Maschinenschriftliches Schreiben von Alfons Feger, gez. ders., an Regierungschef Gustav Schädler [1]
16.10.1927, Wien (Hotel Regina)
Sehr geehrter Herr Regierungschef,
Ich beehre mich, Ihnen hiemit einen Bericht über meine Audienz bei Bundeskanzler Prälat Dr. [Ignaz] Seipel zu übermitteln. Zugleich bestätige ich meine an Sie abgesandte Depesche folgenden Inhaltes:
"Heute vormittag mit Bundeskanzler Projekt eingehend erörtert stop Seipel sehr günstig gesinnt stop Ankomme Montag." [2]
Sie haben mir Freitag den 14. c. vom Beschluss der Regierung und der Verkehrskommission Mitteilung gemacht, dass in Sachen des in Frage stehenden Bahnprojektes Schaan-Vaduz-Sargans sofort mit den Regierungen in Bern und Wien Fühlung genommen werden soll. – Sie haben mich ersucht, unverzüglich nach Wien zu reisen und bei seiner Excellenz dem Herrn Bundeskanzler vertraulich zu sondieren, wie sich die österreichische Regierung dem geplanten Bahnprojekte gegenüber verhalten würde. [3] – In Erfüllung Ihres Auftrages habe ich gestern, Samstag vormittag, vorerst bei seiner Eminenz dem Herrn Kardinal Piffel [Friedrich Piffl] vorgesprochen, dem ich bereits meine Ankunft telegraphisch [4] gemeldet hatte, und ihn um Vermittlung einer Audienz beim Herrn Bundeskanzler ersucht, der gerade in diesen Tagen ausserordentlich stark in Anspruch genommen ist. – Der Kardinal sprach seine lebhafte Teilnahme über das schwere Landesunglück aus, das uns betroffen hat und versicherte mich seiner vollständigen Bereitwilligkeit, sich für eine allfällige Hilfsaktion gerne zur Verfügung zu stellen. Er trat sofort mit dem Bundeskanzler in telephonische Verbindung, der mich auf Samstag ½ 12 Uhr ins Bundeskanzleramt bestellte. Wie ich nachträglich erfuhr, hatte der Kardinal noch am gleichen Tage den Kanzler aufgesucht und ihm meine Mission warm empfohlen. - Ich würde Ihnen vorschlagen, dem Herrn Kardinal für seine grossen Bemühungen den Dank der Regierung abzustatten.
Zu Beginn der Audienz übergab ich dem Bundeskanzler Ihr Schreiben, in dem Sie der österreichischen Regierung den Dank für die opferwillige Mithilfe des österreichischen Militärs bei unserer Hochwasserkatastrophe [5] zum Ausdruck brachten. – Excellenz Seipel fand wärmste Worte für das entsetzliche Unglück, welches unser Land heimgesucht hat und das er vor 3 Jahren gelegentlich seines Aufenthaltes in Mehrerau persönlich kennen gelernt hat. Der Kanzler erwähnte, dass er dem Ansuchen um eine limitierte zollfreie Einfuhr von Vieh aus Liechtenstein nach Österreich sofort und gerne entsprochen habe, [6] von dem Gedanken geleitet, jede Massregel zu ergreifen, die uns in dieser schweren Zeit von Nutzen sein könne. – Dasselbe sagte mir Finanzminister Dr. [Viktor] Kienböck, den ich im Vorzimmer des Kanzlers antraf. – Ich brachte nunmehr die Rede auf den eigentlichen Zeck meines Hierseins. An Hand einer Karte des Fürstentums setzte ich dem Kanzler unseren Wunsch auseinander, es möge die durch das Hochwasser zerstörte Bahnlinie Schaan-Buchs nicht mehr in Betrieb gesetzt werden, sondern es solle die Bahn von Schaan aufwärts über Vaduz-Triesen-Balzers bis an die Landesgrenze geführt und von dort aus mit dem Anschluss nach Sargans weitergeführt werden. – Sollte aber von Seiten der Schweiz ein absolutes Hindernis für diese Bahntrasse gemacht werden, so wäre der Plan in Erwägung zu ziehen, eine schmalspurige Bahn bis an die Landesgrenze zu bauen. – Da Sie, sehr geehrter Herr Regierungschef, die Motive dieses Bahnprojektes zur Genüge kennen, kann ich von der Wiederholung hier absehen. Ich will nur kurz erwähnen, dass ich dem Kanzler gegenüber das Projekt eingehend begründete. Ich wies darauf hin, dass Sargans der natürlich gegebene Knotenpunkt der internationalen Bahnlinie Wien-Paris sei, weit geeigneter als Buchs, dass bereits in den Jahren 1870 und 1882 die Linie Schaan-Vaduz-Sargans ernstlich in Betracht kam, dass damals Sargans und Liechtenstein mangels nachhaltiger Vertretung gegenüber Buchs unterliegen musste. – Ferner dass die Linie Schaan-Vaduz-Sargans von Überschwemmungsgefahr gesichert sei, während man bei Instandsetzung der bisherigen Linie keine absolute Sicherheit gegen eine Wiederholung der Hochwasserkatastrophe bieten könne. – Ich machte aufmerksam, dass nach dem Gutachten der Fachleute das furchtbare Unglück in erster Linie auf die zu geringe Höhe der Eisenbahnbrücke zurückzuführen sei, dass also die österreichischen Bundesbahnen für den Schaden verantwortlich gemacht werden müssten. [7] – Falls aber Österreich uns in der Bahnfrage entgegenkomme, dürfte man sich von unserer Seite wohl dazu verstehen, von einer Aufrollung der Schuldfrage und deren Konsequenzen abzusehen. – Unser Land sei in wenigen Jahren 2 mal ruiniert worden, das erste Mal durch die Inflation der österreichischen Krone, das zweite Mal nunmehr durch den Rheindurchbruch.
