Handschriftliches Schreiben des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes, gez. Verbandspräsident Augustin Marogg, an Fürst Johann II. [1]
o.D. (ca. 12./13.5.1921), o.O.
Verehrtester Landesfürst!
In zuversichtlicher Hoffnung auf Willfahrung gestattet sich der unterzeichnete Verband das Nachstehende ganz ergebenst vorzutragen:
Obwohl bereits 2 Jahre seit Friedensschluss verflossen sind, ist ein Zustand wirtschaftlicher Beruhigung nicht eingetreten, noch hat sich vermeiden lassen, dass die Erschütterung des Wirtschaftslebens auf die früher neutralen Staaten Europas übergriffen hat.
Auch unser kleines liebes Heimatland ist von den Schlägen und Nachwehen des Weltkrieges nicht verschont geblieben. Auch hierzulande droht wie anderwärts die stetig zu nehmende Arbeitslosigkeit schwere Schädigungen jeder Art zu erzeugen. War schon in Friedenszeiten der Liechtensteiner vielfach genötigt, den Sommer über des Verdienstes wegen im Ausland Arbeit zu suchen, so müsste er auch jetzt in gleicher Weise vorgehen, wenn nicht die Arbeitslosigkeit in den Nachbarländer eine solche Absicht vereiteln würde. Zudem pflegen Einreisebewilligungen in diese Länder für Liechtensteiner von den zuständigen Behörden nur in den aller seltesten Fällen bewilligt zu werden und wenn sie erteilt werden, würden sie in erster Linie gelernten Arbeiten zu gute kommen. Das Gross der ungelernten Arbeiter sieht dem Gespenst der Arbeitslosigkeit mit grosser Sorge ratlos gegenüber. Unser Verband ist bei fürstlicher Regierung im Interesse einer weitgehenden Fürsorge bereits vorstellig geworden, jedoch hat sich diese hohe Behörde, obwohl sie sich dem Ernst der Lage keineswegs verschloss, mangels verfügbarer Mittel leider ausser Stande gesehen hier helfend einzugreifen. Mit der Regierung glaubt der Verband, dass nur durch Schaffung von Arbeitsgelegenheit in weitesten Masse dem offen zu Tage liegenden Notstand wirksam entgegen getreten werden könne.
Der Umstand, dass unsere Landwirtschaft das nötige Vieh nicht absetzen kann und infolge dessen fast kein Geld im Lande ist, wirkt immer mehr für die Arbeitslosigkeit der ungelernten Arbeiter. Grosszügige Unternehmungen im Strassenbau, Bauten zur Sicherung gegen Rheinüberschwemmungen in einer den derzeitigen Anforderungen von Wissenschaft und Technik entsprechenden Weise, eventuelle Vorarbeiten zur Riedentwässerung würden auch dem ungelernten Arbeiter reichlich Arbeitsmöglichkeit erschliessen, wie sie andererseits in gleicher Weise eine Förderung der Wirtschaftskräfte des Landes bedeuten würden.
Der Verband gibt sich deshalb der Hoffnung hin, dass Eure Durchlaucht den bestehenden Verhältnissen gütigst Rechnung tragen und die Ausführung von Notstandsarbeiten seitens der Regierung zur Linderung drückender Not in die Wege leiten möge. [2]
Genehmigen Eure Durchlaucht den Ausdruck unserer vollkommenen
Hochachtung
ergebenster
Augustin Marogg Präs.
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[1] LI LA RE 1921/2078. Stempel der Zentralverwaltung des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes. Gemäss Aktenvermerk der Regierung wurde ihr das Gesuch des Arbeiterverbandes betreffend "Behebung der Arbeitslosigkeit durch Schaffung von Notstandsarbeiten" am 13.5.1921 vorgelegt. Mit Begleitbericht von Regierungschef Josef Ospelt vom 20.5.1921 wurde es dann dem Fürsten unterbreitet (ebd.).
[2] Vgl. das Antwortschreiben des fürstlichen Kabinettsdirektors Josef Martin an den Regierungschef vom 4.6.1921 (LI LA RE 1921/2513 ad 2078 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Nro. 133)).