Der Schweizer Bundesrat lehnt die Verlegung des Anschlussbahnhofes von Buchs nach Sargans sowie die Realisierung einer Eisenbahnlinie von Schaan über das liechtensteinische Oberland nach Sargans ab


Maschinenschriftliches Schreiben des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern, Emil Beck, gez. ders., an die liechtensteinische Regierung [1]   

27.10.1927, Bern

An die fürstlich Liechtensteinische Regierung, Vaduz

Sie erteilten mir den Auftrag, [2] in Bern zu sondieren, welchen Standpunkt die Schweiz zur Erstellung einer Bahnlinie von Schaan nach Sargans, mit dortigem Anschluss an die S.B.B. einnehmen würde. Nachdem ich diese Frage mit Herrn Dr. [Peter Anton] Feldscher ganz inoffiziell besprochen habe, kann ich Ihnen darüber folgendes berichten.

Wie ich Ihnen schon mitteilte [3] und wie auch vorauszusehen war, nimmt die Schweiz eine unbedingt ablehnende Stellung ein, und zwar sowohl gegenüber einer eigentlichen Verlegung des Anschlusses der Vorarlberglinie an die S.B.B. von Buchs nach Sargans, wie auch hinsichtlich einer blossen Parallellinie Schaan-Sargans.

1. Die Gründe, welche den Bundesrat zu dieser Stellungnahme veranlassen, dürften jedem geläufig sein, der die Verhandlungen zwischen der Schweiz und Österreich bezüglich der Verlegung des Zollamtes von Buchs nach Feldkirch im Jahre 1923 zu verfolgen Gelegenheit hatte.

a. Hinter diesem neuen Bahnprojekt sieht die Schweiz nämlich in erster Linie das Problem der beabsichtigten Verlegung des Zollamtes von Buchs nach Feldkirch, die ihr so sehr unerwünscht, Österreich aber ebenso willkommen wäre. Denn die Verlegung des Anschlusses der Vorarlberglinie von Buchs nach Sargans würde auch eine Verlegung des Zollamts von Buchs nach Feldkirch zur Folge haben.

In der Tat müsste das Zollamt jedenfalls dann verlegt werden, wenn der Anschluss in Buchs nicht wieder hergestellt, sondern nach Sargans verschoben würde. Und zwar dürfte aus praktischen Gründen Sargans als Zollstation kaum in Frage kommen, sodass mit einer Verlegung nach Feldkirch zu rechnen wäre, weil Schaan (trotz seiner günstigen Lage) wohl sehr wenig Aussicht hätte. Jedenfalls aber würde die Schweiz (und zwar speziell Buchs) die Zollstation verlieren.

Welch gewaltiger Widerstand sich in der Schweiz dagegen erhebt, haben die bereits erwähnten Verhandlungen mit Österreich anlässlich unseres Zollvertrages [4] gezeigt. Trotzdem die Rechtslage für die Schweiz günstig war, entschloss sie sich doch lieber, Österreich in finanzieller Beziehung entgegenzukommen, als mit der blossen Möglichkeit der Verlegung auch nur des österreichischen Zollamts rechnen zu müssen. Es wurde daher vereinbart, dass Österreich nicht mehr die Hälfte, sondern in Buchs nur noch 32 % und in St. Margrethen 29 % der Gesamtkosten der Bahnhöfe zu bezahlen habe, und überdies berechtigt sei, einen Zollgrenzzuschlag zu erheben. Für die Schweiz ergeben sich daraus jährliche Mehrkosten, die mir vorläufig auf ca. 130'000.- Fr. angegeben worden sind. Es ist ohne weiteres klar, dass die Zollstation für Buchs einen gewaltigen Vorteil bedeutet. Die Broschüre der Zollanschlussgegner [5] enthält darüber folgende Ausführungen:

„Was aber die Übersiedlung beider Zollämter und damit die Erhebung Feldkirchs zum internationalen Transitbahnhof an Stelle von Buchs dem Bund (durch die Entwertung der Anlagen und durch seine Beteiligung an den Betriebs- und Unterhaltungskosten des Bahnhofes Feldkirch) und der Gemeinde Buchs (durch den Wegzug der Speditionsgeschäfte und des Grossteils der Beamten – nicht zu reden von dem Umstande, dass künftig ein halbes Hundert Grenzwächter den beträchtlichen Gesamtbetrag ihrer Besoldung nicht mehr auf Schweizer-, sondern auf fremden Boden verzehren würden) für schwere Nachteile bringen müsste, ergibt sich aus den nachstehenden Daten.

