Das bischöfliche Ordinariat Chur unterbreitet der Regierung und der Verfassungskommission erneut Forderungen zur Verfassungsrevision


Maschinenschriftliches Schreiben des bischöflichen Ordinariats Chur, gez. Bischof Georg Schmid von Grüneck, an Regierungschef Josef Ospelt, auch zuhanden der Verfassungskommission [1]

17.8.1921, Chur

Sehr geehrter Herr Landesverweser!

Auf Ihre Bemerkungen vom 5. August a.c. [2] betreffend die neue Verfassung des Fürstentums Liechtenstein [3] haben wir folgendes zu erwidern:

1. Für den § 16 machen wir folgenden Vorschlag: "Das öffentliche Erziehungs- und Unterrichtswesen, der Religionsunterricht ausgenommen, steht unter staatlicher Aufsicht und soll in katholischem und vaterländischem Geiste gehalten sein." Das wäre das erste Alinea; in Alinea 7, erste Zeile fällt das Wort "oberste" aus. Die Begründung dieses Vorschlages ist klar ersichtlich; es ist doch einleuchtend, dass der Religionsunterricht nicht unter staatlicher Aufsicht stehen kann. Ferner geht das Wort "gesamt" – das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen – zu weit, indem sowohl die Familienerziehung, als auch der Religionsunterricht darunter fallen würden. – Dementsprechend fällt auch das Wort "oberste" in Al. 7 weg; es genügt ja vollkommen zu sagen, dass der Staat die ihm zustehende Leitung des Erziehungs- und Unterrichtswesens durch den Landesschulrat ausübe. – Wir haben noch hinzugefügt, dass das Erziehungs- und Unterrichtswesen in katholischem und vaterländischem Geiste gehalten sein soll. Wir finden diesen Zusatz sehr wichtig und für einen katholischen Staat selbstverständlich; sowohl die kirchliche als die staatliche Behörde hat dadurch eine Handhabe, destructiven Tendenzen entgegenzutreten.

2. Zu § 37, Al. 2 schlagen wir folgende Fassung vor: "Die römisch-katholische Kirche ist die Landeskirche; ihre Verfassung, Lehre und Kultus geniessen den vollen Schutz des Staates." Diese Fassung dürfte etwas bestimmter sein, als die des Entwurfes und wir glauben, dass sie im Sinne des Entwurfes und auch des Volkes von Liechtenstein liege.

3. Zu § 38: der Schlusssatz muss lauten: "Die Verwaltung des Kirchengutes der katholischen Pfarreien wird durch eine Vereinbarung mit der zuständigen kirchl. Behörde geregelt." Ihr Gegenvorschlag, dass die kirchl. Behörde vor Erlass einer solchen Verordnung "zu hören ist" genügt nicht; die kath. Kirche hat für die Verwaltung ihrer Güter gewisse Normen aufgestellt, welche für alle Länder gelten, also auch für Liechtenstein, und davon können wir nicht abgehen.

Diese drei Punkte sind für uns wesentlich; sie betreffen heilige Rechte der katholischen Kirche, und wie wir s.Z. die Rechte des Fürsten verteidigt haben, [4] so werden wir jetzt auch die Rechte der Kirche schützen. Wir haben gar nichts in Vorschlag gebracht, was irgendwie mit dem "Staatsgrundgesetz" nicht vereinbar wäre; wir müssen ferner betonen, dass die Gesetze der katholischen Kirche für das Fürstentum Liechtenstein doch nicht ein "fremdes Recht" bedeuten, nein, die katholische Kirche existiert ja im Lande selber, ja wir dürfen wohl sagen, sie hat das älteste und heiligste Bürgerrecht und wird es hoffentlich auch behalten; sie ist daher nicht als "fremd" zu behandeln, wie etwa ein auswärtiger Staat.

4. Mehr als Anregungen möchten wir noch folgende Punkte berühren:

  1. Könnte in § 24 etwa nach dem ersten Alinea nicht ein Zusatz gemacht werden: Armen- und Schulgut und das kath. Kirchengut sind steuerfrei?
  2. In § 37 Absatz 1 würden wir das Wort "jedermann" streichen.
    Im gleichen § Absatz 2, würde vielleicht besser gesagt, dass für andere Konfessionen die Abhaltung des Gottesdienstes etc. ... geschützt werde (anstatt gewährleistet). Anstatt zu sagen "andere Konfessionen" würden wir lieber einfach sagen "Andersgläubige", weil mit dem Ausdruck "andere Konfessionen" eben auch die kath. Kirche auf das Niveau einer Konfession gestellt wird, was wir vermeiden möchten.
  3. In § 40 würden wir sagen: eine vorherige, staatliche Zensur darf nur öffentlichen Aufführungen etc. ... gegenüber stattfinden.

Das sind die Bemerkungen, welche wir zum Verfassungs-Entwurf zu machen haben. Wir hoffen zuversichtlich, dass die Verfassungskommission und der Landtag diese Bemerkungen berücksichtigen werden; wir versichern nochmals, dass wir nur das verlangt haben, was wir zum Schutze der kirchlichen Rechte verlangen mussten.

Gott schütze Fürst und Volk von Liechtenstein!

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[1] LI LA RE 1921/3690 ad 963. Das Schreiben langte am 20.8.1921 bei der Regierung ein und wurde von dieser am 23.8.1921 dem Landtag mitgeteilt (LI LA RE 1921/3690 ad 963; LI LA LTA 9121/L03). Ein weiteres Exemplar unter LI LA RE 1921/3693 ad 963.
[2] LI LA SF 01/1921/134, Josef Ospelt an Schmid von Grüneck, 5.8.1921.
[3] LI LA RE 1921/0963, Regierungsvorlage von Josef Peer, 12.1.1921.
[4] Wohl eine Anspielung auf den Hirtenbrief vom 12.11.1918, in dem Schmid von Grüneck nach dem Regierungswechsel vom 7.11.1918 zu Dankbarkeit und Treue dem Fürsten gegenüber aufrief (LI LA SF 01/1918/ad 29).