Entscheidung der schweizerischen Kommission für Nationalisierungsentschädigungen in der Sache der Gräfin Nora Sekerka-Bajbus, gez. vermutlich Max Troendle (Abschrift) [1]
26.4.1954, Bern
Entscheid
betreffend die Entschädigungsansprüche
von Gräfin Nora Sekerka-Bajbus geb. Puttkamer, München,
vertreten zur Zeit durch Rechtsanwalt Dr. Veit Wyler, Schweizergasse 18, Zürich
In der Angelegenheit des Gesuches von Gräfin Sekerka-Bajbus um Zuerkennung der Entschädigungsberechtigung im Rahmen des schweizerisch-polnischen Abkommens vom 25. Juni 1949
wurde folgendes festgestellt:
I. Vormerkung: In ihrem Entscheid vom 27. Juni 1952 hatte die Kommission für Nationalisierungsentschädigungen die Entschädigungsansprüche der Gesuchstellerin für das von den polnischen Behörden als Feindeigentum übernommene „Familiengut Schickerwitz", bestehend aus den Gütern Schickerwitz, Schwundnig, Tschertwitz, Rotherinne und Schön-Steine, abgewiesen. [2] Gegen diesen Entscheid erhob die Ansprecherin am 26. Juli 1952 Beschwerde, diese ist der KNE [3] mit Note der Gesandtschaft des Fürstentums Liechtenstein in Bern vom 4. August 1952 übermittelt worden und fristgerecht am 5. August beim Sekretariat der KNE eingegangen.
Die Kommission sah sich indessen veranlasst, ihren früheren Entscheid in Wiedererwägung zu ziehen, weil der von der Ansprecherin am 30. Oktober 1952 bestellte Rechtsvertreter Dr. Walter Rothholz, Katharinenstrasse 2, München-Unterhaching, neue Beweismittel vorgebracht und die dem angefochtenen Entscheid der KNE zugrunde liegenden Anträge abgeändert hatte.
Aus seiner Eingabe vom 27. November 1952 geht nämlich hervor, dass Gräfin Sekerka-Bajbus sich dem Entscheid der KNE vom 27. Juni 1952 hinsichtlich der vier im ehemaligen Landkreis Oels gelegenen Güter Schickerwitz, Schwundnig, Tschertwitz und Rotherinne unterzieht und hiermit auf einen Rekurs mit Bezug auf diese Güter verzichtet.
II. Die heute zur Diskussion stehenden Anträge der Ansprecherin sind demnach folgende:
A. Entschädigung für ein Drittel Erbanteil an dem in Schön-Steine gelegenen Gut, bestehend aus dem Rittergut Schön-Steine und dem ihm angegliederten Waldgut.
B. Gemäss Eingabe vom 27. Juni 1953:
1. Erbanteil an dem in Breslau, Kronprinzenstrasse 44, gelegenen Haus, an dem der verstorbene Eberhard von Puttkamer miteigentumsberechtigt war.
2. Erbanteil an dem in Breslau, Kürassierstrasse 128, gelegenen Haus, das Eigentum des Vorgenannten war.
III. Die Frage, ob Gräfin Sekerka-Bajbus die liechtensteinische Staatsangehörigkeit besitzt und damit von der Bestimmung des Artikels 14 des schweizerisch-polnischen Entschädigungsabkommens vom 25. Juni 1949, wonach dieses Abkommen sich auf das Fürstentum Liechtenstein erstreckt, benifiziert, ist von der KNE in ihrem Entscheid vom 27. Juni 1952 bereits bejaht worden. Es ist somit auf diesem Punkt hier nicht mehr zurückzukommen.