Die Speditionsgeschäfte in Buchs beschäftigen zusammen zirka 80 Angestellte, Prinzipalschaft und Angestellte repräsentieren ein steuerbares Einkommen von Fr. 255'000 und ein Steuervermögen von Fr. 436'000.

Die Post im Bahnhof Buchs beschäftigt 45 Angestellte mit einem steuerbaren Einkommen von 152'000 Fr. und einem Steuervermögen von Fr. 209'300.

Das schweizerische Hauptzollamt Buchs ohne das Grenzwachtpersonal zählt 31 Angestellte mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 110'800 und einem Steuervermögen von 197'400.

Das Bahnpersonal im Bahnhof Buchs zählt 210 Mann mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 558'100 und einem steuerbaren Vermögen von Fr. 301'700.

Rechnet man zwecks besserer Übersicht und um von der effektiven Steuereinnahme eine richtige Vorstellung zu erhalten, das steuerbare Einkommen in das entsprechende Steuervermögen um, so hat man die Einkommenssteuersumme auf das ungefähr sechsfache zu erhöhen und erhält, so an Stelle des Einkommens ein Steuervermögen von Fr. 7'060'800, hiezu den Betrag des direkten Steuervermögens von 1'144'400 Franken gezählt, ergibt ein Steuervermögen von 8'205'200 Fr. Hiezu das Lagerhaus der S.B.B. im Bahnhof Buchs mit seinem Steuervermögen von Fr. 669'000 gezählt, ergibt eine mit dem Bahnhof Buchs verbundene Totalsteuersumme von Fr. 8'874'200. Diese Zahlen zeigen, welch' eminentes Interesse sich für die zum Steuerbezug berechtigten staatlichen Organisationen (Bund, Kanton und Gemeinde) an die Erhaltung der bisherigen vertraglichen Einrichtungen im internationalen Grenzbahnhof Buchs knüpft und wie sehr sie für Buchs die eigentliche Lebensfrage bedeutet. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Tatsache hingewiesen, dass die S.B.B. und durch die schweizerische Eidgenossenschaft im Bahnhof Buchs mit einem Brandassekuranzkapital von Fr. 1'265'200 engagiert sind.

Die angegebenen Zahlen können wünschendenfalls amtlich belegt werden.

Es gäbe allerdings noch eine andere Lösung der Rechtsfrage, eine Lösung, die der Zustimmung Österreichs von vornherein sicher wäre und jedem Streit über die Auslegung der Verträge mit einem Ruck den Boden entzöge: der Ankauf der heute billig zu habenden Bahnstrecke Feldkirch-Buchs durch den Bund. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die stillen Wünsche und Bestrebungen der österreichischen Finanz-und Eisenbahnverwaltung auf nichts anderes hinauslaufen, als sich dieses Anhängels an ihr Bahnnetz und der damit verknüpfte kostspieligen Verpflichtungen je bälder je lieber zu entledigen. Aber es bedarf wohl keines besonderen Nachweises, dass eine solche Durchschneidung des gordischen Knotens zugleich den Lebensfaden der Gemeinde Buchs hoffnungslos entzwei schnitte.“

Ausserdem würden die ihm Bahnhof gemachten Institutionen, welche sich auf mehrere Millionen Franken belaufen dürften, zum Teil überflüssig. Ebenso eine Menge privater Bauten. Und zwar würde dieser letztere Umstand natürlich auch dann eintreten, wenn nur eine Verlegung des Zollamtes von Buchs nach Sargans in Frage kommen sollte.

