Die liechtensteinischen Priester ermahnen das Volk, die Errichtung einer Spielbank (einer "Spielhölle") zu verhindern


Im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 22.10.1919 publizierter Aufruf, gez. "Die gesamte Geistlichkeit Liechtensteins" [1]

15.10.1919, Schaan

An unser katholisches Volk

Die Seelsorger Liechtensteins sehen sich vor Gott und ihrem Gewissen verpflichtet, in der hochernsten Frage, die gegenwärtig die Gemüter bewegt, an das ihrer geistlichen Leitung anvertraute Volk nachfolgende öffentliche Mahnung zu richten. Es handelt sich um die Zulassung einer Spielbank, einer sogenanntem Spielhölle im Lande.

Wie verderblich diese Spielhöllen sind, geht schon daraus hervor, dass sie zu allen Zeiten verboten wurden, und zwar aus wirtschaftlichen und sittlichen Gründen. Sie bringen viele um ihr Vermögen und tragen sittliche Verdorbenheit in das Volk. Der niedrigen Leidenschaft der Spielwut und deren sittenverderbenden Auswüchsen wird da gefrönt. Sie geben dem Volke das Beispiel der Genusssucht und machen es darum unzufriedener und unglücklicher.

In vielen Staaten wurden deshalb solche Spielgesellschaften niemals zugelassen und wo sie einige Zeit gestattet waren, wurden sie wieder verboten. Man wird nicht behaupten wollen, dass die modernen Staaten in Sachen der öffentlichen Sitte zu ängstlich seien, aber dennoch haben alle Staaten von ganz Europa diesen Gesellschaften die Türe gewiesen mit Ausnahme des kleinen Fürstentums Monaco am Mittelländischen Meere, dessen Fürst sich dafür gut bezahlen lässt, dessen Einwohner aber durch die Spielhölle nicht glücklicher geworden sind. Eine Spielhölle würde daher unser Land vor der ganzen zivilisierten Welt in Unehre und Verruf bringen. Der Name Liechtenstein, der bisher in der ganzen Welt einen guten Klang hatte, würde zu den verachtetsten der Welt gehören, und es wäre für uns hochedles, auch jetzt noch in aller Welt hochgeachtetes Fürstenhaus keine Ehre mehr, ein Land zu regieren, auf dem die Schande einer Spielhölle lastete.

Das Land würde auch seine Selbständigkeit zum Teil oder ganz verlieren. Ihr wäret keine Liechtensteiner mehr, sondern Untertanen fremder Geldaristokraten. Warum gehen diese Gesellschaften nicht in die freie Schweiz? Eben deshalb nicht, weil die Schweiz es ihnen verwehrt und weil das Schweizervolk von ihnen nichts wissen will.

Wir hielten es darum für die grösste Gewissenlosigkeit, um eines persönlichen Vorteiles willen sein Vaterland an eine Spielhölle zu verraten und dem sittlichen Untergang zu überantworten. Diejenigen, die sich zu einer solchen Judasrolle herbeilassen würden, könnten es vor dem Richterstuhle Gottes nicht verantworten und würden den Fluch des betörten Volkes und der Nachwelt auf ihr Haupt laden, wenn diesen einmal die Augen aufgehen würden über dem wirtschaftlichen und sittlichen Elende, das sie verschuldet haben.

Käme, was Gottes Gnade verhüten wolle, die Spielhölle wirklich ins Land, dann würde Liechtenstein nicht mehr den Liechtensteinern, sondern fremden Geldaristokraten gehören. Diese hätten das Geld und damit auch die Macht in Händen. Sie würden regieren und Ihr wäret Fremde im eigenen Lande. Sie wollen sogar das Recht haben, auch zwangsweise sich in den Besitz Eures Grundes und Bodens zu setzen und könnten Euch, wenn es ihnen beliebt, von Euerem Eigentum verdrängen, denn sie verlangen ausdrücklich das Recht der zwangsweisen Enteignung Eueres Grundes und Bodens.

Auch ihre Versprechungen sind genau betrachtet nicht so glänzend, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Dass diese Leute aus uneigennütziger Liebe zu Euch daher kommen wollen, wird kein Vernünftiger behaupten. Das, was sie versprechen, kann mit der Zeit grossenteils auch ohne Spielhölle geschaffen werden. Dann bleiben wir Liechtensteiner doch Herren im eigenen Hause. Wir verkennen keineswegs die gegenwärtige Notlage des Landes, allein man schildert Euch dieselbe doch vielfach schlimmer als sie wirklich ist. Die Geschichte unseres Vaterlandes lehrt, dass unsere Voreltern mehr als einmal noch viel schlimmer daran waren als wir, viel härtere Zeiten durchgemacht haben als die jetzige ist; unvergleichlich grösser waren ihre Heimsuchungen durch Krieg, Pest, Armut und Not. Aber sie haben auf Gott vertraut, sie haben keine schlechten Mittel zur Besserung ihrer Lage zu Hilfe genommen. Sie haben aus eigener Kraft sich wieder zu Glück und Wohlstand emporgeschwungen. Unsere bäuerliche Bevölkerung ist nicht ärmer geworden. Sie wurde im Gegenteil wohlhabender. Gott der Herr hat uns besonders in diesem Jahre wieder einen reichen Erntesegen geschenkt. Unsere Nachbarstaaten sind durch den Krieg viel schwerer heimgesucht worden und haben eine furchtbare Schuldenlast auf sich nehmen müssen. Aber keinem von ihnen ist es eingefallen, deswegen eine Spielhölle ins Land zu rufen. Sollte das Volk von Liechtenstein feiger und schlechter sein als andere Völker? Und wir haben einen edlen Landesvater, der immer zur Hilfe bereit war und noch ist. Uns haben die anderen Völker stets um unsere glückliche Lage beneidet. Warum sollten wir nicht mit Mut und Vertrauen in die Zukunft schauen! Wozu brauchen wir durch eine Spielhölle den sittlichen Ruin unseres Volkes herbeizuführen?

Höret also nicht auf die Reden derjenigen, die für diese schlechte Sache eintreten. Ladet nicht den Fluch der Nachwelt und die Verachtung der Mitwelt auf Euch, indem Ihr gegen Eueren Fürsten Euch undankbar zeiget und weiset den Gedanken an eine Spielhölle entschieden ab. Lasset Euch nicht täuschen durch den neuen Namen "Hotelgesellschaft", mit dem man jetzt den Namen „Spielhölle" ersetzen will, denn die nur die Konzession ansuchende Gesellschaft hat ja ausdrücklich die Erlaubnis für ein Unternehmen wie das in Monte Carlo (Monaco) verlangt und das ist eine Spielhölle und nichts anderes. Lasset Euch auch nicht Sand in die Augen streuen durch die Angaben, es werde gute Ordnung gehalten werden. Lägen gegen die gute Ordnung und Sitte keine schwerwiegende Bedenken vor, so müssten solche Unternehmungen doch gewiss nicht aus ihrem eigenen Lande in ein fremdes wandern! Trauet also solchen Vortäuschungen nicht! Haltet treu zum Fürsten! Haltet fest an den Grundsätzen des christlichen Sittengesetzes!

Gott dem Allmächtigen sei unsere Sache befohlen!

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[1] L.Vo., Nr. 84, 22.10.1919, S. 1. Zu diesem Aufruf gibt es eine Entgegnung in den O.N., Nr. 81, 25.10.1919, S. 1-2 ("Zum neuen Projekt").