Prinz Eduard teilt mit, Fürst Johann II. wünsche, dass bei den Verhandlungen über den Abschluss von Verträgen mit der Schweiz Rücksicht auf die Beziehungen zu Österreich genommen wird
Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard von Liechtenstein, designierter Gesandter in Wien, gez. ders., an Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein [1] 16.5.1919, Wien Betreff: Zollvertrag mit der Schweiz Euer Durchlaucht! Das schweizerische politische Departement, Abteilung für auswärtige Angelegenheiten, hat unterm 6. Mai l.J., ohne Zahl, an die schweizerische Gesandtschaft in Wien eine Note in französischer Sprache gerichtet, deren Übersetzung nachfolgend lautet: [2] "Prinz Karl von Liechtenstein, Gouverneur des Fürstentums, hat uns den Wunsch ausgesprochen, die Schweiz einen Vertrag mit seinem Lande betreffend Post und Zölle abschliessen zu sehen, ähnlich dem, der das Fürstentum mit Österreich verband [3] und mit uns im Allgemeinen (d’une manière générale) in dieselben Beziehungen zu treten, wie mit Österreich vor dem Krieg. [4] Wir bitten Sie uns so rasch wie möglich alle Verträge (Dokuments) senden zu wollen, welche die internationalen Rechtsbeziehungen zwischen Österreich und Liechtenstein festsetzen." Die schweizerische Gesandtschaft in Wien hat unterm 14. Mai 1919, Z. C. 7.19.65, nachstehende Zuschrift an die Fürstlich Liechtensteinische Hofkanzlei gerichtet: [5] "Unter Bezugnahme auf die gestrige mündliche Besprechung beehre ich mich Ihnen beigeschlossen die Abschrift des Schreibens des schweizerischen politischen Departements die internationale Lage des Fürstentums Liechtensteins betreffend zu übermitteln." Ein Vertreter der Gesandtschaft hat mündlich die besondere Dringlichkeit der Angelegenheit in der Hofkanzlei noch betont. Da obige Note des politischen Departements in ihrem zweiten Teile anscheinend über den Rahmen des von Euerer Durchlaucht gestellten Begehrens hinausgeht, und den Eindruck erweckt, als ob nicht nur an den Abschluss eines Vertrages über das Zoll- und Postwesen mit der Schweiz gedacht wäre, sondern dass auch alle übrigen zwischen dem Fürstentume und der bestandenen österreichisch-ungarischen Monarchie abgeschlossen gewesenen Verträge nunmehr analog mit der Schweiz abgeschlossen werden sollten, wird, um den Entschlüssen Euerer Durchlaucht nicht vorzugreifen, und um der Schweizer Gesandtschaft rasch eine Antwort zu erteilen, ohne der Sache selbst zu präjudizieren, unter einem die in Abschrift zuliegende Note an die Schweizer Gesandtschaft übermittelt. [6] Euere Durchlaucht werden eingeladen, dem genannten politischen Departement in Bern auf dessen oben angeführte Zuschrift je eine Ausfertigung des Zoll- und Steuervertrages vom 3. Dezember 1876, L.G.Bl. No. 3, und der Additionalkonvention vom 27. November 1888, L.G.Bl. No. 2 ex 1889, weiters des Postübereinkommens vom 4. Okt. 1911, L.G.Bl. No. 4, und vom 21. Januar 1917, L.G.Bl. No. 5, ehetunlichst zugehen zu lassen. [7] Soferne die fürstliche Regierung erachtet, dass dem Wunsche des schweizerischen politischen Departements nach Übermittlung weiterer zwischen Liechtenstein und Österreich bestandener Verträge ebenfalls zu entsprechen wäre, wird es Euerer Durchlaucht anheimgegeben, auch Ausfertigungen des Justizvertrages [8] und der Münzkonvention [9] und etwaiger sonstiger das gegenseitige Verhältnis regelnder Abmachungen zu übermitteln. [10] Es wird ersucht, anher Mitteilung zu machen, welche Staatsverträge dem politischen Departement in Bern zugesandt wurden und dieselben unter Anschluss einer Abschrift der bezüglichen Note in je zwei Exemplaren anher zu übermitteln, damit die schweizerische Gesandtschaft in Wien ebenfalls ein Pare dieser Stücke von hier aus zugemittelt erhalten könne. [11] Bei diesem Anlasse wird bemerkt, dass Seine Durchlaucht der regierende Fürst [Johann II.] besonderen Wert darauf legen und voraussetzen, dass die fürstliche Regierung bei den bezüglichen Verhandlungen mit der Schweiz, welche zunächst wohl von Euerer Durchlaucht nur als informative gedacht worden sein dürften, und als solche ohne Präjudiz für einen künftigen etwaigen Vertragsabschluss