Leitartikel von Otto Walser im „Liechtensteiner Vollsblatt“ [1]
11.8.1920
Die Bodenreform in der Tschechoslowakischen Republik
Nachdem unser Landesfürst [Johann II.] den grössten Teil seines Besitzes in der Tschecho-Slowakei hat, [2] ist es für jeden Liechtensteiner nicht uninteressant, über die grossen Reformen des Grossgrundbesitzes einige Informationen zu erhalten. Der Schreiber dieses Artikels, der beruflich sich mit dieser Frage zu befassen hat, ist bestrebt, eine möglichst sachliche Darstellung vom national-ökonomischen Standpunkte aus zu bieten und beabsichtigt nicht auf eine weitergehende Kritik über die Bonität und Opportunität der betreffenden Gesetze in politischer Hinsicht sich einzulassen.
Das Gesetz vom 16. April [1919] hat jeden Grundbesitz, welcher die Grösse von 150 Hektaren landwirtschaftlichen Bodens, respektive 250 Hektaren (Waldungen) überhaupt überschreitet, beschlagnahmt. [3] Diese Enteignung wird von einem dazu speziell errichteten Bodenamte [4] nach einem bestimmten Verteilungsplan allmählich durchgeführt. Unter dieses Gesetz fällt ohne Ausnahme jeder Grossgrundbesitzer, ob er einfacher Bürger oder ein Souverain [5] ist. Nur bezüglich der Ablösung des Grund und Bodens bis auf das gesetzlich festgesetzte Mass unterscheidet der Paragraph 9 eine Enteignung mit und ohne Entschädigung; so wird nach diesem Paragraphen der Besitz Angehöriger feindlicher Staaten [6] und der Angehörigen der habsburgisch-lothringischen Dynastie [7] ohne jede Vergütung übernommen. Andererseits wird aber die gewährte Entschädigung nicht nach dem heutigen Bodenwerte geleistet. Nach Paragraph 41 des Gesetzes vom 8. April 1920 über die Entschädigung ist der Übernahmspreis, den der Staat auszahlt, für den übernommenen Grundbesitz jener Durchschnittspreis, welcher in den Jahren 1913-15 beim Verkauf von Gütern im Ausmasse von über 100 Hektaren aus freier Hand erzielt wurde. Der Preis ist also ein Friedenspreis und ist der ungeheuren Devalvation des Geldes nicht angepasst. Es ist das gleiche Verhältnis, wie wenn ein Haus im Werte von 10'000 Kronen in Friedenszeiten um 1000 Kronen hätte damals abgegeben werden müssen. Eine gesetzliche Härte enthält entschieden noch der folgende Paragraph 42, welcher besagt, dass bei Komplexen über 1000 Hektaren der Gesamtpreis nach einer progressiven Skala herabzusetzen ist. Bei 50'000 Hektaren beträgt z.B. der Abzug vom Kaufpreis 40 Proz.
Nicht unerwähnt dürfte hier das neue Gesetz über die Vermögensabgabe vom 8. April 1920 gelassen werden, wo bei der Fatierung der einzelnen Vermögensmassen im Gegensatz zum oben zitierten Gesetz der Grund und Boden nach dem heutigen Wert in die Liste eingestellt wird und nach dieser Schätzung die neue Abgabe zu leisten ist.
