Einsendung in den "Liechtensteiner Nachrichten", nicht gez. [1]
14.3.1929
Vom Schächten
Das "L.V." [Liechtensteiner Volksblatt] wirft uns vor, dass wir bezüglich Schächten eine ordinäre Hetze gegen die Regierung treiben. Das entspricht nicht der Wahrheit. Wenn wir gegen das Schächten Stellung nehmen, so tun wir dies den armen Tieren zulieb und nicht um der Regierung, die in eine Sackgasse geritten, Schwierigkeiten zu machen. Es scheint uns, dass die Regierung sonst „genug" hat und wir haben uns in letzter Zeit sehr zurückhaltend benommen, obwohl mehrmals mehr als genug Anlass zu Kritik vorhanden gewesen. Aber dass wir bezüglich Schächten nicht für die Tiere einzutreten den Mut haben, darf man uns denn noch nicht zumuten. In einem Artikel im „L.V." faselte ein Schreiber, der von der Viehzucht gerade soviel Verständnis zu haben scheint wie ein Schmied von der Uhrenmacherei, davon, dass sich die Viehzucht zugunsten der Mast einstellen müsse. Dadurch würden die dreissigjährigen Bestrebungen der Viehzüchter auf einen Schlag wertlos und das schöne Braunvieh würde bald verschwinden. Doch der Mann schrieb jedenfalls so, wie es ihm der Verstand eingab, dass er vom letzteren nicht so viel hat, ist hoffentlich nicht seine Schuld. Was würde der "Bauernfreund" mit den Alpen machen? Bei uns fehlt die natürliche Grundlage zur Mast vollkommen. Wir können nicht Mast betreiben. Überall dort, wo Mast betrieben wird, hat es ausgedehnte Teiler mit grossen Getreidefeldern, unser schmaler Streifen Land dem Rhein nach kommt nicht in Betracht. Wir müssen zufrieden sein, wenn er fortwährend imstande ist, in unsere Bauernfamilien den „Riebel" zu liefern. Die Bauern können nicht viel Vieh halten, wenn nicht die Alpenwelt und die Berghänge so viel und gutes Futter bieten würden. Es macht sich nicht gut, wenn ein so siebenmal Gescheiter unseren Bauern Belehrungen geben will und im Ernst genommen doch nichts versteht.
Man hat wollen geltend machen, dass die Juden das Vieh zum Schächten in Liechtenstein einkaufen, und es mag solche gehabt haben, die dies für bare Münze hingenommen. Wie es aber in Wirklichkeit ist, möge sich jeder folgendermassen vorstellen. Weil nun aber unser Vieh kein Mastvieh ist und wir aus den oben angeführten Gründen kein Mastvieh produzieren können, wird der israelitische Gemeindebund als Viehabnehmer nicht in Frage kommen und die "ungeahnten" Erfolge oder Auswirkungen können sich höchstens noch in der Einschleppung der Seuche zeigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Gefahr der Einschleppung der Maul- und Klauenseuche nicht gering ist. In der Schweiz hat man mit der Einfuhr von Schlachtvieh diesbezüglich schon recht böse Erfahrungen gemacht. Es macht den Anschein, dass unsere Regierung auch die wirtschaftlichen Momente, die gegen die Bewilligung zum Schächten sprechen, vollständig ausser Acht liess.
Als Tierfreund möchte ich noch hinzufügen, dass ich es nicht für billig finde, des schnöden Geldes wegen ein Tier zur grausamen Quälung auszuliefern. Es heisst, dass man die Zuflucht beim Bauernverein suchen will, wie wenn dieser kompetent wäre. Der Bauernverein kann nicht für das Schächten eintreten, wohl aber für den Tierschutz, und es wäre eine der dankbarsten Aufgaben, wenn der Bauernverein die Schaffung eines Tierschutzvereines in die Hand nehmen würde. Vorerst aber sei unsere Parole:
Unterstützung der Initiative! [2]
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[1] L.Na., Nr. 32, 14.03.1929, S. 1.
[2] Siehe hiezu auch die öffentlichen Landtagsprotokolle vom 22.4. (LI LA LTP 1929/031), 16.5. (LI LA LTP 1929/093) und 25.6.1929 (LI LA LTP 1929/115) betreffend eine Gesetzesinitiative auf Einführung eines Schächtverbotes in Liechtenstein.