zu führen wären, in stetem Einvernehmen mit dem Landtage vorgeht und dass mit Rücksicht darauf, als die Frage, ob der Vorteil des Fürstentums in der Aufrechterhaltung seines Zollvertrages und seiner anderen Beziehungen mit Österreich-Ungarn bei der erforderlichen Umänderung auf Deutschösterreich oder in einem neuen Vertragskomplexe mit der Schweiz zu erblicken ist, noch nicht allseitig geklärt zu sein scheint, alles vermieden werde, was von der deutschösterreichischen Regierung als unfreundlicher Akt empfunden werden oder geeignet sein könnte, die zwischen derselben und dem Fürstentume bestehenden guten Beziehungen zu trüben, zumal ja nicht verkannt werden darf, dass die deutschösterreichische Regierung in der Frage der Notenabstempelung im Fürstentume das weitgehendste Entgegenkommen bereits gezeigt hat. [12] Ich beehre mich, diesen Anlass zu benützen, um Euere Durchlaucht vorbehaltlich weiterer, in den allernächsten Tagen abgehenden Mitteilungen davon in Kenntnis zu setzen, dass die deutschösterreichische Regierung der Errichtung der fürstlichen Gesandtschaft in Wien ihre Zustimmung erteilt hat [13] und dass ich demgemäss faktisch mit der Erfüllung meiner bezüglichen Aufgaben begonnen habe. Der Fürstlich Liechtensteinische Gesandte:
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[1] LI LA SF 27/1919/2482 ad 1710. Aktenzeichen: 14. Eingangsstempel der Regierung vom 21.5.1919. Ein weiteres Exemplar sowie ein Entwurf in LI LA V 003/0184. [2] CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 11, Az. B.14.24.P.4, Vereinbarungen mit Liechtenstein, 1919-1920, Abteilung für Auswärtiges des Eidgenössischen Politischen Departements an Charles-Daniel Bourcart, schweizerischer Gesandter in Wien, 6.5.1919 (Kopie in LI LA MFE 19; Abschrift sowie handschriftliche Übersetzung in LI LA V 003/0184). [3] Postvertrag von 1911, LGBl. 1911 Nr. 4; Zoll- und Steuerverein von 1852, fortgesetzt 1876, LGBl. 1876 Nr. 3. [4] Prinz Karl hatte am 22.4.1919 bei Bundesrat Felix Calonder vorgesprochen. In einem kurzen Gespräch versuchte er in Erfahrung zu bringen, ob die Schweiz bereit wäre, mit Liechtenstein ähnliche Abmachungen zu schliessen, wie sie bis anhin mit Österreich-Ungarn bestanden hatten. Weitere Anliegen waren die Ernennung eines eigenen diplomatischen Vertreters in der Schweiz und die Frage, ob die Schweiz bereit wäre, die diplomatische Vertretung Liechtensteins im Ausland zu übernehmen (LI LA RE 1919/2023, Prinz Karl an Johann II., 25.4.1919). [5] LI LA V 003/0184, Schweizerische Gesandtschaft in Wien an Hermann von Hampe, Leiter der Hofkanzlei, 14.5.1919. [6] LI LA SF 27/1919/2482 ad 1710, Prinz Eduard an Charles-Daniel Bourcart, 16.5.1919. [7] Prinz Karl hatte Calonder bereits mit Schreiben vom 9.5.1911 den Zoll-, den Post- und den Justizvertrag übermittelt (LI LA SF 27/1919/2282 ad 1710). [8] LGBl. 1884 Nr. 8. [9] Wohl der Münzvertrag vom 24.1.1857, öst. RGBL. 1857 Nr. 101; LGBl. 1900 Nr. 2, Anhang. [10] Prinz Karl sandte Calonder mit Schreiben vom 22.5.1919 zudem die Landesgesetzesblätter betreffend die Einführung der Kronenwährung, LGBl. 1898 Nr. 2 und LGBl. 1900 Nr. 2 (LI LA SF 27/1919/2482 ad 1710). [11] Prinz Karl sandte Prinz Eduard mit Schreiben vom 24.5.1919 die Landesgesetzesblätter betreffend die Einführung der Kronenwährung, LGBl. 1898 Nr. 2 und LGBl. 1900 Nr. 2 (LI LA SF 27/1919/2482 ad 1710). [12] Die aus der österreichisch-ungarischen Monarchie hervorgegangenen Nationalstaaten wollten durch Abstempelung feststellen, wie viele österreichisch-ungarische Banknoten in ihrem Gebiet im Umlauf waren. In Österreich fand die Abstempelung im März 1919 statt. Liechtenstein verzichtete auf eine Abstempelung, führte jedoch am 24.3.1919 eine Zählung sämtlicher Kronenbestände durch. Österreich erklärte sich darauf bereit, die österreichisch-ungarischen Banknoten, die nachweislich im Besitz liechtensteinischer Staatsangehöriger waren, in deutsch-österreichische Noten umzutauschen. Vgl. LI LA RE 1919/0600. [13] LI LA V 003/1165, Note deutschösterreichisches Staatsamt für Äusseres an Hofkanzlei, 2.5.1919.
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