Die "Oberrheinischen Nachrichten" reagieren auf den Aufruf der Geistlichkeit zur Verhinderung der Spielbank


Artikel in den "Oberrheinischen Nachrichten" als Antwort auf einen Aufruf der Geistlichkeit vom 15.10.1919 zur Verhinderung einer Spielhölle, nicht gez. (ev. Anton Walser) [1]

25.10.1919

Zum neuen Projekt.

Landesfinanzen. Wundern muss man sich, dass unsere Leute nicht mehr über die traurige finanzielle Lage des Landes und der Gemeinde[n] nachdenken. Unsere Schulden wachsen täglich, die Landeserfordernisse nehmen zu und die Einnahmen gehen zurück. Mehr als zehn Millionen Kronen Schulden. Alles, was das Land bauen will, muss es auf dem Anleiheweg decken. Die Sparkasse ist das Mädchen für alles beim Land. Wenn behauptet wird, unsere finanzielle Lage sei nicht so schlimm, dann veröffentliche man ungeschminkt sämtliche Schulden. Was ist es denn mit der Landesgarantie für die Sparkassagelder? Der Steuervogt steht für unsere Leute vor der Türe. Auch nach einem neuen und gerechteren Steuergesetze wird der Besitzende entsprechend Steuern leisten müssen. Nun gehört aber der Bauer in unserem Lande vielfach zu den Besitzenden und er wird steuern und erst recht steuern müssen. Davon verschont ihn die stärkere Heranziehung des Kapitals nicht. Früher hat es nur geheissen, die Steuern sollen nicht zu stark erhöht werden, heute aber will man sie erhöhen! Unsern Steuerzahlern werden die Augen einstens ebenso ganz anders aufgehen, wie den Stammeltern im Paradies. Wer hilft den steuern? Das Kapital kann leicht die Steuer fliehen. Der Grundbesitzer hingegen kann mit seinem Boden nicht fliehen. Die Kasinogesellschaft würde uns ermöglichen, dass wir nicht zuviel Steuern bekämen. Schliesslich würden die Leute bei mehr Verdienst auch mehr Steuern zahlen wie in der Schweiz; dort haben sie Verdienstgelegenheit; bei uns nicht. Das vermag uns die Landesgeistlichkeit mit ihrem Schreiben nicht wegzustreiten. Mehr Verdienst und Brot, meine Herren! Von keiner Seite ist etwas für den Verdienst getan worden. Traurig ist es, wenn ein Abgeordneter sagen darf, unsere Leute können nach wie vor im Auslande verdienen gehen. Es wäre gewiss nicht zu viel verlangt, wenn der Fürst Verdienst ins Land bringen würde, wie es schon 1809 beabsichtigt war. Die Gesellschaft bringt uns Verdienst, indem sie viele Leute im Hotelwesen, für den Bahndienst u. a. anstellen muss. Mögen das die Kleinbauern und das arbeitende Volk nicht vergessen! Was tut die jetzige Regierung für den Verdienst? Wie lange gehts noch bis nur die Strasse nach Triesenberg angefangen wird? Schaffen wir statt aller Worte Verdienst und dem Arbeiter eine Heimat.

Liechtenstein den Liechtensteinern! Wie lange schon verlangen wir es und bestehen wir auf Erfüllung dieses berechtigten Wunsches. An die Gesellschaft und durch Annahme ihres Angebotes werden wir nicht verkauft. Das ist alles eitles Gerede, denn zuerst muss doch das Angebot im Verhandlungswege ernstlich geprüft und besprochen werden. Das scheut man sich zuständigen Ortes und gibt dem Volke lieber gleich an, man werde verkauft. Eine höchst sonderbare Kampfesweise. Wieso können denn — wenn mit dem gegnerischen Blatte Liechtenstein den Liechtensteinern gehören soll — neuerdings in Wien unten Wiener Rechtsanwälte zu unsern Richtern über Leben und Tod bestellt werden? Das muss berechtigte Empörung hervorrufen und zeigt, dass einzig Liechtenstein seine Unabhängigkeit noch nicht hat. Liechtenstein muss erst noch den Liechtensteinern werden. Bis jetzt war es nicht der Fall. Die Gesellschaft will ihr Geschäft betreiben und ermöglichen, dass liechtensteinische Arbeitskraft möglichst im Inlande ihr Auskommen finden. Nennt man das verkaufen? Übrigens sind wir durch unsere traurige Geldanlage doppelt an Österreich verpfändet und verkauft. Wir sind Kronenuntertanen und als solche haben wir keinen Kredit mehr. Soweit ist es bei uns gekommen. —