IV. A. Das Entschädigungsgesuch betreffend das Ritter- und Waldgut Schön-Steine
1. Die Kommission hatte in ihrem Entscheid vom 27. Juni 1952 dieses Gesuch abgelehnt, weil sie annahm, Schön-Steine sei gleich wie die übrigen vier Landkreis Oels liegenden Rittergüter Schickerwitz, Schwundnig, Tschertwitz und Rotherinne schon im Jahre 1938 von den Deutschen aufgesiedelt worden und diese Güter im Zeitpunkt, da sie unter polnische Verwaltung gerieten, gar nicht mehr im Eigentum von Eberhard von Puttkamer, Bruder der Gräfin Sekerka-Bajbus, standen. Dabei stützte sich die KNE auf unvollständige Angaben der Ansprecherin, wonach diese Aufsiedlung durch ein Urteil des Oberlandesgerichts von Breslau ausgesprochen worden sei. Dieses Urteil, das vom 23. März 1939 datiert, hat nun Rechtsanwalt Rothholz in beglaubigter Abschrift zu den Akten gelegt.
Darin wird unter der Rubrik „Tatbestand" unter Ziffer II (S3/4) folgendes festgehalten:
„Zu dem von Puttkammerschen Familien-Fideikommiss gehörten die 5 Rittergüter Schickerwitz, Schwundnig, Tschertwitz und die Rotherinne, Kreis Oels, sowie das Rittergut Schön-Steine im Kreis Grosswartenberg. Aus letzterem wurde auf Ersuchen des Auflösungsamtes am 7. März 1932 das Waldgut Schön-Steine Bd.IV.Bl.85 abgezweigt."
Auf Grund der preussischen Gesetzgebung von 1919/20 betreffend die Auflösung von Familienfideikommissen wurde auch das Puttkammersche Familienfideikommiss in einem Jahre dauernde Verfahren zur Auflösung gebracht.
Auf Seite 10/11 des Urteils, wird darüber folgendes ausgeführt:
„Am 3. Mai 1929 erteilte das Auflösungsamt dem Beklagten (d. i. Eberhard von Puttkammer) den Fideikommissfolgeschein. In der Begründung des Beschlusses brachte es zum Ausdruck, dass mit der Erledigung des vom Vater (d. i. Freiherr Wolfgang von Puttkammer) bisher betriebenen Bestätigungsverfahrens die Zwangsauflösung begonnen habe und mit seinem Tode zugleich die Zwangsauflösung des Fideikommisses im Sinne der §§ 1 und 3, Satz 2 der Zwangsauflösungsverordnung vom 19.11.1920 erfolgt sei. Der Beklagte wurde daraufhin als Eigentümer der 5 Rittergüter in das Grundbuchamt eingetragen. Erst am 6. Mai 1938 wurde ihm der Fideikommissauflösungsschein aus § 31 der Zwangsauflösungsverordnung erteilt. Nach Eintreten der Rechtskraft wurde die Fideikommisseigenschaft auf sämtlichen Gütern gelöscht. Die 4 Rittergüter des Landeskreises Oels hatte er inzwischen mit Genehmigung des Auflösungsamtes an die Deutsche Ansiedlungs-Gesellschaft veräussert. Er ist nur noch eingetragener Eigentümer der beiden Güter in Schön-Steine."
Die Ansprecherin behauptet, dass sich seither an den Eigentumsverhältnissen nichts geändert habe.
2. Ferner hat der Rechtsvertreter von Gräfin Sekerka-Bajbus eine am 24. März 1953 vom Amtsgericht erlassene Todeserklärung zu den Akten gelegt, worin der Zeitpunkt des Todes zuletzt Schön-Steine, Kreis Gross-Wartenberg, wohnhaft gewesenen Eberhard von Puttkammer auf den 20. Dezember 1945, 24 Uhr, festgestellt wird.
3. Schliesslich geht aus einem vom Amtsgericht München (Nachlassgericht) erstellten Erbschein vom 7. Januar 1954 folgendes hervor:
„Es wird hiermit bezeugt, dass der mit Wirkung vom 20.12.1945 für tot erklärte Freiherr von Puttkammer Eberhard, Jesko Heinrich, Theodor Alexander Wolf auf Grund Gesetzes von den erbl. Geschwistern
Jesko von Puttkamer, Kunstmaler in Hamburg
Wolf von Puttkamer, Rio de Janeiro, Avenida Franklin Roosevelt, Sala 504 c/o Schr. Kock
Nora Gräfin Sekerka-Bajbus, geb. Baronesse von Puttkammer, München, Widenmayerstr. 47, Pension Schmidt
zu je einem Drittel – (zu je 1/3) – beerbt worden ist.