Dass Buchs sich gegen eine Wegnahme des Zollamts energisch und mit Erfolg zu wehren weiss, hat es anlässlich des Zollanschlusses bewiesen. Den gleichen Erfolg würde es wohl selbst dann haben, wenn Sargans an seine Stelle treten sollte. Denn es würde darin von Bund und Kanton und von den S.B.B. unterstützt werden. Einerseits besteht für diese keine Veranlassung, Buchs in seinen wohlerworbenen Rechten zugunsten von Sargans zu verkürzen und andererseits werden sie keine Lust haben, die [6] Millionen, welche im Bahnhof Buchs investiert sind, zum Teil verloren zu geben und in Sargans neue hinein zustecken.

Dieselben Gründe würden in vermehrten Masse gelten bei einer Verlegung des Zollamts nach Schaan. Denn in diesem Falle würden die vielen Vorteile nicht nur Buchs entgehen, sondern der Schweiz überhaupt. Überdies würde eine solche Lösung wohl auch Österreich nicht genehm sein. Wenn Österreich ein gewisses Interesse an einer Verlegung des Bahnanschlusses nach Sargans zeigt, so dürfte dies zum guten Teil diktiert sein durch die Hoffnung, das Zollamt nach Feldkirch zu bekommen, das fortan Vorteile von Buchs geniessen würde. Falls nämlich die Schweiz sich mit dem Anschluss der Arlbergbahn in Sargans einverstanden erklären würde, so wäre damit Österreich von der vertraglichen Verpflichtung, das Zollamt auf Schweizerboden zu belassen, befreit und könnte zum mindesten sein eigenes Zollamt nach Feldkirch herübernehmen. Dieser Vorteil wäre für Österreich so gross, das anzunehmen ist, es werde bereit sein, die neue Linie zur Hauptsache auf eigene Kosten zu bauen. Ohne diesen Vorteil wäre aber das Interesse Österreichs an dieser neuen Linie sicher bedeutend geringer. Ich vermute daher, dass für eine Verlegung des Anschlusses nach Sargans nicht einmal Österreich zu haben wäre, wenn es neuerdings auf die Verlegung des Zollamts nach Feldkirch ausdrücklich verzichten und die neue Linie finanzieren müsste.

Aus dem gleichen Grunde dürfte es auch nicht möglich sein, die Zollbehandlung in Buchs zu belassen (um den schweizerischen Wünschen zu entsprechen) und sich mit einer Parallellinie nach Sargans zu begnügen, da diese Lösung, wie gesagt, für Österreich weit weniger vorteilhaft wäre.

b. Dazu kommt eine weitere Schwierigkeit. Die Schweiz hat ein begreifliches Interesse, dass die Bahnlinie Buchs-Sargans auch weiterhin durch den Internationalen Verkehr elementiert werde. Diese Linie muss ja ohnehin betrieben werden. Die Unkosten sind daher zum grossen Teil dieselben. Dagegen wäre bei den Einnahmen ein grosser Ausfall zu verzeichnen. Die S.B.B. müssten also ein ganz bedeutendes finanzielles Opfer bringen, zu dem sie sich niemals verstehen werden. 

Die Aussicht, diesen Verkehr auf ihre neue Linie Schaan-Sargans zu bekommen, dürfte andererseits für die österreichischen Bundesbahnen ein starker Ansporn sein, für diese Linie einzutreten und selbst beträchtliche Opfer für sie zu bringen. Dies jedoch nur dann, wenn der Anschluss in Buchs ganz fallen gelassen würde. An einer blossen Parallellinie hingegen, welche für die Schweiz viel harmloser wäre (namentlich wenn das Zollamt in Buchs bleiben würde), wäre Österreich voraussichtlich wenig interessiert, da die bisherige Linie über Buchs einen grossen Teil des Verkehrs absorbieren würde. 

Aus diesen und andern (hauptsächlich wirtschaftliche) Erwägungen wird die Schweiz nie ihre Zustimmung zur Verlegung des Anschlusses nach Sargans geben. Selbst für eine Parallellinie, die für sie nichts als eine Konkurrenzierung bedeuten würde, dürfte sie wenig Verständnis haben.