Der Kanzler hörte meine Ausführungen mit regstem Interesse an und sagte einleitend, dass wir nun hoffentlich gelernt haben werden, die Rheinregulierung den tatsächlichen Anforderungen entsprechend durchzuführen. Es war ihm nämlich nicht unbekannt, dass das Wuhr auf der Schweizer Seite höher ist als auf unserer. Bezüglich der Bahnfrage wünschte er vor Allem den Standpunkt der Schweiz zu kennen, über den ich ihm natürlich noch keine Auskunft geben konnte. Ich erwähnte jedoch, dass Sie sich sofort mit unserem Berner Gesandten [Emil Beck] zu diesem Zwecke in Verbindung gesetzt hätten. – Seipel meinte, dass sich vor Allem Buchs ganz entschieden gegen eine Verlegung der bisherigen Bahnlinie wenden werde, denn er wisse aus den Verhandlungen gelegentlich unseres Zollvertragsabschlusses mit der Schweiz, wie sehr sich damals Buchs für die Beibehaltung des Bahnhofes gewährt hätte. Von Seite Österreichs sähe er vorderhand keine nennenswerten Schwierigkeiten, es sei denn, dass der Neubau der Trasse bis nach Balzers den österreichischen Staat zu grosse finanzielle Verbindlichkeiten auferlegen würde. Es gehe darin einig, dass Sargans der natürliche Knotenpunkt sei, viel geeigneter als Buchs, auch wünsche er lebhaft, dass das Liechtenstein'sche Oberland die längst notwendige Bahnverbindung erhalte. Auch stimmte er bei, dass der Neubau der Bahn ein Mittel wäre, das Land wenigstens teilweise aus seiner schweren Not herauszureissen. Auf eine Diskussion über die Schuldfrage liess er sich selbstredend nicht ein. Der Kanzler versprach mir, als ich ihm nahe legte, dass es hohe Zeit zum sofortigen Handeln sei, die Sache augenblicklich in die Hand zu nehmen. Er werde bereits morgen, Montag, mit den zuständigen Ministerien in Wien und den Vertretern Vorarlbergs sich in Verbindung setzen, natürlich vorbehaltlich der Wahrung der österreichischen, vor Allem der Vorarlberger Interessen. – Ich erwähnte, dass die Gemeinde Schaan bereits ein provisorisches Abkommen mit der Staatsbahndirektion Innsbruck über den Bau der zerstörten Linie getroffen habe, dass die Arbeiten bereits im Gange seien und dass nach Schliessung des Dammdurchbruches bei Schaan in kürzester Zeit der Betrieb aufgenommen werden soll. – Die Bundesbahn rechnet damit, bis spätestens 1. Dezember die Strecke wieder befahren zu können. – Umsomehr sei dringend das Handeln nötig. – Der Kanzler sagte dies neuerdings zu, er erwarte aber auch von uns, dass wir unverzüglich mit der Schweizer Regierung in Verhandlung treten. –
Schliesslich frug er mich, was er denn offiziell von dieser Angelegenheit wissen dürfe. Ich erklärte ihm, dass ich ihn vollständig inoffiziell und in vertraulicher Mission unserer Regierung aufsuche und ich ihn bitte, die ganze Angelegenheit als durchaus inoffiziell zu behandeln. - Der Kanzler war damit sehr einverstanden, denn er wolle vor Allem nicht den Schweizer Gesandten [Maximilian] Jäger, der die Interessen Liechtensteins hier in warmer Weise vertrete, brüskieren. - Er werde also in dieser Frage, solange sie nicht offiziell aufgerollt sei, nicht direkt mit der Liechtenstein'schen Regierung verhandeln, sondern nur durch mich und er bitte mich, zu seiner Verfügung zu stehen, was ich ihm selbstverständlich gerne zusagte. –
Als Resultat der Unterredung steht fest, dass der Bundeskanzler sich wärmstens für uns einsetzen wird und dass wir in ihm einen warmen Vertreter unserer Interessen gefunden haben.
Selbstverständlich muss die ganze Angelegenheit, so lange sie nicht offiziell von Regierung zu Regierung behandelt wird, unter unbedingter Diskretion stehen. –
Ich übergab dem Bundeskanzler als Ergänzung meines mündlichen Vortrages ein Memorandum, das ich in Abschrift beilege. [8]
Zum Schlusse der Audienz bat mich Prälat Seipel, Ihnen, sehr geehrter Herr Regierungschef, seine persönlichen Grüsse zu übermitteln.
Mit dem Ausdrucke vorzüglichster Hochachtung
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