Das österreichisch-ungarische Aussenministerium interveniert wegen der Ausweisung von Militärpflichtigen aus Liechtenstein


Maschinenschriftliche Kopie eines Memorandums des k.u.k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äussern, nicht gez. [1]

29.8.1916, Wien 

Memorandum 

Es besteht die Vermutung, dass sich im Fürstentume Liechtenstein österreichische, beziehungsweise ungarische Staatsangehörige aufhalten, [2] respektive dass sich solche dorthin begeben, welche sich ihren militärischen Pflichten, speziell der Landsturmmusterungspflicht [3] entziehen wollen. 

Da nun seitens des k.u.k. Kriegsministeriums besonderer Wert darauf gelegt wird, dass die Betreffenden zur Erfüllung ihrer militärischen Pflichten verhalten werden, im Fürstentume Liechtenstein jedoch keine k.u.k. Vertretungsbehörde besteht, bei welcher wie im sonstigen neutralen Auslande die Musterung vorzunehmen wäre, würde es sich für die k.u.k. Regierung darum handeln, in Erfahrung zu bringen, ob, beziehungsweise welche Massnahmen seitens der Fürstlich Liechtenstein’schen Regierung im Gegenstande getroffen werden könnten (etwa Ausweisung aller derjenigen, welche die Erfüllung ihrer Militärpflicht in der Monarchie nicht nachweisen können und Überstellung der fraglichen Individuen an die nächste österreichische Grenzbehörde zwecks Klarstellung ihres Militärdienstpflichtverhältnisses). [4]

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[1] LI LA RE 1916/3235 ad 0207 (Aktenzeichen 81.617/4). Das Memorandum wurde vom österreichisch-ungarischen Aussenministerium mit dem Ersuchen an die fürstliche Hofkanzlei übermittelt, der k.u.k. Regierung zur Kenntnis zu bringen, welche Massnahmen von der liechtensteinischen Regierung getroffen werden könnten, um österreichische und ungarische Staatsangehörige, die sich in das Fürstentum begeben, zur Erfüllung ihrer Militärpflichten, speziell der Landsturmpflicht, zu verhalten. In diesem Sinne ersuchte die fürstliche Hofkanzlei Landesverweser Leopold von Imhof am 5.9.1916 um Mitteilung, "ob und in welcher Weise in dieser Angelegenheit Ordnung zu schaffen sein würde, ohne mit der erklärten Neutralität des Fürstentums in Konflikt zu geraten" (LI LA RE 1916/3235 ad 207 (Aktenzeichen 10.384)).
[2] Vgl. in diesem Zusammenhang den Fall des österreichischen Deserteurs Josef Sigismund Lorenzi, dessen Auslieferung das k.u.k. Gericht des Militärkommandos Innsbruck am 9.12.1915 vom liechtensteinischen Landgericht verlangte. Das Landgericht lehnte eine Auslieferung mit Schreiben an die liechtensteinische Regierung vom 31.12.1915 jedoch ab, da die Bundeskartellkonvention vom 10.2.1831, welche die wechselseitige Überstellung von Militärpflichtigen und Deserteuren zwischen den Staaten des Deutschen Bundes regelte, nicht mehr gültig sei (LI LA RE 1915/4538 (Aktenzeichen Z. 725 Sts.)). Diesem Standpunkt schloss sich Landesverweser Leopold von Imhof mit Schreiben an die fürstliche Hofkanzlei vom 4.1.1916 an, wobei er auf auch auf die zu befürchtenden schweren politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen für die Neutralität Liechtensteins und die Lebensmittellieferungen aus der Schweiz im Fall einer Auslieferung verwies (LI LA RE 1916/5438). Die fürstliche Hofkanzlei ihrerseits erklärte sich am 10.1.1916 für unzuständig und schob die Verantwortung in dieser Frage wieder der liechtensteinischen Regierung zu (LI LA RE 1916/0006). Die Regierung schrieb dem k.u.k. Gericht des Militärkommandos Innsbruck daraufhin, dass sich Lorenzi nicht mehr in Liechtenstein aufhalte. Es entfalle daher die Notwendigkeit, zur Auslieferungsfrage Stellung zu nehmen (Konzeptschreiben, vermutlich vom 15.1.1916 (LI LA RE 1916/0207)).
[3] 1915 waren es die Tiroler, Vorarlberger und Salzburger Landsturmeinheiten bzw. Schützenkompanien, die die Südfront nach der italienischen Kriegserklärung hielten, bis reguläre Einheiten von der Ostfront verlegt wurden. Vgl. das Gesetz vom 6. Juni 1886 betreffend den Landsturm für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, mit Ausnahme von Tirol und Vorarlberg, öst. RGBl. 1886 Nr. 90. Analoge Landsturmgesetze galten für Ungarn, Tirol und Vorarlberg, vgl. das Gesetz vom 23.1.1887 betreffend das Institut der Landesvertheidigung für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg, Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol und Vorarlberg 1887 Nr. 7, bzw. das einschlägige Landesverteidigungsgesetz für Tirol und Vorarlberg vom 25.5.1913, Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol und Vorarlberg 1913 Nr. 25.
[4] Landesverweser Imhof gab am 11.9.1916 die Auskunft an die fürstliche Hofkanzlei in Wien, dass sich keine militärpflichtigen Österreicher oder Ungarn in Liechtenstein aufhielten bzw. alle in Liechtenstein wohnhaften Österreicher der Einberufungspflicht Folge geleistet hätten (LI LA RE 1916/3235 ad 0207). Die fürstliche Hofkanzlei berichtete in diesem Sinne dem österreichisch-ungarischen Aussenministerium.