Obschon Österreich von einer solchen Linie gewisse Vorteile hätte, erscheint es doch zweifelhaft, ob diese gross genug wäre, um Österreich zu veranlassen, dieses Projekt zu finanzieren.

2. Hier erhebt sich die weitere Frage, ob die Möglichkeit bestünde, die Verlegung des Bahnanschlusses nach Sargans ohne die Zustimmung der Schweiz durchzuführen. Und damit komme ich auf die rechtliche Seite der Angelegenheit. Ist Österreich berechtigt, gegen den Willen der Schweiz die Arlberglinie in Sargans in die S.B.B. einmünden zu lassen? Ein Unterschied ist hier zu machen zwischen der Verlegung des Anschlusses nach Sargans (also Fallenlassen des Anschlusses in Buchs) und der Erstellung einer Parallellinie.

a. Die Schweiz vertritt unbedingt die Auffassung, dass Österreich staatsvertraglich verpflichtet sei, die Verbindung mit Buchs wiederherzustellen. Sie beruft sich hiefür namentlich auf Art. 1 des Vertrages vom 27. August 1870 betreffend die Erstellung einer Eisenbahn von Lindau nach St. Margrethen und von Feldkirch nach Buchs, zwischen Österreich, Liechtenstein, der Schweiz und Bayern, [7] wo es heisst: 

„Es soll 

a) eine Eisenbahn von Lindau nach Bregenz und von da nach St. Margrethen zur Verbindung mit den vereinigten Schweizerbahnen;

b) eine Bahn von Feldkirch nach Buchs gleichfalls zum Anschluss an die Vereinigten Schweizerbahnen hergestellt werden.“

In Art. 4. Abs.1 des gleichen Vertrages wird ergänzend beigefügt:

„Die Bestimmung der speziellen Bahnlinie sowie der Stationsplätze bleibt jeder Regierung auf ihrem Gebiete vorbehalten, jedoch soll, soviel möglich, die kürzeste Linie zwischen den im Art. 1 genannten Hauptpunkten der Bahn eingehalten werden.“

Und hinsichtlich der Brücke sagt Art. 7 ausdrücklich:

„In Bezug auf die zu erbauenden Rheinbrücken wird festgesetzt, dass die Überbrückung des Rheins auf der Linie St. Margrethen-Bregenz-Lindau bei Brugg, jene auf der Linie Buchs-Feldkirch auf der Station Buchs zu geschehen hat.“

Und in Art. 9 wird ausgeführt:

„Die Mitbenützung der Bahnhöfe St. Margrethen und Buchs wird den Konzessionären unter Vorbehalt der mit der Verwaltung der Vereinigten Schweizerbahnen zu vereinbarenden Bedingungen gestattet und es wird die Regierung von St. Gallen nötigenfalls die geeignete Vorsorge treffen.“

Ferner stützt sich die Schweiz auf die Bestimmungen des Staatsvertrages zwischen Österreich-Ungarn und der Schweiz vom 2. August 1872 betreffend den Zolldienst in den Stationen von Buchs und St. Margrethen, [8] welcher überall von der Voraussetzung ausgeht, dass der Anschluss der Vorarlbergerlinie in Buchs stattfinde. So heisst es in Art. 1 z.B. (in unserer deutschen Übersetzung):

„Die österreichischen und schweizerischen Zollbureaux der Bahnhöfe St. Margrethen und Buchs, welche sich auf st. gallischem Gebiet befinden, sind in üblicher Weise mit einem Wappenschild mit entsprechender Aufschrift zu versehen.“

Ähnlich beispielweise in Abs. 1 der Art. 3, 7, 8, 9, 10 und 11 des gleichen Vertrages.

Ausserdem wurde am 26. Oktober / 1. November 1871 zwischen den Vereinigten Schweizerbahnen und der K.K.p. Vorarlbergbahn ein Vertrag über die Mitbenützung der Bahnhöfe in St. Margrethen und Buchs abgeschlossen, der nicht publiziert ist, und dessen § 24 folgendermassen lautet:

„Die Gesellschaft der Vereinigten Schweizerbahnen sichert der Gesellschaft der Vorarlbergerbahn das Recht der Mitbenützung der Bahnhöfe St. Margrethen und Buchs, wie es in dem gegenwärtigen Vertrag des nähern bestimmt ist, für sich und ihre Rechtsnachfolger auf die Dauer der von dem hohen Staate St. Gallen am 15. Januar 1853 für die Bahnlinie von Rorschach nach Ragaz und von Sargans nach Wallenstadt erteilten Konzession zu.

