessen werden, dass wir unter dem Regime eines provisorischen Zolltarifs leben und dass die Gestaltung der Zollansätze und -einnahmen für die kommende Zeit durchaus ungewiss ist. Ebenso unsicher ist die Höhe der Monopoleinnahmen, die bei Ausdehnung des Alkoholmonopols vermutlich ebenfalls eine Steigerung erfahren dürfte.

Die Bemessung des liechtensteinischen Anteils kompliziert sich noch dadurch, dass bei dessen Festsetzung dem Umstände Rechnung getragen werden muss, dass dem Fürstentum die gemäss Bundesgesetzgebung vom Bund an die Kantone zu leistenden Beiträge nicht gewährt werden. Von der Anwendung der bezüglichen bundesrechtlichen Vorschriften auf Liechtenstein ist Umgang genommen worden (vgl. oben zu Art. 4), weil vorauszusehen war, dass sich hinsichtlich einzelner Abrechnungen im Verhältnis zu den Kantonen Schwierigkeiten ergeben würden. Wenn man nun erwägt, dass diese Beiträge ganz bedeutend sein können und ein billiges Äquivalent für die durch die Bundesgesetzgebung überbundenen Lasten darstellen — wir erinnern nur an die Kosten der Viehseuchenbekämpfung —, so erscheint es gerechtfertigt, dass für den Ausfall der Bundesbeiträge die an Liechtenstein zu gewährende Pauschalsumme in angemessener Weise erhöht werde.

Eine einigermassen genaue Berechnung der Anteilsumme erscheint somit im gegenwärtigen Zeitpunkt als ausgeschlossen, indem einerseits die Höhe der schweizerischen Einnahmen während der ersten Vertragsjahre und anderseits die Konsumkraft der liechtensteinischen Bevölkerung während der gleichen Zeit gänzlich unbekannte Faktoren sind. Die vertragschliessenden Teile haben es unter diesen Umständen als zweckmässig erachtet, vorläufig als festen Anteil des Fürstentums unter Berücksichtigung der Mehrauslagen der eidgenössischen Zollverwaltung eine Pauschalsumme von Fr. 150,000 im Vertrag vorzusehen, in der Meinung, dass dem Fürstentum, wenn sich dieser Betrag als zu niedrig bemessen erweisen sollte, bei einer neuen Festsetzung der Anteilsumme, die alle drei Jahre vorgenommen werden kann, durch entsprechende Erhöhung ein Ausfall ersetzt werden solle (Art. 35 und 36). Gleicherweise kann naturgemäss auch eine zu grosse Leistung der Schweiz durch Reduktion der Summe für die folgende Periode berichtigt werden. Dem Grundsatz eines gerechten Ausgleichs dürfte einer derartigen Regelung voll Genüge getan sein. Falls sich im übrigen eine andere Ordnung, etwa eine prozentuale Beanteiligung Liechtensteins, mit der Zeit als geeigneter erweisen sollte, so bietet Art. 42 des Vertrages die Möglichkeit einer Abänderung, ohne dass der Vertrag gekündet werden müsste.

Über die auf Grund der Bundesgesetze über Stempel- und Couponsabgaben eingehenden Einnahmen führt die eidgenössische Steuerverwaltung besondere Rechnung (Art. 87).

Von den Übergangs- und Schlussbestimmungen des achten Abschnitts verdient die verhältnismässig kurze Kündigungsfrist von einem Jahre Erwähnung, von welcher erstmals nach vierjähriger Vertragsdauer Gebrauch gemacht werden kann (Art. 41). Durch diesen kurzen Kündigungstermin ist vor allem den Bedenken derjenigen Opponenten Rechnung getragen worden, die von der Einbeziehung Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet für die Schweiz nur nachteilige Folgen befürchten. Das Inkrafttreten des Vertrages ist auf 1. Januar 1924 vorgesehen; doch kann dieser Termin gemäss einer Bestimmung im Schlussprotokoll vom Bundesrate hinausgeschoben werden.

Im Schlussprotokoll sind ausserdem noch drei andere Punkte geregelt, vor allem die Spielbankfrage. Liechtenstein verpflichtet sich, während der Geltungsdauer des Vertrages keine Spielbank auf dem Gebiete des Fürstentums zu errichten oder zu dulden. Dadurch ist ein wesentliches Element der Beunruhigung für die Schweiz ausgeschaltet; denn das Projekt einer Spielbankerrichtung in Liechtenstein tauchte von Zeit zu Zeit immer wieder auf, und es wäre fraglich, ob die fürstliche Regierung bei anhaltender wirtschaftlicher Depression länger den Lockungen, die mit dem Spielbankunternehmen für die Bevölkerung verbunden sind, hätte Widerstand leisten können.