4. Die Ansprecherin macht nun geltend, im Zeitpunkt des Todes des Eberhard von Puttkammer, d.h. am 20. Dezember 1945 sei das Gut Schön-Steine unbelastetes Eigentum des Genannten und von keiner polnischen Massnahme betroffen gewesen. Erst das polnische Dekret vom 8. März 1946 habe in seinem Artikel 2 die entschädigungslose Konfiskation deutschen Besitzes vorgesehen. Damals habe aber die Ansprecherin bereits 1/3 des Gutes Schön-Steine durch Erbschaft erworben, sodass die am 8. März 1946 dekretierte Konfiskation liechtensteinische Vermögensinteressen betroffen habe. Sie sei hierfür entschädigungsberechtigt.
B. Das Entschädigungsgesuch betreffend die Liegenschaften in Breslau
Hier handelt es sich um verspätete Anmeldungen, die erst am 27. Juni 1953 erfolgt sind. Übrigens hat Rechtsanwalt Rothholz die in Frage stehenden Ansprüche lediglich allgemein umschrieben, ohne sie in den einzelnen Punkten dokumentarisch zu belegen.
Die Kommission zieht in Erwägung:
1. Gemäss Artikel 1, Ziffer 1 des schweizerisch-polnischen Entschädigungsabkommens vom 25. Juni 1949 dient die von der polnischen Regierung geschuldete Globalsumme zur Entschädigung jener Vermögenswerte, Rechte und Interessen, die durch die polnische Gesetzgebung und die hieraus folgenden Massnahmen des polnischen Staates oder seiner Organe in Mitleidenschaft gezogen worden sind, wobei diese Bestimmung laut Artikel 14 des Abkommens auch auf liechtensteinische Staatsangehörige Anwendung findet. Ferner werden durch das Abkommen auch Schäden gedeckt, die durch polnische Massnahmen im Sinne Artikel 1, Ziffer 1 in Gebieten entstanden sind, die vor dem zweiten Weltkrieg deutsches Reichsgebiet waren und erst durch die Potsdamer Beschlüsse vom 2. August 1949 de facto unter polnische Hoheit gekommen sind. Dies ist im vorliegenden Fall deshalb von Bedeutung, weil zu den erwähnten Gebieten auch Schlesien gehört, wo die in Frage stehenden Güter des verstorbenen Eberhard von Puttkammer sich befinden.
Schliesslich besagt Artikel 9, Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 14, dass nur solche Vermögenswerte entschädigt werden können, sie sich im Zeitpunkt, da sie von einer polnischen Massnahme betroffen wurden, Personen liechtensteinischer Staatsangehörigkeit gehört haben, mit anderen Worten, es müssen im Augenblick des schädigenden Ereignisses liechtensteinische Interessen in Mitleidenschaft gezogen worden sein.
2. Angesichts dieser Rechtslage reduziert sich der hier zu beurteilende Tatbestand auf die Frage, ob das Ritter- und Waldgut Schön-Steine am 20. Dezember 1945, dem Todestage von Eberhard von Puttkamer, von einer polnischen Massnahme betroffen war oder nicht.
Wie bereits erwähnt, wird diese Frage vom Rechtsvertreter der Ansprecherin bejaht mit der Begründung, das schädigende Ereignis sei erst nach dem Tode des Eberhard von Puttkammer, nämlich mit dem 8. März 1946 dekretierte Konfiskation deutschen Besitzes eingetreten. Im Zeitpunkt des Todes habe der Bruder der Ansprecherin unbelastetes Eigentum besessen, wovon die Gräfin Sekerka 1/3 durch Erbschaft erworben habe.
Dieser Drittel sei ihr durch Konfiskation weggenommen worden, weshalb sie für diesen liechtensteinischen Anteil entschädigt werden müsse.
3. Demgegenüber ist zu bemerken, dass vor dem erwähnten Dekret vom 8. März 1946 bereits am 6. Mai 1945 erlassenes polnisches Gesetz bestand, dass die Einsetzung der Nationalverwaltung über „verlassene Güter" und über den gesamten deutschen Besitz zum Gegenstand hatte (Gesetz Nr. 97, veröffentlicht am 7. Mai 1945 in der amtlichen polnischen Gesetzgebung).