Die Gesellschaft der Vorarlbergerbahn übernimmt die ihr gemäss dem gegenwärtigen Vertrage obliegenden Verpflichtungen auf dieselbe in einer für sie selbst und für ihre Rechtsnachfolger verbindlichen Weise.“

Aus allen diesen Bestimmungen geht jedenfalls das eine deutlich hervor, dass sich die Schweiz staatsvertraglich nur in Buchs und St. Margrethen verpflichtet hat, die Einmündung der österreichischen Linie zu gestatten. Überdies hat die Schweiz gemäss Art. 2, Abs. 2 ein Anspruch auf Erteilung einer Konzession durch die Österreichische Regierung für eine Linie von Oberriet zum Anschluss an die Linie Feldkirch-Bregenz oder direkt nach Feldkirch.

Die Schweiz geht aber noch weiter und nimmt an, dass andererseits Österreich verpflichtet sei, diese Anschlüsse in Buchs und St. Margrethen zu belassen, und zwar mindesten für die Dauer der Konzession der Linie St. Margrethen-Sargans, welche bis zum Jahre 1957, also noch 30 Jahre läuft. Sie leitet dies aus dem bereits zitierten § 24 des Mitbenützungsvertrages vom Jahre 1871 ab, sowie aus der Tatsache, dass der Vertrag vom Jahre 1870 nicht befristet ist und keinerlei Kündigung vorsieht. Überdies wird auch auf Art. 5 dieses Vertrages verwiesen, welcher besagt:

„Der Bau der genannten Bahnstrecken soll in der Art betrieben werden, dass dieselben längstens bis 17. August 1872 dem regelmässigen Betriebe übergeben werden können.“

Es ist nicht zu verkennen, dass die Verpflichtung Österreichs, den Bahnanschluss in Buchs zu belassen, ziemlich unzweideutig aus diesen Bestimmungen hervorgeht. Die Österreicher hätten eine Änderung dieser Verhältnisse aus den angeführten Gründen längst gewünscht und haben im Jahre 1923 (anlässlich unserer Verhandlungen über den Zollanschluss) auch die grössten Anstrengungen gemacht. Trotzdem blieben die beiden Anschlüsse, wo sie waren.

Gegenüber den zitierten Staatsvertragsbestimmungen konnten sie, soviel mir bekannt ist, nur zwei wesentliche Einwendungen erheben. Die eine ging dahin, dass die von der alten österreichisch-ungarischen Monarchie abgeschlossenen Staatsverträge für das neue Österreich nicht verbindlich seien, da dieses nicht als Rechtsnachfolger der Monarchie gelten könne. Diesen Standpunkt hat Österreich nicht nur bei diesen Verträgen, sondern bei allen Verträgen Österreich-Ungarns eingenommen und konsequent beibehalten, namentlich mit Rücksicht auf die österreichisch-ungarische Staatsschuld. Auch Liechtenstein gegenüber ist diese Auffassung vertreten worden. Dieser Einwand war daher durchaus ernst zu nehmen.

Ausserdem wurde darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen jener Verträge nicht mehr vorhanden seien, sobald der liechtensteinische Zollanschluss an die Schweiz erfolge, weil dann die gemeinsame Zolllinie nicht mehr bei Buchs, sondern bei Feldkirch verlaufe. Und diese sei die grundlegende Voraussetzung dieser Verträge gewesen.

Heute sind aber beide Argumente hinfällig geworden durch den Notenaustausch zwischen Österreich und der Schweiz vom Dezember 1923. [9] Das Österreichische Bundesministerium für die Auswärtigen Angelegenheiten erklärte mit Note vom 19. Dezember 1923 ausdrücklich:

„Die Österreichische Regierung gibt ihrerseits die Erklärung ab, dass sie die eingangs angeführten Staatsverträge vom 27. August 1872 als für sie verbindlich anerkenne.“

Damit hat sie also in aller Form auf den Einwand der mangelnden Staatensukzession und der veränderten Verhältnisse verzichtet.