Es ist wohl nicht zu leugnen, dass diese Gesetze eine ziemlich radikal sozialistische Färbung tragen; und wenn sie tatsächlich in dieser Form zur Durchführung kommen, muss eine katastrophale Änderung in der Forst- und Landwirtschaft der tschechischen Republik eintreten. Jeder, der einigermassen ein nationalökonomisches Verständnis hat, muss einsehen, dass durch diese Zerreissung des Grossgrundbesitzes die Produktionsfähigkeit herabgemindert wird. Aus einem einheitlichen Gutskomplexe mit dem modernen maschinellen Betriebe können mehr Naturprodukte hervorgeholt werden als aus Parzellengrundstücken, welche mit blosser Handarbeit mühsam ohne zweckmässigen Plan bestellt werden. Denn der Kleinbauer kann sich nicht an die rationelle Fruchtfolge halten wie der Grossgrundbesitzer, um eine reichliche Ernte zu erzielen. Wenn auch der Staat den ganzen grossen Grundbesitz in seine eigene Bewirtschaftung übernehmen möchte, wäre damit nicht dem drohenden Übel der Produktionsverminderung abgeholfen, denn die alte Erfahrung aller Länder lehrt, dass die staatlichen Domänen immer als Negativ-Posten im Staatsbudget einzustellen waren. Die einzelnen Staatsbeamten mit ihrem fixen Gehalt haben durchschnittlich kein besonderes Interesse, einen möglichst gewinnbringenden Ernteertrag zu erzielen, denn die eigentliche produktionsfördernde Triebfeder des privaten Vorteils fehlt hier gänzlich.
Wenn man andererseits die Lage der Kleinbauern betrachtet, ist es sicherlich nur recht und billig, wenn der gerechte Bodenhunger dieser Leute (aus der Masse des Grossgrundbesitzes) befriedigt wird. Aber die Forderungen sollen nicht ins Unermessliche steigen, so dass zum Schlusse die allzu grosse Bodensättigung eintritt, das heisst, dass die Leute den erhaltenen Boden überhaupt nicht mehr vernünftig bebauen können. Es ist auch hier die goldene Mitte zu wahren. Die ganze andere Bevölkerung leidet darunter. Eine gute staatliche Bodenpolitik muss trachten, möglichst viele landwirtschaftliche Produkte auf den Markt zu bringen, um im Interesse der Geldwirtschaft fremde Einfuhr zu vermeiden oder wenigstens herabzumindern.
Dass schon die beginnende Bodenverteilung eine ungemein schädliche Wirkung gezeitigt hat, zeigen die Beispiele; viele von den zwangsweise abgegebenen Grundstücken liegen brach oder werden ganz unrationell bewirtschaftet. Und bei vielen Kleinkäufern hat die Ansicht sich gebildet, dass sie Grund und Boden womöglich umsonst erhalten und der Grossgrundbesitzer noch verpflichtet sei, die Arbeiten zu verrichten, sodass sie einfach nur ernten können. So unglaublich naiv dieses Verlangen klingt, kommen solche Fälle doch zu Hunderten vor. Wenn auch noch die Eigentümer vorläufig auf ihren Gütern belassen werden, von denen prozentweise Boden abgerissen wird, so kann er sich nicht mehr als der eigentliche Herr fühlen, da der Staat die Rolle eines Obereigentümers sich angeeignet hat. Der Grossgrundbesitzer darf weder seinen Grund und Boden im Ganzen noch in Form von Teilstücken im freien Verkauf veräussern, auch ist ihm nicht gestattet eine Hypothek aufzunehmen. Natürlich wird er unter solchen unsicheren Umständen grössere Investitionen für Meliorationen und andere landwirtschaftliche Anschaffungen unterlassen, wodurch die Produktionsmöglichkeit auch wesentlich vermindert wird. Die ganze Landwirtschaft wird auf diese Weise allmählich eine extensive, d.h. der Boden wird weniger ausgenützt.
