Fürst Johann II. informiert über die Audienzen, die er während der "Schlossverhandlungen" Delegationen beider Parteien gewährte und teilt die Bestellung von Josef Peer zum neuen Regierungschef mit, der die Mitteilung bereits gegenzeichnet


Mitteilungen der Kabinettskanzlei, veröffentlicht im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

18.9.1920

Zur neuen Landespolitik

Wir erhalten von der f. Regierung folgende Mitteilungen:

Am Dienstag, den 14. September 1920 sind um 10 Uhr vormittags in der fürstlichen Villa nächst dem Schlosse die Herren Obmann der Volkspartei, Anton Walser-Kirchtaler, Landtags-Vizepräsident Dr. Wilhelm Beck und Abgeordneter Reallehrer Gustav Schädler von Seiner Durchlaucht dem Landesfürsten [Johann II.] im Beisein des Vorstandes der fürstlichen Kabinettskanzlei Kabinettsrat [Josef] Martin in Audienz empfangen worden.

Seine Durchlaucht geruhten, an die Erschienenen folgende Worte zu richten:

"Ich habe mit besonderer Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass die Verhandlungen zur Entwirrung der Situation im Lande durch die in den letzten Tagen geführten Besprechungen [2] soweit zu einer Einigung geführt haben, dass nunmehr mit Sicherheit eine endgiltige und gedeihliche Lösung jener Fragen zu erwarten ist, die so lange Unruhe und Aufregung ins Land gebracht haben.

Dieses erfreuliche Ergebnis ist nicht zuletzt auch auf Ihre unermüdliche und opferfreudige Mitarbeit am Einigungswerke zurückzuführen und ich spreche Ihnen für den Dienst, den Sie damit Mir und Meinem Lande geleistet haben, Meinen Dank und meine Anerkennung aus.

Gleichzeitig gebe ich auch der Erwartung Ausdruck, dass nunmehr jene Verstimmungen, die sich leider infolge bedauerlicher, inzwischen glücklich aufgeklärter Missverständnisse zeitweilig eingestellt haben, dauernd beseitigt sein mögen und fortan im Lande Einigkeit herrsche.

Empfangen Sie, Meine Herren, nochmals Meinen Dank!"

In dem sich hieran anschliessenden Cercle zogen Seine Durchlaucht unter abermaliger Erwähnung der in den letzten Tagen geleisteten unermüdlichen Arbeit die erschienenen Herren einzeln ins Gespräch, wobei der Landesfürst Sich um verschiedene, in den Wirkungskreis der Angesprochenen fallende Verhältnisse erkundigte.

Bei der Verabschiedung reichten Seine Durchlaucht jedem der Erschienenen die Hand und gaben erneut der Erwartung Ausdruck, dass nunmehr Friede ins Land einkehren möge, worauf Landtagsvizepräsident Dr. Beck den Dank der Erschienenen für die Worte des Fürsten abstattete und ebenfalls die Hoffnung aussprach, dass bei loyalem Zusammenarbeiten die zustandegekommene Einigung ihre guten Früchte zum Wohle des Landes tragen möge.

Am Mittwoch den 15. September 1920 haben Seine Durchlaucht der Landesfürst um 5 Uhr nachmittags die Herren Vertreter der Bürgerpartei, Obmann-Stellvertreter Abgeordneter Peter Büchel, Regierungsrat Franz Josef Marxer und Abgeordneter Professor Dr. Eugen Nipp im Beisein des Vorstandes der fürstl. Kabinettskanzlei Kabinettsrat Martin in Audienz zu empfangen geruht.

Seine Durchlaucht hielten an die Erschienenen folgende Ansprache:

"Gleichwie Ich schon im Zuge der zur Entwirrung der Situation im Lande eingeleiteten Verhandlungen Gelegenheit hatte, den vor mir erschienenen Vertretern der Volkspartei gegenüber Meiner Befriedigung über den Fortgang der Unterhandlungen Ausdruck zu geben, so drängt es mich nun auch, nachdem das Einigungswerk dank Ihres opferwilligen Entgegenkommens glücklich zu Ende geführt werden konnte, Ihnen für Ihre hiebei bekundete von Mir wärmstens anerkannte Einsicht und weise Mässigung Meinen besonderen innigen Dank auszusprechen.

Sie haben damit Mir und dem Vaterlande einen äusserst wertvollen Dienst geleistet und seien Sie hiefür Meiner vollen Anerkennung versichert!"

In dem sich hieran anschliessenden Cercle gab der Landesfürst, sichtlich erfreut über den glücklichen Verlauf der durchgeführten Verhandlungen, wiederholt seiner besonderen Freude darüber Ausdruck, dass nunmehr die Grundlagen für ein einiges Weiterarbeiten geschaffen seien.

Herr Professor Dr. Nipp betonte, dass die Bürgerpartei sicherlich in Betätigung ihrer Fürstentreue und Vaterlandsliebe nach besten Kräften mithelfen werde, um dem Einigungswerke gute Früchte für das Land zu sichern. Herr Regierungsrat Marxer gab die gleiche Versicherung, insbesondere namens der im Unterlande wohnhaften Mitglieder der Bürgerpartei ab.