Im weitern wird in dieser Note ausgeführt:

"Auf Grund des Ergebnisses dieser Verhandlungen besteht nunmehr Einverständnis darüber, dass mit dem Inkrafttreten der Bestimmungen der zwischen Vertretern der Schweizerischen Bundesbahnen und der Österreichischen Bundesbahnen am 16. November 1923 in Wien unterzeichneten Niederschrift, die einen Bestandteil des Vertrages, betreffend Mitbenützung der Bahnhöfe St. Margrethen und Buchs vom 26. Oktober / 1. November 1871 bilden, der in dem Mitbenützungsvertrag enthaltene Grundsatz der Halbierung der Kosten aufgehoben ist und aufgehoben bleiben soll, an dessen Stelle der Grundsatz einer Teilung der Kosten nach verhältnismässigem Verkehrsanteil tritt. Die Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen hat sich des weitern bereit erklärt, den in der Niederschrift vom 16. November 1923 festgesetzten Teilungsschlüssel für fünf Jahre fest verbindlich zu erklären. Bei einer nach dieser Frist erfolgten Kündigung, die nur für die Abmachungen der Niederschrift vom 16. November 1923 Geltung hat, würde ein neuer Teilungsschlüssel festzusetzen sein, der ebenfalls nach verhältnismässigem Verkehrsanteil zu ermitteln wäre.

Zum Zwecke der Bestreitung der dem Österreichischen Staatshaushalt für die Durchführung des Zolldienstes in Buchs erwachsenen Mehrauslagen wird festgesetzt, dass vom 1. Jänner 1924 an für die Dauer des Mitbenützungsvertrages zu Gunsten der österreichischen Zollverwaltung in Buchs ein Zollgrenzzuschlag erhoben werden kann, der nicht mehr als 10 Cts. auf 100 kg. und höchstens 2.- Fr. auf die Sendung betragen darf, wobei die Erhebung des Zuschlages und die Abrechnung durch die Schweizerischen Bundesbahnen erfolgen. Da der Ertrag des Zuschlages einzig der Deckung der Mehrauslagen dienen soll, welche der österreichischen Zollverwaltung aus dem Unterhalte von Zolldienststellen auf schweizerischem Boden im Vergleich zum Unterhalt von Zolldienststellen auf österreichischem Boden erwachsen, soll der Ansatz des Zuschlages nach Massgabe der zu deckenden Mehrauslagen normiert werden.“

Die speziellen Vereinbarungen zwischen den S.B.B. und den Ö.B.B., welche hier vorbehalten sind, führten zu dem bereits erwähnten Ergebnis, dass Österreich von den Gesamtkosten der beiden Bahnhöfe statt 50 % nur noch 32 % in Buchs und 29 % in St. Margrethen, zu bezahlen habe. Als Entgelt dafür gab Österreich die erwähnte Erklärung ab, dass es die beiden Staatsverträge als verbindlich anerkenne und somit den Wünschen der Schweiz inbezug auf die Belassung der beiden Zollämter in Buchs und St. Margrethen entspreche. An dieses Versprechen ist Österreich heute noch gebunden.

Dabei ist noch etwas weiteres zu beachten. In Aussicht genommen war anno 1923 nur die Verlegung des österreichischen Zollamts von Buchs nach Feldkirch, während der Bahnanschluss nach wie vor in Buchs geblieben wäre. In dieser Beziehung aber war der Vertragstext für Österreich noch günstiger als bei der Frage des Bahnanschlusses. Art. 18 Abs. 3 bestimmt nämlich:

„An der österreichisch-schweizerischen Grenze sollen für die Zollbehandlung an den Anschlusspunkten der beiderseitigen Eisenbahn vereinigte (österreichisch-schweizerische) Zollämter mit den erforderlichen Befugnissen errichtet werden.“

