Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt", nicht gez. [1]
29.6.1933
Unterländer Brief
Das Verbot der Arbeiterzeitung [2] durch die Regierung hat hier keineswegs überrascht. Wenn auch allgemeine bedauert werden muss, dass es in Liechtenstein zu einem solchen Schritte überhaupt kommen musste und sich einem die Erkenntnis aufdrängen muss, dass man in Liechtenstein aus dem Zusammenbruch der sozialistisch liberalen Ideenwelt, nach der der Staat und die Allgemeininteressen des Volkes Freiwild aus niederen Instinkten erfliessender zügelloser Angriffe geworden sind, nichts glernt hat, bildet doch dieses einmalige Verbot einen Fingerzeig, dass ein starker und einmütiger Wille an der Leitung des Staates pflichtgemäss eingreifen kann. Die Leitung des Blattes wird aus der ihr aus dem Schosse der Regierung zugegangenen Begründung ersehen können, mit welchem Ernste die Fahrmänner am Staatsschifflein dieses durch die Fährnisse dieser Krisenzeit, die heute ernster als je auch das Wirtschaftsleben in Liechtenstein zu erfassen droht, zu führen bestrebt sind. Es wird dieser Kurs auch vom gesamten ernstdenkenden Volke ohne Unterschied der Partei gutgeheissen werden. Dieses Verbot ändert nichts an der Haltung der Regierung und des Landtages gegenüber unserer Arbeiterschaft, sie werden weiterhin bemüht sein, mit allen Mitteln der Arbeitslosigkeit zu steuern und suchen, die nur möglichen Erleichterungen zu schaffen. Es stünde auch der weitab von der politischen Wirklichkeit im unseren Lande, der glauben möchte, durch dieses Verbot fühlte sich die Arbeiterschaft des Landes betroffen. Sie steht in ihrem Grossteil nicht hinter der Arbeiterzeitung, billigt ihre Schreibweise keineswegs, sie will nur Arbeit und anerkennt die Bemühungen der Behörden um Arbeitsbeschaffung und den Schutz der Arbeiterschaft.
Hier sei mir gestattet, einen Gedanken allgemeiner Natur einzuschalten. Es geht ein Zug nationaler Erneuerung durch die Welt, er muss grundsätzlich warm begrüsst werden. Wo dieser Zug aber eine Färbung erhält, die in eine Ausschaltung oder in eine zwangsweise Gleichschaltung mit Unterdrückung der Ausdrucksmittel der Arbeiterschaft im Staate hinüberschillert, gehen wir keinswegs gleichen Sinnes. Keine politische Erneuerung kann u. darf ohne oder gegen die Arbeiterschaft stattfinden. Wie wir sozialrevolutionäre Gelüste ablehnen, so aber auch jedes Unterfangen, das in extrem sozialistischer Weise durch d. Grundfesten des Staates und die von der Volksgemeinschaft mühsam errichteten wirtschaftlichen Existenzen Bahn bricht. Es ist in Liechtenstein auch nicht anderes denkbar als die Eingliederung unserer Arbeiterschaft in den Staat, sie arbeitet mit aus der wertvollen Erkenntnis der Notwendigkeit der Mitarbeit für sie und fürs Volksganze. Die abseits stehende kleine Gruppe wird an dieser Tatsache wenig ändern können.
Noch ein Gedanke sei hier eingeflochten. Unsere Verfassung ist auf vollständig demokratischer Grundlage ausgebaut, sie darf sich mit denen der Nachbarländer wohl messen. Das in ihr verankerte demokratische Wesen verlangt aber Rücksicht auf die Eigenart und die Struktur der Volksgemeinschaft und auf die eigenartige Stellung des Landes, das infolge seiner Kleinheit sich keine Extravaganzen irgendeiner Art leisten kann. Wer abseits der allgemein empfundenen Staatsnotwendigkeiten stehen will oder in wilder Oppositionslust sich betätigen zu müssen vermeint, der hat nicht nur den liechtensteinischen Weg verlassen, sondern verkennt auch den Zug allgemeiner Erneuerung in der übrigen Welt. Eine Erneuerung kann nur die Wiederbesinnung sein auf die ursprünglich wirksamen Kräfte der Volksgemeinschaft. So musste es auch im unseren Landesteile schwer empfunden werden, wenn in verschiedenen Fragen für unsere Bevölkerung früher nicht ein nötiges Verständnis aufgebracht werden konnte. Nur auf einem solchen Verständnis konnte einst im Dezember 1930 die Abstimmung über den Binnenkanal [3] aufgebaut sein. Wenn auch dieses Werk in seiner Gänze sich erst in späten Jahren auswirken kann, wurde für die Jetztzeit einem grösseren Teile der unterländischen Landwirtschaft die Existenz erhalten. Eine spätere Zukunft aber wird von der Weitsicht des weitaus grössten Teiles der liechtensteinischen Bevölkerung aus dem Jahre 1930 sprechen. Eben diese Regenperiode hat uns wieder dargetan, welche Kräfte über unserm Landesteil verheerend schweben könnten, wenn nicht Abhilfe geschafft würde. Wir sind uns klar, dass noch ein ungeheurer Aufwand an Mitteln und Arbeit erfolgen muss, um unsere Produktion bedeutend heben zu können, die Sicherheit vor katastrophalen Überflutungen der bebauten Felder allein erscheint uns heute als Rettungsanker.
Wie seiner Zeit bei der Abstimmung über das Wahlgesetz [4] gegen eine Gleichbewertung der Stimme eines Unterländerbürgers gegen ein eines Oberländers in einer gewissen Presse Sturm gelaufen wurde, haben wir das verstanden und umsomehr hinnehmen müssen, als ein kleiner Teil des Unterlandes sich zur selben Ansicht bekannte. Es wird auch bis zum jüngsten Tage Leute geben, die der Gerechtigkeit absichtlich aus dem Wege gehen und aus niederen Gelüsten heraus sogar über diese hinwegschreiten. Daran ist nichts zu ändern. So muss auch die Arbeit einiger gewertet werden, die bestrebt sind, ständig Missstimmung in die Bevölkerung zu tragen.
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[1] L.Vo., Nr. 75, 29.06.1933, S. 1.
[2] Die Ausgabe der "Arbeiterzeitung" vom 24. Juni 1933 war von der Regierung eingezogen worden (vgl. L.Vo., 1933.06.27).
[3] Im Referendum vom 14. Dezember 1930 stimmten 1469 Bürger für und 616 gegen den Bau des Binnenkanals zur Entwässerung der Talebene.
[4] Am 14. Februar 1932 erfolgte das Referendum über die Abänderung des Wahlverfahrens bei Landtagswahlen (siehe LGBl. 1932 Nr. 8 und LGBl. 1932 Nr. 9).