Maschinenschriftliche Regierungsvorlage zuhanden des Landtags, nicht gez. [1]
o.D. (vor dem 25.8.1919) [2]
Gesetz
vom … 1919 (L.G.Bl. Nr. …), mit dem in Bezug auf die Agnaten der regierenden Linie [3] des im Fürstentume Liechtenstein herrschenden Fürstenhauses einzelne Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 24. Mai 1864, Nr. 4, LGBl., authentisch erklärt und ergänzt werden
Auf Grund des § 24 der Verfassungsurkunde vom 26. September 1862 [4] verordne ich mit Zustimmung des Landtages wie folgt:
"Sämtliche vom Fürsten Johann I. (gest. 1836) abstammende Mitglieder des liechtensteinischen Fürstenhauses, zufolge dieser Abstammung liechtensteinische Staatsbürger, [5] sind unbeschadet des ihnen [6] als solchen gewährleisteten, ihre unverjährbare liechtensteinische Staatsbürgerschaft nicht beeinflussenden Rechtes auf den allfälligen Besitz einer auswärtigen Staatsbürgerschaft, der Verbindlichkeit, einer liechtensteinischen Gemeinde als Bürger anzugehören, enthoben. Es entfallen daher ihnen gegen über alle an die Gemeindezugehörigkeit eines Staatsbürgers vom Gemeindegesetze geknüpften Rechtsfolgen.
Sie sind von den – nicht aus allgemeinen staatsrechtlichen Pflichten resultierenden – Verbindlichkeiten der niedergelassenen liechtensteinischen Staatsbürgerschaft befreit." [7]
Begründung
Im monarchischen Staate sind die Agnaten Untertanen des Landes, zu dessen Regierung das Fürstenhaus, dem sie angehören, berufen ist. Ihre Staatsangehörigkeit hat die ihnen in gleicher Weise wie den anderen Staatsbürgern übergeordnete Staatsoberhaupte gemeinsame Abstammung von dem Erwerber der Staatsgewalt zur ausschliesslichen Voraussetzung. [8]
Die Staatsangehörigkeit der Agnaten des regierenden Fürstenhauses ist daher vollkommen unabhängig von den Bedingungen, an die das Gesetz die Staatsbürgerschaft der anderen Untertanen knüpft, also im Fürstentume Liechtenstein unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Gemeinde, sei es als Gemeindebürger, sei es als niedergelassener Staatsbürger im Sinne des liechtensteinischen Gemeindegesetzes.
Die – auf die eingangs angeführte staatsrechtliche Voraussetzung ausschliesslich zurückführende – Staatsangehörigkeit der Agnaten kann daher auch der (im § 13 des Gesetzes vom 28. März 1864, LGBl. Nr. 3, [9] vorgesehenen) Verjährung nicht unterliegen, weil – durch § 3 des Verfassungsgesetzes [10] staatsgrundrechtlich gewährleistet – aus ihrem Kreise, dem sie für ihre Lebensdauer angehören, der künftige Monarch hervorgeht.
Wenngleich nun die Auslegung der einschlägigen Gesetznormen an der Hand des Verfassungsgesetzes und der oben angeführten allgemein anerkannten staatsrechtlichen Erwägungen zu dem in dem Gesetzentwurfe niedergelegten Ergebnisse führen müsste, schien es doch, zumal nach Lage der Verhältnisse für die Agnaten der regierenden Linie des Fürstenhauses regelmässig bestehenden Notwendigkeit, ihren Aufenthalt ausser Landes zu nehmen, zur Hintanhaltung der Möglichkeit einer verschiedenartigen Interpretation geboten, so wie dies im vorliegenden Entwurfe geschehen, die einschlägigen Bestimmungen des Gemeindegesetzes im Sinne des § 24 der Verfassung authentisch zu erklären. Hieran knüpft sich naturgemäss die am Schlusse des Entwurfes niedergelegte Gesetzbestimmung, nach welcher die Agnaten des fürstlichen Hauses auch als Niedergelassene von der Verpflichtung zur Teilnahme an Gemeindeversammlungen und von der passiven Wahlpflicht befreit sind, ohne dass ihr Recht zur Teilnahme an der Gemeindeversammlung oder ihr Recht gewählt zu werden, dadurch geschmälert werden soll. [11]
______________
[1] LI LA LTA 1919/L26. Weitere Exemplare ebd.
[2] Am 25.8.1919 wurde vom Landtagspräsidium die Einladung bzw. die Tagesordnung für die Landtagssitzung am 28.8. mit der betreffenden Regierungsvorlage als Beilage versendet (ebd.).
[3] Handschriftlich durchgestrichen: "der regierenden Linie".
[4] Nach § 24 Abs. 1 der Verfassung von 1862 durfte ohne Mitwirkung und Zustimmung des Landtages kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden (LI LA SgRV 1862/5).
[5] Die Wortfolge "zufolge dieser Abstammung liechtensteinische Staatsbürger" wurde handschriftlich zwischen Gedankenstriche gesetzt.
[6] Handschriftlich eingefügt: "gesetzlich".
[7] Zur endgültigen Fassung des Textes siehe das Schreiben des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, an die liechtensteinische Regierung bzw. Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein vom 1.9.1919 (LI LA LTA 1919/L26 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 92/4. Aktenzeichen der Regierung: 4350 ad 4322)).
[8] Der Satz ergibt keinen Sinn. Gemeint ist wohl, dass auch bei den Agnaten (wie bei den andern Staatsbürgern) die Abstammung die ausschliessliche Voraussetzung für die Staatsangehörigkeit sei mit der Besonderheit, dass die Agnaten vom Erwerber der Staatsgewalt abstammen.
[9] Gemäss § 13 Satz 1 des Gesetzes vom 28.3.1864 über die Erwerbung und über den Verlust des liechtensteinischen Staatsbürgerrechts, LGBl. 1864 Nr. 3/1, trat der Fall der Verjährung ein, wenn ein Staatsbürger, welcher in einem auswärtigen Staat nach den dortigen Gesetzen das Staatsbürgerrecht erworben hatte, vom Tag des Erwerbs an angerechnet, 30 Jahre verstreichen liess, ohne seinen Heimatschein erneuern zu lassen.
[10] Laut § 3 Satz 1 der Verfassung von 1862 war die Regierung erblich im Fürstenhause Liechtenstein nach Massgabe der Hausgesetze.
[11] Der Gesetzentwurf wurde vom Landtag in der öffentlichen Sitzung vom 28.8.1919 – nach ausführlicher Begründung durch Prinz Eduard – einstimmig angenommen (LI LA LTA 1919/S04). Fürst Johann II. bedankte sich mit Telegramm vom 30./31.8.1919 für die "loyale und patriotische Haltung" des Landtags (LI LA LTA 1919/L26). Vgl. schliesslich das Gesetz vom 1.9.1919, mit dem in Bezug auf die Agnaten des im Fürstentume Liechtenstein herrschenden Fürstenhauses einzelne Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 24.5.1864, LGBl. 1864 Nr. 4, authentisch erklärt und ergänzt werden, LGBl. 1919 Nr. 10.