Als österreichisch-schweizerische Grenze kann nur die Zollgrenze gemeint sein, weil es an jenem Punkte überhaupt keine andere „österreichisch-schweizerische Grenze“ gibt. Dies schien zugunsten der Verlegung des Zollamtes nach Feldkirch zu sprechen. Die Österreicher beriefen sich dann auch darauf und Buchs hatte deswegen die grössten Bedenken. Im Falle des Bahnanschlusses spricht aber keine derartige Unklarheit mehr zugunsten von Österreich. Hier ist die Station Buchs überall direkt mit Namen genannt, und es ist überdies noch besonders festgelegt, dass die Überbrückung des Rheins bei Buchs zu erfolgen und die Linie möglichst den kürzesten Weg zwischen Feldkirch und Buchs einzuhalten habe.

Angesichts solcher Bestimmungen halte ich dafür, dass die Schweiz berechtigt ist, zu verlangen, dass der Bahnanschluss in Buchs bleibt.

b. Eine derartige Verpflichtung Österreichs, den Bahnanschluss in Buchs zu belassen, schliesst jedoch die Möglichkeit der Erstellung einer Parallellinie nach Sargans nicht ohne weiteres aus. Weder Liechtenstein noch Österreich ist der Bau einer solchen Linie in diesen Verträgen verboten. Andererseits ist aber auch die Schweiz nicht verpflichtet, den Anschluss dieser Linie in Sargans zu gestatten. Ohne Zustimmung der Schweiz würde deshalb eine solche Linie den Anschluss an die schweizerische Bahn nicht finden und müsste, wenn diese nicht erhältlich wäre, eine Sacklinie bleiben. Soviel ich bisher feststellen konnte, dürfte es schwer halten, die Zustimmung der Schweiz auch nur für eine solche Linie (unter Belassung des Zollamtes und des bisherigen Anschlusses in Buchs) zu erhalten.

Ich gelange also zum Schlusse, dass die Schweiz weder für eine Verlegung des Bahnanschlusses von Buchs nach Sargans, noch für eine Parallellinie nach Sargans zu haben ist, und dass weder das eine noch das andere Projekt ohne die Zustimmung der Schweiz durchführbar ist. Der Widerstand der Schweiz ist derart bestimmt, ihre Interessen sind so offenkundig und ihr Recht so klar, dass ich nicht an die Möglichkeit der Verwirklichung dieser Pläne glaube. Ich verkenne durchaus nicht, dass die Führung der internationalen Bahnlinie durch unser Land bis nach Sargans für Liechtenstein volkswirtschaftlich ein gewaltiger Vorteil wäre, und es ist daher ausserordentlich zu bedauern, dass diese Projekte nach der gegenwärtigen Verteilung des Rechts, des Besitzstandes und der Macht nicht mehr Aussicht auf Erfolg haben. Die Interessen der Schweiz und ihr Recht sind evident. Wir können ihr aber keinerlei Kompensation anbieten, die sie veranlassen könnte, ihre eigenen Interessen zugunsten der unsrigen preiszugeben, oder sonstwie einen Druck ausüben. Vielmehr ist diese Frage geeignet, in der Schweiz böses Blut zu machen, und könnte leicht unsere übrigen Interessen schädigen. So befürchte ich namentlich eine Rückwirkung auf die Frage der Anleihensaufnahme, der angestrebten Verbesserungen inbezug auf die Arbeitsnahme in der Schweiz, der Liebesgaben, usw. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, davor zu warnen, einem aussichtslosen Projekt nachzulaufen und dabei reelle und vitale Interessen des Staates zu gefährden.

Ich werde nächsten Montag noch eine Besprechung mit Herrn [Anton] Schrafl, dem Präsidenten der Generaldirektion der S.B.B., haben und werde Ihnen dann darüber noch berichten. [10]

Der fürstliche Geschäftsträger

P.S. Eine Abschrift dieses Schreibens liegt hier bei.