Die Erschienenen gaben der Hoffnung Ausdruck, dass die Liechtensteiner recht bald wieder ihren Fürsten im Lande werden begrüssen können und wünschten Seiner Durchlaucht glückliche Heimreise. [3]

Zum Schlusse reichte Seine Durchlaucht jedem der Erschienenen die Hand und verabschiedete sich von ihnen aufs huldvollste.

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Meine lieben Liechtensteiner!

Seit mehr als 200 Jahren sind, dank Gottes Vorsehung, die Geschicke Meines Hauses mit denen Eueres Landes in Leid und Freud aufs Engste verbunden.

Hat sich auch unsere kleine Heimat glücklich durch die Wirrnisse des Weltkrieges hindurchgerettet, so haben sich doch die Erscheinungen der Nachkriegszeit immer fühlbarer gemacht und immer dringender wurde die Notwendigkeit, den weiter um sich greifenden Schädigungen der Wohlfahrt Meines Volkes hemmend entgegenzutreten und den Geist der verderblichen Zwietracht zu bannen, der bereits in unser Land einzudringen drohte.

Der mahnende Ruf zur Einkehr und zur Einigkeit, den Ich, erfüllt von der Sorge um das Wohl unserer teuren Heimat, an Alle ergehen liess, die berufen sind, in einmütigem Zusammenarbeiten zum Vaterlande zu stehen, ist nicht ungehört verhallt; sie haben Meiner Absicht zugestimmt, an die Spitze Meiner Regierung einen Mann zu stellen, dessen Aufgabe es sein soll, ungesäumt und mit allem Nachdruck im Verein mit ihnen das Werk der Wiederaufrichtung des Landes in Angriff zu nehmen und seine Vollendung zu sichern.

Als solchen Mann habe Ich nun den Hofrat des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes, Dr. Josef Peer, provisorisch auf die Dauer eines halben Jahres als Leiter der Regierungsgeschäfte mit allen Rechten und Vorzügen eines Regierungschefs ins Land gerufen und ihn zugleich vornehmlich mit der Aufgabe betraut, im Wege der Revision der Verfassung, sowie der Ordnung des Geldwesens und des Landeshaushaltes die Wiedergesundung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens im Lande anzubahnen. [4]

Ich gebe mich der bestimmten Erwartung hin, dass er die an seine Berufung geknüpften Hoffnungen erfülle und dass ihm die Unterstützung aller Gutgesinnten im Lande zur gedeihlichen Erfüllung seiner Ausgaben zuteil werden möge.

Unter Einem habe Ich der Mir von Meinem Landesverweser, Seiner Durchlaucht dem Herrn Prinzen Karl von und zu Liechtenstein, vorgebrachten Bitte um Enthebung von seinem Amte unter wärmster Anerkennung der Mir und Meinem Lande unter aussergewöhnlich schwierigen Verhältnissen mit opferfreudiger Hingebung geleisteten wertvollen Dienste Folge gegeben; möge auch im Volke eine dankbare Erinnerung an sein Wirken im Lande fortleben!

Liechtensteiner!

Haltet nun fest zusammen, stellet bei aller Wahrung selbständiger Anschauungen den Gedanken der Einigung zu gemeinsamer Arbeit im Dienste des Vaterlandes über das, was Euch bisher trennte und möge dasjenige, was Ich in unablässiger Sorge um Euer Wohl nach reiflicher Erwägung beschlossen und Euch hiemit kundgetan habe, Meinem Lande und Meinem Volke zu Heil und Segen gereichen;

das walte Gott!

Gegeben zu Vaduz, am 15. September 1920

Johann m. p. [manu propria]

Dr. Peer m. p.

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[1] L.Vo., Nr. 75, 18.9.1920, S. 1. Auch in: O.N., Nr. 75, 18.9.1920, S. 1 ("Mitteilung der Regierung"). Die Mitteilungen über den Verlauf der Audienzen wurden der Regierung durch die Kabinettskanzlei übermittelt mit der Anweisung, "je ein Exemplar den beiden Blättern behufs Veröffentlichung in der am kommenden Samstag erscheinenden Nummer an der Spitze des Blattes zugehen zu lassen" (LI LA SF 01/1920/124, Kabinettskanzlei an Regierung, 15.9.1920; LI LA SF 01/1920/ad 124). Die Kundmachung über die Ernennung von Peer wurde der Regierung übermittelt mit Schreiben der Kabinettskanzlei vom 16.9.1920 (LI LA SF 01/1920/125; LI LA SF 01/1920/ad 125). Die Regierung sandte den Zeitungen am 16.9.1920 Abschriften der Mitteilungen und der Kundmachung zu.
[2] In den "Schlossverhandlungen" vom 10.–15.9.1920 trafen Vertreter der Volkspartei und des Fürstenhauses eine Einigung über die Grundsätze der Verfassungsrevision und über die Bestellung von Josef Peer zum Regierungschef (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 5, Protokoll von Gustav Schädler, 16.9.1920).
[3] Der Fürst reiste am 16.9.1920 wieder nach Wien (O.N., Nr. 75, 18.9.1920, S. 2).
[4] LI LA SF 01/1920/ad 125, Handschreiben des Fürsten, 15.9.1920.