Nach den Angaben der Schweizerischen Gesandtschaft in Warschau ist dieses Gesetz auch in den sogenannten „angegliederten Gebieten", d.h. ebenfalls in Schlesien, wo die Puttkammerschen Güter liegen, angewendet worden, als diese Territorien auf Grund der Potsdamer Beschlüsse am 2. August 1945 unter polnische Verwaltung gerieten.
Im Gesetz vom 6. Mai 1945 wird ein Unterschied gemacht zwischen den „biens délaissés" (Artikel 1) und den „biens abandonnés" (Artikel 2), in welche Kategorie insbesondere sämtliche Vermögen deutscher Staatsangehöriger fällt. Sowohl die in Artikel 1 als auch in Artikel 2 genannten Vermögenswerte fielen unter Nationalverwaltung, allerdings mit der Besonderheit, dass hinsichtlich der ersten Kategorie die Eigentümer unter den in Titel III des Gesetzes umschriebenen Voraussetzungen die Rückübereignung verlangen konnten, während hinsichtlich der zweiten Kategorie diese Möglichkeit nicht bestand. Deutsche Staatsangehörige konnten kein Restitutionsbegehren stellen, was zur Folge hatte, dass die über ihren Besitz verhängte Nationalverwaltung weiter bestehen blieb, bis das Gesetz vom 6. Mai 1945 aufgehoben und durch das Dekret vom 8. März 1946 (vergl. seinen Artikel 41) ersetzt wurde, das die entschädigungslose Konfiskation deutschen Bodens statuierte.
Es zeigt sich, dass hinsichtlich des deutschen Besitzes die Nationalverwaltung nicht etwa bloss provisorischen Charakter hatte, sondern sie bedeutet bereits einen Besitzentzug in der Absicht der Aneignung durch den polnischen Staat, wobei das am 8. März 1946 erlassene Dekret nur noch eine formale Sanktionierung des bereits bestehenden Zustandes war.
Es handelt sich bei dieser Nationalverwaltung unzweifelhaft um eine polnische Massnahme von der Art, wie sie in Artikel 1 des schweizerisch-polnischen Abkommens umschrieben wird. Geht man davon aus, dass die Nationalverwaltung mit der Übernahme der schlesischen Gebiete am 2. August 1945 einsetzte, so gelangt man zur Feststellung, dass im Falle von Gräfin Sekerka-Bajbus das schädigende Ereignis bereits in einem Zeitpunkt eingetreten ist, da Eberhard von Puttkammer noch lebte. Die Kommission kommt daher zu dem Schluss, dass die polnische Massnahme nicht liechtensteinische, sondern deutsche Vermögenswerte betroffen hat. Die Entschädigungsansprüche der Gesuchstellerin für das Gut Schön-Steine können daher nicht berücksichtigt werden.
Was die beiden Begehren betreffend der Liegenschaften in Breslau betrifft, ist festzustellen, dass sie verspätet erfolgt sind, weshalb darauf nicht einzugehen ist.
Aber selbst wenn man dies tun wollte, so müssten diese Entschädigungsansprüche aus den gleichen rechtlichen Erwägungen wie im Falle Schön-Steine abgelehnt werden.
Demnach beschliesst die Kommission:
1. Das Entschädigungsbegehren von Gräfin Sekerka-Bajbus geborene von Puttkammer für den von ihr geltend gemachten Erbanteil am Gut Schön-Steine wird abgewiesen.
2. Das Gleiche gilt für die Entschädigungsansprüche betreffend die sub. Ziffer II.B erwähnten Liegenschaften in Breslau.
3. Gegen diesen Entscheid kann gemäss Artikel 4 des Bundesbeschlusses vom 21. Dezember 1950 über die Bestellung einer Kommission und einer Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen innert 30 Tagen vom Eingang der schriftlichen Ausfertigungen dieses Entscheides an bei der Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen Beschwerde erhoben werden.
Beilage: [4]
Rechtsmittelbelehrung