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[1] LI LA SF 02/1927/4709 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 881). Eingangsstempel der Regierung vom 29.10.1927. Gemäss Vermerk von Regierungschef Gustav Schädler vom 5.11.1927 wurde diese Zuschrift am 4.11. der Verkehrskommission zur Kenntnis gebracht. Ein weiteres Exemplar des Dokuments findet sich ebd. sowie unter LI LA V 002/0328. – Die Rheinüberschwemmung von 1927, bei der auch der Eisenbahndamm auf mehrere Hundert Meter weggerissen wurde, machte den Eisenbahnbau durch das Oberland mit Anschluss in Sargans wieder aktuell und im ganzen Land wurden Stimmen laut, dass die 1870 versäumte Gelegenheit jetzt möglicherweise wieder gutgemacht werden könnte (Bericht von Regierungschef Schädler an Fürst Johann II. vom 14.10.1927 (LI LA SF 02/1927/4371)). – Zu den erfolglosen Bemühungen 1903-1907, eine Schmalspurbahn auf der Strecke Landquart-Ragaz-Balzers-Vaduz-Schaan zu realisieren, vgl. etwa das Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an die fürstliche Hofkanzlei vom 14.7.1907 (LI LA SF 02/1907/1266 ad 0327). – Vgl. auch L.Vo., Nr. 51, 20.12.1918, S. 1-2 („Nicht rückwärts, vorwärts wollen wir schauen“). – Zu den neuerlichen Bestrebungen zum Bau einer Schmalspurbahn von Landquart nach Schaan im Jahr 1926 vgl. LI LA SF 02/1926: Den direkten Anlass hiefür gab der Umstand, dass die SBB Strecke Chur-Sargans elektrifiziert und bei diesem Anlass die hölzerne Brücke bei Ragaz ersetzt werden sollte. Vgl. hiezu insbesondere das Protokoll über die schweizerisch-liechtensteinische Vorbesprechung in Fläsch vom 17.5.1926 (LI LA SF 02/1926/2020 ad 0923). – Zur Vorsprache des Vaduzer Hofkaplans Alfons Feger beim österreichischen Bundeskanzler Ignaz Seipel in der Eisenbahnfrage am 16.10.1927 vgl. LI LA SF 02/1927/4531.  
[2] Gemäss den Aktenvermerken der liechtensteinischen Regierung vom 16. und 17.10.1927 hielt sich Emil Beck am 16.10. in Vaduz auf (LI LA SF 02/1927/4404). 
[3] Vgl. das Schreiben von Geschäftsträger Beck an die Regierung vom 22.10.1927 (LI LA SF 02/1927/4593 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 849)).
[4] Vgl. den Vertrag vom 29.3.1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24. Vgl. in diesem Zusammenhang die Bemerkungen von Geschäftsträger Beck vom 29.8.1923 zur Broschüre des Werdenberger Initiativkomitees zum Zollvertrag mit Liechtenstein (LI LA SF 27/1923/ad 2768/8).
[5] Vgl. „Werdenberger & Obertoggenburger“, Nr. 99, 24.8.1923, S. 1-3 („Zum Zollvertrag mit Liechtenstein. Der Standpunkt der Anschluss-Gegner“). Vgl. LI LA V 003/0241.
[6] Durchgestrichen: „vielen“.   
[7] Vgl. öst. RGBl. 1871 Nr. 13; schweiz. AS, Bd. 10, 1872, S. 380-399.
[8] Vgl. die Kundmachung des Finanzministeriums vom 26.2.1873, wegen Regelung des Zolldienstes in den Eisenbahnstationen in Buchs und St. Margarethen [sic], dann der Dienst- und sonstigen Verhältnisse der österreichischen Zollämter daselbst [mit dem Übereinkommen], öst. RGBl. 1873 Nr. 30.
[9] Nicht im öst. BGBl. publiziert. 
[10] Am 31.10.1927 fand die in Aussicht genommene Besprechung mit Anton Schrafl statt. Wie Geschäftsträger Beck der Regierung am 10.11.1927 berichtete, bestätigte Schrafl dabei im Wesentlichen die von Feldscher vertretene Auffassung: „Mein Gesamteindruck aus dieser Unterredung war der, dass die SBB fest entschlossen sind, an der alten Linie festzuhalten und auch einer Parallellinie nicht zuzustimmen“ (LI LA V 002/0328).