Zum Schlusse möge noch ein ganz neutrales Urteil, welches sich nur aus der Erfahrung gebildet hat, über die unheilvollen Schäden angeführt werden, die diese Bodenreform-Gesetze heraufbeschwören. Es stammt aus sozialdemokratischen Kreisen. Das sozialdemokratische Organ „Schlesische Volkspresse" [8] veröffentlicht in ihrer Beilage „Die Landpost" folgende hochinteressante Nachricht: „Die Aufteilung des deutschen Grossgrundbesitzes in Böhmen hat begonnen. In der letzten Verwaltungs-Ausschusssitzung des Bodenamtes in Prag wurde der Plan der Aufteilung der Grossgrundbesitze besprochen. Der Ausschuss gab die Zustimmung zur Durchführung der Aufteilung folgender Grossgrundbesitze in Böhmen: Grossgrundbesitze Pardupitz, Herrschaft Liechtenstein, Waldstein und Schwarzenberg; in Mähren: Herrschaften Guttmann, Liechtenstein und in Raigern. Eine Kommission hat jetzt in Rumänien Studien über die Erfolge der dort durchgeführten Aufteilung angestellt und gesehen, dass ein Drittel des Bodens ganz ungebaut ist, ein weiteres Drittel ganz mangelhaft und es wird der Agrarstaat Rumänien heuer kaum den Eigenbedarf an Getreide decken.“
Das Beispiel in Rumänien zeigt also, ein wie gefährliches Experiment die Aufteilung des Grund und Bodens ist, geeignet das Volkswohl im höchstem Masse zu gefährden. Wenn die Bodenaufteilung in der Tschechoslowakei vollständig auch durchgeführt werden wird, so muss sich notgedrungen im Verlaufe weniger Jahre wieder ein Grossgrundbesitz bilden, aber er wird sich dann nicht mehr in den Händen der jetzigen Eigentümer wieder vereinigen, sondern in den Händen derjenigen, denen der Weltkrieg in Palästina eine eigene Heimstätte geschaffen hat, die aber wohl nicht gewillt sind, dorthin zurückzukehren, da sie unsere gewinnbringenden Wälder mehr lieben als die biblischen Zedern des Libanons.
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[1] L.Vo., Nr. 64, 11.8.1920, S. 1. Otto Walser, der im Oktober und November 1919 Legationssekretär an der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien gewesen war, fand 1920 eine provisorische Anstellung beim fürstlichen Kammeramt in Jägerndorf.
[2] Der Grundbesitz des Hauses Liechtenstein in der Tschechoslowakei bestand 1919 aus 24 Herrschaften mit insgesamt 160'000 ha Land, davon 124'000 ha an forstwirtschaftlichen Gütern. Vgl. in diesem Zusammenhang das von Prinz Eduard im September 1919 verfasste Memorandum der liechtensteinischen Regierung an die Pariser Friedenskonferenz, worin umfangreiche Argumente gegen eine entschädigungslose Enteignung des fürstlichen Besitzes in der Tschechoslowakei angeführt wurden (LI LA RE 1919/4654 ad 589).
[3] Zur Umsetzung der Bodenreform in der Tschechoslowakei, welche sich kompliziert und langwierig gestalten sollte, wurde eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnung erlassen. Mit dem genannten Gesetz vom 16.4.1919 wurde die tschechoslowakische Regierung ermächtigt, alle Landgüter, die mehr als 150 ha landwirtschaftlich nutzbaren Boden oder mehr als 250 an Grund und Boden umfassten, zu enteignen. Das Bodenzuweisungsgesetz vom 30.1.1920 sollte vor allem den Kleinbauern zu Gute kommen. Das Schadenersatzgesetz vom 8.4.1920 regulierte die Höhe der Entschädigung, die nur einen Teil des tatsächlichen Wertes ausmachte.
[4] Vgl. das tschechoslowakische Gesetz vom 2.6.1919.
[5] Vgl. etwa das vom Wiener Völkerrechtsprofessor Leo Strisower erstattete Rechtsgutachten über die Souveränität des Fürstentums Liechtenstein und des Fürsten von Liechtenstein vom Februar/März 1921 (LI LA V 003/0337 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 153/1)).
[6] Demgegenüber betonte Liechtenstein immer wieder seine Neutralität während des Ersten Weltkrieges, z.B. im Memorandum von Prinz Eduard vom 20.5.1919 an die Pariser Friedenskonferenz (LI LA V 003/0045 (Aktenzeichen: 57/19)).
[7] Vgl. dazu in Österreich das Gesetz vom 3.4.1919, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, öst. StGBl. 1919 Nr. 209.
[8] Nicht aufgefunden.