Eine Frage, der von liechtensteinischer Seite grosses Gewicht beigelegt wurde, ist diejenige der Sömmerung liechtensteinischen Viehs in verschiedenen Vorarlbergeralpen, die zum Teil ausschliesslich von Bauern des liechtensteinischen Unterlandes bestossen werden. Die letztern wünschten begreiflicherweise eine gewisse Gewähr dafür zu haben, dass ihnen diese Möglichkeit auch unter dem neuen Vertragsverhältnis erhalten bleibe, sowie dass ihnen zugestanden werde, dass im Falle der Durchführung einer Quarantäne beim Rücktrieb des fraglichen Viehs nach Liechtenstein diese Massnahme auf liechtensteinischem Boden zur Anwendung gelange. Die liechtensteinischen Behörden haben darauf hingewiesen, dass alle seuchenpolizeilichen Vorsichtsmassregeln von ihrer Seite beobachtet werden und sich ein sehr geeigneter Platz zur Wartung des Viehs im sogenannten Ruggeller Ried an der österreichisch-liechtensteinischen Grenze befinde. Im zweiten Artikel des Schlussprotokolls ist nunmehr die grundsätzliche Zulässigkeit der Viehsömmerung in den Vorarlbergeralpen ausgesprochen, wobei aber gleichzeitig die uneingeschränkte Anwendung der schweizerischen seuchenpolizeilichen Vorschriften vorbehalten wird.

Der dritte Artikel des Schlussprotokolls enthält einen Verzicht auf die Erhebung von Stempelabgaben in denjenigen Fällen, in denen dieser Erhebung bestimmte Verpflichtungen der fürstlichen Regierung als wohlerworbene Rechte entgegenstehen. Der Möglichkeit einer Hinausschiebung des Datums des Inkrafttretens des Vertrages durch den Bundesrat, welche im letzten Artikel des Schlussprotokolls vorgesehen ist, ist bereits Erwähnung getan worden.

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Wir sind der festen Zuversicht, dass die Bestimmungen des Ihnen vorliegenden Vertrages geeignet sein werden, einer gleichmässigen Wahrung der in Frage stehenden Interessen beider vertragschliessenden Teile zu dienen. Wenn sich bei uns immer wieder Stimmen erheben, die raten, sich fremder Händel zu begeben, und die jedes Entgegenkommen unserseits mit der stereotypen Begründung ablehnen, dass wir genug im eigenen Lande zu helfen und zu sorgen hätten, so erscheint es notwendig, sich darüber Rechenschaft zu geben, dass eine derartige Politik der Zurückhaltung nicht im wahren Vorteile der Schweiz sein kann. Haben wir auch schwer genug an den harten Folgen eines furchtbaren Krieges zu tragen, so ist uns doch die Möglichkeit nicht genommen, einem kleinen Nachbar, der nur durch unsere Hilfe wieder auf festen Boden gelangen kann, unsere Unterstützung zu gewähren. Eindringlich genug lehrt uns die Gegenwart, wie enge Wohl und Wehe der Nationen miteinander verknüpft sind und dass das Leben der Völker von den gleichen Geboten der Solidarität und Hilfeleistung wie das der Individuen beherrscht wird. Erfüllen wir also an unserm bescheidenen Platze diese Pflichten und eine $rolle, die uns vom Geschicke zugewiesen worden ist.

In diesem Sinne empfehlen wir Ihnen den Vertrag zur Genehmigung und beantragen Ihnen, den beigegebenen Beschlussentwurf anzunehmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 1. Juni 1923.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,

Der Vizepräsident:
Chuard.

Der Bundeskanzler:
Steiger.

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[1] Schweizerisches Bundesblatt 1923, Bd. 2, S. 374-392, Nr. 1748. Vom Schweizerischen Bundesarchiv digitalisiert http://www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch/viewOrigDoc.do?ID=10028735 
[2] Übereinkommen vom 10. November 1920 zwischen der Liechtensteinischen Regierung und dem Schweizerischen Bundesrat betreffend die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerische Postverwaltung und schweizerische Telegraphen- und Telephonverwaltung. LGBL. 1922 Nr. 8
[3] Es liegt hier eine Verwechslung vor: Mit Urkunde vom 23.1.1919 wurden die Grafschaft Vaduz und Schellenberg zum Reichsfürstentum Liechtenstein erhoben. In einer zweiten Urkunde mit gleichem Datum wurde Fürst Anton Florian durch Kaiser Karl VI. das grosse Palatinat (das bestimmte Privilegien enthielt) bestätigt.