Enteignungsrecht. Im Artikel der gesamten Geistlichkeit Liechtensteins wird das Begehren um Enteignung unrichtig dargestellt. Niemand will unsere Leute von Grund und Boden verdrängen. Einmal will die Gesellschaft nur im Einvernehmen mit der Behörde Grund und Boden erwerben, sonst überhaupt nicht. Heute kann jeder Ausländer sogar ohne die Behörde Grund und Boden zusammenkaufen und unsere Leute verkaufen. Also ist das Anerbieten der Gesellschaft nur entgegenkommend. Sie beabsichtigt ausserdem, nur den zu ihrem Betriebe erforderlichen Boden zu erwerben. Dort, wo das Kasino mit seinen Nebengebäuden zu stehen käme, würde es nicht einmal 40’000 Klafter Boden erfordern. Das ist doch nichts Ungeheures und beeinträchtigt unsere Landwirtschaft nicht im geringsten. In Betracht kommt nur Boden ausserhalb einer Ortschaft an einer Berghalde, also gar nicht der beste Boden, sondern nur minderwertiger. Z.B. auf Matschils oder ausserhalb Schaans gegen den Berg zu. Bauer, man will dich fürchten machen wegen Bodenwegnahme, aber man sagt dir nichts vom Steuervogt, der dir alljährlich einen Teil der Arbeitsfrüchte ohne Erbarmen wegnimmt — die Leute sollen über die bevorstehenden Steuern vorerst hinweggetäuscht werden! Den nötigen Boden will die Gesellschaft zuerst freihändig gegen Bezahlung in Franken zu erwerben suchen. Das Enteignungsrecht käme nur für den Fall in Betracht, wenn die Gesellschaft für den Kasinobauplatz (40'000 Klafter höchstens) den Boden gar nicht erhalten könnte. Andern Boden dürfte die Gesellschaft freihändig unter Kontrolle der Regierung kaufen. Aber auch in diesem Fall müsste auf die Interessen aller Beteiligten volle Rücksicht genommen werden. Man wendet ein, das Enteignungsrecht komme nur bei Fällen, in denen es das allgemeine Beste erheischt, vor. Nach unserer Ansicht liegt hier, wenn man die wirklich grossen Leistungen für das allgemeine Beste betrachtet (Hebung des Verkehrs, des Verdienstes, soziale Leistungen, ferner Leistungen für Schul- und Unterrichtswesen, für Lebensmittel usw.) zweifellos dieser Fall vor. Dem allgemeinen Besten kommen diese Leistungen zugute und niemand anders — nicht einigen Herren. Andere Staaten enteignen sogar für industrielle Unternehmungen (Ungarn) oder geben unentgeltlich Grund und Boden an solche ab (Bulgarien, Rumänien) usw. Bei anderer Gelegenheit soll unser Volk aufgeklärt werden, was andere Staaten zur Entwicklung der Industrie beitragen und was bei uns immer versäumt wurde.

Länder, in denen Kasinogesellschaften sich befinden, sind nicht nur Monaco, sondern Frankreich, Italien, zum Teil Belgien, Schweiz und Spanien in engerem oder weiterem Umfange. Die Behauptungen der Herren Geistlichen bedürfen diesbezüglich einer Richtigstellung. Monaco ist gar nicht verschrieen, wie man den guten Leuten glauben machen will, und die Zustände und die Volkswirtschaft Monacos sind auf einer viel höheren Stufe als bei uns. In Monaco denkt, so wird berichtet, niemand an einen Fluch! Laut ihrer Eingabe wollen die Unternehmer eine Spielbank oder Spielhölle nicht betreiben. Diese Kraftausdrücke sollen nur dazu dienen, den Unkundigen den Teufel an die Wand zu malen.

Schwere Verantwortung und vielleicht den Fluch laden die auf sich, die aus ganz andern Gründen als wegen des allgemeinen Interesses das Unternehmen nicht hereinlassen wollen. Wieviel Flüche sind bei Einhebung der sogen. Kriegsgewinnsteuer gefallen und welchen Fluch laden sich jene auf, die uns nur Steuern aufladen wollen? Die Herren Moralisten mögen uns doch mit Tatsachen statt mit leeren Behauptungen aufrücken, unsere Moral werde verderben.

Höret nicht auf die Reden derjenigen, die euch wieder alles versprechen, aber dann das Halten vergessen. Volk, prüfe die Sache genau und dann entscheide du, und nicht Leute, denen es immer gut gegangen ist.

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[1] O.N., Nr. 81, 25.10.1919, S. 1-2. Aufruf der Geistlichkeit im L.Vo., Nr. 84, 22.10.1919, S. 1.